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Wäre wohl wirklich »ratsam«, dass Amma sich »mal um ihr Zimmer kümmert«, wie am Vortag von Nana angeregt, um die glitschigen Leggings und gebrauchten Schlüpfer, die überall herumlagen. Doch während dieses Goldstück Belinda unten das Vaterunser oder sonstwas stammelte, saß Amma an ihrem Schreibtisch, legte den Kopf auf ihre spitzen Fingerknöchel und schwor sich, das Schmuckkästchen neben ihr ja nicht zu öffnen. Sie zog ihre ausgeleierten schwarzen Ärmel so tief herunter, wie es nur ging, und schob beide Daumen durch die Löcher, die sie eigens dafür eingerissen hatte. In ihrem Bauch schwappte es wieder. Sie stöhnte.

Gestern hatten sie ihre Ergebnisse bekommen: Amma wurde wie alle anderen Aufsichtsschüler mit lauter Bestnoten bekränzt. Mit dem Zeugnis in der Hand taten sie ganz überrascht und erleichtert. Danach konnten sie unmöglich nach Hause gehen. Party! Max aus der Alleyn’s School! Mit der Riesenhütte kurz vor Dulwich Village? Schon waren sie unterwegs. Max’ Papa stellte Weinkartons und Eimer voller Bierflaschen auf den langen Esstisch, bevor er seinem Sohn High Five gab und ging.

Kaum dass die Haustür zugefallen war und bevor irgendjemand protestieren konnte, schnappte sich Amma den Beaujolais. Sie flitzte in den Keller, zog ihre Chucks aus und verzog sich in eine Ecke der Bibliothek. Bis um fünf oder sechs Uhr früh die Songs von Addie Lee ertönten und man tuntige Abschiedsküsse tauschte, wäre Max’ Wohnzimmer von den Schweißschwaden kindlich geschmückter Skater und frischgebackener Camberwell-Kunststudenten durchströmt, die an ihren Latzhosen zupften und winzige Hütchen trugen, während die Jeans der prolligeren Mädchen ein appetitliches Stückchen Arschspalte freigaben; dazu die jungen Tories, mit Stella abgefüllt, volllippig, hochstirnig und für großmäulige Debatten präpariert. Denen, die nicht zu den weichen Drum’n’Bass-Klängen tanzten und baggerten, bot keines der Gespräche Substanz oder Trost. So war das immer. Und wenn man mal auf einen Menschen traf, der mit seinen Worten die Zeit aussetzen konnte, musste man ihn unbedingt festhalten. Seit Brunswick hatte es nichts Vergleichbares mehr gegeben. Die eiskalten Trimesterferien im Februar, die alles begründet hatten, schienen sehr weit weg. Amma fuhr mit den Fingern an ihrem Kragen entlang, um sich zu beruhigen.

Letzte Nacht, in der Bücherhöhle von Max’ Eltern, hatte Amma die neugierigen Frager abblitzen lassen, die den Kopf zur Tür hereinstreckten. Über ihr dröhnte die Musik, und sie trank den Wein genüsslich aus, erfreute sich an der poetischen Schwarzfärbung ihrer Zunge, griff nach Lorca, Yates, Bowen, sonst wem. Sie las sich selbst zufällig aufgeschlagene Seiten vor. Kritzelte sich die Namen von Dichtern, die sie bisher nicht kannte, auf das Handgelenk. Natürlich wusste sie, dass ihr Verhalten unmöglich war. Sie konnte nicht anders.

Amma würdigte den aufwendig geschnitzten Deckel des Schmuckkästchens keines Blicks und rieb an den verschmierten Namen. Sie nahm eine Haarklemme von ihrem Schreibtisch, saugte so lange an den Enden, bis sich die schwarzen Kügelchen lösten, und spuckte sie auf die Glasplatte: winzige Geschosse. Vielleicht hatte die letzte Nacht auch mit Belinda zu tun, mit ihrer Ankunft. Amma störte sich an der Vorstellung einer Besucherin. Keine Privatsphäre mehr. Jemand, der alles beobachten, der Fragen stellen würde. Wieder jemand, an den man denken müsste. Sie rutschte auf dem Kissen herum. Sie hätte sich mehr Mühe geben können, mit Belinda im Taxi. Schließlich hatte Amma sich manchmal sogar gefragt, wie es wäre, eine schwarze Freundin zu haben. Als sie aber vom Flughafen hierher gefahren waren, hatte Amma aus den Augenwinkeln gesehen, wie Belindas Gesicht – die riesigen Augen, der breite Mund, tatsächlich waren fast alle ihre Züge eine Spur zu groß – vor lauter Beherrschung immer wieder zuckte und sich verzerrte.

Als sie plötzlich Mums Stimme hörte, war das kein Schock. »Amma? Amma Otuo? Aden! Dein eigener Vater kommt nach Hause und du überlässt es einem Gast, ihn willkommen zu heißen. Maame; so geht das nicht.«

Amma stand auf. Nun musste sie die sichere Zuflucht ihres Schreibtischs verlassen und sich nach unten begeben, in die Gesellschaft von drei Leuten, die nicht das nötige Rüstzeug hatten, um sie zu verstehen. Und das konnte man ihnen unter Umständen nicht einmal vorwerfen. Wir sind nun mal dort geboren, wo wir geboren sind, zum Glauben verleitet, zu dem wir verleitet werden. Der zweite Teil dieser Konstruktion war besonders problematisch. Sie zog an ihren schwarzen und lila Zöpfen, um sich aus dieser Stimmung zu reißen.

»Bin gleich da, liebste Mama«, sagte Amma. Sarkasmus war die schnellste und erbärmlichste Ausflucht.

Halt

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