Читать книгу Bei Nachruf Mord - Michael Craft - Страница 10

Montag, 5. Oktober 88 Tage Frist

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Bis zum Montagmorgen haben sich die langen Herbstregenfälle über dem Mittleren Westen eingeregnet. Manning fährt in nördlicher Richtung über die Sheridan Road zum Anwesen der Carters in Bluff Shores. Der Asphalt glitzert schwarz unter dichten Bäumen, deren nasses Laub tief vor einem gleichförmigen Himmel herabhängt.

Etwas Italienisches – Frivoles, Opernartiges – schallt aus dem Radio und erfüllt den kühlen Innenraum des Wagens, ein Kontrast, den Manning eher ärgerlich als aufmunternd empfindet. Die Motoren der Scheibenwischer wimmern bei jeder Bewegung der Wischerblätter zur Musikbegleitung. Gnädigerweise kommt die Arie zu ihrem Höhepunkt und erstirbt.

»Guten Morgen, Freunde und Nachbarn, wo immer ihr seid …« Es ist die schleppende Radiostimme von Bud Stirkham, einem lokalen Kommentator, der aus dem gleichen philosophischen Holz geschnitzt ist wie Humphrey Hasting. Im Gegensatz zu Hastings eloquenter, affektierter Manier ist Stirkhams plumper Stil jedoch der eines bodenständigen, einfachen Mannes aus dem Volk.

»... und wenn die Krise in Äthiopien noch nicht genügt, um Ihr Vertrauen in die internationale Diplomatie zu erschüttern, dann schauen Sie sich die Eskapaden der Behörden bei ihren täppischen Bemühungen, den Mörder der Luftlinienerbin Helena Carter zu schnappen, hier zu Hause an. Der Geist der Apathie und Gleichgültigkeit erstreckt sich sogar auf das Chicago Journal, das sich traditionell rühmt, der Wachhund des öffentlichen Interesses zu sein …«

»Demagogischer Schwätzer«, murmelt Manning und schaltet das Radio ab. Er schüttelt den Kopf, als wolle er ihn von Stirkhams Worten befreien und hält an einer Kreuzung an, um durch den Regen nach dem Wegweiser zu schauen. Er biegt von der Sheridan Road auf eine ruhige Durchgangsstraße ab, die an unbeschilderten Straßen vorbei zu den großzügigen, umzäunten Anwesen am Seeufer führt.

Manning bremst seinen Wagen ab, als er zu einer Auffahrt kommt, die durch einen weißen Zaun und einen Briefkasten kenntlich gemacht ist, auf dem in Blockbuchstaben CARTER steht. In die gewundene Einfahrt abbiegend, stellt er erstaunt fest, wie makellos alles gepflegt ist – Umzäunung, Zierbäume, Beete mit Herbstblumen. Alles wird bewusst in Schuss gehalten, als stehe Helena Carters Rückkehr unmittelbar bevor. Als er um eine Kurve der bewaldeten Auffahrt fährt, sieht er vor sich das Haus, den See und einen weitläufigen, frisch gemähten Rasen, dessen leuchtendes Grün sich gegen den verwaschenen grauen Himmel abhebt.

Manning parkt vor dem Haus und kramt in den Manteltaschen nach Füllhalter und Notizbuch, bevor er in den Regen hinaustritt. Er zieht den Kragen hoch, hastet zur Tür und klingelt. Hinter ihm rauscht der See.

Als sich die schwer mit Messing beschlagene Tür endlich öffnet, lugt kurz ein gebeugter Mann durch den Spalt, um die Tür dann weit aufzureißen. »Guten Morgen, Mr. Manning«, sagt er. »Wir haben Sie erwartet.«

Manning betritt den schachbrettartig gefliesten Vorraum und zieht den Mantel aus. Er kramt in den Taschen nach seinem Füllhalter und dem Notizbuch und mustert den Mann, während sie ins Gespräch kommen. Ein uniformierter Butler würde hier wie das Tüpfelchen auf dem I wirken, aber der Mann trägt frisch gestärkte Arbeitskleidung – ein leichtes Hemd und eine bügelfreie Hose. Sein Benehmen ist freundlich und herzlich, kein bisschen von oben herab. Dann erinnert sich Manning. »Sie sind Arthur Mendel«, sagt er zu dem Mann. Das ist der ruchlose Haushälter, der gerissene Majordomo, den vor Gericht zu zerren Humphrey Hasting entschlossen zu sein scheint.

»Es schmeichelt mir, dass Sie sich meiner erinnern«, erwidert Arthur. »Es ist fast sieben Jahre her. Und an dem Tag, als Sie hier waren, dem Tag nachdem Mrs. Carter verschwand, war alles hier etwas hektisch.« Über seine Untertreibung kichernd, nimmt er Mannings Mantel entgegen und führt ihn durch das Haus. »Miss O’Connor hat sich über Ihren Anruf gefreut. Sie wartet im Salon auf Sie.« Arthur öffnet eine getäfelte Tür aus Walnussholz, lässt Manning vorbei und schließt sie hinter ihm.

