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ОглавлениеLässig lehnte der Fuchs an einem Baum und genoss die Früchte seiner perfekten Planung. Langsam hob er den Feldstecher an die Augen und verfolgte das bunte Treiben in seinem Wald. Sein Plan hatte in allen Einzelheiten funktioniert, sein Spiel war hiermit offiziell eröffnet.
Das Spiel hieß Geocaching, und wer es mit ihm spielen wollte, riskierte sein Leben. Bei ihm gab es keine blöden Figuren oder Souvenirs, die man finden konnte. Nein, in seinen Verstecken lauerte der Tod.
Vor Aufregung fuhr er sich mit der Zunge über seine ausgetrockneten Lippen. Sein Atem ging stoßweise, sein Puls raste in einem wilden, gefährlichen Rhythmus. Erneut spähte er durch seinen Feldstecher und nahm – effizient wie ein Computer – alle Einzelheiten in sich auf.
Die kleine Waldlichtung glich einem Ameisenhaufen. Etwa zwei Dutzend Polizisten liefen scheinbar planlos umher. Sie suchten in Büschen, an Bäumen und drehten jedes Blatt oder jeden Stock auf dem Boden herum.
Sucht nur! Sucht nur! Aber ihr werdet nichts finden, dachte er sich und lächelte gemein.
Gefährlicher waren da schon die Leute von der Spurensicherung. Die konnten in den kleinsten Hinweisen brauchbare Spuren finden. Ein Haar oder ein paar Hautschuppen konnten ihnen die erforderlichen Beweise liefern, um ihn als Täter zu überführen.
Aber glaubten die wirklich, dass sie schlauer wären als der Fuchs? Glaubten die allen Ernstes, sie könnten den Fuchs entlarven?
»Ihr Einfaltspinsel würdet mich noch nicht einmal sehen, wenn ich direkt neben euch stehen würde. Ihr könnt zwar gegen mich spielen, aber gewinnen könnt ihr nicht! Ich bin der Fuchs, ich bin perfekt und mache keine Fehler. Über mich werden sich noch eure Enkel den Kopf zerbrechen«, rief er mit verächtlicher Stimme.
Dann blickte er erneut durch den Feldstecher und nahm jede Kleinigkeit in sich auf.
*
Ich hörte das knackende Geräusch eines brechenden Astes und drehte mich auf dem Absatz herum. Kommissar Bach lief gerade den langgezogenen Abhang herunter und schaute sich neugierig um. Eine zweite Person erschien am Rücken der Anhöhe. Leichtfüßig wie eine Katze lief sie über den schmalen Trampelpfad zu uns herunter. Eine Woge der Erleichterung flutete durch meinen Körper, als ich Britta Jungmann erkannte.
Mia und ich hatten sie mehrmals im Krankenhaus besucht und mit der Zeit war so etwas wie Vertrautheit zwischen uns entstanden. Aus der unnahbaren Kommissarin war eine Freundin geworden. Die kühle, schöne Polizistin war außerhalb ihres Dienstes eine warmherzige und lebenslustige junge Frau.
Mein Blick fokussierte den Kommissar, der mit hochrotem Kopf auf mich zugelaufen kam. Er war ein wahrer Hüne von Mann und überragte seine Kollegin um Haupteslänge. Der Anflug eines Lächelns huschte über sein Gesicht, dann streckte er mir seine riesige Pranke zur Begrüßung entgegen.
»Guten Tag, Herr Bender. So sieht man sich also wieder.«
»Ja, scheinbar braucht es immer ein Verbrechen, damit wir uns über den Weg laufen«, sagte ich und schüttelte seine fleischige Hand.
Britta Jungmann trat aus dem Schatten ihres Kollegen, umarmte mich kurz, gab mir einen flüchtigen Kuss und fragte:
»Was war hier los, Tom?«
»Hab ich was verpasst mit euch beiden?«, donnerte die verwunderte Stimme des Kommissars durch den Wald.
