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BOSCH 5
ОглавлениеDas alte Gefängnis, in dem Bosch sein Aktenstudium betrieb, war nur ein paar hundert Meter vom San Fernando Courthouse entfernt. Beschwingt von dem Durchsuchungsbeschluss in seiner Hand, hatte er den kurzen Weg dorthin rasch zurückgelegt. Judge Atticus Finch Landry hatte seinen Antrag im Richterzimmer gelesen und ihm ein paar routinemäßige Fragen dazu gestellt, bevor er ihn unterzeichnet hatte. Jetzt war Bosch befugt, die Durchsuchung durchzuführen und dabei, so hoffte er, die Kugel zu finden, die zu einer Festnahme und zum Abschluss eines weiteren Ermittlungsverfahrens führen würde.
Er nahm die Abkürzung, die durch den Bauhof zum Hintereingang des alten Gefängnisses führte, und fummelte den Schlüssel für das Vorhängeschloss der ehemaligen Ausnüchterungszelle heraus, in der auf Metallregalen die Akten für die Cold Cases gelagert waren. Als er merkte, dass er das Schloss offen gelassen hatte, machte er sich stumme Vorhaltungen. Es war ein Verstoß gegen seine Vorschriften und gegen die des LAPD. Die Akten mussten immer unter Verschluss bleiben. Deshalb sicherte er aus Prinzip sogar dann alles auf seinem Schreibtisch, wenn er nur vierzig Minuten ins Gericht ging, um sich einen Durchsuchungsbeschluss genehmigen zu lassen.
Er ging zu seinem provisorischen Schreibtisch – eine alte Holztür, die auf zwei Stapeln aus Aktenbehältern aufgebockt war – und setzte sich. Er sah die aufgebogene Büroklammer, die auf seinem zugeklappten Laptop lag, sofort.
Er starrte darauf. Er hatte sie nicht dorthin gelegt.
»Die haben Sie vergessen.«
Bosch blickte auf. Die Frau von letzter Nacht – die Ermittlerin aus der Hollywood Station – saß rittlings auf der alten Bank zwischen den frei stehenden Metallregalen mit den alten Akten. Sie hatte sich außerhalb seines Blickfelds befunden, als er in die Zelle gekommen war. Er schaute zu der offenen Tür, wo das Vorhängeschloss von der Kette hing.
»Ballard, hm?«, sagte er. »Gut zu wissen, dass ich nicht schon komplett verkalkt bin. Ich war mir nämlich sicher, abgeschlossen zu haben.«
»Ich habe mir selbst aufgeschlossen«, sagte Ballard. »Grundkurs Schlösserknacken.«
»Gewisse Kenntnisse auf diesem Gebiet können nie schaden. Ich habe allerdings nicht viel Zeit. Ich habe einen Durchsuchungsbeschluss und muss mir überlegen, wie ich ihn durchsetze, bevor mein Verdächtiger Wind davon bekommt. Was wollen Sie, Detective Ballard?«
»Ich möchte mitmachen.«
»Bei was?«
»Bei Daisy Clayton.«
Bosch musterte sie kurz. Sie sah gut aus, schätzungsweise Mitte dreißig, und hatte schulterlanges, sonnengebleichtes braunes Haar und eine schlanke, sportliche Figur. Sie war in Freizeitkleidung. Vergangene Nacht hatte sie einen Hosenanzug getragen, in dem sie respekteinflößender ausgesehen hatte – ein Muss beim LAPD, wo weibliche Detectives häufig wie Sekretärinnen behandelt wurden.
Außerdem hatte Ballard eine intensive Bräune, was Boschs Vorstellung von jemandem widersprach, der die Friedhofsschicht hatte. Aber vor allem war er beeindruckt, dass sie bereits zwölf Stunden, nachdem sie ihn an den Aktenschränken im Bereitschaftsraum der Hollywood Station ertappt hatte, herausgefunden zu haben schien, wer er war und woran er arbeitete.
»Ich habe mit Ihrer ehemaligen Partnerin Lucy gesprochen«, sagte Ballard. »Sie hat mir ihren Segen erteilt. Aber es ist ja auch ein Hollywood-Station-Fall.«
»Es war einer – bis ihn sich die RHD unter den Nagel gerissen hat«, sagte Bosch. »Jetzt ist Downtown dafür zuständig, nicht mehr Hollywood.«
»Und was ist Ihr Status genau? Beim LAPD sind Sie jedenfalls nicht mehr, und auf einen Zusammenhang mit San Fernando deutet das Mordbuch auch nicht gerade hin.«
In seiner Funktion als Reserve-Officer des San Fernando Police Department hatte Bosch dort in den letzten drei Jahren vor allem Cold Cases aufgearbeitet – Morde, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen. Er war beim SFPD allerdings nur teilzeitbeschäftigt.