Der intime Raum ist für kleine Gästegruppen bestimmt. Vor einem Hickoryfeuer von einem korallfarben gestreiften Marmorsims umrahmt stehen bequem gepolsterte Sitzmöbel. Auf einem niedrigen Tisch davor spiegelt ein silbernes Kaffeeservice die Flammen wider. Zwei Tassen und Untertassen flankieren eine Schale mit Gebäck.

»Ich wusste nicht, ob Sie schon gegessen haben«, sagt eine Stimme, deren Besitzerin hinter der chintzbezogenen Lehne eines schweren Sessels verborgen ist. »Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sich junge Leute nicht viel aus Frühstück machen.« Margaret O’Connor, die Schwester der verschwundenen Erbin, steht auf, um ihren Gast zu begrüßen, und streckt, als er näherkommt, die Hand aus. Die Frau ist klein und geschmackvoll gekleidet – zu formell vielleicht für die frühe Tageszeit. Ihr Haar ist frisch und korrekt frisiert und sie macht nicht den Versuch, das Grau zu verstecken, das inzwischen das Braun überwiegt.

»Sie sind zu gütig, Miss O’Connor«, sagt Manning und ergreift ihre Hand.

»Wollen Sie mich nicht bitte Margaret nennen, Mr. Manning? Ich finde ›Miss‹ eine Spur unpassend für eine Frau meines Alters.« Sie zwinkert ihm zu.

Nach Mannings Berechnungen ist sie erst achtundvierzig Jahre alt, acht Jahre jünger als ihre Schwester, aber in der Tat geht eine altjüngferliche Ausstrahlung von ihr aus. Er ist von ihrer Herzlichkeit eingenommen. »Es wäre mir ein Vergnügen, Margaret. Bitte nennen Sie mich Mark.«

»Sehr gerne«, antwortet sie und tätschelt ihm die Hand. »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«

»Nur Kaffee, danke schön.«

Sie setzen sich, sie schenkt ein und einen Augenblick lang entspannen sie sich, bevor sie mit dem Interview beginnen. »Würde es Sie stören, wenn ich ein paar Notizen mache?«, fragt Manning und schlägt sein Notizbuch auf.

Sie wehrt die Frage mit der Hand ab. »Natürlich nicht. Deshalb sind Sie doch hier.«

Am Fuß von Mannings Stuhl erscheint eine Katze und streift mit ihrem Körper der Länge nach an seinem Bein entlang. Ihre riesigen, goldenen Mandelaugen schauen zu ihm auf; Mannings grüne Augen starren zu dem Tier zurück. Das dichte braune Fell der Katze wirkt im Schein des Feuers lebhaft orange. Jedes einzelne Haar besitzt eine dunkler getönte braune oder schwarze Spitze, wie der Pelz eines wilden Tieres. Ihr geschmeidiger Körper, ihre langen Vorderläufe und die großen buschigen Ohren verleihen der Katze ein majestätisches, geheimnisvolles Aussehen. Sie hebt den Kopf und gibt ein leises, fragendes Miauen von sich.

»Das ist die Katze«, sagt Manning vom Blick des Tieres wie gebannt.

»Welche Katze, Mark?«

»Die Katze in dem Magazin mit Ihrer Schwester – als sie den großen Preis gewonnen hatten.«

»Herrje, nein«, klärt Margaret ihn lachend auf. »Das war der Großvater dieser Katze. Er ist von uns gegangen. Das hier ist Fred.«

»Fred?«, fragt er in einem Tonfall, der verrät, dass er etwas Exotischeres erwartet hat. Er beugt sich vor und streckt die Hand aus, um den Kopf der Katze zu streicheln. Fred schiebt sich nach vorn und bricht in ein wohltönendes Schnurren aus. In diesem Augenblick taucht eine zweite Katze auf.

»Und wer ist das?«, fragt Manning.

»Ethel.«

»Verheiratet?«

»Nein«, ruft Margaret, als sei sie schockiert. »Sie sind Bruder und Schwester!«

Beide lachen herzlich, während Fred und Ethel Mannings Schuhe untersuchen. Da sie wenig finden, was des Beschnüffelns wert wäre, wenden die Katzen Manning die Schwänze zu und lassen sich vor dem Feuer nieder, Fred ausgestreckt, Ethel zusammengerollt.

»Sie sind wunderschön«, sagt Manning bewundernd. »Ich habe noch nie eine Abessinierkatze gesehen – jedenfalls nicht bis vor einer Woche, als ich das Bild in der Zeitschrift sah.«

»Das wundert mich nicht«, antwortet sie. »Abessinier sind immer noch selten. Die Zucht wird kontrolliert und die Würfe sind klein.«

Manning nippt an seinem Kaffee. Im Kamin verschiebt sich ein brennendes Scheit und durchbricht unter einem Funkenregen knackend die momentane Stille. »Ihre Wohnung ist viel ruhiger, als damals, als ich zum letzten Mal hier war, am Tag nach dem Verschwinden«, sagt Manning zu Margaret.

