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ОглавлениеKommissar Bach stellte einen dampfenden Kaffeebecher auf den Resopal-beschichteten Konferenztisch, rückte seinen Stuhl zurecht und ließ sich mit einem gut vernehmlichen Ächzen darauf nieder. Die Tür des kleinen Besprechungszimmers öffnete sich beinahe geräuschlos, Micha Lange trat in den Raum. Mit schnellen Schritten eilte er zum Fenster, öffnete es und lehnte seinen Oberkörper hinaus.
Irritiert schaute Bach zu seinem Kollegen, als die Tür erneut aufgestoßen wurde. Britta Jungmann, Dieter Hacker und Steffen Hofer betraten laut schwatzend den Raum. Sie verteilten sich geräuschvoll auf die vorhandenen Stühle und plapperten munter durcheinander. Erneut schaute der Kommissar zu seinem Kollegen von der Spurensicherung. Der stand noch immer am offenen Fenster und schien nach irgendetwas Ausschau zu halten.
»Suchst du etwas Bestimmtes oder mutierst du gerade zum Frischluftfanatiker?«, fragte Bach sichtlich irritiert.
»Hab’s gleich.«
»Was hast du gleich?«
»Moment noch!«
Britta Jungmann unterbrach ihr Gespräch und verfolgte nun neugierig, wie ihr Kollege sich noch etwas weiter aus dem Fenster lehnte.
»Mensch, Micha! Mach endlich das Fenster zu und schwing deinen Arsch herüber. Ich will endlich mit der Besprechung anfangen«, raunzte Bach nach weiteren zwei Minuten des Wartens seinen Kollegen an.
»Bleib locker, Reinhold. Ich wollte nur nachsehen, ob der Typ vom LKA schon eingetroffen ist«, verteidigte sich Lange, lächelte dazu schelmisch und schloss dann das Fenster.
Bachs Blick schweifte fragend zu seiner Partnerin. Doch diese zuckte unwissend mit den Schultern und schürzte ihre Lippen.
»Was soll der Quatsch mit dem LKA-Fuzzi? Woher hast du diesen Mist?«, schnauzte er seinen Kollegen ungehalten an.
Die Tür öffnete sich erneut und Polizeirat Müller betrat das kleine Besprechungszimmer im zweiten Stock des Obernburger Polizeireviers. Eine weitere Person trat durch die Tür, zwängte sich an ihm vorbei und blieb mitten im Raum stehen. Ihr Blick huschte einmal durch den Raum, überflog dann jeden der anwesenden Polizeibeamten und blieb schließlich auf dem Gesicht des Polizeirates haften.
Der räusperte sich kurz, bevor er mit ruhiger Stimme sagte: »Liebe Kollegen, Frau Jungmann, ich möchte Ihnen Frau Eva Brandt vorstellen. Sie ist Hauptkommissarin beim LKA Würzburg und wird uns im Fall der Waldleiche unterstützend zur Seite stehen. Ihr Spezialgebiet sind Serientäter und Ritualmorde; außerdem hat sie vor einem halben Jahr in den USA einen Lehrgang als Profiler absolviert. Ich denke, dass wir in diesem verzwickten Fall wirklich jede Hilfe gebrauchen können und heiße Sie, liebe Frau Brandt, hiermit herzlich willkommen.«
Bei den letzten Worten schaute er sie direkt an und schenkte ihr ein väterliches Lächeln.
»Ich darf Ihnen nun die Mitglieder der Soko Waldleiche vorstellen«, redete er munter weiter und vollführte dazu eine galante Handbewegung.
Der Polizeirat umfasste den Ellenbogen der LKA-Beamtin und schob sie sachte auf den Tisch zu. Mit einer Handbewegung zeigte er auf Bach und sagte: »Hier ist der Leiter unserer kleinen Soko. Unser hoch geschätzter Kollege, Oberkommissar Bach«, seine Hand ruckte ein paar Zentimeter zur Seite, »und seine Stellvertreterin, Frau Jungmann. Dort hinten sehen Sie den Leiter der technischen Abteilung Dr. Michael Lange und auf der anderen Seite des Tisches sitzen Kommissar Hacker und Kommissar Höfer.«
Er holte tief Luft, wischte sich mit einem weißen Stofftaschentuch über das gerötete Gesicht und wandte sich dann wieder direkt an Bach.
