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Erntedankfest

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Keiner wusste, wie wir zu diesem Job gekommen waren. Erntedankfest auf einem Kuhdorf nördlich von Berlin. Nachmittags! Wir hatten ein bisschen Angst - völlig zurecht, wie sich herausstellte. So naiv waren nicht, dass wir hofften, die Bauern mit unserer Message infizieren zu können.

Ein riesiger Kultursaal mit großen Fenstern, die bis zum Boden reichten. An langen Tischreihen saßen die zu bespaßenden Bauern und Bäuerinnen. Vor einem der Fenster war die Bühne aufgebaut. Die Sonne schien rein und beleuchtete uns hell - allerdings von hinten. Die Leuchtstoffröhre an unserem Bühnen-Sonnenschirm konnte dem nichts entgegensetzen. Es war klar, dass das Publikum nur unsere Silhouetten sehen würde. Vielleicht ganz gut, wenn man uns nicht erkennt, dachten wir. Hier konnte es eindeutig nur um Schadensbegrenzung gehen. Der Schaden war noch nicht angerichtet, aber das würde gleich passieren.

Mit einer verbindlichen Ansage versuchte ich, das, was gleich kommen würde schon im Voraus zu relativieren. Ich schlug einen schwiegermuttertauglichen Ton an:

"Schönes Wetter heute - ein wunderbarer Tag für das Erntedankfest! Es darf getanzt werden! Erleben Sie nun den Geheimtipp aus der Hauptstadt - die Band Stadtschwein! "

Freundliches Lachen, Schenkelklopfen. Die dachten, jetzt käme ein bunter Nachmittag mit Kabaretteinlagen. Sie wurden eines Besseren belehrt:

Er nennt sich Number One

Hat ´n Job in der Betonfabrik

Macht auf Punk und steht auf unsre Musik

Doch Number One soll zur Armee

Jeden Tag sitzt er und wartet

Auf des Briefträgers Gang

Jeden Tag ohne Karte

Ein Tag Freiheit für Number One

Die Bauern schauten sich unschlüssig an. Vielleicht hatten sie ja einen Witz nicht mitbekommen. Sie versuchten es vorsichtshalber noch mal mit Applaus. Es war der letzte Applaus in diesem Set. Nach dem zweiten Song hatten alle gemerkt, dass von uns nichts zu erwarten war. Nichts von dem, was hier erwartet wurde. Mir kam der Satz in den Sinn: "Die Mutti ist nicht böse, nur sehr, sehr enttäuscht." Hier war auch keiner böse. Noch nicht. Ich sah, dass der Saal nicht nur mit Getreidegarben geschmückt war, sondern auch mit harten Gegenständen wie Mistgabeln und Dreschflegeln. Jede Ansage, die ich machte, diente nur dem Zweck, die Leute zu besänftigen und uns den Fluchtweg freizuhalten.

In der Pause berieten wir:

„Können wir nicht einfach sowas wie Country Roads spielen?“

„Nicht aus dem Stand. Haben wir ja nie geprobt. Der Song hat einen kniffligen Mittelteil. Wenn das nicht klappt, wird alles nur noch schlimmer.“

„Und Bob Dylan?“

Ein Tabuthema war angerissen. Ich unterdrückte meine Bob-Dylan-Phobie. Selbsterhaltungstrieb ist stärker als Musikgeschmack. Wir spielten zwei Titel von Bob Dylan: „Knockin´on Heavens Door“, das hatte nur vier Harmonien, da konnte nichts schiefgehen. Der zweite Song war „Blowing in the Wind“ - das Lied, das jeder Lagerfeuer-Gitarrist kann. Die Bauern merkten, dass wir keine Bösen waren und ihnen wirklich nicht den Nachmittag versauen wollten. Wir bekamen freies Geleit. Ich war versöhnt mit Bob Dylan.

Bunte Luft

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