Читать книгу Orgasmus gegen Taschengeld - Michael Helmschneider - Страница 4
ОглавлениеKapitel 2
Als Charly gegen 9.30 Uhr schlaftrunken in die Küche gewackelt kam, hatte ich schon alle Arbeiten erledigt. Der Geschirrspüler lief heute bereits zum zweiten Mal, die leer getrunkenen Flaschen von gestern hatte ich sortiert und zum Abtransport in eine Klappbox gestellt, und der Esstisch war ebenfalls wieder sauber und lud zu einem neuen Mahl ein.
Unser Sohn Matze saß am Frühstückstisch und durchblätterte gelangweilt die Tageszeitung. Matze war das Ebenbild von Charlys Vater Karl-Heinz, eine Sache, die mich immer wieder faszinierte. Hätte es sich bei den Fotos, die meinen Schwiegervater als 23-jährigen Jüngling zeigen, nicht um schwarz-weiß Fotografien gehandelt, wüsste man nicht, wer von beiden auf dem Foto zu sehen ist: Karl-Heinz Rieling oder sein Enkel Matthias Rieling.
Matzes Schwester, unsere 21-jährige Tochter Nadja, sah niemandem aus der Familie ähnlich. Meine beste Freundin Bianca hatte schon mehr als einmal gescherzt, mit wem Nadja wohl mehr Ähnlichkeit hatte: Mit dem Postboten oder mit dem Klempner. Klempner – Rohre verlegen; jetzt wusste ich wieder, was mir gestern Abend im Bett gekommen war und worüber ich heute mit Charly sprechen wollte.
„Schläft Deine Schwester noch?“ fragte ich Matze, der gerade die Todesanzeigen in der Zeitung studierte. Mein Sohn begann zu grinsen. „Sagen wir’s mal so: Sie liegt noch im Bett, schlafen tut sie allerdings nicht mehr.“ Charly, der gerade die Portionskaffeemaschine bediente, blickte Matze stirnrunzelnd an. Erst jetzt erinnerte ich mich, dass Nadjas Freund Nico nach der gestrigen Geburtstagsfeier über Nacht geblieben war. „Aha.“ sprach ich. „Und woher weißt Du das?“ Matze verdrehte die Augen. „Ich habe Ohren, Mama. Und meine Schwester ein sehr lautes Organ. Und: Mein Zimmer befindet sich direkt neben ihrem.“ Matze schob die Zeitung zusammen und legte sie wieder auf den Tisch. Er kippte den letzten Rest aus seiner Kaffeetasse hinunter und erhob sich vom Tisch. „Ich bin dann mal bei Leo.“ sagte er, und verschwand aus dem Esszimmer. Leo war Matzes Kumpel und der Ex-Ex-Ex-Ex-Ex-Freund von Nadja.
Charly ließ sich auf seinen Stuhl am Esstisch plumpsen und stellte geräuschvoll seine Kaffeetasse ab. „Na, wie geht es uns denn heute?“ fragte ich mit einem schadenfrohen Grinsen in meinem Gesicht. Charly winkte ab und schielte in seinen Kaffee.
„Sag mal, Charly …“ begann ich rumzustottern „… was meinst Du, was unsere Nadja und dieser Nico wohl jetzt gerade machen?“ Charly sah mich erstaunt an. „Keine Ahnung.“ „Denkst Du, Matze hatte Recht mit seiner Vermutung?“ fragte ich weiter. „Mit welcher Vermutung denn?“ „Na ja, dass die beiden … Du weißt schon … noch im Bett liegen aber nicht schlafen.“ Charly starrte an die Decke. Er war kreidebleich und sah aus, als würde er gleich erneut ein Ticket für den Porzellanbus lösen. „Ob die beiden Sex haben, meine ich.“ Charly verzog sein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ist Dir schlecht, Charly?“ Keine Reaktion. Dann schluckte er und atmete tief durch. „Ich glaub, ich bin über den Berg. Hast Du eine Kopfschmerztablette für mich, Marianne?“
Wütend erhob ich mich vom Tisch und ging hinüber an das kleine Sideboard, in dem sich unsere Hausapotheke befand. Hätte Charly gestern nicht so viel gesoffen, wäre er jetzt vielleicht ein bisschen aufnahmefähiger für das Gespräch, das ich ihm aufs Auge drücken wollte. Nadjas und Nicos Sexualverhalten wäre so ein schöner und passender Einstieg in das Gespräch gewesen, das ich jetzt mit Charly führen wollte. Ich legte ihm die Kopfschmerztabletten neben seine Kaffeetasse. Noch wollte ich nicht aufgeben.
„Ist es Dir überhaupt recht, wenn unsere Tochter unter unserem Dach mit ihrem Typen einfach so … rumvögelt?“ fragte ich.
