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Abends, als sie wieder bei Aunty und Uncle waren und Belinda den Hahn kräftig aufdrehte, staunte sie wieder über die Reinheit des Wassers, das sich so stark vom sandigen Getröpfel aus der dörflichen Gemeinschaftspumpe unterschied. Sie nahm ihre asanka aus Terrakotta, deren aufwendiges Muster aus ineinander verschlungenen Rauten zum Dekor der eleganten grauen Küchenfliesen passte, und hielt die Mörserschale unter den Wasserstrahl, kippte sie so, dass flache Wellen über die Rillen schwappten.

Als sie auf der Heimfahrt vom Zoo im Tro-tro saßen, hatte Belinda sich nach Kräften bemüht, Marys mürrisches Schweigen zu genießen. Ihr Verstummen hätte eigentlich beiden Gelegenheit geben müssen, sich zu beruhigen, während sie durch Bekwai und Melcom fuhren, Belinda hätte die Muße gehabt zu begreifen, dass ihr nichts Bedrohliches mehr bevorstand. Sie hatte Mary gesagt, dass sie gehen würde, das Schlimmste war also vorbei. Marys Schweigen war jedoch alles andere als beruhigend gewesen. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, der Kiefer verkrampft, der Mund verzerrt.

Als sie wieder in Daban waren und in ihren vertrauten Alltag eintauchten, wirkte Mary eine Spur weniger unnahbar. In ihrem Zimmer packte sie die Tüten aus und stellte alles, was sie gekauft hatten, in Reihen auf ihrem Nachtschränkchen auf. Belinda zählte auf, was alles zu tun war, um das Abendessen zuzubereiten, Mary hörte zu und bestätigte jede Anweisung. Sie schlüpften beide aus ihren Kleidern und legten gleichzeitig ihre Uniform an.

Belinda spülte die asanka aus, Mary scheuerte Pfannen und Töpfe an der Kochinsel und der Abfluss gluckerte, als ein Schrei diese Rhythmen unterbrach. Darauf folgte noch ein Schrei, und Belinda spähte durch die Jalousie. Uncle stand am Pool, im flammenden Licht des Sonnenuntergangs, und warf mit einem Tilapia nach Aunty. Sie schrie und drückte sich etwas an die Brust. Uncle schüttelte den Kopf, strich sich über den kahlen Schädel und warf einen Fisch auf den Grill, dann gab er Aunty so lange Zeichen, bis sie das, was sie festhielt, herausrückte. Die Stimme, die kurz danach aus den Lautsprechern ertönte, erkannte Belinda als die von Sarah Vaughan, weil Aunty und Uncle diese CD so oft abspielten. Die Stimme breitete sich aus, glitt weg, breitete sich noch weiter aus.

»Aba! Immer machen sie diesen Krach, wenn wir uns konzentrieren müssen.« Mary hieb mit der Faust auf die Arbeitsplatte. »Wissen sie denn nicht, dass wir gern unsere Ruhe haben, wenn wir ihnen eto machen?«

Seit ihrer Ankunft in Daban hatte Uncle Belinda oft gesagt, dass er aus seinem Ruhestand das Beste machen wollte, und dabei so volltönend gelacht, wie er nur konnte. »Das Beste« bedeutete anscheinend essen, dem Trompetenmann Miles Davis oder der Singlady Sarah Vaughan lauschen, tagsüber schlafen, trinken und Schabernack treiben wie eben mit dem Fisch. Mary scheuerte weiter, Uncle nötigte die widerstrebende Aunty, mit ihm zu tanzen, und Belinda fiel es wieder einmal schwer sich vorzustellen, dass dieser Mann in London mit solch riesigen Summen hantiert haben sollte, wie es immer hieß. Bestimmt hatte er sich inzwischen stark verändert. Während sie die dicke grüne Schale von vier Kochbananen abzog, überlegte sie, ob sie sich im Lauf ihres Lebens wohl auch so stark verändern könnte. Sie warf die Schalen in den Müll und schloss aus einem Impuls heraus die Jalousie. Die blassen Kochbananen bettete sie Seite an Seite auf das Schneidebrett, wie müde Säuglinge, und zerteilte sie schnell.