»Oh, das weiß ich noch gut. Welch ein Durcheinander das war.« Sie wedelt mit beiden Händen. »Ich war in einem Zustand an jenem Tag. Der Schock und die Ungewissheit und die Polizei und die Anwälte und Reporter – es soll keine Beleidigung sein, Mark, aber das war eine Prüfung.« Sie denkt einen Augenblick nach. »Sie jedoch waren sehr rücksichtsvoll.« Sie streckt die Hand aus, um ihm das Knie zu tätscheln.

»Es freut mich, zu hören, dass ich mich gut aufgeführt habe.« Er trinkt seinen Kaffee aus und stellt die Tasse auf den Tisch. »Sagen Sie, Margaret. Es ist fast sieben Jahre her, seit Helena verschwunden ist. Sie haben doch sicher viel über das Geheimnis nachgedacht. Haben Sie irgendeine Vermutung, was geschehen sein könnte?«

Sie schüttelt ernst seufzend den Kopf. »Ich fürchte, nein. So viele Menschen scheinen sich so sicher zu sein, dass Helena tot ist, dass ich manchmal fast wünsche, ich könnte an diesen ›Ausgang‹ glauben, wissen sie. Aber ich kann mir einfach nicht denken, wieso jemand Helena ein Leid hätte zufügen wollen. Gewiss, da ist das Geld«, sie zeigt unbestimmt um sich her , »aber das hat noch nie jemandem Glück gebracht.«

»Wenn sie nicht tot ist, wo, glauben Sie, könnte sie dann sein?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Nicht mehr.« Sie macht eine gedankenvolle Pause. »Früher hatte ich eine … Theorie, aber das war auch nur eine Sackgasse.«

»Was war es?«

»Heute erscheint es töricht. Es wäre mir lieber, Sie würden nichts darüber schreiben.«

Manning legt Füllhalter und Notizbuch auf den Tisch.

»Ich bin sicher, Sie wissen bereits, dass Helena sehr religiös war. Ich fand es verwunderlich – in gewisser Weise inkonsequent –, dass sie ihren standhaften Glauben mit so vielen weltlichen Interessen in Einklang zu bringen wusste. Ehrlich gesagt, dachte ich, sie nähme diese ganze Kirchensache ein wenig zu ernst, aber das war keine Ansicht, die ich, wie ich meinte, ihr gegenüber zum Ausdruck hätte bringen dürfen.

Wir wurden natürlich katholisch erzogen. Papa war Eisenbahner – er arbeitete hart, sah gut aus und schluckte außerdem recht tüchtig. Alles in allem war er ein guter Vater. Er brachte Mama, Helen und mir stets aufrichtige Liebe entgegen. Aber er wünschte sich eine große Familie. Nachdem die Zwillinge weg waren, stellte sich Mama einfach auf die Hinterbeine und erklärte weitere Versuche für beendet. Nun, damit hat Papa sich nie recht abgefunden und wir hatten immer den Eindruck, er fühle sich irgendwie hintergangen. Es ging uns recht gut da drunten in der Nähe der Schienen, aber wir waren nie das, was man ›wohlhabend‹ nennen würde. Ich glaube, er hoffte, ein weiteres Kind – ein Sohn – würde zu einem Doktor oder Professor heranwachsen und das hätte ihn zum glücklichsten Mann der Welt gemacht.«

Sie hält einen Augenblick inne, hebt ihre Kaffeetasse und setzt sie wieder ab, ohne zu trinken. »Er schien seinen ganzen Trost und Halt aus der Religion zu beziehen. Sie war eine feststehende Macht der Güte in seinem Leben, wie sie es für seinen Vater gewesen war, als dieser von Irland herüberkam. Er nahm die Kirche weit ernster als Mama, was Helen und mir etwas merkwürdig schien, da in allen Familien unserer Freundinnen das Gegenteil der Fall war.

Als wir heranwuchsen, pflegte Mama manchmal, sich mit Helen und mir nach der Schule hinzusetzen, bevor Papa nach Hause kam. Dann erklärte sie uns gewisse Sachen – Frauensachen, wissen Sie. Sie setzte ein breites Grinsen auf und sagte uns, dass, wenngleich Papa sich einen wohlhabenden, erfolgreichen Sohn wünschte, es keinen Grund dafür gebe, dass er keine wohlhabende, erfolgreiche Tochter bekommen könne. Sie erklärte, wie schwer es für eine Frau sei, auf eigene Faust geschäftlich zum Erfolg zu kommen – und damals traf das auch zu. Aber dann beugte sie sich ganz dicht zu uns, um uns ein Geheimnis zu verraten. Helen und ich lauschten ihr mit Augen groß wie Untertassen, wenn sie uns verriet, wie wir auf eine Weise erfolgreich werden könnten, die Papa stolz machen würde. Hübschen kleinen Mädchen wie uns, sagte sie, sollte es nicht schwerfallen, zwei nette, reiche Ehemänner zu finden. Helen und ich kicherten und bissen uns in die Handknöchel, so verrucht klang das alles.«

