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Wild entschlossen umfasste sie die Glieder der Kette, stemmte die Füße gegen die Wand und legte alle Kraft in ihre Beine.

Mit einem unterdrückten Schrei spannte sie ihre Muskeln und stieß sich ruckartig von der Wand ab. Die Ketten klirrten leise, ihre Muskeln zitterten unkontrolliert. Sie bog ihren Oberkörper noch etwas weiter zurück und zog noch einmal mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte.

Erschöpft hielt sie inne, setzte sich auf das Bett und begutachtete ihr Werk. Natürlich hatte sie die starke Gliederkette nicht aus der Wand reißen können. Doch an zwei der ineinander geflochtenen Stahl-Enden taten sich bereits kleine Lücken auf. Nur kleine, wirklich winzige Lücken, aber dennoch real vorhanden – der Lohn für ihre stundenlangen Mühen.

Wer weiß, vielleicht gelingt es mir ja eines Tages, diese Kette zu sprengen, dachte sie voller Hoffnung. Irgendwann wurde auch das härteste Metall spröde und brüchig.

Irgendwann würden sich die Glieder der Kette vielleicht verbiegen lassen. Dann war sie frei und würde nicht mehr wie ein Hofhund an der Leine liegen. Das war ihr großes Ziel, ihr Antrieb. Endlich ihre Fesseln abzustreifen und diesem Psychopathen die Stirn zu bieten.

Ein letztes Mal für heute, dachte sie und erhob sich stöhnend von ihrem Bett. Ihre Muskeln schmerzten fürchterlich und ein feiner Schweißfilm bedeckte ihren nackten Körper. Sie atmete noch einmal tief durch, sammelte ihre Kraft und wiederholte diese Prozedur zum hundertsten Mal.

Ein Krampf in ihrem Bein ließ sie laut aufstöhnen. Widerstrebend glitten ihre Hände von der Kette und sie humpelte zurück zu ihrem Bett. Ihr Atem ging stoßweise, ihr Herz hämmerte schmerzhaft gegen ihre Brust. Mechanisch tastete sie nach ihrem Bein und massierte ihre verkrampften Muskeln.

Eine Woge der Erschöpfung breitete sich in ihr aus und bleierne Müdigkeit umspülte ihre Glieder. »Für heute habe ich genug getan«, sagte sie sich und schloss erschöpft die Augen. Morgen war auch noch ein Tag. Morgen würde sie erneut versuchen, diese verdammten Ketten zu sprengen.

*

Kommissar Bach lehnte erschöpft mit dem Rücken an einem Baum. Die knorrige Eiche wölbte das sich verfärbende Blätterdach schützend über ihn. Der Regen trommelte sein nervöses Lied auf die Blätter und verwandelte den Waldboden in einen sumpfigen Morast.

Er hasste solche Tatorte! Hasste die Gewalt, die sie widerspiegelten. Und er hasste den Tod, der dem Opfer jede Würde nahm.

Eine Leiche war ein Beweisstück, ein stiller Zeuge, ein zurückgebliebenes Indiz. Nachdem ein Arzt seine Leichenschau durchgeführt hatte, stürzten sich die Leute von der Spurensicherung auf sie. Dann wurden Dutzende von Fotos geschossen, Verletzungen begutachtet und DNA-Spuren gesichert. Zum Schluss wurde das Beweisstück dann in einen grauen Sack gepackt und in die Gerichtsmedizin gefahren. Was dann mit ihr geschah, daran wollte er erst gar nicht denken. Oh Gott, wie er das alles hier hasste!

Doch leider war der erste Eindruck an einem Tatort elementar und eine tragende Säule der Ermittlungsarbeit in einem Mordfall. Mochte der Fotograf auch noch so gut sein, die persönliche Einschätzung, die Aura des Todes, konnte er nicht auf seinen Bildern festhalten. Fotos spiegelten einfach nur die nackten Tatsachen wieder, empfindungslos, kalt und unpersönlich. Sie erzeugten die erforderliche Distanz zwischen dem Ermittler und der Leiche. Waren der erhobene Zeigefinger der Toten und erinnerten einen pausenlos daran, nicht aufzugeben, bis der Täter überführt war.

