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ОглавлениеBallard packte ihre Sachen zusammen und stand von ihrem geborgten Schreibtisch auf. Zuerst ging sie in den Druckerraum, um die Berichte, die sie in der Nacht geschrieben hatte, aus dem Gemeinschaftsdrucker zu holen. Der Lieutenant des Detective Bureau war in dieser Hinsicht noch ganz vom alten Schlag und wollte ihre Berichte am Morgen immer auf Papier vorgelegt bekommen, obwohl sie ihm auch eine digitale Version zukommen ließ. Sie sortierte die Berichte über den Unfalltod und den Einbruch, heftete sie zusammen und legte sie in den Eingangskorb auf dem Schreibtisch des Adjutanten des Lieutenant, damit er sie bei seinem Eintreffen vorliegen hatte. Dann kehrte sie in den Bereitschaftsraum zurück und ging von hinten auf Rivera zu, der inzwischen an seinem Schreibtisch saß und sich für seinen Arbeitstag rüstete, indem er eine Miniaturflasche Whiskey in seinen Kaffee kippte. Ballard ließ sich nicht anmerken, dass sie das mitbekommen hatte, als sie ihn ansprach.
»Sei gegrüßt, Cesar.«
Rivera war auch einer von diesen Schnurrbarttypen, wobei seiner fast weiß war auf seiner braunen Haut. Dazu hatte er eine wallende weiße Mähne, die für LAPD-Maßstäbe etwas lang war, aber bei einem alten Haudegen geduldet wurde. Er zuckte leicht zusammen, da er offensichtlich fürchtete, bei seinem Morgenritual ertappt worden zu sein. Er drehte sich um, entspannte sich aber sofort, als er sah, dass es Ballard war. Er wusste, dass sie deswegen keinen Aufstand machen würde.
»Renée«, sagte er, »was gibt’s, Mädchen? Hast du was für mich?«
»Nein«, sagte sie. »Heute Nacht war nicht viel los.«
Für den Fall, dass sie nach Verwesung roch, kam sie Rivera nicht zu nahe.
»Was gibt es dann?«, fragte er.
»Ich muss zwar gleich los«, sagte Ballard, »aber ich hätte da noch eine Frage: Du kennst doch bestimmt einen Harry Bosch, der mal hier gearbeitet hat? Er war bei der Mordkommission.«
Sie deutete in die Ecke des Bereitschaftsraums, in der einmal die Mordermittler ihre Schreibtische gehabt hatten. Jetzt saß dort die Einheit zur Bekämpfung von Bandenkriminalität.
»Das war, bevor ich hier angefangen habe«, sagte Rivera. »Ich weiß natürlich, wer er ist – es gibt wohl niemand, der das nicht weiß. Aber ich hatte nie was mit ihm zu tun. Wieso?«
»Er war heute Morgen hier«, sagte Ballard.
»Während der Friedhofsschicht?«
»Ja. Er hat gesagt, er wäre hergekommen, um mit Dvorek über einen alten Mordfall zu reden. Aber ich habe ihn dabei ertappt, wie er sich deine Akten angesehen hat.«
Sie deutete auf die lange Reihe von Aktenschränken entlang der Wand. Rivera schüttelte verwundert den Kopf.
»Meine Akten? Wieso das denn?«
»Wie lang bist du schon bei der Hollywood Division, Cesar?«
»Sieben Jahre. Aber was hat das …«
»Sagt dir der Name Daisy Clayton was? Sie wurde 2009 ermordet. Es ist ein offener Fall, der unter sexuell motiviert fällt.«
Rivera schüttelte den Kopf.
»Das war vor meiner Zeit hier. Damals war ich noch in Hollenbeck.«
Er stand auf, ging zu den Aktenschränken und nahm einen Schlüsselbund aus der Hosentasche, um den obersten Schub seines Schranks zu öffnen.
»Abgeschlossen«, sagte er. »Das war er auch, als ich gestern Feierabend gemacht habe.«
»Ich habe ihn abgeschlossen, nachdem er gegangen ist«, sagte Ballard.
Die aufgebogene Büroklammer, die sie im obersten Schub gefunden hatte, erwähnte sie nicht.
»Ist Bosch nicht pensioniert?«, sagte Rivera. »Wie ist er überhaupt reingekommen? Hat er seinen 999er behalten, als er hier aufgehört hat?«
Jeder Officer bekam einen sogenannten 999-Schlüssel, mit dem sich der Hintereingang jeder Polizeistation der Stadt aufschließen ließ. Sie wurden zur Ergänzung der elektronischen Kartenschlüssel ausgegeben, die bei Stromausfällen manchmal nicht funktionierten. Die Stadtverwaltung nahm es nicht allzu genau damit, sie von pensionierten Polizisten zurückzufordern.