»Sie lassen mir hier oben in San Fernando viele Freiheiten«, sagte er. »Ich arbeite an ihren alten Fällen, aber ich habe auch ein paar eigene. Daisy Clayton ist einer von meinen eigenen. Man könnte also sagen, mein Interesse daran ist vollkommen eigennützig. So viel zu meinem Status.«
»Und ich habe zwölf Kisten mit Filzkarten in der Hollywood Station«, sagte Ballard.
Bosch nickte. Er war noch mehr beeindruckt. Irgendwie hatte sie herausgefunden, weswegen er in die Hollywood Station gekommen war. Als er sie musterte, gelangte er zu der Ansicht, dass ihr Hautton nicht reine Sonnenbräune war, sondern auch herkunftsbedingt. Er vermutete, dass sie halb weißer, halb polynesischer Abstammung war.
»Wenn wir sie uns aufteilen«, sagte Ballard, »kriegen wir sie wahrscheinlich in zwei Nächten durch.«
Da war das Angebot. Sie wollte einsteigen und bot Bosch als Gegenleistung genau das an, was er wollte.
»Die Filzkarten sind mein letzter Strohhalm«, sagte er. »Ich komme in dem Fall nicht mehr weiter. Deshalb ist meine letzte Hoffnung, dass die Karten einen Hinweis enthalten.«
»Das überrascht mich«, sagte Ballard. »Ich habe gehört, dass Sie jemand sind, der nie aufsteckt – Ihre alte Partnerin hat gemeint, Sie würden sich richtig in Ihre Fälle verbeißen.«
Darauf wusste Bosch nichts zu erwidern und zuckte nur mit den Achseln.
Ballard stand auf und ging in dem Gang zwischen den Regalen auf ihn zu.
»Manchmal ist viel los, manchmal nicht. Ich werde heute Nacht anfangen, die Karten durchzusehen. Zwischen den Einsätzen. Irgendwas Bestimmtes, wonach ich Ausschau halten soll?«
Bosch zögerte, aber er wusste, dass er zu einer Entscheidung kommen musste. Sollte er ihr vertrauen oder sie auf Abstand halten?
»Ja, nach Lieferwagen«, sagte er. »Suchen Sie nach Lieferwagen, vielleicht auch nach Personen, die Chemikalien transportieren.«
»Lieferwagen, um das Mädchen rumfahren zu können?«
»Eigentlich für alles.«
»Dem Mordbuch zufolge hat sie der Täter zu sich nach Hause oder in ein Motel gebracht. Jedenfalls an einen Ort, an dem es eine Badewanne gab. Wegen des Bleichmittels.«
Bosch schüttelte den Kopf.
»Er hat keine Badewanne benutzt.«
Sie sah ihn erwartungsvoll an, stellte aber nicht die naheliegende Frage, woher er das wusste.
»Na schön, kommen Sie mit«, sagte er schließlich.
Er stand auf und führte sie aus der Zelle und zum Tor des Bauhofs.
»Sie haben sich doch das Buch und die Fotos sicher angesehen«, sagte er.
»Ja, alles was digitalisiert worden ist.«
Sie betraten das Bauhofgelände, ein von Mauern umgebenes Areal. An der Rückseite waren vier von Stellagen und Werkbänken eingefasste Reparaturbuchten, in denen Maschinen und Fahrzeuge gewartet und repariert wurden. In eine von ihnen ging Bosch mit Ballard.
»Haben Sie die blauen Flecken der Leiche gesehen?«
»Das A-S-P?«
»Ja. Aber sie haben es falsch gedeutet. Die ursprünglichen Ermittler, meine ich. Sie haben sich davon in eine völlig falsche Richtung locken lassen.«
Er trat an eine Werkbank, nahm eine große durchsichtige Plastikwanne mit einem blauen Deckel von einem der Borde und hielt sie Ballard hin.
»So ein Container fasst hundert Liter«, sagte er dazu. »Daisy war eins achtundfünfzig groß. Ziemlich klein. Er hat sie in eine dieser Wannen gelegt und mit Bleichmittel übergossen. Er hat keine Badewanne verwendet.«
Ballard betrachtete den Container. Boschs Erklärung war plausibel, aber nicht zwingend.
»Das ist eine Theorie«, sagte sie.
»Nein, keine Theorie«, sagte er.