Mit einem gut vernehmlichen Seufzer stieß er sich vom Baum ab und stapfte durch den matschigen Boden zu der toten Frau.

»Heiliges Kanonenrohr, das sieht ja übel aus«, grunzte er und schaute dabei Dr. Kramer von der Gerichtsmedizin an.

»Ja, ist kein schöner Anblick«, sagte Dr. Kramer.

»Ist sie an diesen Verletzungen gestorben?«

»Nein, ich denke nicht! Sieht aus, als wären ihr diese Verletzungen«, er zeigte dabei mit seiner Hand auf verschiedene Körperteile der jungen Frau, »postmortem zugefügt worden. Ich vermute es handelt sich dabei hauptsächlich um Wildfraß«, sagte der Arzt.

»Wildfraß? Meinen Sie Füchse, Raben, Krähen, oder was?«

»Ja genau! Außerdem holen sich Fliegen, Ameisen, Maden und allerlei andere Insekten auch noch ihren Teil vom Kuchen«, meinte der Gerichtsmediziner trocken.

»Wie lange ist sie schon tot?«

»Hmm, ich schätze Mal drei bis vier Tage. Genaueres kann ich Ihnen allerdings erst nach der Autopsie sagen.«

»Haben Sie schon eine Vermutung, wie sie gestorben ist?«

»Ja! Auf den ersten Blick würde ich auf Tod durch Ersticken tippen. Ist allerdings nur eine Vermutung. Doch wenn ich die Einblutungen in ihren Augen und die blau verfärbte Zunge in Betracht ziehe, dann drängt sich mir diese Diagnose förmlich auf. Interessant sind auch«, er zeigte auf die Hand- und Fußgelenke der toten Frau, »diese Verletzungen hier. Sie stammen eindeutig von einer Fesselung. Sehen Sie!«

Vorsichtig hob er einen Arm der jungen Frau an und präsentierte ihn dem Kommissar.

»Man sieht noch ganz deutlich die Abschürfungen an den Handgelenken.«

»Das heißt also, dass er sie gefesselt hatte. Wurde sie auch vergewaltigt oder gefoltert?«, fragte der Kommissar mit tonloser Stimme.

»Ob eine Penetration vorliegt, kann ich Ihnen jetzt beim besten Willen noch nicht sagen. Da müssen Sie schon bis nach der Obduktion warten«, meinte der Arzt kopfschüttelnd.

Kommissar Bach hörte ein platschendes Geräusch hinter sich und schaute über die Schulter. Micha Lange, der Leiter der Spurensicherung, hob seine Hand und kam auf sie zugelaufen. In seinem weißen Schutzanzug wirkte er wie ein Fremdkörper in dieser Umgebung.

»Schicke Arbeitskleidung, macht echt was her«, grunzte der Kommissar und sah seinen Kollegen belustigt an.

»Ich würde dir ja auch einen geben, aber Elefantengrößen haben wir leider nicht im Sortiment«, konterte Micha Lange.

Vorsichtig legte er die letzten Meter zurück und achtete dabei sorgsam auf die Wasserpfützen am Boden.

»Schlimme Sache«, sagte er und nickte mit dem Kopf zur Leiche hinüber.

»Habt ihr schon was Interessantes gefunden?«, fragte Bach neugierig.

»Wie man´s nimmt. An der Leiche selbst konnten wir keine brauchbaren Spuren mehr finden. Die hat der Regen über die Tage leider abgewaschen. Aber jetzt halt dich gut fest. Der Täter hat eine Nachricht für uns hinterlassen, in der …«

»Er hat eine Nachricht für uns hinterlassen?«, fragte Bach erstaunt.