»Vielleicht«, sagte Ballard. »Aber mir hat er erzählt, Lieutenant Munroe hätte ihn reingelassen, damit er hier auf Dvorek warten könnte. Er ist überall rumgegangen, und ich habe gesehen, wie er in deinen Aktenschrank geschaut hat. Ich habe hinten in der Ecke gearbeitet, und deshalb hat er mich nicht bemerkt.«
»Hat er den Daisy-Fall erwähnt?«
»Daisy Clayton. Nein. Aber Dvorek hat gesagt, dass das der Fall war, über den Bosch mit ihm reden wollte. Dvorek war damals der Erste, der am Tatort eingetroffen ist.«
»War das damals Boschs Fall?«
»Nein. Ursprünglich hatten ihn King und Carswell. Inzwischen ist Offen-Ungelöst Downtown dafür zuständig.«
Rivera ging zu seinem Schreibtisch zurück, blieb aber stehen, als er nach seiner Kaffeetasse griff und einen kräftigen Schluck daraus nahm. Dann nahm er die Tasse abrupt von seinem Mund.
»Oh, jetzt weiß ich, was er wollte«, sagte er.
»Was?«
Die Dringlichkeit in Ballards Stimme war nicht zu überhören.
»Ich bin hierhergekommen, als sie im Zuge der Umstrukturierung des Department die Mordkommission ins West Bureau verlegt haben«, sagte Rivera. »Gleichzeitig wurde der Sexualdelikte-Tisch erweitert, deshalb haben sie mich und Sandoval geholt. Zur Verstärkung, nicht als Ersatz für jemand, der aufgehört hat. Wir sind beide von Hollenbeck gekommen.«
»Mhm«, sagte Ballard.
»Deshalb hat mir der Lieutenant diesen Schrank zugeteilt und den Schlüssel dafür gegeben. Aber als ich den obersten Schub rausgezogen habe, um was reinzulegen, war er voll. Alle vier Schübe gerammelt voll. Bei Sandoval war es das Gleiche – alle vier Schübe voll.«
»Und was war in den Schüben? Akten?«
»Nein, lauter Filzkarten. Sie waren bis oben hin voll damit. Als das Department auf digitale Archivierung umgestellt hat, haben die Mordermittler und die anderen Detectives die alten Karten aufgehoben. In den Aktenschränken.«
Mit Filzkarten, die offiziell Field-Interview-Karten hießen, meinte Rivera die vorgedruckten Karten, auf denen sich Streifenpolizisten Notizen machten, wenn sie auf der Straße jemanden vernahmen. Auf der Vorderseite befand sich ein Formular, um die Personalien der vernommenen Person wie Name, Adresse, Geburtsdatum, Gangzugehörigkeit, Tattoos und Bekanntenkreis einzutragen. Die Rückseite war leer und diente für zusätzliche Angaben zur vernommenen Person.
Streifenpolizisten hatten immer einen Vorrat an Filzkarten dabei, wenn sie zu Fuß oder in einem Streifenwagen unterwegs waren – Ballard hatte ihre immer hinter der Sonnenblende ihres Wagens aufbewahrt, als sie bei der Pacific Division Streife fuhr. Bei Schichtende wurden die Karten beim Schichtleiter abgegeben, der sie zur Übertragung in eine Datenbank an die Verwaltung weiterleitete. Wenn dann ein Officer oder Detective einen Namen in die Datenbank eingab und einen Treffer erzielte, lagen ihm bereits alle verfügbaren Informationen wie Adresse und persönliches Umfeld über die betreffende Person vor.
Die American Civil Liberties Union hatte lange dagegen protestiert, dass die Polizei diese Karten verwendete und darauf Informationen über Bürger sammelte, die keine Straftat begangen hatten. Sie bezeichnete diese Praxis als widerrechtliche Durchsuchung und Festnahme und prangerte die damit einhergehenden Vernehmungen als Razzien an. Die Polizei hatte alle juristischen Maßnahmen, diese Praxis zu unterbinden, erfolgreich abgewehrt, und viele Polizisten nannten die acht mal dreizehn Zentimeter großen Karten in einer nicht gerade subtilen Spitze gegen die ACLU Filzkarten.
