Читать книгу Orgasmus gegen Taschengeld - Michael Helmschneider - Страница 5
ОглавлениеKapitel 3
Vier Tage später – es war ein wunderschöner Montag im September – hatte ich mich mit meiner besten Freundin Bianca in unserem Stammcafé verabredet.
Bianca war seit jeher meine beste Freundin, sie war dieses Jahr im Juni 45 Jahre alt geworden. Sie hatte damals ein Jahr nach mir geheiratet und sich zwei Jahre später von ihrem Mann Helmut – der äußerlich natürlich stark an Terence Hill erinnerte – wieder scheiden lassen. Helmut hatte ein Alkoholproblem und im Suff jedes Mal grundlos und leider genauso gnadenlos auf Bianca eingeprügelt wie der blauäugige Terence Hill in seinen Prügel-Komödien. Für Bianca hörte hier der Spaß allerdings auf. Sie hatte mir oft erzählt, wie froh sie war, dass in den drei Jahren ihrer Ehe ihr Kinderwunsch unerfüllt geblieben war. Sie hatte sich nach der Scheidung von Helmut nie mehr nach einem Mann umgesehen – zumindest nach keinem, den sie beabsichtigt hätte zu heiraten. Bianca war Single, glücklicher Single. Und obwohl es auch derzeit keinen festen Partner in ihrem Leben gab, hatte sie etwas, was ich nicht hatte: Sex. Ich wusste nicht, wie sie es schaffte, ständig neue Typen ins Bett zu kriegen. Bianca war immerhin nicht mehr die Jüngste. Zugegeben, sie war trotz ihrer 45 Lebensjahre noch immer eine attraktive Frau. Sie war eine gepflegte Erscheinung und hatte kurzes, blondes Haar, wodurch sie leicht burschikos wirkte. Ihre Figur konnte man durchaus als sportlich bezeichnen, und sie hatte wohlgeformte Brüste und den schönsten und knackigsten Hintern, den ich kannte. Das Auffälligste an Bianca waren jedoch ihre wunderschönen blauen Augen, die wie zwei Sterne aus ihrem Gesicht leuchteten.
Wir setzten uns an unseren Stammplatz, einen kleinen Tisch am Fenster. Nachdem Bianca einen Cappuccino und ich ein Kännchen Kaffee geordert hatten, begannen wir, über die Arbeit zu sprechen. Bianca arbeitete als Krankenschwester im örtlichen Krankenhaus, ich ging dem Beruf der Altenpflegerin nach. Wir sprachen über unsere Kollegen, Patienten, Heimbewohner, und schließlich über Charly und meine Kinder.
„So so, dann hat also Deine Nadja wieder mal einen Neuen.“ lachte Bianca und nahm einen Schluck von ihrem Cappuccino. „Na ja, was soll’s, sie ist noch jung. Und sie soll bloß nicht den gleichen Fehler machen wie ich, und den erstbesten Mann heiraten, der ihr über den Weg läuft. Sie soll sich austoben, soll herausfinden, wer am besten zu ihr passt – auch sexuell.“ Ich sah meine Freundin entgeistert an. „Du hast Helmut geheiratet, weil er aussah wie Terence Hill! Schon vergessen?“ Bianca entfuhr ein tiefer Seufzer.
„Charly war auch mein erster Freund, und sexuell hat es von Anfang an gepasst. Meine Mutter und mein Vater hätten mich wahrscheinlich gevierteilt, wenn ich so viele Typen angeschleppt hätte wie meine Tochter.“ Ich rührte nachdenklich mit dem Löffel in meinem Kaffee. „Aber ich hab ja damals auch nicht wissen können, wie sich das alles mal entwickelt.“ „Wie meinst Du das jetzt?“ fragte Bianca verwundert. Ich leckte meinen Löffel ab und legte ihn auf der Untertasse ab. „Ich meine … was gut ist, muss ja nicht immer gut bleiben.“ Ich wusste nicht so recht, ob ich Bianca von meiner sexuellen Misere erzählen sollte. Es war mir irgendwie peinlich. Ich schämte mich plötzlich für meinen Schlappschwanz von Mann. Dabei konnte ich mit Bianca seit jeher über alles reden, natürlich auch über Sex. Doch schließlich konnte ich mich überwinden. Ich musste es meiner besten Freundin einfach erzählen, weil mich dieses Thema sehr belastete. Besonders seit meinem Geburtstagswochenende.
