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Besuch

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Zu meiner Türklingel hatte ich ein zwiespältiges Verhältnis entwickelt. Sie konnte Verheißung bedeuten oder auch Bedrohung - das war am Geräusch kaum zu unterscheiden. Heute klang sie eindringlich, aber nicht humorlos.

Beim Öffnen der Tür schreckte ich zurück: Was da vor der Tür stand, war eindeutig humanoid, aber dennoch befremdlich. Es war ein Neandertaler oder etwas sehr Ähnliches. Sein Haaransatz verlief kurz über den Augenbrauen. Das Haar war so lang wie die Bartstoppeln: zirka vier Millimeter. Er kannte wohl die Wirkung, die er auf Fremde hatte und grinste mich an:

„Hallo - bist du Mick? Ich bin Hades.“

Eine zweite Gestalt im Dämmerlicht des Treppenhauses hatte ich fast übersehen.

„Das ist Krokant. Er spielt Gitarre. Ich bin Trommler. Du bist Mick?“

Leugnen war sinnlos, mein Name stand an der Tür. Ich nickte.

„Hallo Mick - hast du in den nächsten Jahren schon was vor - wir suchen einen Bassmann.“

Ich brauchte eine Weile, um diese Informationsfülle zu verarbeiten. Es hörte sich mehr nach Verheißung als nach Bedrohung an.

„Wenn du nichts dagegen hast - wir kommen mal rein.“

Meine Bude hatte keinen Flur. Mit dem Schritt über die Schwelle stand man sofort in der Küche. Ohne weitere Formalitäten enterten die beiden auch mein Allerheiligstes, mein Schlaf-, Feier-, Übe-, Grübel-, kurz gesagt: mein Wohnzimmer. Ich deutete ein paar gastgeberische Bewegungen an und räumte mein Bettzeug zusammen, das noch warm war. Die beiden Fremden setzten sich aufs Bett. Der Gitarrist war ein stämmiger Typ mit einem Jungengesicht. Er schien ein besonderes Verhältnis zu seinen Händen zu haben. Die Fingernägel seiner rechten Hand waren sehr lang.

„Also - Krokant spielt eine super geile Gitarre - er hat es drauf! Ich hoffe, du hast es auch drauf?“

Ich hatte bis jetzt noch kein Wort gesagt. Der Monolog des Neandertalers hatte sich erschöpft. Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt dran wäre.

„Ja, was soll ich sagen - irgendwer muss euch ja erzählt haben, dass ich es drauf habe – sonst würdet ihr jetzt nicht auf meinem Bett sitzen, stimmts?“

Er lachte. Sein Lachen ging an wie eine Lampe. Es stand in krassem Gegensatz zu seinem Äußeren. Seine gesamte Gesichtshaut verschob sich dabei nach oben. Die Stirn legte sich in Falten. Seine Augen bekamen einen leicht irren Ausdruck, wie bei einem Steuerprüfer, der zwei fickende Hunde beobachtet. Das Eis war gebrochen. In wenigen Sekunden hatte mich Hades für sich eingenommen.

„Gut. Du hast es also drauf. Das ist gut. Kurzum: Wir haben einen Proberaum bei der Kirche. Wir haben eigene Songs mit eigenen Texten. Mit wirklich guten Texten. Und das sage ich nicht, weil ich sie selbst geschrieben habe, das ist einfach Fakt. Was uns noch fehlt, ist der Bass. Wenn du mitmachst, sind wir eine komplette Band.

Stell dir vor: Ruhm und Ehre, Kohle ohne Ende. Und Mädels, die dich sonst nicht mal mit dem Arsch ansehen würden. Alles klar?“

Fragend schaute er mich an. Der Gitarrist sortierte seine Finger.

Ich tat so, als würde ich das Für und Wider abwägen, als gäbe es Alternativen. Dabei wäre ich vor Freude am liebsten an die Decke gesprungen. Mein Part bestand einfach darin, dass ich nicht nein sagte. Hades hätte mich nicht mit Geld und Frauen ködern müssen. Ich wollte Musik machen, das war alles.

Wir verabredeten uns zu einer Probe. Dann schüttelten wir uns die Hände, und die beiden waren wieder weg. Ihr Besuch hatte nicht länger als zehn Minuten gedauert. Etwas benommen stand ich in meiner Küche. Mir fiel ein, dass ich gerade erst aufgestanden war. Ein Kaffe wäre jetzt das Richtige. Während das Wasser kochte, führte ich ein kleines Freudentänzchen auf.

Bunte Luft

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