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Bob Dylan

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Wir wollten unser Publikum direkt ansprechen - rational wie emotional - direkt rein in Herz und Hirn. Das sollte aber keine Einbahnstraße sein - wir als Verkünder oben auf der Bühne und unten die Gläubigen im Publikum.

Wir wollten Interaktion, Kommunikation, Austausch! Zu diesem Zweck gaben wir nach dem Konzert unsere Bühne frei für ambitionierte Hobbymusiker. Jeder, der sich traute, durfte unsere Instrumente benutzen und etwas zum Besten geben.

Heute schien dieser Trick unsere einzige Chance zu sein, überhaupt ein nennenswertes Interesse zu erzeugen. Offenbar war man hier in der Provinz noch nicht bereit für unsere Botschaft. Nach dem höflichen Schlussapplaus kam also wie gewohnt unser Angebot:

„So, liebe Freunde - und jetzt - offene Bühne! Wer von euch kann Gitarre spielen, singen oder irgend etwas vortragen? Wer traut sich? Nur Mut - es muss nicht perfekt sein!“

Ein langhaariger Typ mit Fleischerhemd kam auf die Bühne und nahm Krokants Gitarre in Empfang. Er probierte ein paar Griffe, die etwas verstimmt klangen. Vielleicht war er bei der Übergabe der Gitarre an die Stimmwirbel gekommen. Er störte sich nicht daran sondern übernahm sofort das Ruder:

„Hallo Leute - was wollt ihr hören?“

„Bob Dylan! schrien die Leute im Chor.“

Der Guitar Hero zierte sich nicht. Schon ging das Intro los: "How many roads must a man walk down".

Es klang eindeutig verstimmt, aber das interessierte niemanden. Der Lokalmatador konnte ganz gut singen, allerdings klang es etwas wie eine Bob-Dylan-Stimmimitation.

Die Leute klatschten sofort im Takt mit. Am Ende des Stückes ein Gebrüll, auf das wir nicht mal zu hoffen gewagt hatten. Schon begann der nächste Song.

Eine Viertelstunde begeisterte der Mann im Alleingang die Leute mit seiner Bob-Dylan-Stimme. Wir standen etwas betreten im Hintergrund herum. Das hatten wir nicht erwartet. Wir hatten an Texten gefeilt, uns über Harmonien und Rhythmen den Kopf zerbrochen und wochenlang an unseren Songs geprobt.

Nun kam hier ein Typ und kochte uns ab. Mit Null Aufwand und einer verstimmten Gitarre! Ich hasste ihn. Ich hasste Bob Dylan.

Einige Wochen später sah die Situation anders aus. Der echte Bob Dylan war in der Stadt. Bob Dylan in Ostberlin! Wirklich!

Ich ging aber nicht hin, ich hasste ihn. Er spielte im Treptower Park. Ich saß in meiner Wohnung im Friedrichshain und ärgerte mich, dass ich mir nicht die Mühe gemacht hatte, eine Karte zu ergattern. Immerhin konnte man hier eine lebende Legende live sehen. Er hatte sicherlich tolle Musiker dabei.

Plötzlich hörte ich Musik in unserem Hinterhof. Es war nicht ganz deutlich, aber jetzt konnte ich es erkennen: "How many roads..." Der Wind musste so günstig stehen, dass tatsächlich die Klänge des Livekonzertes bis zu mir geweht wurden. Der Typ ist allgegenwärtig, dachte ich. Das ist übernatürlich. Ich konnte alle Songs erkennen, die er spielte.

Im Hof erhob sich eine Stimme: der Suffke aus dem Erdgeschoss. Er lebte in seiner eigenen Welt. Er schrie etwas in den Hof:

„Mach doch mal det Radio leiser!“

Er fühlte sich gestört von Bob Dylan. Für mich war das eine kleine, eine mickrige Genugtuung.

Am nächsten Tag erfuhr ich von Leuten, die dagewesen waren, dass Bob Dylan keine Lust gehabt und die Fans tief enttäuscht hatte. Nicht eine Zugabe, nicht ein Wort ans Publikum. Offenbar hatte er das Konzert nicht als Chance gesehen, Ostberlin zu rocken, sondern als lästige Pflicht. Ich hasste ihn.

Bunte Luft

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