Читать книгу Unterricht ist Beziehungssache - Michael Felten - Страница 7
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ОглавлениеDie Wichtigkeit der pädagogischen Beziehung ist schon früh von einzelnen Philosophen und Gelehrten erkannt und bedacht worden. Da bis in die Neuzeit aber nur die wenigsten Menschen öffentlichen Unterricht genießen durften, sind solche Stimmen zum Lehrer, seiner Rolle und dem pädagogischen Verhältnis rar. Eine ist die bereits angerissene des schweizerischen Humanisten Erasmus von Rotterdam (1469–1536): »Der erste Schritt beim Lernen ist die Liebe zum Lehrer«. Erasmus [14]stellte dies aber nicht einfach fest, er erklärte auch, warum es so bedeutsam sei: »Im Verlauf der Zeit wird es gewiß geschehen, daß der Knabe, welcher die Wissenschaften um des Meisters willen zu lieben begonnen hatte, später an dem Meister um der Wissenschaft willen hängt.« Hieraus erwachse nun aber für Lehrer eine gewisse Verpflichtung zu freundlicher Grundhaltung – damals anscheinend nicht selbstverständlich: »Es gibt aber einige [Lehrer] von so unliebenswürdigem Wesen, daß nicht einmal ihre Frauen sie gerne zu haben vermögen […].«3
Hier wird allerdings lediglich das anthropologische Grundprinzip intergenerationaler Ausrichtung vorweggenommen. Was der Begriff ›Beziehung‹ indes genau meint, was sich abspielt im Verhältnis zwischen Wissendem und Reifendem und welche erzieherische Haltung für welches Entwicklungsziel die angemessenste wäre – solche Fragestellungen bedurften der Aufklärung, die das Kind als besonderes, eigenständiges Wesen erkannte. In seinem pädagogischen Hauptwerk Émile oder Über die Erziehung (1762) formulierte Jean-Jacques Rousseau erstmals die Notwendigkeit einer autonomen Lehrperson und der spezifischen pädagogischen Beziehung. Diese müsse getragen sein vom Wissen des Erwachsenen um die Charakteristika der kindlichen Entwicklungsphasen und die Bedeutung des Lernens durch Erfahrung.
Hermann Giesecke (21999)4 hat nachgezeichnet, wie unterschiedlich dies von verschiedenen Erzieherpersönlichkeiten im 19. Jahrhundert interpretiert wurde. Der Schweizer Pestalozzi etwa sah seine Zöglinge quasi als Geschwisterkinder einer großen Familie, er praktizierte in seinem Waisenhaus in [15]Stans eine fürsorgliche, beinahe pathetische Väterlichkeit. Dem Italiener Bosco galten alle Kinder zunächst einmal als Geschöpfe Gottes, in seinem Turiner Oratorium bemühte er sich vor allem um liebevolle Akzeptanz. Der Russe Makarenko dagegen nahm in der Gorkij-Kolonie die ursprünglich verwahrlosten Jugendlichen als Kollektivmitglieder wahr, sich selbst betrachtete er als distanzierten Leiter und professionelles Vorbild. Alle hatten sie indes eine Gemeinsamkeit: das klar hierarchisch geordnete Verhältnis von Erzieher und Zögling.
Dies änderte sich mit der reformpädagogischen Wende um 1900: Kinder wurden jetzt nicht mehr als Objekt gutgemeinter Bemühungen gesehen, sie gewannen neuen Stellenwert als Subjekt, als gleichwertiges Gegenüber. Das zeichnete sich bereits in der deutschen Jugendbewegung ab, die das Kind als kleinen Kameraden bzw. Genossen ansah, aber auch bei der KPD, in der Kinder als zukünftige Klassenkämpfer fungierten. Auch der Pädagoge Korczak im Warschauer Waisenhaus Dom Sierot begriff sich nur noch als liebevollen Arrangeur günstiger Umstände für unterdrückte Menschenkinder. Am radikalsten drückte sich diese Subjektorientierung in A. S. Neills Schule Summerhill aus: Er lehnte jede von außen an das Kind herangetragene Erziehungseinwirkung ab; lediglich therapeutische Einwirkung auf Schwierige akzeptierte und vollzog er.
Erst mit der Aufklärung also wurde das Band, die Bindung, die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler(n) allmählich zum Gegenstand genaueren Erfassens und begrifflicher Präzisierung. Heute können wir uns auf Modelle aus (geistes)wissenschaftlicher Pädagogik und Psychologie im 19. und 20. Jahrhundert ebenso stützen wie auf aktuelle Befunde aus Neurowissenschaften und empirischer Unterrichtsforschung.