„Sag mal Bianca, was würdest Du machen, wenn Du über viele Jahre hinweg mit einem Partner liiert wärst, der auf einmal keinen Sex mehr mit Dir möchte?“ „Was?“ fragte sie entgeistert. Ich verdrehte die Augen. „Du hast mich doch verstanden! Was Du machen würdest, wenn Dein Partner keinen Sex mehr mit Dir will, Du aber sehr wohl hin und wieder mal eine Nummer schieben wollen würdest.“ Bianca dachte angestrengt nach. „Du willst mir also sagen, dass Du und Charly nicht mehr so oft Sex habt wie früher?“ Ich atmete genervt durch. „Charly und ich haben überhaupt keinen Sex mehr. Und zwar seit ziemlich genau anderthalb Jahren!“ Bianca musste nach Luft schnappen. „Um Gottes Willen Marianne! Das ist ja furchtbar! Und warum?“ „Ich weiß es nicht. Ich hab ihn am Sonntag darauf angesprochen. Er sagte, dass er abends nach der Arbeit immer so müde sei und nur noch seine Ruhe haben wolle. Und an den Wochenenden muss er immer so viel im Haus und im Garten arbeiten. So ein Schwachsinn! Das einzige was er macht, ist, dass er hin und wieder den Rasen mäht und ab und zu mal eine kaputte Glühbirne auswechselt. Aber weißt Du, was das Schärfste ist: Er hat gesagt, er werde allmählich zu alt für Sex!“ „Wie bitte?“ Bianca fiel aus allen Wolken. „Ich hab ja schon öfter mal gehört, dass die Libido im Alter bei den Frauen zunehmen soll, während sie dagegen bei den Männern angeblich abnimmt. Aber ich bitte Dich: Charly ist 47 – und nicht 107! Er interessiert sich überhaupt nicht mehr für mich! Er erzählt mir irgendeinen Schwachsinn, dass ich nach wie vor die attraktivste Frau bin, die er kennt, aber anstatt mich einmal ordentlich durchzunehmen, macht er es sich lieber in seinem Fernsehsessel bequem. Der Fernseher ist ohnehin sein Heiligtum. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre er nicht mit mir, sondern mit seinem beschissenen Fernseher verheiratet!“
Bianca nahm erneut einen Schluck von ihrem Cappuccino. „Sieht er sich dann Pornos an, oder was?“ „Nein! Er hat an Sex kein Interesse mehr, auch nicht an Pornos! Er sieht sich irgendeinen Scheißdreck an – was weiß ich. Irgendeinen Müll eben. Kannst Du Dir überhaupt vorstellen, wie das ist, wenn einem die Schachtel juckt und der Mann sich lieber Tatort oder Das perfekte Promi-Dinner ansieht? Das ist doch nicht normal!“ Bianca musste lachen, was mich wütend machte. „Ich finde das nicht witzig! Ich hab schon daran gedacht, mir einen Vibrator zu kaufen und es mir selbst zu machen, während mein Gatte mit einem Bier in der Hand in seinem Fernsehsessel versinkt und sich an Let’s Dance ergötzt.“ „Und warum tust Du’s nicht? Ich hab Dir doch damals zu Deinem 40. Geburtstag einen Vibrator geschenkt!“
„Erstens habe ich dieses merkwürdige Teil damals als Juxgeschenk verstanden, und zweitens: Ich will keinen Vibrator benutzen, weil ich einen Mann habe und kein pubertierender Teenager mehr bin.“ Ich leerte meine Kaffeetasse mit einem Zug und schenkte mir aus meinem Kännchen nach. „Ich komme mir total untervögelt vor! Wie so eine alte Schachtel! Und soll ich Dir was sagen: Sogar bei uns im Altenheim gibt es Menschen, die auch im hohen Alter noch sexuell aktiv sind. Ich hab Dir doch mal von dem uralten Ehepaar erzählt. Sie ist 93 und er 96, und jeden Tag besteht sie auf Sex. Meine Kollegin hat die beiden doch mal in flagranti im Badezimmer überrascht!“ „Ekelhafte Vorstellung.“ meine Bianca angewidert. „Aber die beiden haben mit über 90 noch Sex. Und ich bereits mit 45 nicht mehr!“
Meine beste Freundin begann erneut nachzudenken. Sie zuckte mit den Schultern. „Also wenn Du Sex willst, Dein Mann jedoch nicht, und Du kein Spielzeug zu Hilfe nehmen möchtest, dann gibt es nicht mehr viele Möglichkeiten.“ „Wie meinst Du das?“
„Ich meine, dass Du Dich nach einem anderen Mann umschauen könntest.“ „Was??? Ich soll meinen Ehemann betrügen???“ „Jetzt führ Dich doch nicht gleich so auf! Was ist denn schon dabei? Erstens weißt Du nicht, ob Charly Dich nicht auch betrügt. Denn wenn er gar keinen Sex mehr mit Dir will, sieht es für mich ganz danach aus.“ „Nein, das glaube ich nicht.“ entgegnete ich.