Um den Schnappdeckel abmachen zu können, stellte er den Container auf den Boden. Dann hob er die Wanne hoch, hielt sie so, dass Ballard hineinsehen konnte, und zeigte auf ein leicht erhabenes Firmenlogo in ihrem Plastikboden. Es war ein Kreis mit fünf Zentimetern Durchmesser, in dem horizontal und vertikal die Buchstabenfolge A-S-P zu erkennen war.
»A-S-P«, sagte Bosch. »American Storage Products oder American Soft Plastics. Dieselbe Firma, zwei Namen. In so einen Container hat der Mörder das Mädchen gelegt. Er hat keine Badewanne und kein Motel gebraucht. Nur eine von diesen Wannen und einen Lieferwagen.«
Ballard fasste in den Container und fuhr mit dem Finger über das Logo. Bosch wusste, dass sie gerade den gleichen Schluss zog wie er. Das Firmenzeichen stand leicht aus dem Plastikboden des Containers hervor, und wenn Daisy darauf zu liegen gekommen war, müssten seine Kanten Spuren in ihrer Haut hinterlassen haben.
Ballard richtete sich auf und sah Bosch an.
»Wie sind Sie darauf gekommen?«
»Ich habe mich in ihn hineinversetzt«, sagte er.
»Zurückverfolgen lassen sich diese Dinger nicht, oder?«
»Sie werden in Gardena hergestellt und von dort an Großhändler im ganzen Land verschickt. An ein paar Großkunden verkaufen sie auch direkt, aber was Kleinabnehmer angeht, kann man die Sache vergessen. Man kriegt diese Dinger in jedem Target oder Walmart.«
»Das ist natürlich blöd.«
»Allerdings.«
Bosch drückte den Deckel wieder auf den Container und wollte ihn gerade auf das Bord zurückstellen.
»Kann ich ihn mitnehmen?«, fragte Ballard.
Bosch drehte sich zu ihr um. Er wusste, dass er ihn ersetzen und sie sich problemlos selbst einen besorgen könnte. Deshalb vermutete er, dass sie ihn damit tiefer in eine Partnerschaft hineinziehen wollte. Wenn er ihr etwas gab, bedeutete das, dass sie zusammenarbeiteten.
Er reichte ihr den Container.
»Meinetwegen.«
»Danke«, sagte sie.
Sie schaute zum offenen Tor des Bauhofs.
»Dann fange ich heute Nacht mit den Filzkarten an.«
Bosch nickte.
»Wo waren sie?«
»Im Lager«, sagte Ballard. »Niemand wollte sie wegwerfen.«
»Habe ich mir fast gedacht. Schlau.«
»Was hätten Sie gemacht, wenn sie noch in den Aktenschränken gewesen wären.«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich Money gefragt, ob ich sie in der Station durchsehen kann.«
»Hätten Sie sich bloß die Karten vom Tag oder der Woche des Mords angesehen? Oder sogar vom ganzen Monat?«
»Nein, alle. Was sie noch gehabt hätten. Wer kann schon sagen, ob der Kerl, der das getan hat, ein paar Jahre davor oder ein Jahr danach kontrolliert worden ist?«
Ballard nickte.
»Schon klar, nach jedem Strohhalm greifen.«
»Wollen Sie es sich jetzt lieber noch mal überlegen? Ist nämlich ein Haufen Arbeit.«
»Nein, das geht schon in Ordnung.«
»Gut.«
»Ich muss dann mal los. Vielleicht komme ich heute sogar früher zum Dienst – um schon mal anzufangen.«
»Dann viel Erfolg. Wenn noch Zeit bleibt, komme ich auch vorbei. Aber erst muss ich einen Durchsuchungsbefehl vollstrecken.«
»Klar.«
»Sonst rufen Sie mich einfach an, wenn Sie auf was stoßen.«
Er holte eine Visitenkarte mit seiner Handynummer aus der Hosentasche und reichte sie ihr.
»Mache ich«, sagte Ballard. Sie hielt den Container mit beiden Händen vor ihrem Bauch und wandte sich zum Gehen. Doch dann machte sie noch einmal kehrt und kam wieder auf Bosch zu.
»Lucy Soto hat gesagt, Sie kennen Daisys Mutter«, sagte sie. »Ist das Ihre Klagebefugnis?«
»So könnte man es wahrscheinlich nennen.«
»Wo ist die Mutter – falls ich mit ihr sprechen möchte?«
»Bei mir zu Hause. Sie können jederzeit mit ihr reden.«
»Sie leben mit ihr zusammen?«
»Sie wohnt im Moment bei mir. Nur vorübergehend. Woodrow Wilson Drive 26–20.«
»Okay. Alles klar.«
Ballard drehte sich wieder um und entfernte sich. Bosch sah ihr nach. Diesmal machte sie nicht noch einmal kehrt.