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Kirche: Beste Geschäftsidee
ОглавлениеDamit können Rücklagen gebildet werden, von denen Industriekonzerne nur träumen können. Plausible Schätzungen nennen für beide Amtskirchen eine Größenordnung ihres kirchlichen Vermögens von 300 bis 400 Milliarden Euro. Ihr Grundbesitz beläuft sich dabei auf rund 830.000 Hektar, ihnen gehören, zusätzlich zu den Kirchengebäuden, rund 87.000 Immobilien.
Ist das nun eine spezifische deutsche Situation? Die Antwort ist: Ja und Nein. Die Größenordnung in anderen Ländern ist zumeist eine andere, und die innige Geschäftspartnerschaft mit dem Staat in Deutschland ist insofern einmalig. Aber um nur einige Beispiele zu nennen: Für die Konfessionsschulen gibt es aus Steuergeldern in Österreich 453 Millionen, in Deutschland 2,3 Milliarden, in Italien 530 Millionen und in Spanien 4,4 Milliarden Euro. Für Religionslehrer zahlt der Staat aus Steuergeldern in Österreich 253 Millionen, in Deutschland 1,7 Milliarden, in Italien 500 Millionen und in Spanien 600 Millionen Euro.
Für die USA haben Brian und Melissa Grimm eine empirische Analyse zum »Sozio-ökonomischen Beitrag der Religion für die amerikanische Gesellschaft« vorgelegt (Interdisciplinary Journal of Research on Religion, Vol. 12, 2016). Sie untersuchten verschiedene Teilbereiche und kommen zu einer Gesamtschätzung von 1.159,2 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr, als die zehn größten Industrieunternehmen der USA (einschließlich Microsoft, Amazon und Google) zusammen auf dem US-Markt umsetzen.
Das muss natürlich alles beschützt und organisiert werden. Wie jede Organisation, die politisch etwas zu ihren Gunsten bewirken will, pflegen auch die Kirchen ihren Lobbyismus. Dafür haben die Kirchen ihre Lobby-Büros in Berlin und in den Landeshauptstädten.
Oberkirchenrat Hermann Kalinna, von 1977 bis 1994, also 28 Jahre lang, stellvertretender Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Bonn, hat das einmal auf den Punkt gebracht: »Staat und Kirche sind jedoch zu komplexe institutionelle Gebilde, als dass man ihre Kontakte und Beziehungen auf einen Begriff bringen könnte. Dabei sind vorgegeben das komplexe staatskirchenrechtliche System und die ungeschriebenen Regeln des Umgangs. Die Beherrschung beider ist wichtig, damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Man muss es noch ein zweites Mal lesen: »… damit das Verhältnis Staat-Kirche nicht der Steuerung durch die Kirchenleitung entgleitet.« Das hat er nicht hinter verschlossenen Türen geäußert, sondern so steht es – für jeden nachlesbar – im »Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland«.
Wie steht es nun um den Erfolg des kirchlichen Lobbyismus in Deutschland? Die Bewertung dessen möchte ich einem der kompetentesten Insider überlassen. Er sagte zum einen: »Wir sind die einzigen Lobbyisten, die alles auf dem Schirm haben«, und zum anderen: »Unser Erfolg beeindruckt manchmal auch die Bankenlobby oder die Atomlobby.« Das sagte Prälat Dr. Karl Jüsten, als Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe der katholische Chef-Lobbyist in Berlin.
Mit Goethe hatte dieser Beitrag begonnen, mit dem Geheimrat soll er auch schließen:
»Die Kirche hat einen guten Magen, / Hat ganze Länder aufgefressen, / Und doch noch nie sich übergessen; / Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen, / Kann ungerechtes Gut verdauen.« (Goethe, Faust. Der Tragödie erster Teil, 1808. Spaziergang, Mephistopheles zu Faust) Und: »Die Kirche liegt in ewigem Streit mit dem Staat, der ihr die Oberherrschaft nicht zugestehn will.« (Goethe, Autobiographisches. Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 1811, 3. Teil, 11. Buch)