Bianca verdrehte die Augen. „Und zweitens: Liebe und Sex kann man trennen. Viele Frauen halten sich einen oder mehrere Liebhaber. Ab und zu treffen, Spaß zusammen haben, und dann wieder getrennte Wege gehen. Da ist doch nichts dabei!“ „Dir ist schon klar, was Du da sagst? Ich habe Familie. Und ich bin seit 26 Jahren verheiratet. Ich kann doch jetzt nicht damit anfangen, meinen Mann zu betrügen!“ „Herrgott Marianne, wir leben im 21. Jahrhundert und nicht mehr im Mittelalter, wo Frauen, die das sechste Gebot missachtet haben, auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Du lebst nur einmal, und dieses Leben solltest Du genießen! Wer weiß was morgen kommt.“
„Nein, das kann ich meiner Familie nicht antun.“ sprach ich kleinlaut. „Und warum nicht? Alle haben ihren Spaß. Nur Du nicht! Nadja hat Spaß mit ihrem Nico, Matze hat bestimmt auch seinen Spaß, und Charly macht sich vor dem Fernseher ein schönes Leben. Nur Du sitzt heulend in Deinem Bett und träumst davon, wie es wäre, mal wieder einen Orgasmus zu haben.“ Tränen rannen über meine Wangen. Ich nahm ein Papiertaschentuch aus meiner Handtasche und schnäuzte mich geräuschvoll.
„Du tust ja gerade so, als hättest Du noch laufend Sex.“ klagte ich Bianca an. Meine beste Freundin begann zu grinsen. „Ich habe auch laufend Sex. Wenn ich Sex will, dann bekomme ich ihn. Und zwar schneller, als Du denkst.“ Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.
„Hast Du einen Freund, von dem Du mir noch nichts erzählt hast?“ „Nein, keinen Freund. Aber Männer für Sex kann man heutzutage wie Sand am Meer finden.“ Ich winkte ab. „Ich bin nicht der Typ, der in Discos oder Kneipen abhängt, nur um sich irgendeinen Kerl aufzureißen. Aus dem Alter bin ich raus.“ „Wer redet denn von Discos oder Kneipen? Internet macht’s möglich!“ „Internet?“ fragte ich skeptisch.
„Na klar! Das Internet ist voll von Websites, auf denen Menschen jeden Alters erotische Kontakte knüpfen. Klar sind da manchmal auch Spinner dabei. Aber ich habe bisher bestimmt 90 Prozent meiner Sexbekanntschaften über das Internet kennengelernt.“
„Ist das nicht gefährlich?“ meinte ich. „Warum soll das denn gefährlich sein? Ich hab erst vor Kurzem mit einem Typen – ich glaube er hieß Vincent – ein paar Mails hin und her geschrieben, ein paar Bilder ausgetauscht, und dann haben wir uns auf einen Kaffee getroffen.“ „Wo denn?“ wollte ich von Bianca wissen. „In einem Café in der Stadt. Wir haben uns gut unterhalten, haben gemerkt, dass die Chemie stimmt, und ich bin mit zu ihm gegangen. Und soll ich Dir was sagen: Es war der Wahnsinn!“ Mit einem Glänzen in ihren Augen lehnte sich Bianca zurück und schwelgte offenbar in der Erinnerung an die Nacht mit Vincent.
„Und auf welcher Internetseite hast Du diesen Vincent kennengelernt?“ bohrte ich nach. Bianca begann zu überlegen. „Keine Ahnung. Es gibt ein paar gute Seiten im Netz, auf denen man Männer nur für das Eine kennenlernen kann.“
„Also ich weiß nicht.“ entgegnete ich zweifelnd. „Mag schon sein, dass Du bisher Glück hattest, aber … das ist doch irgendwie der blanke Wahnsinn!“ „Und warum bitte, wenn ich fragen darf?“ „Weil auf solchen Websites nur Psychopaten unterwegs sind! Das hört und liest man doch immer wieder! Total kranke Vergewaltiger, Sexgangster mit einem psychischen Totalschaden! Die können Dir doch in ihren E-Mails noch so viele nette Sachen schreiben. Und wenn Du diesen Psychos dann in der realen Welt begegnest, stellen sie die schrecklichsten Dinge mit Dir an, bringen Dich um und zerstückeln Dich! Oder verspeisen Dich vielleicht sogar noch, wie dieser Kannibale, der mit seinen Opfern Sex hatte, sie bei furchtbar perversen Spielen zu Tode gefoltert und anschließend aufgegessen hat!“ „Sag mal spinnst Du?“ „Gerade auf so verzweifelte Frauen im reiferen Alter wie uns haben die es oft abgesehen!“ Ich war zutiefst entsetzt darüber, dass meine beste und langjährige Freundin Bianca ihre erotischen Kontakte über das Internet herstellte.