Sie nimmt die Tasse wieder, trinkt und hält sie dann in beiden Händen in ihrem Schoß. »Nun, ich muss Ihnen nicht erzählen, dass Helen es schaffte, in die Welt hinauszuziehen und genau das zu tun, was Mama gesagt hatte. Ich versuchte es ebenfalls, hatte aber kein so großes Glück. Als Helen Ridgely Carter gefunden hatte, sagte Mama ihr, sie solle sich Helena nennen, denn das klinge vornehmer. Papa starb vor der Hochzeit. Als Helen verheiratet war, zog sie natürlich aus, und ich endete schließlich bei Mama zu Hause. Geld war kein Problem. Wir hatten Papas Eisenbahnerpension und wenn wir etwas Besonderes brauchten, war Helen stets sehr großzügig. Dann starb Mama. Damit war mit der Pension Schluss. Ich hatte nichts gelernt, war ohne Arbeit und – mit dreißig, wie ich annahm – für immer allein.«

Margaret stellt ihre Tasse auf den Tisch zurück und setzt sie mit einem vernehmlichen Scheppern auf der Untertasse ab. »Also nahmen Helen und Ridgely mich auf. Sie waren immer sehr süß, aber ich konnte mir nicht helfen, ich hatte das Gefühl, in ihr Heim eingedrungen zu sein. ›Unsinn‹, pflegte Ridgely zu sagen, ›bei den ganzen Gästen und den Dienstboten, die hier herumlaufen, bemerken wir ein zusätzliches Gesicht in den Fluren doch kaum.‹ Und er hatte Recht. Es waren gute Jahre, solange Ridgely am Leben war. Helen hatte ihn seines Geldes wegen geheiratet – damit Sie sich da nicht irren –, aber er liebte sie vom ersten Augenblick an, und ihre Liebe zu ihm wuchs mit den Jahren. Es war ein glückliches Heim, meistens, trotz dieser unschönen Episode mit Arthurs Wettleidenschaft. Ridgely war immer wundervoll. Er versuchte, uns etwas über den Umgang mit Geld beizubringen. Das war gut so – als er starb, ging alles an Helen.

Sie war ihr ganzes Leben lang religiös gewesen und Ridgelys Tod schien ihren Eifer noch anzufachen. Es ist komisch. Mama hatte immer gesagt, wir müssten reich heiraten – und Helen tat es. Papa hatte immer gesagt, wir müssten uns unseren Glauben bewahren – und Helen tat es. Ich weiß nicht, ob Helen beflissen, klug oder einfach nur gehorsam war. Sie war klug, schlau wie ein Fuchs, hatte in der Schule nur Spitzennoten. Ich hatte ein bisschen Respekt vor ihr; es scheint, als hätte ich immer in ihrem Schatten gestanden. Sie ist acht Jahre älter als ich, und wenn man ein Kind ist, ist das ein großer Unterschied. Sie war eine Art zweite Mama. Nun, da sie verschwunden ist, liegt es an mir, mich um ihr Haus zu kümmern und für die Katzen zu sorgen.«

Sie hat sanft gesprochen, ohne Bitterkeit, einfach nur Feststellungen getroffen. Ihre Erinnerungen haben etwas bittersüß Amüsiertes an diesem dunklen, feuchten Morgen vor dem Kamin. »Herrje, was kann ich plappern«, stellt sie fest. »Das kommt davon, wenn man mich bittet, mit dem Reden anzufangen.« Sie gießt Kaffee nach.

»Es ist faszinierend«, meint Manning. »Aber, Margaret...« Er zögert, ihr zu sagen, dass ihr das Thema des Gesprächs entglitten ist. »Sie sagten, Sie hätten einmal eine Theorie gehabt, wo Ihre Schwester sich aufhalten könnte.«

Sie legt mit großen Augen einen Finger auf den Mund und lacht. »Ich wusste doch, dass ich auf etwas hinauswollte. Nachdem Ridgely gestorben war, nahm Helen Kontakt zu unserer Ortsgemeinde, St. Jerome’s, auf. Sie freundete sich mit unserem Pfarrer, Father Matthew Carey, an – ein ausgesprochen hübscher junger Priester. Helen trat mehreren Kirchenkomitees bei und landete schließlich im Gemeinderat. Sie und Father Carey mochten sich wirklich – das konnte man an dem Spaß sehen, den die beiden miteinander hatten, anfangs –, aber dann kamen sie immer mehr aneinander.

Es fing mit ganz kleinen Angelegenheiten an, die im Gemeinderat zur Sprache kamen, und irgendwann waren ihre Differenzen an einem Punkt, wo Helen sich als ›loyale Opposition‹ bezeichnete. Ich bin mir nicht sicher, worum es eigentlich ging – ihre kirchlichen Aktivitäten interessierten mich nicht besonders –, aber es hatte etwas mit den ganzen Änderungen nach dem Vatikanischen Konzil in den sechziger Jahren zu tun. Ich gewann den Eindruck, sie hätte es vorgezogen, die Kirche so zu belassen, wie sie sie als kleines Mädchen kannte.«

Margaret spricht jetzt schneller und beugt sich zu Manning vor. »Helen erwähnte mehrmals – und das war ungewöhnlich, denn über Religion sprachen wir selten – eine Art Bewegung in der katholischen Kirche zurück zu den alten Gebräuchen. Die Bewegung wird von einem europäischen Bischof oder Kardinal geleitet – es war von Zeit zu Zeit in den Nachrichten. Und es gibt eine kleine Gemeinde, ein Dorf irgendwo im Westen, wo diese Leute hingehen, um dort zu leben und in die Kirche zu gehen, die sie sich wünschen.