»Warum haben sie die Karten aufgehoben?«, fragte Ballard. »Alle Angaben wurden doch in die Datenbank eingespeist, wo sie wesentlich leichter zu finden sind.«
»Keine Ahnung«, sagte Rivera. »In Hollenbeck haben sie es jedenfalls nicht gemacht.«
»Und was hast du gemacht? Ausgemistet?«
»Ja, Sandy und ich, wir haben die Schübe leergeräumt.«
»Ihr habt sie einfach weggeworfen?«
»Natürlich nicht. Wenn wir bei der Polizei was gelernt haben, dann ist es, dass man besser keine Scheiße baut. Wir haben sie in Kisten gepackt und ins Lager gebracht. Damit sich dort jemand anders damit rumärgern kann.«
»In welches Lager?«
»Das auf der anderen Seite vom Parkplatz.«
Ballard nickte. Damit meinte er das Gebäude auf der Südseite des Stationsparkplatzes. Der eingeschossige Bau hatte ursprünglich als Büro der städtischen Versorgungsbetriebe gedient, war aber irgendwann der Polizeistation zugeschlagen worden, als diese mehr Platz benötigte. Inzwischen wurde er jedoch kaum mehr genutzt. In zwei der größeren Räume waren ein Fitnessstudio und ein gepolsterter Kampfkunstübungsraum eingerichtet worden, während die kleineren Büros entweder leer standen oder für die Lagerung von Gegenständen verwendet wurden, die keinen Beweismittelstatus hatten.
»Und das war vor sieben Jahren?«, fragte Ballard.
»Grob«, sagte Rivera. »Wir haben nicht alles auf einmal weggebracht. Zuerst habe ich nur einen Schub ausgeräumt, und als der dann voll war und ich einen neuen gebraucht habe, war der nächste dran. Und immer so weiter. Das Ganze hat schätzungsweise ein Jahr gedauert.«
»Und wie kommst du darauf, dass Bosch nach Filzkarten gesucht hat?«
Rivera zuckte mit den Achseln.
»Es müssten jedenfalls Filzkarten aus der Zeit drinnen gewesen sein, in der dieser Mord passiert ist, oder nicht?«
»Aber die Angaben auf den Filzkarten sind doch alle in der Datenbank.«
»Schon. Aber was gibst du als Suchbegriff an? Weißt du, was ich meine? Die Sache hat durchaus einen Haken. Wenn er zum Beispiel wissen wollte, wer sich zum Zeitpunkt des Mordes in Hollywood rumgetrieben hat, wie willst du so was in der Datenbank nachsehen?«
Ballard nickte, obwohl sie wusste, dass es, zum Beispiel mithilfe geographischer oder zeitlicher Frames, viele Möglichkeiten gab, Informationen von Außendienstvernehmungen in der Datenbank zu finden. Sie fand, dass sich Rivera in diesem Punkt täuschte, aber in Hinblick auf Bosch vermutlich recht hatte. Er war ein Ermittler der alten Schule. Er wollte die Filzkarten durchsehen, um sich einen Eindruck zu verschaffen, mit wem die Hollywood-Streifenpolizisten zum Zeitpunkt des Clayton-Mords gesprochen hatten.
»Tja«, sagte sie, »dann werde ich jetzt mal, Cesar. Einen guten Tag noch, und halt die Ohren steif.«
»Du auch, Renée.«
Ballard verließ den Bereitschaftsraum und ging in die Frauenumkleide im ersten Stock. Sie tauschte ihren Hosenanzug gegen Jogginghose und T-Shirt. Sie wollte nach Venice fahren, ihre Sachen in die Reinigung bringen, ihren Hund bei der Hundesitterin abholen und dann mit ihrem Zelt und einem Stand-up-Paddle-Board an den Strand gehen. Mit Bosch würde sie sich am Nachmittag befassen, wenn sie geschlafen und über ihr weiteres Vorgehen nachgedacht hatte.
Die Morgensonne stach ihr in die Augen, als sie den Parkplatz hinter der Station überquerte. Sie schloss ihren Kleintransporter auf und warf ihren zerknüllten Anzug auf den Beifahrersitz. Dann fiel ihr Blick auf das alte Gebäude der Stadtwerke auf der Südseite des Parkplatzes, und sie entschied, nicht sofort loszufahren.