„Also erstens bin ich im Gegensatz zu Dir nicht verzweifelt. Und zweitens: Es ist doch wirklich nichts dabei! Natürlich gibt es im Internet jede Menge Spinner, aber wenn Du über ein Mindestmaß an Menschenkenntnis verfügst, checkst Du doch schon vor einem realen Treffen, ob der Kerl ein Psycho ist oder nicht. Und ich hatte bisher wirklich nur Glück mit meinen Männern!“
Ich dachte nach. Obwohl ich es sehr bedenklich fand, was Bianca so trieb, hatte sie mich neugierig gemacht. Dieses umständliche Geflirte in Bars oder Kneipen hatte mich schon in jungen Jahren immer genervt. Und wenn man dann endlich einen gutaussehenden Typen an der Angel hatte, konnte man ja auch nicht wissen, wie er tickte. Rein theoretisch konnte man beim Weggehen auch an einen Kerl geraten, der beispielsweise Gefallen an Dingen findet, die eigentlich ins Klo gehören. Oder der beim Sex auf qualvolle Demütigungsspiele steht und einen schlägt und auspeitscht. Wenn man von seinem erotischen Partner schon vorher weiß, was er will, wird man hinterher keine bösen Überraschungen mehr erleben, dachte ich mir. Und wo man sich einen Typen fürs Bett aufgabelt – ob in der realen oder in der digitalen Welt – ist doch vollkommen egal, wenn beides zum gleichen Ergebnis führt.
Doch war ich tatsächlich schon so weit – und vor allem so verzweifelt – dass ich einen solchen Schritt tatsächlich wagen sollte? Ich betrachtete meinen Ehering. Charly trug seinen Ehering schon seit vielen Jahren nicht mehr, weil er ihm zu eng geworden war. Ich begann an meinem Ehering herumzuspielen. Ich hatte Charly damals vor dem lieben Gott ewige Liebe und vor allem Treue geschworen. War ich tatsächlich bereit, diesen Schwur zu brechen? Charly hatte andererseits damals den gleichen Schwur geleistet. Und was war nun mit der Liebe – vor allem mit der körperlichen Liebe? Immer mehr war ich der Ansicht, dass die Vernachlässigung von ehelichen Pflichten des einen Ehepartners zu neuen Rechten des anderen Ehepartners führen darf.
„Was sind denn das genau für Internetseiten, auf denen Du nach Männern suchst?“ „Ich hab eigentlich immer nur drei Seiten, die ich besuche, wenn ich mal wieder gewisse Bedürfnisse verspüre. www.schreib-und-treibs.de, www.schnackselstube.de, und www.ero-markt.de. Letztere ist meine Lieblingsseite. Bei den beiden anderen muss man sich anmelden und ein Profil anlegen und solchen Scheißkram. Ist aber für Frauen kostenlos. www.ero-markt.de ist eine Website, auf der man alles Mögliche zum Thema Sex und Erotik bestellen kann. Also Spielzeug, Wäsche, erotische Filme und Magazine – all das Zeug, das Du in der realen Welt in einem Sexshop kaufen kannst. Nur dass diese Website noch eine Art erotisches Forum enthält und einen erotischen Kontaktanzeigenmarkt. Und dort hab ich bisher die besten Typen gefunden.“
www.ero-markt.de – diese Website wollte ich mir mal merken. „Warum auch nicht?“ fragte ich mich. Man kann ja im Internet schließlich mal ein bisschen gucken. Das ist ja nicht verboten, und moralisch verwerflich ist es auch nicht, wenn man sich nur ein bisschen umschaut.
Bianca und ich tranken mehr oder weniger schweigend unsere Tassen leer. Ich hatte noch keine Ahnung, welche Folgen die Erkenntnisse des heutigen Tages für mich haben würden. Und wie sich mein Leben in absehbarer Zeit dadurch verändern würde.