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Geht’s auch ein bisschen einfacher?
ОглавлениеWarum müssen Ärzte und Psychologen immer so kompliziert reden?
Jana, 12 Jahre
Im Folgenden geben wir die Aufzeichnungen über Schmerz und Schmerzgedächtnis des 13-jährigen Jonas ohne Kürzung wieder, um die Zusammenhänge noch etwas eindrücklicher darzustellen.
Jonas, 13 Jahre
»Im Hinterkopf befindet sich ein so genanntes Schmerztor, durch das alle Schmerzen geleitet werden. Wenn man wie ich oft und lange Schmerzen hat, wird dieses Schmerztor ausgebaut und reagiert immer empfindlicher auf Schmerzreize. So kann es nach einiger Zeit passieren, dass jemand einen eigentlich leichten Schmerz als furchtbare Qual empfindet, weil die Schmerzgrenze herabgesetzt wurde und die Schmerzempfindlichkeit sehr zunimmt. Außerdem kommt es dazu, dass es im Gehirn eine Art Schmerzgedächtnis gibt, in dem sich das Gehirn das Schmerzsignal merkt und regelmäßig Schmerzen angibt, ohne dass es im Körper noch eine organische Ursache dafür gibt.
Eine Möglichkeit, das Schmerzgedächtnis in Gang zu setzen, sind Gefühle, die mit dem Schmerzzustand verbunden werden. Wenn man zum Beispiel wie ich sehr lange und starke Schmerzen hatte und niemand weiß, was man dagegen tun kann, fühlt man sich irgendwann sehr hilflos. Dieses Gefühl wird im Gehirn verbunden mit dem Schmerzsignal. Wenn dann später aus egal welchen Gründen ein Gefühl der Hilflosigkeit auftritt, zum Beispiel weil man eine Mathematikhausaufgabe nicht versteht oder nicht weiß, wann der Zug nach Hannover fährt oder so ähnlich, dann ist das Gehirn programmiert auf ›Hilflosigkeit gleich Schmerzsignal‹ und sendet Schmerzen.
Auf die Idee, diesen Vorgang ›cerebral‹, das heißt im Gehirn, zu untersuchen, kam man, weil man immer wieder die so genannten ›Phantomschmerzen‹ beobachtete. Man beobachtete, dass Patienten, denen zum Beispiel ein Bein abgenommen worden war, starke Schmerzen in diesem nicht mehr vorhandenen Bein hatten und darunter sehr litten. Aber es war ja gar kein Bein mehr da, das weh tun konnte. So begannen die Ärzte, diesen Vorgang zu untersuchen, und sie stellten fest, dass der Schmerzablauf nur noch im Gehirn stattfindet und dort immer wieder neu in Gang gesetzt wird. Ich habe mich öfter an verschiedene Schmerzen erinnert, und prompt hatte ich dieselben Schmerzen wie damals.
Der Schmerztherapeut hat mir erklärt, dass das dadurch kommt, dass bei den Erinnerungen das Schmerzgedächtnis neu programmiert wird und mir diese Schmerzen wieder vorgaukelt. Außerdem hat er mir erzählt, dass es bei den chronischen Schmerzen einen Teufelkreis gibt. Er funktioniert so, dass man, wenn man Schmerzen hat, selbstverständlich denkt: ›Mensch, sind die Schmerzen doof! Ich habe echt keine Lust mehr da drauf! Die hören ja nie wieder auf!‹ Dadurch steigert man sich selber durch diese ›schwarzen‹ Gedanken in die Schmerzen hinein, und sie werden stärker. Dazu kommt, dass man sich bei Schmerzen in der Regel verspannt, und diese Verspannungen sind zusätzlich unangenehm, und so wird das Schmerztor weiter sensibilisiert für die Wahrnehmung der Schmerzen. Dadurch werden sie wiederum verstärkt, und so beginnt ein unangenehmer Kreislauf.«
Jonas hatte nach einer Magen-Darm-Grippe noch einmal einen Rückschlag zu verkraften. Die Grippe hatte sein Gehirn vermehrt an die Schmerzen »erinnert« und Jonas bekam wieder Angst davor, dass die Schmerzen nicht wieder weggehen könnten. Er wendete also während der Grippe seine gelernten Antischmerztechniken an, konnte den Schmerz aber natürlich viel weniger beeinflussen als sonst. Dies wertete er als Beweis dafür, dass er wieder hilflos sei und nichts unternehmen könne. Er ging wieder nicht zur Schule und blieb einfach liegen. Da Jonas zum Glück schlau und lernfähig ist und sehr motiviert war, daran etwas zu verändern, konnte man ihm mit wenigen Tipps wiederum helfen. Mittlerweile ist Jonas nahezu schmerzfrei und genießt sein Leben.