Читать книгу Halt - Michael Donkor - Страница 19

11

Оглавление

Tratschend wie die verhutzelten Frauen, die Belinda vor dem Costcutter-Supermarkt in der Norwood Road gesehen hatte, erzählte Mary, dass Aunty und Uncle für ihre Kinder Antoinette und Stephen kleine »Ferienhütten« neben ihrem Haus bauen lassen wollten. Belinda hätte sich daran beteiligen und Mary verraten können, dass die Otuos mehrere Wohnungen und Häuser besaßen, Häuser, die sie nicht einmal selbst benötigten, Häuser, die für Fremde gebaut worden waren. Pim-li-co. Vaux-hall. Das neueste in Clap-ham. Aber das behielt sie für sich.

Das Treppenhaus um sie herum – in einer vornehm zurückhaltenden Farbe namens »Entenei« gestrichen, wie sie inzwischen wusste – war langweilig, und so spielte sie mit dem Top, das Nana bei Monsoon für sie gekauft hatte, eine unerwartete Belohnung. Hübsch, zart und luftig. Es gehörte zu den Dingen, die Belinda ihrer Mutter höchstens nach reiflicher Überlegung zeigen würde. Als hätte sie auf dem Heimweg von der Schule Kiesel gesammelt, die wundersamerweise alle die gleiche Größe, die gleiche Form und die gleiche Farbe hatten. Es war zwar schwer, bis ins kleinste Detail vorauszusehen, wie Mutter auf etwas so Besonderes reagieren würde, aber das Ergebnis stand von vornherein fest. Es kam Belinda grundfalsch vor, sich vor der eigenen Mutter zu fürchten.

Belinda hörte auf, das Blumenmuster zu befingern. Sie hatte bemerkt, dass Mary am anderen Ende der Leitung die Sprechgeschwindigkeit gewechselt hatte.

»Und du?«

»Und ich?«

»Mach jetzt nicht den Papa-Papagei, Belinda.«

»Sagen wir’s mal so: Ich gehe ganz, ganz behutsam vor, damit es besser wird.«

»Was besser wird?«

»Mein Verhältnis zu Amma. Das ist so oder so die Hauptsache.«

»Aane! Hatte ich es dir nicht gesagt? Du bist die Größte.« Mary machte ein Geräusch, das tiefe Weisheit signalisieren sollte. »Erzähl mir mehr.«

»Viel Neues habe ich nicht zu berichten, wenn ich ganz ehrlich sein soll. Im Grunde nur, dass sie … sie hat meinen Namen gekürzt. Mir einen Spitznamen verpasst. Be. Be statt wie sonst Belinda. Nur ›Be‹. Nicht schlecht, eh?«

»Be? Wie … Bäh?«

»Na ja –«

»Klingt nach einem Baby – wie wenn sie dich kleiner machen will, als du bist. Damit sie weniger Angst haben braucht. Was hat meine Belinda nur gemacht, um der weißen Königin so viel Angst einzujagen? Ha, muss was richtig Schlimmes gewesen sein, wenn sie dir den Namen abschneidet, damit du weniger Macht hast!«

»Ich glaube, das war nett gemeint. Freundschaftlich.«

»Vielleicht. Vielleicht habe ich es falsch verstanden. Kommt manchmal vor.« Mary hielt kurz inne. »Hast du für sie auch einen eigenen Spitznamen? Für deine neue Busenfreundin oder wie immer man das nennt?«

»Nein. Gar nicht. Wie ich dir schon letztes Mal erzählt habe, reden wir kaum miteinander, und so brauche ich auch keinen Spitznamen für sie. Mich nennt sie erst seit ein paar Tagen ›Be‹. Seit sie zwischendurch doch mal den Mund aufmacht. Das lässt mich hoffen.«

»Ist ihre Zunge immer noch so verschlossen? Und du bist doch schon zwei ganze Wochen da. Kai! Dann bin ich also nicht die einzige, die Probleme hat.«

»Probleme? Was denn für Probleme?«

»Nur das Übliche. Die gleichen wie immer.«

»Was soll das heißen? Raus damit, Mary. Oder ›Mare‹. Wie hört sich das an? Gut?«

Mary atmete tief und hörbar durch.