Charly warf sich die Kopfschmerztabletten ein, spülte einen großen Schluck Kaffee hinterher und begann zu lachen. Ich wusste nicht, was ich von seiner Reaktion auf meine Frage halten sollte. „Unsere Tochter ist 21 und nicht 12! Lass sie doch!“ Jetzt wusste ich, wie ich meinen Mann anpacken konnte. „Ja ja, Du hast ja Recht!“ sagte ich. „Und wir sind auch noch keine 100!“ Charly runzelte erneut die Stirn. „Wie meinst Du das jetzt?“ „Verflucht!“ dachte ich mir. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen und wäre vor Scham im Erdboden versunken. „Na ja … ich meine … wie soll ich das jetzt sagen … wir sind auch noch nicht … sooo wahnsinnig alt. Ist Dir aufgefallen, dass wir beide – also Du und ich – schon ewig lang keinen Sex mehr hatten?“ Ich wurde nervös und mein linkes Augenlid begann zu zucken – wie immer, wenn ich nervös wurde. Charly begann sanft zu lächeln. Er lächelte mich so liebevoll und zärtlich an, wie er es schon lange nicht mehr getan hatte. „Ach Marianne …“ sprach er und nahm meine Hand. „… wir kommen auch schon langsam ins Alter. Ich bin ein alter Mann, ich werde bald 50!“
„Ein alter Mann?“ fragte ich mich und begann nachzurechnen. Charly war jetzt 47. Jopi Heesters starb mit 108 Jahren, im vergangenen Jahr war der älteste Mensch – ein japanischer Mann – im Alter von 116 Jahren gestorben.
Charly trank in kleinen Schlucken seine Kaffeetasse leer und war mit seinen Gedanken weit, weit weg. Doch ich wollte noch nicht aufgeben.
„Manchmal glaube ich, Du findest mich gar nicht mehr attraktiv.“ sprach ich vorwurfsvoll zu meinem Mann. „So ein Unsinn.“ raunte er. „Du bist die attraktivste Frau, die ich kenne.“
Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr. Mein Mann fand mich attraktiv, wollte aber nicht mehr mit mir schlafen. Sollte wirklich das Alter der Grund dafür sein?
„Hättest Du nicht mal wieder gerne Sex mit mir?“ Charly sah mich mit offenem Mund an. „Wie? Jetzt?“ „Nein, nicht jetzt. Irgendwann halt. Egal wann. Hauptsache wir machen es mal wieder. Hast Du denn daran wirklich gar kein Interesse mehr?“
Charly strich sich über seine Mundwinkel. Unser Gespräch war ihm sichtlich unangenehm. Er räusperte sich. „Weißt Du Marianne …“ sprach er kleinlaut „… wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, bin ich meistens immer total erledigt. Ich will dann einfach nur noch meine Ruhe haben. Ein bisschen fernsehen, gemütlich ein oder zwei Bier trinken, und dann auch irgendwann ins Bett gehen.“ „Und am Wochenende?“ fragte ich schnippisch. Charly überlegte. „Na ja, da hab ich meistens im Haus viel zu tun. Immer wieder muss dieses und jenes repariert werden. Und im Sommer dann der Garten und so. Und irgendwann will man es sich doch auch einfach mal vor dem Fernseher gemütlich machen.“
Charlys Gesichtsausdruck begann sich mit einem Mal zu verändern. „Was ist denn plötzlich in Dich gefahren, dass Du auf einmal so auf Sex aus bist?“ herrschte er mich an. „Hast Du jetzt mit 45 Jahren auf einmal ein Problem mit dem Alter, oder was? Oder hast Du Deine Tage, oder kommst Du in den Wechsel? Ich würde mal zum Arzt gehen!“ Wütend erhob sich Charly vom Tisch und ging – mit der Kaffeetasse in der Hand – hinüber ins Wohnzimmer, wo er in seinem Fernsehsessel Platz nahm.
„Hätte ich bloß nichts zu ihm gesagt!“ dachte ich mir. „Zum Arzt soll ich gehen – so ein Schwachsinn!“ Ich war den Tränen nahe. „Soll er doch zum Arzt gehen und sich Viagra verschreiben lassen, der alte Mann! Wahrscheinlich will er keinen Sex mehr, weil er keinen mehr hoch kriegt!“ Ich begann, den Frühstückstisch abzuräumen. Als ich gerade die Butter in den Kühlschrank stellte, betraten Nadja und ihr Freund Nico die Küche. Beide wirkten glücklich und befriedigt. „Guten Morgen Mama!“ frohlockte Nadja bestens gelaunt. Sie drückte mir einen dicken Kuss auf meine Wange. Sie glühte richtig, wahrscheinlich hatte Nico ihr gerade einen hammermäßigen Orgasmus verbraten. „Sind noch Brötchen da? Nico und ich haben einen Wahnsinns-Hunger!“ „Ja, den hätte ich auch, wenn ich beim Sex so viel Kalorien verbrannt hätte, wie ihr beiden!“ dachte ich mir. Frustriert servierte ich meiner Tochter und ihrem Nico voller Neid das Frühstück.