Ich hätte nie gedacht, dass es Helen mit ihrem Glauben so ernst war, dass sie erwägen könnte, an einen solchen Ort zu gehen, aber nachdem sie verschwunden war, war ich mir nicht mehr so sicher. Ich sprach daher mit Father Carey darüber und er sagte einmal, der gleiche Gedanke sei ihm auch schon gekommen. Er meinte zu mir, er habe den Priester früher gekannt, der der Führer der kleinen Stadt wurde, und bot mir an, ihm zu schreiben. Ein paar Wochen danach rief er mich an, um mir zu sagen, er habe eine Antwort erhalten. Da draußen gab es niemanden, der wusste, wo Helen sein könnte.«

Margaret lehnt sich in ihren Sessel zurück und schließt. »Und das war das Ende meiner Theorie, Mark. Es war nichts als eine Sackgasse.«

»Würde es Sie stören«, fragt Manning, »wenn ich mich selbst mit Father Carey unterhalte?«

»Natürlich nicht. Wenn Sie glauben, es gibt eine Chance, dass er sie zu Helen führt, dann suchen Sie ihn auf jeden Fall auf. Er ist wirklich sehr nett.« Sie mustert Manning einen Augenblick lang neugierig. »Ich glaube, Sie beide werden sich mögen.«

Er notiert die Namen der Priester und der Gemeinden. »Ich weiß, diese Fragen wurden Ihnen schon oft gestellt«, sagt er, »aber könnten Sie mir noch einmal genau schildern, was geschah, als Ihre Schwester verschwand? Wann stellten Sie fest, dass sie weg war? Woher wussten Sie, dass sie verschwunden war?«

Margaret O’Connor schmiegt sich noch tiefer in ihren Sessel, bis sie von den Polstern scheinbar verschluckt wird. Die Hände ringend, antwortet sie: »Es war am Neujahrstag und schrecklich kalt. Der Morgen begann wie immer. Ich nahm ein warmes Bad, dann zog ich mich an und ging hinunter in die Küche, um mit Helen Kaffee zu trinken. Gewöhnlich trafen wir uns dort um sieben Uhr, aber an diesem Morgen war es später, da wir in der Nacht zuvor aufgeblieben waren, um das Neue Jahr zu begrüßen. Da Helen nicht da war, schaltete ich die Kaffeemaschine ein und ging dann ins Untergeschoss, um die Katzen zu füttern – das neue Katzengehege war damals noch im Bau und wir hielten die Katzen im Keller. Während ich meine Runde machte, bemerkte ich, dass Abe fehlte. Abe ist die Katze, die Sie in der Zeitschrift sahen; er war Helens bester Kater, das beste Zuchttier im Land. Daher geriet ich ein wenig in Panik …«

»Entschuldigen Sie, Margaret, aber woher wussten Sie, dass Abe fehlte? Hätte er nicht überall im Haus sein können? «

»Aber nein, Mark. Fred und Ethel« – sie deutet auf die Katzen vor dem Kamin – »sind Haustiere. Wir haben immer ein oder zwei Katzen als Haustiere gehalten. Die Zuchttiere, die Schaukatzen werden im Katzengehege gehalten. Sie verlassen ihre Käfige nie, außer zur Zucht oder zu Wettbewerben. Aber Abe war verschwunden.«

»Welchen Wert hatte Abe?«

»Allmächtiger, eine Katze wie Abe verkauft man doch nicht.«

»Aber wenn Sie ihn aus irgendeinem Grund hätten verkaufen müssen, wie viel hätten Sie dann zu erwarten gehabt? Grob geschätzt.«

»Viele tausend Dollar sicher. Abe war kurz zuvor als der schönste Abessinier im Land – wahrscheinlich auf der Welt – gekürt worden. Er war unschätzbar. Dann bemerkte ich, dass Eves Käfig ebenfalls leer war.«

»Eve?«, fragt er, die Antwort schon ahnend.

»Eve war Helens beste Zuchtkatze.«

»Etwa genau so viel wert wie Abe?«

»Fast. Kater sind gewöhnlich wertvoller.«

Manning schreibt inzwischen so schnell mit, dass seine Handschrift nur noch ein Gekritzel ist. Mehr zu sich selbst meint er: »Wir wissen alle, dass eine reiche Erbin verschwunden ist und mit ihr ein Katzenpärchen, aber niemand hatte eine Ahnung, ›wer‹ diese Katzen waren.«

»Ich rannte also hinauf zu Helen«, fährt Margaret fort. »Ich stand vor ihrer Tür und klopfte und schrie, etwas Schreckliches sei passiert. Schließlich öffnete ich die Tür, ohne zu wissen, was mich erwartete, und voller Angst, was ich vorfinden würde.« Sie starrt in eine unbestimmte Ferne hinter Manning.

»Und was fanden Sie vor?«, fragt er leise.