»Ja, darin kündigt er den Tod weiterer Frauen an.«

»Scheiße!«

»Das trifft die Situation ziemlich genau auf den Punkt, Reinhold. Interessant ist allerdings auch das hier«, meinte Lange nach einer kurzen Pause und zeigte dabei auf eine dünne Nylonschnur auf dem Boden.

Sie lag fast unsichtbar verborgen unter den abgefallenen Blättern der umliegenden Bäume und verschwand in einer stacheligen Hecke.

»Was soll das sein?«, fragte Bach und runzelte fragend die Stirn.

Aus dem Augenwinkel sah er Britta auf sich zukommen. Leichtfüßig lief sie über den aufgeweichten Waldboden und umkurvte geschickt die matschigen Stellen. In ihren hautengen Jeans, den schwarzen Turnschuhen und ihrer enganliegenden Kapuzenjacke sah sie verdammt gut aus.

Man müsste 20 Jahre jünger sein, dachte er und leckte sich unbewusst über die Lippen.

»Hab ich was verpasst?«, fragte sie atemlos und schaute ihn dabei aus ihren grünen Augen fragend an.

»Nein, du kommst genau richtig. Micha wollte mir gerade erklären, was es mit der Schnur dort auf sich hat.«

»Welcher Schnur?«

»Dieser hier«, sagte der Leiter der Spurensicherung und deutete mit seiner rechten Hand auf den Waldboden.

Die Kommissarin beugte sich interessiert nach vorne. Zwischen heruntergefallenen Blättern, Moos und kleinen Ästen konnte sie einen dünnen, fast unsichtbaren Nylonfaden erkennen.

»Diese Schnur«, fuhr Michael Lange fort: »war circa zehn Zentimeter über dem Boden gespannt. Im Prinzip diente sie nur als Auslöser einer komplexen Konstruktion bestehend aus Seilen, Hebeln, Ästen und so weiter.«

»Versteh ich nicht. Für was diente diese Konstruktion denn?«, fragte der Kommissar verständnislos.

»Hmm, vereinfacht ausgedrückt, wurden die beiden Büsche dort hinten«, er deutete mit dem Zeigefinger auf das Gestrüpp, vor dem der Leichnam lag, »auseinandergezogen. Dadurch hat die Tote, die vermutlich aufrecht gestanden hatte, ihren Halt verloren und ist nach vorne umgefallen. Das Ganze hat dann natürlich sehr gespenstig gewirkt und die beiden Frauen fürchterlich erschreckt. Ich habe so eine komplizierte Konstruktion noch nie in natura gesehen, sondern kenne das selbst nur aus Büchern.«

»Wo kann man denn so was lernen? Ich meine«, Bach kratzte sich nachdenklich am Kopf, »du sagst ja selbst, dass das nicht gerade einfach ist. Irgendwo muss man solche raffinierten Techniken schließlich nutzen, oder?«

»Keine Ahnung«, gestand der Leiter der Spurensicherung achselzuckend.

»Vielleicht beim Militär oder beim THW. Ich hab echt keinen Schimmer und bin euch für jede Idee dankbar.«

»Also sollte ihre Leiche gefunden werden?«, fragte nun Britta Jungmann.

»Davon sollten wir ausgehen, ja!«

»Großer Gott, dann haben wir es also mit einem Verrückten zu tun, der junge Frauen umbringt, sie im Wald versteckt und es darauf anlegt, dass sie gefunden werden?«

»So würde ich das sehen, Reinhold! Wenn man den ganzen Aufwand bedenkt, den der Typ betrieben hat«, meinte Lange mit gefurchter Stirn, »dann hat dieser Typ eine echt kranke Fantasie. Bin mal gespannt, wann die nächste Leiche in unseren Wäldern auftaucht.«

»Das bin ich auch«, nickte Bach und schüttelte voller Unbehagen seinen Kopf.


Mörderische Spiele

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