»Soll mein ganzes Leben daraus bestehen, dass ich nur klitzekleine klitzekurze Gespräche mit dir führen darf und dann die Vogelscheiße von der Veranda kratze, und so geht das hundert Jahre weiter und dann ist mein Kopf so grau wie der von Uncle? Ist doch so. Den ganzen Tag darf ich nur mit diesem schrecklichen Spezialtuch über alle Glasflächen wischen, und das stundenlang, damit alles schön glänzt, wenn Aunty nachprüft. Von diesem Tuch kriege ich Juckreiz an den Händen, weißt du ja. Und es dauert ewig, bis man diese weißen Wasserränder weghat. Ich weiß, wie viele Stunden ich mit diesen Gläsern zubringen werde, und dann hasse ich sogar das Wasser, obwohl wir es doch alle trinken müssen, sonst sterben wir.« Mary schmatzte. »Ich warte auf nichts anderes als darauf, dass Aunty lächelt und mir sagt, damit könnte ich vorläufig aufhören und mir das Nächste auf der Liste vornehmen. Wie soll ich das ein Leben lang durchhalten? Als Roboter ohne Träume.«

Belinda drehte die Anglepoise-Lampe auf dem Beistelltisch weg, sie wollte sich nicht blenden lassen. »Du darfst eins nicht vergessen, Mary: Es ist ein großes Glück, dass wir in diesem Haus gelandet sind.«

»Glück? So empfinde ich das nicht. Ganz im Gegenteil.«

»Ich weiß, manchmal ist die Arbeit hart –«

»Manchmal? Immer. Jeden Tag sitze ich hier auf dem Boden in der Küche und versuche –«

»Du musst es dir vorstellen. So bin ich da rangegangen.«

»Was vorstellen?«

»Dir vorstellen, dass du zu den Mädchen gehörst, die damit klarkommen, auch wenn das nicht der Fall ist. Stell dir sogar vor, du gehörst zu denen, die daran richtig Spaß haben. Wenn du es als Mary nicht schaffst, musst du bei der Arbeit eben eine andere sein, eh? Wa te?« Mary brummelte. »Erzähl es mir, eh, erzähl mir, wer du sein wirst, lass uns ein bisschen spielen – wer ist das Mädchen, dem es nichts ausmacht, Haare aus dem Abfluss zu fischen? Wir könnten ihr einen –«

»Kann nur eine Verrückte sein. Das steht schon mal fest.«

»Lass uns diesem Mädchen einen Namen geben und ein Alter und eine Geschichte. Komm schon, Mary. Versuch es wenigstens. Mach die Augen zu.«

»Okay. Wenn’s dich glücklich macht.«

»Hey, Mini-Lady! Ich seh doch, dass deine Augen noch offen sind.«

»Eine Hexe! Meine Schwester ist eine Übersee-Hexe.«

»Mach sie zu!«

»Mach ich.«

»Braves Mädchen.«

»Darf ich mir den Namen selbst aussuchen?«

»Nur zu.«

»Hhmmmmmm. Ich würde sie gern Cynthia nennen. Ist natürlich viel zu weiß für mich, der Name, aber ich glaube, er klingt so, wie wenn ein Engel atmet.«

»Sehr vornehm, der Name einer richtigen Prinzessin. Okay. Okay, Cynthia. Und wie alt ist Cynthia?«

»Dreizehn. Gerade erwachsen geworden.«

»Hervorragend … Gut machst du das.«

»Danke dir.«

»Und … Sag mir: Was macht Cynthia am allerliebsten im Haushalt? Worauf freut sie sich am meisten, wenn sie morgens aufwacht?«

»Das ist schwer zu beantworten, aber … vielleicht macht es ihr richtig Spaß, Pfeffer für den Kontomire zu mahlen. Sie zerreibt ihn mit dem Stößel so gründlich, wie es nur geht, damit er so köstlich schmeckt wie nur möglich.«

»Gut.«

»Das mit den Zwiebeln macht sie auch gern. Es kommt ihr vor wie Zauberei, dass einem die Tränen aus den Augen schießen, wenn man sie schneidet, als hätte man wirklich einen Grund zum Weinen, selbst wenn man keinen hat oder sogar allerbester Laune ist.«

»Und ich weiß noch etwas über Cynthia – wenn … wenn du nichts dagegen hast, dass ich auch etwas hinzufüge?«

»Ich will mal nicht so sein.«

»Sie hat keine Angst vor nichts. Wenn sie also bis ganz oben auf die Leiter steigen muss, um die Ecken an der Decke sauberzumachen oder die Ventilatoren zu wischen, kann sie das ohne Weiteres, auch wenn sie innerlich vielleicht ein bisschen zittert. Und sie hat noch eine andere Lieblingstätigkeit: Gläser polieren.«

