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Obwohl Amma die Vorstellung einer »schwarzen Eva« abgedroschen fand und obwohl sie sich nicht gern zur Schau stellte, hatte sie zugesagt, an diesem Mittwochnachmittag Modell zu stehen, weil Helena sie darum gebeten hatte. So war es schon immer gewesen: Als sie noch die Prep School besuchten und Helena keine Lust hatte, bei Versammlungen neben diesem oder jenem Mädchen zu stehen oder in der Pause wieder die Krankenschwester zu spielen, trug sie ihre Bitte so beschwingt vor oder spielte so anmutig mit ihrem feinen, gelben Haar, dass man sich unweigerlich fügte. Und so saß Amma nun artig in Helenas Wintergarten in Dulwich, inmitten einer Reihe von Yucca-Palmen, und hielt einen Granny Smith hoch, auf dass Helena ihre Aufgabe für den Kunstkurs erfüllen konnte. Amma hatte zuvor noch nie für ein Porträt »posiert« und verspürte nicht den geringsten Wunsch, diese Erfahrung heißen Unbehagens zu wiederholen, bei der sie jedweden Juckreiz unterdrücken musste. Helena stand ihr gegenüber und blinzelte, als wollte sie so auf Ammas innere Ablehnung reagieren. Amma sah zu, wie sie theatralisch den Pinsel schwang und das Gemälde mit einem letzten Strich versah.

»Und jetzt die Dröhnung zur Belohnung, wie versprochen.« Helena nahm die CD von De La Soul raus und legte Bob Dylan ein, wischte sich die Hände an ihrem ausgeblichenen Babar-T-Shirt ab, griff nach der hölzernen Haschpfeife zu ihrer Linken und klopfte die Asche heraus. Dann wühlte sie in ihren Taschen. »Hat sich die dunkle Wolke immer noch nicht verzogen, ma petite sœur?«, fragte Helena und spähte in den wiedergefundenen Beutel.

»Wie meinen?«

»Ist doch klar: Du machst schon die ganze Zeit ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.«

»Du hast gesagt, ich soll ›nachdenklich dreinblicken‹, und daran halt –«

»Und wieso hast du mich bei Max dermaßen hängen lassen, hmm? Du hättest für mich da sein müssen, Mann.«

»Ich war ja da.«

»Ach komm, Am. Ich hätte deine Unterstützung gebraucht. Lavender war außer Rand und Band. Allmählich wird sie zur Lachnummer. Als hätte sie vergessen, dass sie tatsächlich – oder angeblich – Feministin ist.«

Amma drehte den Hals hin und her, bis es knackte, und legte den Apfel auf dem nächstgelegenen Bücherregal ab.

»Yeah. Hast vermutlich recht. Sicher.«

»Was?«

»Nichts. Lass uns nicht über die Party bei Max reden. Bitte.«

»Von mir aus. Kein Problem.« Helena klickte ihr Feuerzeug, nahm einen tiefen Zug und blies eine stattliche weiße Säule aus. »Du sollst nichts tun oder sagen, was dir … unangenehm wäre.«

Amma verdrehte die Augen.

»Am, ich versuche nur, nett zu sein. So, wie du dich benimmst, brauchst du gerade jemanden, der nett zu dir ist. Das willst du doch? Also gebe ich mein Bestes. Okay?«

Helena wischte sich mit ihrem Ärmel voller Farbkleckse über den winzigen Mund und gab die Pfeife weiter. Amma inhalierte noch tiefer und antwortete, während sie konzentriert ausatmete: »Im Ernst. Lass uns über was anderes reden. So untypisch es dir erscheinen mag, befällt mich gerade ein übermächtiger Drang nach Alltäglichem, meine Teure.«

»Das klingt wirklich seltsam und … widerwärtig.«

»So war das aber nicht gemeint.«

Beide Mädchen saßen schweigend da, während das milchige Sonnenlicht mit dem bläulichen Dunst spielte, der in der Luft lag. Amma legte die Pfeife neben dem Apfel ab. Sie wollte gehen, aber das wäre grausam. Sie schloss die Augen und redete sich ein, sie könne noch mal von vorn beginnen. Als sie die Augen aufmachte, stand Helena wieder vor der Staffelei und runzelte die Stirn.

»Was ist? Was hast du?«, fragte Amma.