Sie schaut ihn an, als schrecke sie aus einer Trance auf. »Nichts«, antwortet sie achselzuckend. »Helen war nicht da. Ihr Zimmer war in Ordnung. Ich schaute in die Schränke, aber es schien nichts zu fehlen.«

»Was dachten Sie denn, was mit den Katzen und Ihrer Schwester passiert sei?«

»Ich nahm an, sie seien zusammen«, teilt sie ihm die naheliegende Schlussfolgerung mit. »Es war außergewöhnlich, aber nichts, um die Polizei zu rufen – noch nicht. Kurz darauf kam Arthur zur Arbeit ins Haus.«

»Ihr Haushälter, Arthur Mendel?«

»Er gehört schon seit Ewigkeiten zur Familie Carter und jetzt ist er der einzige feste Angestellte, der auf dem Anwesen übrig geblieben ist. Er wohnt in einer Unterkunft in der Nähe des Katzengeheges, wo früher der alte Stall war. Als er an diesem Morgen ins Haus kam, erzählte ich ihm von Helen und den beiden Katzen. Er sagte, er habe Helen nirgendwo hingefahren, und während unseres Gespräches wurde er besorgt. Als Helen am Abend immer noch nicht zurück war, beschlossen wir, die Polizei zu rufen, wenn wir bis Mitternacht nichts von ihr gehört hätten. Und das taten wir dann. Den Rest kennen Sie; Sie waren am nächsten Tag ja mit den anderen zusammen hier.«

»Hat die Polizei Sie über die Katzen befragt?«, fragt Manning.

»Nicht ausführlich. Ich sagte ihnen, dass die Katzen fehlten, aber ich wollte nicht zu viel Aufhebens davon machen – wir sorgten uns alle um Helen und es erschien mir belanglos, sich mit den Katzen aufzuhalten. Meinen Sie, das hat etwas zu bedeuten?«

Mannings Füllhalter durchbohrt die Seite mit einem Punkt am Ende der Notizen. »Ich bin mir nicht sicher. Jeder neue Gesichtspunkt ist es wert, verfolgt zu werden.« Er schlägt eine neue Seite auf. »Margaret, darf ich Ihnen eine persönliche Frage über Ihre Schwester stellen? Hat Helen ihr Haar gefärbt? Eine Freundin, die die Zeitschrift sah, sagte, es sähe so aus, als ob sie eine Hennaspülung benutzt habe. Die Farbe schien zu Abe zu passen.«

Margaret kichert und zieht verschwörerisch eine Augenbraue hoch. »Ihre Freundin ist eine gute Beobachterin. Ja, Helen benutzte eine Hennaspülung und versuchte, den vollen Abessinierton zu erreichen. Zum Teil war es vermutlich Eitelkeit – Helens Haar war grauer als meines«, sagt sie und tippt sich mit den Fingern an die Schläfen. »Aber das war nicht alles. Henna dient seit langer, langer Zeit zum Haarefärben. Cleopatra benutzte es. Und ich bin sicher, Sie haben bemerkt, dass die Abessinierkatze der heiligen Katze des alten Ägypten ähnelt. Helen war von diesem Zusammenhang fasziniert. Sie glaubte, es könne ihre bei ihren Kampagnen nützlich sein.«

»Bei welchen Kampagnen?«

»›Kampagne‹ nennt man das Herumreisen mit den Katzen zu den wichtigen nationalen Wettbewerben. Das ist eine Vollzeitbeschäftigung, die viele Reisen, Geld und – wie nennt man das? – Public Relations erfordert. Ich nehme an, Sie würden sagen, Helens Hennahaar war eine Draufgabe.«

Manning nickt und beendet seine Notiz. »Nachdem der erste Schock über das Verschwinden Ihrer Schwester überwunden war, waren Sie da in der Lage, festzustellen, ob etwas anderes als die Katzen, wie Kleider oder Geld, fehlte? Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Glauben Sie, sie hat genug mitnehmen können, um so lange bequem zu überdauern?«

»Helen hat Schränke über Schränke mit Kleidern. Ich bin mir nicht sicher ob irgendetwas fehlt, aber es ist möglich. Es gab auch Mengen von Juwelen und Pelzen; Ridgely liebte es, sie mit schönen Dingen zu überschütten. Aber solche Wertsachen wurden katalogisiert und sicher verwahrt, nachdem sie verschwunden war. Was das Geld betrifft, so wusste ich nie sehr viel über ihre Finanzen – Fonds, Sparbücher und Ähnliches – Geld war kein Thema. Sie könnten Jerry Klein danach fragen: Er leitet CarterAir und betreut das Vermögen.

Manning hat ihre Äußerungen gewissenhaft festgehalten. Es schraubt seinen Füllhalter zu und will ihn gerade in die Tasche stecken, als ihm etwas einfällt. »Noch eins, Margaret. Als Sie mir über Ihre Jugend mit Helen erzählten, erwähnten Sie ›die Zwillinge‹. Wen haben Sie damit gemeint?«

»Unsere Brüder. Wir hatten Zwillingsbrüder.«

»Tatsächlich?« Manning durchblättert seine Notizen und stellt fest, dass ihm dieses Detail entgangen ist. »In all der Zeit, die ich über diese Geschichte berichte, habe ich nie etwas von Brüdern gehört.«

»Das hätte mich auch überrascht«, erklärt sie ihm. »Sie sind seit über vierzig Jahren weg. Sie gingen fort zur Schule und irgendetwas Schreckliches hat sich ereignet – ich weiß nicht, was – ich war noch zu jung, um es zu begreifen. Einer von ihnen starb und der andere verschwand. Die Jungen waren ein paar Jahre älter als Helen und ich war noch sehr jung, als das alles passierte.«

»Wie waren ihre Namen?«, fragt Manning.