»Hier zweifelt niemand deine Fähigkeiten an, Reinhold. Frau Brandt ist hier, um uns bei diesem Fall zu unterstützen. Sie ist nicht hier, um in einen Wettstreit mit euch einzutreten. Ich weiß, dass es eine gewisse, nennen wir es mal, gesunde Rivalität, zwischen der Kripo und den Kollegen vom LKA gibt. Doch ich erwarte von jedem einzelnen in diesem Raum, dass er genügend Professionalität besitzt und die persönlichen Gefühle hinten anstellen kann.«
Bei diesen Worten blickte er die LKA-Beamtin an und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Ihre Kollegen werden Sie nun mit allen Einzelheiten dieses Falles vertraut machen. Sollten Sie Fragen haben oder sich Probleme einstellen, zögern Sie bitte nicht, mich anzusprechen. Ich wünsche euch allen eine erfolgreiche Zusammenarbeit und hoffe, dass ihr den Täter möglichst schnell überführen könnt.« Mit diesen Worten beendete er seine kleine Ansprache, schaute dem Kommissar noch einmal tief in die Augen und rauschte zur offenen Tür hinaus.
Für einen kleinen Moment herrschte absolute Stille im Raum. Wortlos drehte die LKA-Beamtin sich zur Tür und drückte diese mit sanftem Schwung ins Schloss. Dann streifte sie ihren Blazer ab, hängte ihn auf einen Kleiderbügel an der kleinen Garderobe und fragte unvermittelt: »Was sollte denn der Scheiß eben?«
»Keine Ahnung!«, brummte Bach und erhob sich lächelnd von seinem Stuhl.
Mit ausgreifenden Schritten ging er auf Eva Brandt zu und schloss diese zur Verwunderung aller in die Arme.
»Schön, dass du endlich da bist, Eva. Ich hatte schon kurz Bedenken, dass sie einen Kollegen von dir geschickt haben«, meinte er und legte seiner Kollegin beide Hände auf die Schultern.
»Nö, war kein Ding. Du hast mich vor einem Haufen verstaubter Akten bewahrt. Also, was habt ihr für ein Problem. Wie kann ich euch helfen?«
Unter den verwunderten Blicken seiner Kollegen führte Bach die neue Kollegin an den Tisch, rückte ihr galant den Stuhl zurecht und schenkte ihr ein Glas Sprudelwasser ein. Dann fischte er nach den farblich sortierten Mappen, die alle Fotos und Berichte vom Tatort enthielten. Mit einem feierlichen Lächeln übergab er sie an die LKA-Profilerin.
»Wir lassen die Daten der toten Frau gerade durch das System laufen, haben aber noch keinen Treffer gelandet. Schau dir bitte erst alles in Ruhe an und dann sag uns deine Meinung dazu! Wir fünf sind in der Zwischenzeit mucksmäuschenstill und warten, bist du dich durch die Unterlagen durchgearbeitet hast. Nimm dir die Zeit, die du brauchst und wenn du Fragen hast«, er machte eine ausschweifende Handbewegung, »dann frag uns einfach.«
Umständlich setzte er sich wieder auf seinen Platz, nahm seine Brille ab und trank einen Schluck von seinem kalt gewordenen Kaffee. Dass ihn vier Augenpaare verwundert anstarrten, ignorierte er beflissen. Jetzt war einfach nicht der richtige Zeitpunkt für langatmige Erklärungen. Jetzt brauchten sie Fakten und einen Ansatz, bei dem sie mit ihren Ermittlungen anfangen konnten. Beides würde ihnen die großgewachsene, attraktive LKA-Beamtin liefern, da war er sich sicher.
Und dann konnte er endlich loslegen und diesen Scheißkerl jagen. Dieses Mal würde ihm der Täter nicht entkommen!
Dieses Mal würde ihn niemand an der Nase herumführen!
*
Träge schlug sie die Augen auf, unterdrückte ein Gähnen und ließ den Blick durch ihr Verlies schweifen. Im Radio dudelte der Song Move in the Right Direction von Gossip und ihre Zehen zuckten im Takt der Musik mit.
In ihrem Kopf herrschte eine angenehme Stille.
Die letzte Nacht hatte sie ohne Albträume hinter sich gebracht. Sie hatte seit Wochen nicht mehr so gut geschlafen und fühlte sich fit und steckte voller Tatendrang.
Sogar diese verdammten Stimmen, die sie bisher jede Nacht verfolgt, ja regelrecht gepeinigt hatten, waren heute Nacht stumm geblieben.