»Ja, mein lieber Reinhold, das hast du«, antwortete die Kommissarin trocken und drehte sich wieder zu mir herum. Auffordernd sah sie mich an, zeigte auf die kleine Anhöhe und sagte: »Also schieß los, Tom! Was ist hier passiert?«
Bedauernd hob ich die Schultern und begann das wenige, das ich wusste, auszubreiten: »Wir haben hier nach einem Geocaching-Versteck gesucht, als plötzlich ein Schrei durch den Wald schallte. Ali, das ist unser Hausmeister, ist sofort den Hügel hinaufgerannt. Ich habe noch kurz nach meinen Schülern geschaut, bevor ich ihm gefolgt bin.«
»Wie lange hat es deiner Meinung nach gedauert, bis ihr dort oben angekommen seid?«
Ich überlegte kurz und antwortete dann: »Drei bis vier Minuten vielleicht. So genau kann ich es dir wirklich nicht sagen. Gefühlt war es jedenfalls eine kleine Ewigkeit.«
»Wo ist dieser Herr Ali jetzt?«, fragte der Kommissar und blickte sich suchend um.
»Er macht gerade seine Zeugenaussage. Meine wurde von euren Kollegen bereits aufgenommen.«
Brittas Blick ruhte für einen Moment auf meinen Schülern und eine besorgte Falte legte sich über ihr sommersprossiges Gesicht. Nachdenklich wanderte ihr Blick durch den Wald, als sie fragte: »Haben deine Schüler viel von der ganzen Sache mitbekommen? Ich meine, haben sie die Tote gesehen oder waren sie die ganze Zeit hier unten?«
»Naja«, sagte ich und setzte mich auf einen Stapel Baumstämme, »sie haben natürlich die Schreie der beiden Frauen gehört und sind Ali und mir gefolgt. Die meisten dürften einen Blick auf die tote Frau erhascht haben. Schau dir ihre Gesichter an! Die sprechen doch Bände, oder?«
»Verdammt, das ist nicht gut. Meinst du, dass wir Psychologen für deine Schüler anfordern sollten?«
»Kann auf jeden Fall nicht schaden«, sagte ich.
»Ich habe bereits unseren Schulleiter verständigt und mit Pfarrer Milch gesprochen. Sie sind beide auf dem Weg hierher und werden in Kürze eintreffen. Ich mache mir große Sorgen um meine Schüler. Sie wirken zwar ruhig und machen einen auf cool, aber wie es in ihrem Inneren aussieht, will ich mir gar nicht vorstellen«, meinte ich.
»Gut, ich kümmere mich um alles. Mach dir keine Gedanken, für deine Schüler wird bestens gesorgt«, erwiderte die Kommissarin und schaute sich erneut suchend um.
»Nach was schaust du dich denn immer um? Suchst du irgendwas?«, fragte nun der Kommissar und blickte sich ebenfalls um.
»Keine Ahnung! Ich habe irgendwie das Gefühl, ständig angestarrt zu werden. Irgendjemand ist da draußen und beobachtet uns! Ich kann es förmlich spüren. Jede Faser meines Körpers signalisiert mir Gefahr«, sagte die Kommissarin mit unsicherer Stimme.
»Sicher treiben sich bereits ein paar Reporter hier im Wald herum«, meinte Kommissar Bach und unterstrich seine Worte mit einer abfälligen Geste.
»Oder der Täter beobachtet uns aus sicherer Entfernung!«, warf ich ein und blickte mich ebenfalls suchend um.
*
Das Kätzchen da unten gefiel ihm. Das war eine Frau nach seinem Geschmack. Gebannt schaute er durch seinen Feldstecher und verfolgte jede ihrer Bewegungen. Sie war geschmeidig wie eine Wildkatze und bestimmt auch ebenso gefährlich. Ihr schönes, schulterlanges Haar wehte verführerisch im Wind und schien ihm geradezu zuzuwinken.