»Ich erinnere mich ehrlich nicht daran. Ist das nicht bemerkenswert? Ich war zu jung, als sie noch zu Hause waren, und danach wurde nie wieder über sie gesprochen.«

Manning macht eine Randnotiz: Verdrängte Erinnerung. Schwere Verleugnung.

»Meine einzige lebhafte Erinnerung an sie lässt mich immer noch erschauern. Einer der Jungen interessierte sich für indianische Sagen und hatte ein Kriegsbeil mit Steinklinge, das sein wertvollster Besitz war. Eines Tages spielten Helen und ich mit ihm hinter dem Haus. Er fing eine Gartenschlange, was mich alleine schon genug in Schrecken versetzte. Und dann, mit seinem Beil hackte er ihr den Kopf ab. Mir wurde übel – wortwörtlich. Da Mama die braunen Flecke nicht aus meinem Kleid entfernen konnte, warf sie es weg. Es waren Bilder von Kätzchen und Hündchen darauf. Ich liebte das kleine Kleid – es war mein Lieblingskleid.«

Ihre Geschichte ist zu Ende. Mit ihren Gedanken an die Vergangenheit beschäftigt, Gedanken, die viele Jahre lang aus ihrem Bewusstsein verschwunden waren, versinkt sie in ein langes Schweigen. Sie hat genug gesagt.

Still schraubt Manning seinen Füllhalter zu, schließt sein Notizbuch und greift zu Boden, um eine der Katzen hinter den Ohren zu kraulen. Fred schaut mit einem Ausdruck, der wie ein zufriedenes Grinsen aussieht, zu Manning auf und bricht in ein dunkles Schnurren aus. Ethel, die sich wundert, was wohl Fred so aufgebracht hat, unterbricht ihren Schlummer, um kurz die Augen einen Schlitz weit zu öffnen.

Manning erhebt sich. »Bleiben Sie sitzen«, sagt er zu Margaret. »Ich habe Ihnen für heute genug Zeit gestohlen und ich weiß die Informationen, die Sie mir gegeben haben, aufrichtig zu schätzen. Sie waren höchst hilfreich.« Er tritt zu ihrem Sessel und umschließt mit beiden Händen ihre Hand. »Ich finde hinaus, Margaret. Nochmals danke.«

Er durchquert das Zimmer, öffnet die Tür und schaut kurz zurück, bevor er geht. Margaret sitzt völlig reglos vor dem Kamin, den Blick auf die Flammen gerichtet, als versuche sie in deren ätherischem, zufälligen Tanz eine Bedeutung auszumachen.

Im Flur erwartet Arthur Manning mit dessen Trenchcoat. »Sie werden ihn nicht bis nach Hause tragen müssen«, meint er. »Der Regen hat endlich aufgehört.«

»Danke sehr, Arthur«, antwortet Manning und nimmt den Mantel. »Hätten Sie vielleicht Zeit, mich zum Wagen zu begleiten. Miss O’Connor erwähnte etwas von einem getrennten Katzengehege auf dem Grundstück. Würden Sie mir zeigen, wo es ist?«

»Mit Vergnügen«, erwidert Arthur, während er ihn durch den Eingang geleitet. Sie gehen an Mannings Auto vorbei zur Seite des Hauses und Arthur deutet auf ein niedriges L-förmiges Gebäude auf einer Erhebung hinter dem Haus. Der Himmel hat sich etwas aufgehellt und über die aufgewühlte graue Fläche des Sees rollen schaumgekrönte Wellen landeinwärts. »Möchten Sie nach hinten gehen, um es sich näher anzuschauen?«, fragt Arthur.

»Klar«, entgegnet Manning.

Arthur geht ihm über einen Plattenpfad voran. Obwohl der Regen aufgehört hat, weht eine rauhe Brise den Nebel vom See herein, und Manning hat Mühe, den Mantel anzuziehen, dessen flatternde Khakischöße er zähmt, indem er den Gürtel zu einem festen Knoten zieht. Als sie sich dem Gebäude nähern, fragt Arthur: »Möchten sie hineinschauen?«

»Heute nicht, danke«, sagt Manning, der sich unter den breiten Vorsprung des Daches, dort, wo die beiden Flügel zusammentreffen, kauert. »Ehrlich gesagt, wollte ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen, Arthur. Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

»Gewiss.« Die rasche Antwort des älteren Mannes verrät, dass er sich von dem Interesse des bekannten Reporters geschmeichelt fühlt.

»Ich möchte Sie nicht in Verlegenheit bringen«, sagt Manning zu ihm, »und ich spreche das Thema auch nur an, weil es Leute gibt, die eine Verbindung zu Mrs. Carters Verschwinden daraus konstruieren könnten.«

»Ja?«, antwortet Arthur nun in einem von Wachsamkeit gekennzeichneten Tonfall.