»Setz schon mal das Wasser auf, me pa wo kyew

»Mach ich, Belinda.«

Belinda wandte sich den Scotch Bonnets zu, schabte mit ihrem Messer die Körner aus den Chilischoten, aber nicht alle, um den feurigen Geschmack zu erhalten, den Aunty und Uncle mochten. Sie hörte zu ihrer Freude, wie Mary vor Anstrengung ächzte, als sie den schweren Topf zum Herd trug, hörte den Kessel klicken, das Scheppern, als die Kleine den Topf auf das Kochfeld stellte, das Zischen, als sie das Streichholz entzündete, das Murmeln von kochendem Wasser und Salz, das Ploppen, als sie die Eier hineingab.

»Gib mir jetzt bitte die Kochbananen, Belinda.«

Belinda nickte und reichte ihr das Gewünschte. Sie sah zu, wie Mary die Scheiben ins Wasser gab.

»Kennst du die Geschichte?«, fragte Belinda und riss zwei Zwiebeln die Wurzeln ab.

»Wo se sɛn

»Wofür dieses eto steht.«

»Erzähl’s mir.«

»Es geht vor allem um das Ei. Das ist das Wesentliche.«

»Warum?« Mary stellte sich auf die Zehenspitzen, um an das Regal mit den Würzmitteln und großen Flaschen heranzukommen. Sie schnappte sich das tiefrote Palmöl und stellte es beiseite.

»Am Hochzeitstag wird dieses Gericht der Braut serviert, morgens vielleicht, das weiß ich nicht so genau. Und man serviert es ihr so, wie wir es Uncle und Aunty servieren. Ganz zum Schluss, wenn alles zubereitet ist – die Mischung aus zerstampften Kochbananen, gebratenen Zwiebeln, Nüssen und so weiter –, kommt ein gekochtes Ei obendrauf. Und dann beobachten die Ältesten und alle anderen die Braut. Weil sie das ganze Ei auf einmal hinunterschlucken muss. Ohne zu beißen oder zu kauen. Das Ei als Ganzes.«

»Adɛn?«

»Die Regel der Ältesten besagt: Wenn du das Ei als Ganzes zu dir nimmst, wirst du viele, viele Kinder bekommen. Aber wenn du auch nur das allerkleinste Stück abbeißt, ist es so, als würdest du von deinem ungeborenen Kind etwas abbeißen, und danach wirst du kein einziges Kind bekommen, niemals. Sagen die Ältesten.«

»Sa

»Aane. Das haben sie von jeher gesagt. Und jetzt holst du bitte die gerösteten Erdnüsse.«

Mary bückte sich zum Ofen, wedelte die Hitze weg und zog das Blech heraus. Die Erdnüsse knisterten auf der Alufolie. Belinda hackte die Zwiebeln klein und wischte sich mit der Handkante heiße Tränen ab.

»Über das, was du gerade erzählt hast, hätte ich einiges zu sagen, Miss Belinda.«

»Klar. Das würde ich gern hören.«

»Danke sehr. Zunächst mal glaube ich nicht, dass die Geschichte stimmt. Ein gekochtes Ei soll aussagen, wie viele Babys es später gibt? Nein, das finde ich unwahrscheinlich. Außerdem ist das doch grausam für eine junge Dame an ihrem Hochzeitstag, wenn sie sowieso schon mit den Nerven am Ende ist und vor allem Möglichen Angst hast. Adjei! Wozu von einer jungen Frau verlangen, dass sie vor den Augen ihres Publikums würgt und sich dann deswegen schämt? Und was, wenn sie so sehr würgen muss, dass ihr das Ei wieder hochkommt und sich auf ihrem prächtigen Kleid verteilt? Stell dir das mal vor. Wo habe ich das Salz hingetan?«

»Dein Hirn ist ein Sieb. Dort steht es. Dort, neben der Pfanne.«

»Du hast recht. Hier steht es. Und so ist es immer: Belinda weiß Bescheid; Belinda irrt sich nie.«

Die Schärfe von Marys Bemerkung hing in der Luft. Belinda hantierte mit dem Stößel, setzte ihr Körpergewicht ein, um die glitschigen Zwiebeln und Chilischoten zu zerreiben und zu vermischen. Sie hielt inne.