»Du hast wirklich die ganze Stimmung dieses Bildes versaut.«

»So kurzlebig sind also Freundlichkeit und Zuwendung, wenn du –«

»Im Ernst. Als hättest du’s … infiziert, mit diesem … diesem komischen Weltschmerz.«

»Wie war das noch mal mit dem Arbeiter und seinem Werkzeug?« Amma sprang auf, mit einem leichten Schwindel, und ging zu Helena, die vor sich hin murrte: »Arbeiterin. Ihr Werkzeug.«

Auf der Leinwand erblickte Amma etwas Wildes. Triefende Streifen von schmutzigem Braun und rote Sprenkel. Nach oben hin dunklere Wellen. Zerschrammte Stellen, vielleicht mit dem spitzen Ende des Pinsels hineingekratzt. Mum würde sich direkt davor stellen und jammern, sie könne nicht erkennen, was hier die Frucht sein sollte, was ein Bein, was ein Auge. Auf Amma wirkte der Strudel feuchter Farben, dieses Verschwommene und das bedrohliche Gefühl, es könne sich verwandeln oder wachsen, vollkommen vertraut. Sie lachte in sich hinein.

»Was ist denn so lustig?«

»Nichts. War nur so ein privater Gedanke. Tut mir leid.«

»Warum teilst du den Gedanken nicht mit? Wäre doch nur fair.«

Helenas Stirn und ihre Augenbrauen arbeiteten so heftig, dass sich das glitzernde Bindi löste, das sie neuerdings trug. Amma hob es auf, reichte es ihr. Helena drückte sich den Punkt akkurat wieder auf die Stirn. Dann prüfte sie ihr Spiegelbild in einer der Scheiben, und Amma fiel auf, wie beglückt sie aussah. Wie leicht dieses Glück zustandekam.

»Wann hattest du am meisten Angst?«, fragte Amma.

»Komische Frage.«

»Sag schon.«

»Warum willst du das wissen?«

»Was sträubst du dich so, ma chérie

Helenas gerötete Augen blitzten. »Als ich glaubte, ich würde ertrinken. Aber das weißt du doch. Also willst du etwas –«

»Macht nichts. Erzähl einfach weiter.«

»Okay. Ich muss so acht gewesen sein. Mum war damals mit diesem gruseligen Cellisten zusammen.«

»Ach der. Mit den Zähnen und den Fingernägeln.«

»Wir waren zu dritt in Cornwall. Er war noch nie dort gewesen und Mum freute sich wie ein Kind, ihm alles zu zeigen und bla bla bla. Irgendwann mal nachmittags waren wir am Strand und ich schwamm im Meer. Gar nicht so weit draußen, weil ich ja ein braves Mädchen bin und die Regeln kenne –«

»Stimmt genau.«

»Und dann hatte ich einen Krampf, er wand sich irgendwie um mein Bein, es fühlte sich an wie zusammengepresst. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war. Es war grauenhaft. Ich schluckte Wasser. Ich schrie. Mir kam es vor wie Stunden, aber das ist in solchen … solchen Krisenmomenten immer so, oder? Dass die Zeit sich dehnt? Ich wette, in Wahrheit dauerte es nur fünfzehn Sekunden oder so, bis der Cellist kam und mich aus dem Wasser holte. Und so war er immerhin zu etwas gut.« Helena lachte auf und nahm einen anderen Pinsel.

Amma gefiel nicht, was sie da gerade machte – dass sie ihrer Freundin eine Leistung abverlangte, mit der sie sich selbst etwas beweisen wollte, etwas, was sie bereits erkannt hatte, ohne dass diese Erkenntnis irgendeine Veränderung bewirken könnte. Die Wahrheit drängte sich aber auf, als Amma sah, wie begeistert Helena erzählte und sich die Einzelheiten in Erinnerung rief. Mit Angst ging Helena locker um, vielleicht, weil sie später darüber sprechen konnte. Amma konnte das, was sie preisgeben wollte, nicht so unbekümmert erzählen. Konnte sich damit keine Späße erlauben.

Als Helena ihr die Pfeife anbot, hustete Amma und schüttelte den Kopf. Sie kehrte zum Rattansessel zurück und nahm den Apfel in die Hand. »Okay, lass uns weitermachen. Saß ich eben so?« Amma versuchte, die Pose von vorhin wieder einzunehmen. »Oder so?«

»Was, jetzt? Machen wir weiter? Ich komme ja gar nicht hinterher.«

»Oder eher so? So?«

Mit feierlichem Ernst reinigte Helena ihren Pinsel in trübem Wasser, schniefte und seufzte, was Amma jedoch nur mit halbem Ohr hörte, weil sie die Hochglanzhaut des Apfels betrachtete und sich fragte, wie Helena wohl reagieren würde, falls sie die drei weichen braunen Stellen eindrückte: drei winzige Dellen von widerwärtiger Empfindlichkeit.

Halt

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