»Warum sollte sich das überhaupt jemand freiwillig antun?«

»Sie … Sie liebt diesen Anblick, wenn die Gläser alle in den Regalen aufgereiht sind. Und wenn dann das Licht auf die Gläser fällt, ist das für sie die reine Vollkommenheit … Wenn sie das sieht, denkt sie an den Himmel, passend zu ihrem Engelsnamen. Und ja, das Tuch tut ihren Fingern manchmal ein bisschen weh. Dieses Gekribbel ist aber ein gutes Zeichen. Es beweist, dass sie kein Faulpelz ist, im Gegensatz zu all diesen alten Männern in ihrem Dorf, die auf der Straße saufen und dann nach ihren Frauen rufen, wenn die Flasche leer ist, damit sie ihnen das Abendessen machen. Sie ist eine, die anpackt –«

»Adjei! Wir haben Cynthia kein Zuhause und keinen Heimatort gegeben! Das ist ein schweres Versäumnis. Machen wir sie zu einer Fante, wegen dieser schönen gelb-gelblichen Haut. Sie könnte aus einem Dörfchen in der Nähe von Takoradi kommen.«

»Das Wichtigste ist, dass Cynthia harte Arbeit liebt. Es macht sie stolz, dieses Gefühl, dass sie tätig ist, nicht untätig.«

»Ist sie hübsch?«

»Sehr. Miss World 2002.«

»Sie hat wunderschöne weiße Zähne, alle makellos, und ein schönes Kleid mit gemusterten Ärmeln, es war sehr teuer, es nähen zu lassen.«

»OK.«

»Und sie steht ganz gerade und aufrecht da. Und wenn sie irgendwo hingeht, tut sie das mit hoch erhobenem Kopf, und sie benimmt sich anständig, schlurft nicht so mit den Füßen über den Boden wie ich beim Gehen.«

»Ganz genau. Wenn du also das nächste Mal etwas Neues aufgetragen bekommst oder Aunty dich ruft, damit du ihr bei etwas anderem hilfst – denk dran, dass du Cynthia bist und dass Cynthia dann gleich aufspringt, mit einem strahlenden Lächeln und hoch erhobenem Kopf.«

»Ich werd’s versuchen. Auch wenn sich das ein bisschen komisch anhört. Das ist dir aber schon klar, oder? Dass es sich komisch anhört.«

»Sowas Ähnliches habe ich auch mal in Auntys Oprah-Sendung gehört. Weißt du noch? Diese schwarze Milliardärin mit dem Hals voller Schmuck?«

»Deine Aunty ist immer noch glühender Fan: GTV, jeden Tag Schlag 15 Uhr. Und ich gucke immer noch hinter der Tür mit. So viele Damen, die pausenlos jammern.«

»In der Sendung, die ich meine, sagte Oprah zu einer dieser Heulsusen: Fake it ’til ya make it

»Wo se sɛn

»Also … Wenn du lange genug so tust, als wärst du Cynthia, stellst du eines Tages fest, dass du … dass du zu Cynthia geworden bist.«

»Sa

»Glaub schon.«

»Das gefällt mir. Dass man sich so verwandeln kann, wie durch Zauberei. Erinnert mich an deine Verwandlung, wenn du mir vorgelesen hast. Erst warst du das Monster und dann warst du ein Hund und dann warst du tot. Und ich hätte dir das jedes Mal fast abgenommen. Sehr unterhaltsam. Das hast du super gemacht, echt.«

»Me da ase

»Vielleicht wär das für dich wieder das Richtige, Belinda.«

»Wo se sɛn

»Du könntest alles Mögliche machen, jetzt, wo du an diesem anderen Ort bist. Ganz andere Sachen machen als damals, als du noch hier warst. Aber du backst nur süßes Zeug und freust dich wie ein Kind, weil sie dich so nennt, wie man einen Welpen nennen würde.«

»Wie grob du bist. Schämst du dich nicht, so mit jemandem zu reden, der Geld und Zeit aufbringt, um dich anzurufen?« Belinda hatte das Gefühl, dass zwischen ihren Schulterblättern alles spannte und pochte.

»Tut mir leid. Ich. Nein, du hast recht.« Belinda hörte ein leises Scharren. »Wollen wir über was anderes reden? Meine Schwester soll nicht nur schlecht über mich denken, wenn sie den Hörer auflegt.«

Belinda sah Marys nachdenkliches Gesicht vor sich, mit tiefen Furchen, dunkel hob es sich von den hellen Wänden ab. »Na, dann erzähl mir doch noch mal von Christina Aguilera und diesen Halbhosen, die sie trägt. Das sieht bestimmt unmöglich aus. Scheußlich!«

Halt

Подняться наверх