»Ja, mir kommt es auch komisch vor. Ich würde es wohl nicht schaffen. Mein Mund ist zu klein und eignet sich nicht für sowas. Guck mal.«

Belinda drehte sich um und riss den Mund so weit auf, wie es nur ging, Lippen und Hals taten weh, und ihr brannten die Wangen vor lauter Peinlichkeit. Mary lachte. Belinda freute sich und das Brennen ließ nach.

»Du bist so albern, Belinda.«

»Nur manchmal.«

»Stimmt. Nur manchmal.«

Mary unterbrach Belinda beim Zerstoßen, um eine Prise Salz auf die würzige Paste zu streuen, die gerade entstand. Die Kleine wischte sich die Finger ab, hustete, wie Uncle es tat, bevor er eine Anweisung erteilte, und ließ die Schultern hängen. »Ich muss mich wohl entschuldigen.«

»Nein.«

»Doch.«

»Wofür denn? Ich bin nicht böse. Wirklich nicht.« Belinda ging zum Teakschrank, um die Bratpfanne zu holen, und stellte sie auf das Kochfeld neben dem siedenden Wasser.

»Bist du wohl, Belinda. Du bist böse. Ich glaube, du hasst es, wenn man so ein großes Geschrei veranstaltet wie ich im Zoo. Das bist du nicht gewohnt. Also muss ich dich um Entschuldigung bitten. Weil ich weiß, dass du sowas hasst.«

»Ich hasse gar nichts, Mary. Hass ist sehr, sehr schlimm. Darum verletzt es mich auch so, wenn du mich mit diesem Wort in Verbindung bringst. Als du gesagt hast, du würdest mich hassen. Adɛn

»Aber so habe ich es damals empfunden. Jetzt empfinde ich es anders. Damals war ich nur ehrlich. Wär’s dir lieber, dass ich lüge wie Pinocchio? Hätte ich so tun sollen, als wäre ich richtig glücklich?«

»Nein, aber –«

»Wär’s dir lieber, wenn ich gar nicht mehr rede? Das würde mir aber schwerfallen.«

Belinda lächelte in sich hinein und hielt die flache Hand dicht über die Pfanne, um zu spüren, ob sie schon heiß genug war. Sie gab Palmöl hinein, dann prüfte sie die Konsistenz der Kochbananen und Eier im siedenden Wasser und stellte fest, dass beides noch etwas garen musste. »Im tro-tro schien es dir sehr leicht zu fallen, das Nicht-Reden, me boa

»Gar nicht.«

»Wo se sɛn

»Im Kopf habe ich lange mit dir geredet. Sehr lange.«

»Sa?« Belinda schüttete den Inhalt der asanka in die Pfanne und trat einen großen Schritt zurück, als das Öl zischte.

»Das Gespräch lief überhaupt nicht gut. Du – du hast die ganze Zeit versucht, mich irgendwie zu trösten. Das ärgerte mich. Irgendwann hatte ich es satt und holte das Eiswasser aus deiner Tasche und goss es dir über den Kopf. Auch dafür bitte ich um Entschuldigung.«

Mary verneigte sich leicht und Belinda schlug mehrmals mit einem Geschirrtuch nach ihr. Die Kleine tat so, als hätte sie einer der Schläge verletzt. Sie zog eine Schnute, blinzelte und wandte sich wieder den hohen Regalen zu, um Teller, Wassergläser, Tischsets zusammenzusuchen.

Belinda nahm die Pfanne vom Herd und kippte die frisch gebratenen Zutaten in die asanka, später würden die Kochbananen hinzukommen. Bevor sie erneut zum Stößel griff, blickte sie sich nach Mary um, die das Geschirr inspizierte, so, wie Aunty es ihnen am ersten Morgen nach ihrer Ankunft gezeigt hatte.

