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Der Wahnsinn der Optimierung

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ML: In vielen Unternehmen gehört es zum guten Ton, sich als Mitarbeiter ständig verbessern zu wollen. Wer sich nicht optimiert, gilt als unprofessionell. Mir wird immer wieder berichtet, dass Mitarbeiter in Gesprächen mit ihren Vorgesetzten sehr forsch und kränkend auf „Optimierungspotenziale“ hingewiesen werden.

HG: „Hat diese Person Potenzial?“ Eine scheinbar logische Frage, wenn es um verfügbare „Humanressourcen“ geht – und doch so verletzend, eigentlich entwürdigend. Sprechen wir so von Menschen? Womit rechtfertigt sich dieser durchaus übliche Optimierungsdruck, der sich auf eine fast ausschließlich ökonomische Bewertung von Personen richtet? Ausschöpfen, ausreizen, optimieren – ein irrationaler Wille zur permanenten Steigerung scheint uns anzutreiben. Glück gibt es in dieser Konzeption nur im Immer-Mehr, Immer-Besser, Immer-Schneller und Immer-Erfolgreicher. Paradoxerweise gilt gleichzeitig aber auch ein Immer-Entspannter und Immer-Cooler als maßgebliches Lebensdiktat.

Die damit ständig vermittelte Mangelerfahrung drängt zu einem Entwicklungs-, Erlebnis- und Konsumimperativ. Ein gnadenloses „Du musst!“ Der einzelne Mensch findet sich in einem trostlosen Optimierungsstress wieder, der alle Lebensbereiche erfasst, selbstverständlich auch die Freizeit. Selbst Kinder bleiben davon nicht verschont – ihre Zeit ist nahezu systematisch verplant: Fußball, Ballettunterricht, Schach, Chinesisch lernen, Gymnastik, Klavier, reiten … Diese Überfrachtung nimmt ihnen die heilsamen Momente des Alleinseins und des Leerlaufs.

ML: Die Eigen- und Fremdausbeutung ist in allen Bereichen präsent. Wir machen uns auf diese Weise zum Objekt. Sich selbst oder andere zum Objekt zu machen bedeutet immer, sich und anderen Gewalt anzutun. So einfach ist das. Faktum ist, dass kein Mensch eine „eierlegende Wollmilchsau“ ist. Das bedeutet, dass keiner auf jedem Gebiet gut sein kann. Die Energie, die wir zur Optimierung nützen, fehlt uns möglicherweise in anderen Bereichen.

Die Optimierung ist der Feind des Optimalen. Sie ist die Karotte vor der Nase, die man nie erreicht. Es ist naheliegend, dass man Menschen leicht in Abhängigkeit bringen kann, wenn man ihnen vermittelt, dass das, was sie machen, nie optimal ist, sondern stets optimiert werden müsse. So versklavt man freie Menschen und kann sie für die eigenen Ziele missbrauchen und manipulieren. Die Optimierung ist ein subtiles Folterinstrument und repräsentiert die dunkle Seite des Kapitalismus.

HG: Die permanente Optimierung der Karriere gehört hier dazu – muss doch die eigene Biografie eine Erfolgsgeschichte sein! Dem Diktat der Selbstoptimierung wird nicht selten auch der private und intimste Lebensbereich unterworfen. Zuerst trifft es meist den Körper – er muss optimal sportlich, durchtrainiert, attraktiv und sexy sein. Für viele ist es selbstverständlich, den eigenen Body zu schinden, bis die optimale Form erreicht ist. Ja, der vielfältige Körperkult verlangt seine Opfer. Dieses Diktat der Selbstoptimierung macht auch vor dem Spirituellen nicht halt – manche Meditationstechniken sind einem subtilen Leistungsdenken verpflichtet. Das Versprechen lautet, dass sich durch entsprechende spirituelle Praxis und Übung ein höheres Maß an Zufriedenheit und beruflichem Erfolg einstellen würde.

ML: Grundsätzlich ist bei aller berechtigten Kritik, die wir vorgebracht haben, gegen die Selbstoptimierung nichts zu sagen, finde ich. Es ist durchaus positiv, wenn Menschen etwas aus sich machen wollen. Sich und anderen Anreize zu setzen, um sich zu entwickeln, ist keineswegs verwerflich, ganz im Gegenteil. Was aber auffällt, ist die hemmungslose Neigung zur Selbstinstrumentalisierung, die dadurch zu entstehen droht. Der optimierte Mensch macht sich selbst zum Werkzeug, mit dem er seine Ziele verfolgt. Nicht die Selbstoptimierung als solche, sondern die Verstrickung ist das Problem. Wir verlieren in der Selbstoptimierung den eigenen Kompass.

