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Kirchensteuer und 1933
ОглавлениеDie Geschäftspartnerschaft von Kirche und Staat hat die Besonderheit, dass der Juniorpartner Kirche sich so entwickelte, dass er den Anspruch hatte, der Seniorpartner mit Führungsanspruch zu sein. Frage: Wer ist in der »Pole Position« Nummer 1, der Staat oder die Kirche? Das ist eigentlich ganz einfach zu beantworten. Man betrachte sich ein Bild von der Krönung Kaiser Karls im Jahr 800 in Rom: Wer steht bei der Kaiserkrönung und wer kniet? Das ist eindeutig: Der Kaiser kniet.
Im Kölner Dom wird die lange Geschäftsverbindung von Kirche und Staat mit zwei Kirchenfenstern gewürdigt. Das eine zeigt Bonifatius, den Apostel der Deutschen, und das andere Kaiser Karl, genannt der Große, der den Zehnten zur Kirchenfinanzierung einführte. Die moderne Form davon ist: Die Kirchensteuer.
In der Weimarer Nationalversammlung musste 1919 die Frage der Staatskirche geklärt werden, und man entschied sich für das Konzept von »Freier Staat und Freie Kirche«, das heißt der institutionellen und finanziellen Trennung. Zur Sicherung der kirchlichen Bedürfnisse wurde dann in der Weimarer Reichsverfassung die Kirchensteuer im Deutschen Reich eingeführt. Da der Staat sowieso die bürgerlichen Steuerlisten bearbeitete, wurde ab 1920 vereinbart, dass der Staat nach der eingereichten Steuererklärung auch die Kirchensteuern berechnen sollte.
In dieser Geschäftspartnerschaft von Kirche und Staat gab es kein »Schummeln« zwischen Kirchenmitglied und Kirchen über die zu zahlende Steuer. Das Ganze funktionierte als »Vergangenheitssteuer«, da ja erst die staatliche Steuer festgesetzt werden musste, bevor die Kirchensteuer zum Zuge kam. Das wurde dann 13 Jahre später verbessert.
Vom Reichsfinanzminister wird im September 1933 angeordnet, dass auf der Lohnsteuerkarte, die 1925 eingeführt worden war, ab 1934 ein Religionseintrag vorzunehmen wäre. Das war nach der Weimarer Reichsverfassung verfassungswidrig. In Artikel 136 Absatz 3 heißt es: »Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.« Das hat aber die Nationalsozialisten nicht interessiert.
1949 wurde dieser Artikel der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz übernommen und so blieb – auf Wunsch der evangelischen Kirche und der USA – der Eintrag der Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteuerkarte bestehen. Vom Bundesverfassungsgericht sind bisher alle Klagen dagegen abgewiesen worden mit der Begründung: Dies sei nur ein marginaler Eingriff in die Grundrechte und für das staatliche Inkasso notwendig. Dieser Eingriff macht die Kirchensteuer sehr effizient, und es ist ein finanzverfassungsrechtliches Unikum auf der Welt, dass der Staat als Inkassounternehmen für eine nicht-staatliche Organisation tätig wird.
Durch diesen Eintrag auf der Lohnsteuerkarte wird die Kirchensteuer zur »Gegenwartssteuer«. Nur die wenigsten Kirchenmitglieder kennen die genaue Höhe ihrer Kirchensteuer, da sie im Vergleich zu den Sozialversicherungs- und Krankenkassenbeiträgen eher gering ist.
Was heißt das für die Geschäftspartnerschaft Kirche und Staat? Für das staatliche Inkasso erhalten die Finanzbehörden rund drei Prozent des Kirchensteueraufkommens. Das sind rund 300 Millionen Euro. Der Staat erspart dadurch den Kirchen eigene Kirchensteuerämter, deren Kosten sich auf rund 2,4 Milliarden Euro belaufen würden. Ersparnis der Kirchen: rund 2,1 Milliarden Euro. Die kostenlose Berechnung durch die Arbeitgeber (in der gleichen Größenordnung wie die Staatspauschale) spart rund 300 Millionen Euro. Die Summe der Stützungsmaßnahmen beläuft sich somit auf rund 2,4 Milliarden Euro. Als ein konfessionsfreier Unternehmer sich weigerte, diese Kirchensteuerberechnung durch seine Buchhaltung vornehmen zu lassen, ging der Instanzenzug sehr schnell bis zum Bundesverfassungsgericht, und das entschied: Der Arbeitgeber habe das zu tun, da es sich nicht um eine Pflicht gegenüber den Kirchen, sondern gegenüber dem staatlichen Fiskus handele.