Sie fühlte sich seltsam ausgeruht, fast entspannt, schon beinahe glücklich. Gemächlich rollte sie sich auf die Seite, zog die Beine an und legte den Kopf auf ihren Oberarm. Der säuerliche Geruch von Schweiß strömte in ihre Nase und sie rümpfte diese angeekelt. Mit der Zungenspitze berührte sie die salzige Haut ihres Oberarms; ihr wurde bewusst, wie klebrig sich ihre Haut anfühlte.
Karl würde ausflippen! Er hasste ungepflegte Frauen. Er würde ihren Körper so lange abschrubben, bis ihre Haut die Farbe eines gekochten Hummers hatte.
In diesem Moment beschloss sie, mehr auf ihre Körperhygiene zu achten. Sie musste sich angewöhnen, nach den schweißtreibenden Versuchen, die Ketten zu sprengen, ihren Körper abzuwaschen und anschließend gut einzucremen.
Gott, wie ich diesen Kokos-Duft hasse, dachte sie und verdrehte angewidert ihre Augen.
Aber Karl schien diesen Geruch zu lieben! Kokos und Mandeln waren eindeutig seine Favoriten. Bei ihr duftete alles nach Kokos. Deo, Duschgel, Haarshampoo, Körperlotion, ja sogar die Handcreme.
Bei Tamara hatte alles nach Mandeln gerochen. Auch diesen Geruch hatte sie irgendwann zutiefst gehasst und als höchst unangenehm empfunden. Doch was konnte sie schon dagegen tun? Karl hatte seine Vorlieben. Sein Wille war hier, in ihrer kleinen Welt, in diesem modrigen Keller, nun einmal das Gesetz. Es nicht zu befolgen, gegen das Gesetz zu verstoßen, war schlicht und einfach tödlich.
Sie schaute auf ihre wundgescheuerten Handgelenke, schaute auf die Kette, die locker von der Wand herab hing.
Wenn Karl wüsste, dass ich jeden Tag meiner Freiheit ein Stückchen näher komme, dann würde er mich auf der Stelle umbringen, dachte sie und ein Gefühl der Angst schnürte ihr die Kehle zu.
Doch so sehr ihr die Angst auch zu schaffen machte, die süße Verlockung, ihre Fesseln für immer abzustreifen war einfach zu groß. Eines Tages, das wusste sie, würde sie es schaffen. Ihre Ketten würden fallen und ihre Pein würde für immer ein Ende haben.
Doch bis dahin war es noch ein weiter Weg. Noch hatten diese verdammten Ketten ihre kalten Krallen um sie geschlungen. Noch verhinderten sie erfolgreich ihren Ausbruch und waren ein Garant für ihre Gefangenschaft.
Ich muss einfach nur geduldig sein. Ich darf mein Ziel nie aus den Augen verlieren, dachte sie und der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht.
Stöhnend wälzte sie sich auf den Rücken und stemmte ihren Oberkörper in die Höhe. Jetzt spürte sie auch den Muskelkater, der sich in jedem Teil ihres Körpers eingenistet hatte. Mit einem gequälten Laut schwang sie die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den kühlen Lehmboden. Sie spürte das Zittern in ihren Beinmuskeln. Spürte den heißen Schmerz, der durch ihren gepeinigten Körper raste. Und sie spürte die wilde Entschlossenheit, die ihren Geist beherrschte und ihr verbot, sich einfach wieder hinzulegen.
Mit einer ruckartigen Bewegung stemmte sie sich von ihrem Lager hoch. Ihre Hände schlossen sich wie selbstverständlich um die Kettenglieder und ihre Füße stemmten sich gegen die Wand. Mit einem Aufschrei warf sie sich zurück, zog mit aller Kraft, die sie aufzubringen vermochte, und bog ihren nackten Körper so weit nach hinten, wie sie konnte.
Sie beschloss, noch für eine Stunde mit dieser elenden Kette zu kämpfen. Dann würde sie sich waschen, eincremen und auf Karl warten. Erneut spannte sie ihre Muskeln und drückte sich von der Wand ab. Speichel tropfte aus ihrem Mund, rann ihr über Kinn und Hals und verlor sich zwischen ihren Brüsten. Mit einer wilden Bewegung schüttelte sie ihren Kopf, krallte sich noch fester an die Kettenglieder und riss an ihnen wie von Sinnen.
Aus dem Radio dudelte ein Song von Linkin Park. Sie sang den Text laut mit und beschloss, drei Worte daraus zu ihrem persönlichen Mantra zu machen.
»Burn it down, Burn it down«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme und stemmte sich wieder und wieder gegen die starken Glieder der Eisenkette.