»Während meines Gesprächs mit Miss O’Connor gerade, erwähnte sie etwas, das mich überrascht hat. Sie sagte, dass nachdem sie hierhergekommen war, um bei Mr. Carter und ihrer Schwester zu leben, sich das Anwesen als ein glückliches Heim erwiesen habe, ausgenommen einer ›unschönen Episode mit Arthurs Wettleidenschaft‹ …«

»Ach!«, sagt Arthur und tritt einen Schritt zurück. Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er sich hintergangen fühlt. »Ich kann nicht glauben, dass sie das erwähnt hat, nicht nachdem sie den Haushalt mit ihren losen Sitten zu einem Tohuwabohu gemacht hat. Lassen Sie sich nicht von ihr täuschen, Mr. Manning. Sie mag als eine Miss Blitz – Blank auftreten, aber ich kann Ihnen sagen...«

Er bricht ab. Er hat zu viel gesagt. Er bedeckt den Mund mit beiden Händen, fasst sich wieder und ringt sich ein Lächeln ab. »Verzeihen Sie. Das war ungehörig – ich hoffe, Sie werden diese Bemerkungen freundlicherweise nicht zur Kenntnis nehmen. Was Miss O’Connor Ihnen berichtet hat, ist völlig korrekt.«

»Hatten Ihre Wettprobleme mit Pferden zu tun?«

»Ich fürchte, ja. Wie Sie vielleicht wissen, hatte Mr. Carter große Freude an Pferden und unterhielt einen Stall, den ich betreute – er befand sich übrigens gleich hier, bevor das Katzengehege gebaut wurde. Er hat sie nie laufen lassen, aber er liebte die Rennen, und wir hatten beide flüchtige Bekanntschaften unter einer Menge von Profis dort – Jockeys, Trainer und so weiter. Mr. Carter plazierte gelegentlich eine Wette – das war so üblich – aber ich geriet ein wenig zu tief hinein. Ich verlor mehr, als ich gewann, und borgte Geld von den falschen Leuten. Es wurden einige Drohungen ausgestoßen, die Mr. Carter zu Ohren kamen, was mir mehr Angst machte als die Drohungen selbst. Aber er war stets ein perfekter Gentleman und er erwies sich als mein bester Freund.«

»Was tat er?«, fragt Manning.

In Arthurs Haaren hat sich der Nebel gesammelt, ist ihm über die Stirn geflossen und rinnt ihm nun die Wangen hinab. Es könnten auch Tränen dabei sein – Manning ist sich nicht sicher. Arthur lächelt durch das Wasser auf seinem Gesicht. »Ridgely Carter bezahlte meine Schulden, legte mir nahe, einen Bogen um die Rennbahn zu machen und erwähnte es nie wieder. Ich habe nie wieder auf ein Pferd gesetzt und ich glaube, er auch nicht.«

Manning wendet sich von Arthur ab. Mit Blick auf den Horizont über dem See fragt er ihn: »Wissen Sie, dass ein … ›Gerücht‹ zirkuliert, das Sie in Zusammenhang mit Mrs. Carters Verschwinden bringt?«

»Mir kommt einiges zu Ohren – wie jedem.«

Manning wendet sich ihm zu. »Diese Pferdegeschichte würde nicht gut aussehen, Arthur. Sie sieht nicht gut aus. Sie ist mir neu und ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«

Arthur berührt Manning am Arm. »Es hat überhaupt nichts zu bedeuten«, versichert er ihm. »Es ist passiert. Es war nicht sehr schön, aber danach war es vorbei. Ich verlor jedes Interesse an Pferderennen. Mr. Carter schien danach sogar an seinen eigenen Pferden keinen Gefallen mehr zu finden. Später, nachdem er gestorben war, stimmte Mrs. Carter mir zu, dass es keinen Sinn hätte, einen Stall auf dem Anwesen stehen zu lassen. Also ließen wir ihn abreißen. Mrs. Carter wollte den Platz für ihr Katzengehege nutzen. Es war noch im Bau, als sie verschwand. Und hier steht es.« Arthur weist mit beiden Händen auf das dicke Fundament des Gebäudes.

Manning hält inne, um nachzudenken und schaut auf die Uhr. »Okay, Arthur. Ich muss in die Stadt zurück. Ich danke Ihnen sehr.«

»Es war mir ein Vergnügen, Mr. Manning. Wenn ich Ihnen in irgendeiner Weise behilflich sein kann, wissen Sie, wo Sie mich finden.«

Sie schütteln sich die Hände und treten unter dem Dachvorsprung vor, um sich auf den Weg zu Mannings Auto zu machen. Sie sind erst ein paar Schritte von dem Katzengehege entfernt, als Manning noch einmal zurückschaut. Der längere der beiden Flügel steht da, wo der Stall gestanden haben muss, das alte Ziegelfundament wurde genutzt. Der kürzere Flügel jedoch wurde auf einem neuen, massiven Fundament aus Zement errichtet.

Bei Nachruf Mord

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