Sie öffnete die Tür zum Gebäude mit ihrem Kartenschlüssel. Im Fitnessstudio nutzten ein paar Kollegen von der Nachtschicht die Zeit bis zum Abklingen des morgendlichen Berufsverkehrs, um noch ein bisschen zu trainieren, bevor sie die Heimfahrt antraten. Sie tippte grinsend an ihren imaginären Mützenschirm und ging den Gang zu den ehemaligen Büros hinunter, die jetzt als Lagerräume dienten. Im ersten Raum waren Gegenstände von einem ihrer eigenen Fälle gelagert. Ein Jahr zuvor hatte sie einen Mann gefasst, der ein ganzes Motelzimmer voller Dinge gehortet hatte, die er entweder bei Einbrüchen erbeutet oder mit gestohlenen Kreditkarten gekauft hatte. Inzwischen war der Fall zwar gerichtlich geklärt, aber ein Großteil des Diebesguts war noch nicht zurückgefordert worden. Es bliebe in der Hollywood Station, bis die rechtmäßigen Eigentümer beim nächsten Tag der offenen Tür die letzte Gelegenheit erhielten, ihre Ansprüche auf die gestohlenen Gegenstände geltend zu machen.
Im nächsten Raum waren Kisten mit alten Akten, die noch aufbewahrt werden mussten. Ballard schaute in ein paar davon und räumte sie dann beiseite, um an die dahinter gestapelten Kartons zu kommen. Schon nach Kurzem stieß sie auf eine staubbedeckte Kiste mit Filzkarten. Sie war fündig geworden.
Zwanzig Minuten später hatte sie zwölf solcher Boxen mit Filzkarten auf den Flur hinausgebracht und an der Wand aufgereiht. Sie entnahm jeder ein paar Karten und vergewisserte sich, dass sie aus dem Zeitraum zwischen 2006 und 2010 stammten, als mit der digitalen Speicherung begonnen beziehungsweise die Mordkommission der Hollywood Division aufgelöst worden war.
Ballard schätzte, dass jede Kiste etwa eintausend Karten enthielt. Alle durchzusehen würde Stunden dauern. Hatte Bosch das vor, oder suchte er nach einer speziellen Karte oder einer bestimmten Nacht? Zum Beispiel nach der, in der Daisy Clayton entführt worden war?
Diese Frage konnte ihr nur Bosch beantworten.
Sie legte auf die Kisten im Flur einen Zettel, auf dem stand, dass sie für sie waren. Dann ging sie zu ihrem Transporter auf den Parkplatz hinaus, überprüfte den Sitz der Boards auf dem Dachgepäckträger und stieg ein. Als kurz nach ihrer Versetzung zur Hollywood Division durchgesickert war, dass sie ein internes Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung angestrengt hatte, war das nicht bei jedem in der Station gut angekommen. Manche hatten sie das mit den üblichen Formen von Mobbing spüren lassen, andere mit etwas drastischeren Maßnahmen. Als sie eines Morgens nach Schichtende am elektronischen Tor des Parkplatzes anhielt, rutschte das SUP-Board vom Dach und krachte mit seiner Nose mit solcher Wucht gegen das Tor, dass das Fiberglas splitterte. Sie reparierte den Schaden selbst und machte es sich von da an zur Gewohnheit, jeden Morgen nach ihrer Schicht den Sitz der Haltegurte zu überprüfen.
Sie fuhr auf der La Brea zum Freeway 10 und dann in Richtung Westen zum Strand. Sie wartete bis kurz nach acht Uhr, bevor sie die Nummer der RHD wählte, die sie immer noch im Handy gespeichert hatte, und nach Lucy Soto verlangte. Sie sagte den Namen mit einer abgehackten Vertrautheit, die den Eindruck erwecken sollte, dass es sich dabei um ein Telefonat von Cop zu Cop handelte. Sie wurde anstandslos durchgestellt.
»Detective Soto.«
»Hier Detective Ballard, Hollywood Division.«
Darauf trat eine kurze Pause ein, bevor Soto sagte: »Ich weiß, wer Sie sind. Was kann ich für Sie tun, Detective Ballard?«
Ballard war es gewöhnt, dass Detectives wussten, wer sie war, auch wenn sie sie nicht persönlich kannten. Bei weiblichen Detectives kam es dann immer zu einem Moment der Ungewissheit. Entweder bewunderten sie Ballard für ihre Standhaftigkeit, oder sie hielten ihr vor, dass sie ihnen mit ihrem Verhalten das Leben schwerer gemacht hatte. Ballard versuchte dann immer erst herauszufinden, was davon der Fall war, aber Sotos Bemerkung ließ keine Rückschlüsse zu, welchem Lager sie angehörte. Dass sie Ballards Namen noch einmal laut gesagt hatte, könnte dem Zweck gedient haben, einer zweiten Person, einem Partner oder einem Vorgesetzten ihrer Sondereinheit zu erkennen zu geben, mit wem sie telefonierte.