Nach so einer Frau hatte er gesucht! Von so einer Frau hatte er sein Leben lang geträumt! Sie war das perfekte Gegenstück zu seiner Nummer 1: blond, ein wenig blasshäutig und von extrem zartem Körperbau. Aber alles an ihr schien wohl proportioniert und wirkte absolut perfekt.
Seine Nummer 1 hingegen hatte dunkelbraune Haare, sonnengebräunte Haut und eine umwerfend weibliche Figur. Zwei Frauen, die gegensätzlicher nicht sein konnten. Zwei Frauen, die das wilde Verlangen nach Sex, Liebe und Zärtlichkeit in ihm weckten.
Diese beiden Schlampen von vorhin waren einfach nur hässlich gewesen. Die eine pummelig und die andere groß und hager. Was sollte man mit solchen Weibern anfangen?
Welcher Mann würde sich für so hässliche Frauen überhaupt interessieren?
Eigentlich hätte ich die Welt von diesen Geschöpfen befreien müssen, dachte er und Ekel stieg in ihm auf. Stattdessen war er gnädig gewesen und hatte sie nur erschreckt.
Spontan hatte er den Entschluss gefasst, die beiden Frauen am Leben zu lassen und sie der Menschheit als lebendigen Köder wieder zurückgegeben. Sie sollten der Garant für viele neugierige Menschen sein, die seinen Wald von nun an bevölkern würden.
So waren die Menschen nun einmal. So funktionierten sie eben! Allein das Wissen um eine schreckliche Tat reichte schon aus, um die Neugierde der Menschen zu entfachen. Man liebte das Gute, wurde jedoch von dem Bösen magisch angezogen.
Ein Schauer der Lust lief über seinen Rücken und zwischen seinen Beinen fühlte er ein wildes, ungezügeltes Verlangen. Sein Blick ruhte noch immer auf der schönen blonden Frau. Gerade sprach sie mit diesem großen dunkelhaarigen Typ, der mit einem Haufen Jugendlicher in seinen Wald eingefallen war.
»Dich kenne ich doch. Du bist der Typ aus Frankfurt. Und in der Garage habe ich dich auch gesehen. Du hast dort mit einem Mann gekämpft und mit meiner Nummer 1 gesprochen. Warum mischst du dich schon wieder in Dinge ein, die dich nichts angehen?«, murmelte er leise vor sich hin.
Wahrscheinlich ist der Typ Lehrer oder Sozialarbeiter und hat mit seinen Schülern einen Wandertag veranstaltet, dachte er und rümpfte die Nase.
Wandertag. Nannte man das überhaupt noch so? Oder hatten die jungen Leute dafür auch schon wieder einen anderen Namen gefunden? Heute musste bei denen ja alles englisch klingen! Wo blieb nur die schöne, deutsche Sprache?
Verrückte Zeit! Verrückte Welt! Verrückte Menschen, dachte er angewidert und verzog sein Gesicht zu einer schrumpeligen Maske.
Doch er würde sich diesem Zwang bestimmt nicht unterordnen. Nein! Er, der Fuchs, spielte nach seinen eigenen Regeln. Er war der Herrscher über Leben und Tod. Über Freiheit und Gefangenschaft. Wer sich in seiner Falle verfing, durfte nicht auf Gnade hoffen
Ein letztes Mal blickte er zu der blonden Frau herunter, dann flüsterte er mit leiser Stimme: »Und du, meine kleine Wildkatze, wirst mir auch bald gehören. Das verspreche ich dir!«
Behutsam nahm er den Feldstecher herunter, verstaute ihn sorgfältig in seinem olivfarbenen Rucksack und verließ seinen Platz unter dem großen, knochigen Baum. Es wurde Zeit, dass er wieder nach seiner Nummer 1 sah. Bestimmt wartete sie bereits voller Ungeduld auf ihn. Er jedenfalls konnte es kaum noch erwarten, ihren erregenden, wohlgeformten Körper zu liebkosen.
Und vielleicht, aber nur vielleicht, würde er ihr sogar etwas von dieser schönen, blonden Frau erzählen.