An diesem Morgen hatten sie sich so vieles merken müssen, als Aunty sie wie eine Königin durch Haus und Grundstück führte und dabei ihr kunstvoll geschlungenes Kopftuch tätschelte, während sie durch hallende weiße Flure, herrschaftliche Bögen und vollendete Gärten schritten, Chaiselongues, Kronleuchter und Tische mit funkelnden Glasplatten passierten. So viele Zimmer, die Mutters Neid geweckt hätten, Belinda jedoch ein flaues Gefühl im Magen bescherten. Sie erinnerte sich daran, dass Mary während der ganzen Führung auf die unmerklichen Spuren gestarrt hatte, die sie mit ihren Flipflops auf dem knarrenden Boden hinterließ, während sie selbst ständig nickte und sich Auntys Wortschwall über Bleichmittelmarken und Essenszeiten einprägte, um ihn Mary später noch einmal vorzubeten, in der Geborgenheit ihres neuen Schlafzimmers, wo die Kleine hoffentlich weniger verängstigt wäre. Als Mary nun das Silberbesteck polierte, wollte Belinda sie dafür loben und preisen. Ein tüchtiges Mädchen. Das war von großer Wichtigkeit und verdiente Anerkennung. Belinda lächelte und wollte gerade den Mund öffnen, als Mary eine Gabel fallen ließ. Die Kleine rührte sich nicht. Stattdessen blickte sie auf die Küchenschränke mit den makellosen Bronzegriffen und fing an zu reden.

»In meiner Heimatstadt, in einer Nachbarsiedlung, hatte ein Junge namens Akwesi an der Sonntagsschule mal eine Prüfung bestanden. Vielleicht war es auch ein Wettbewerb, den er gewonnen hatte. Jedenfalls bekam er einen Preis überreicht. Da lernte ich erst das dämliche Wort für das Ding, das er als Preis kriegte. Es hieß Hula-Hoop. Hu hu hu. Ich fand’s lustig. Der Junge dachte aber nur an sich. Wenn von uns Nachbarskindern jemand fragte, ob er mit dem Ding spielen darf, sagte Akwesi immer Nein.« Mary hob die Gabel auf und wischte sie sauber. »Hübsch war dieser Hula, Belinda. Sie hatten ihn aus allen Farben des Regenbogens gebastelt und sogar mit ein paar Schleifchen geschmückt. Aber es machte mir nicht so viel aus, dass ich nicht damit spielen durfte, weil ich Akwesi zugucken konnte. Er stand mitten im Hof und alle anderen Kinder klatschten und klatschten. Dann drehte er sich so schnell, dass die Farben alle hin und her wirbelten. Und wenn er sich so drehte, schlug mein Herz höher und immer höher, und ich musste wirklich lächeln. Weil – es war so schön. Wa te? Und ich dachte, nichts könnte mich froher oder glücklicher machen, als Akwesi beim Hulaspiel zuzugucken. Aber dann. Dann habe ich dich kennengelernt. Tja.«

Mary holte einen Schaumlöffel, tauchte ihn ins Wasser und nahm die zwei Eier in beide Hände. Bei der brennenden Berührung jaulte sie auf. Blies sich auf die Handflächen und hüpfte herum. Sie tippte die Eier zaghaft mit den Fingerspitzen an, um sie zu schälen. Vergeblich. Stöhnend ließ sie die Eier auf die schwarze Arbeitsplatte rollen. Draußen hielt Sarah Vaughan lange einen tiefen Ton und verklang.

Belinda straffte den Rücken, krümmte sich, streckte sich wieder. Sie nahm beide Eier behutsam mit einem zusammengeballten Küchentuch auf und drückte sie an die Arbeitsplatte, bis die Schalen Risse zeigten. Geduldig zupfte sie am ersten Ei, bis sie die ganze Schale mit einer schnellen Bewegung ablösen konnte. Mit dem zweiten Ei verfuhr sie genauso.

In der Hoffnung, dass es reichen würde, weil sie nichts anderes hatte und nichts anderes tun konnte, ging Belinda auf Mary zu und umfing sanft ihre Handgelenke, spürte die zarten Knöchelchen, auch die Insektenstiche, die sich die Kleine jüngst eingefangen hatte. Als sie Marys Handflächen umdrehte, war sie erleichtert, keine Verbrühungen zu sehen, nur ein, zwei vereinzelte Rötungen.

»Tapfer, diese Eier so schnell anzupacken, Mary.«

»Nicht tapfer. Blöd.«

Belinda ließ das Wasser im Topf brodeln und führte Mary, immer noch an den Handgelenken, zum Wasserhahn, um ihre Finger sicherheitshalber unter den kühlen Strahl zu halten. Am Spülbecken blickten die Mädchen unverwandt auf die geschlossenen Jalousien, hinter denen jetzt der Abendhimmel glühte. Tropfen rannen über die gekachelte Rückwand und Marys Hände fingen artig das Wasser auf. So verharrten beide viel länger, als nötig gewesen wäre.

Halt

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