Da Ballard Soto noch nicht einschätzen konnte, fuhr sie einfach fort.
»Ich mache hier die Nachtschicht. In manchen Nächten habe ich ordentlich zu tun, in anderen ist es eher ruhig. Damit ich nicht einroste, sieht es mein L.T. deshalb ganz gern, wenn ich an einem Hobbyfall arbeite.«
»Alles schön und gut«, sagte Soto. »Aber was hat das mit mir zu tun. Ich stecke hier gerade mitten …«
»Schon klar, dass Sie ordentlich zu tun haben. Sie sind ja auch bei der Sondereinheit für sexuelle Belästigung. Deshalb rufe ich auch an. Es geht um einen Ihrer alten Fälle, mit dem Sie sich wegen der Sondereinheit nicht mehr weiter befassen können … Dürfte ich mich vielleicht daran versuchen?«
»Welcher Fall soll das sein?«
»Daisy Clayton. Eine Fünfzehnjährige, die hier oben …«
»Ich weiß, welchen Sie meinen. Warum interessieren Sie sich dafür?«
»Hier war das damals ein wichtiger Fall. Ich habe ein paar Streifenpolizisten darüber reden hören und mir im Computer alles angesehen, was ich darüber finden konnte, und irgendwie habe ich Feuer gefangen. Außerdem hat es so ausgesehen, als ob Sie wegen der Sondereinheit im Moment nicht viel Zeit dafür hätten.«
»Und deshalb wollen Sie sich der Sache annehmen.«
»Versprechen kann ich natürlich nichts, aber doch, ich würde der Sache gern nachgehen. Selbstverständlich würde ich Sie auf dem Laufenden halten. Es ist immer noch Ihr Fall. Ich würde nur ein bisschen Klinken putzen gehen.«
Ballard war inzwischen auf dem Freeway, kam aber nicht voran. Weil sie im Lager die Kisten mit den alten Akten durchforstet hatte, war sie mitten in den Berufsverkehr geraten. Außerdem dürfte am Strand die Morgenbrise inzwischen so stark aufgefrischt haben, dass sie gegen den Wind und den deutlich höheren Wellengang anpaddeln müsste. Sie hatte ihr Zeitfenster verpasst.
»Das ist jetzt neun Jahre her«, sagte Soto. »Ich weiß nicht, ob sich da noch jemand an was erinnern kann. Vor allem in der Nachtschicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei der Sache was rauskommt.«
»Schon möglich«, sagte Ballard. »Aber es ist meine Zeit, die ich damit verplempere. Sind Sie damit einverstanden oder nicht?«
Darauf trat wieder längeres Schweigen ein. Währenddessen war Ballard mit ihrem Transporter zwei Meter vorangekommen.
»Da ist etwas, was Sie wissen sollten«, sagte Soto schließlich. »Es gibt noch jemand, der sich der Sache annimmt. Jemand, der nicht beim LAPD ist.«
»Ja? Wer?«
»Mein alter Partner. Er heißt Harry Bosch. Inzwischen ist er pensioniert, aber er … er braucht die Arbeit.«
»Ach, einer von denen? Okay. Sonst noch was, das ich wissen sollte? War es einer von seinen Fällen?«
»Nein. Aber er kennt die Mutter des Opfers. Er macht es für sie. Und wenn er sich mal in was verbissen hat …«
»Verstehe.«
Allmählich begann Ballard klarer zu sehen. Das war auch der eigentliche Zweck ihres Anrufs gewesen. Ob sie die Erlaubnis erhielt, an dem Fall zu arbeiten, war die geringste ihrer Sorgen.
»Wenn ich auf irgendwas stoße, gebe ich Ihnen Bescheid«, sagte sie. »Aber jetzt will ich Sie nicht mehr länger von der Arbeit abhalten.«
Ballard glaubte, ein unterdrücktes Lachen zu hören.
»Übrigens, Ballard?«, fügte Soto dann leise hinzu. »Wenn ich vorhin gesagt habe, dass ich weiß, wer Sie sind, sollte ich vielleicht hinzufügen, dass ich auch weiß, wer Olivas ist. Immerhin arbeite ich für ihn. Deshalb, nur damit Sie’s wissen: Ich finde gut, was Sie getan haben, und ich weiß, welchen Preis Sie dafür bezahlt haben.«
Ballard nickte sich selbst zu.
»Gut zu wissen. Sie hören von mir.«