HG: Du hast Recht. Ich möchte mit meiner Kritik am Optimierungswahn auch nicht einer bloßen Bequemlichkeit das Wort reden. Es ist in jedem Fall notwendig, an sich zu arbeiten und sich selbst zu fordern, um das Beste geben zu können. Einen unbeteiligten Schongang möchte ich nicht heiligsprechen. Dennoch sehnen wir uns nach dem Punkt, wo wir uns nicht mehr krampfhaft selbst erfinden und vor anderen präsentieren müssen.

Das letzte Gemälde Rembrandts, das sich bei seinem Tod 1669 fast fertig auf der Staffelei befand, trägt den Titel „Simeon und das Jesuskind“. Rembrandt war müde und erschöpft von der Misere seiner letzten Jahre. 1642 starb seine geliebte Frau Saskia. Das Einzige, was ihm blieb, war sein geliebter Sohn Titus, der jedoch 1668 mit 27 Jahren verstarb. Auf dem Bild liegt ein Baby auf den Armen des greisen Simeon, dessen Hände jedoch unter dem Kind hindurch nach etwas anderem zu greifen scheinen. Offensichtlich hat sich Rembrandt mit diesem Gemälde auf seinen eigenen Tod vorbereitet. Er hat in seiner Zeit die Möglichkeiten der Malerei unablässig optimiert und mit einer höchst erfolgreichen Werkstätte neue Maßstäbe künstlerischer Produktion gesetzt. In bitterer Armut beendet er sein Leben, aber reflektiert es mit dem biblischen Ereignis der „Darstellung des Herrn“. Er sieht sich im Bild des greisen Simeon, der sein Leben lang auf diese entscheidende Begegnung mit dem Messias gewartet hat: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du allen bereitet hast, ein Licht, das alle erleuchtet.“ (Lk 1,29f.) Ein lichtvoller Abschied, nicht wahr?

ML: Ähnlich habe ich die ungeheure Erleichterung von Menschen erlebt, die endlich aus der Optimierungsnotwendigkeit aussteigen konnten. In erster Linie sind es Menschen, die gegen den Tod angekämpft haben und die, als sie erkannten, dass es keinen Sinn mehr hatte, nicht verzweifelt, sondern erstaunlich gelöst wirkten. Aber auch jenseits einer solch existenziellen Situation gibt es ähnliche Phänomene: Mir kommen zwei Personen vor das geistige Auge, die beide in ihren Firmen von Vorgesetzten gequält wurden, beide Führungskräfte, die den Optimierungsansprüchen ihrer Chefs kaum standhalten konnten. Als sie schließlich ihre Arbeit verloren, wirkten sie trotz der objektiv misslichen Situation entspannt und erleichtert.

HG: Erleichtert, obwohl sie ein Opfer der üblichen Optimierungslogik wurden. Vielleicht ist gerade diese Niederlage für sie zur Chance geworden. Was zählt denn letztlich? Wir kennen allzu gut die Versuchung einer vorschnellen Abrechnung, einer „endgültigen“ Lebensbilanz. Sie ist gefährlich, denn sie fällt entweder übertrieben selbstherrlich aus oder ist durchwachsen von Vorwürfen gegenüber Personen und Institutionen, die uns aus unserer Sicht um einen optimalen Erfolg gebracht haben. Die anderen sind schuld, dass es nicht optimal gelaufen ist. Auch eine übertriebene Selbstanklage kann Resultat einer eigenmächtigen Lebensbilanz sein. Was bleibt, ist eine bittere Trostlosigkeit. „Alles umsonst!“ Der selbsterrechnete Saldo ist nicht zufriedenstellend. Darf ich ein typisches Beispiel aus dem Tiroler Umfeld nennen? Ein für heutige Ansprüche optimaler Tourismusbetrieb wurde mit höchstem Einsatz aufgebaut, aber niemand von der Nachkommenschaft hat Lust, ihn weiterzuführen. Die neue Generation setzt ihre eigenen Prioritäten. Ist deshalb alles umsonst?

Das lateinische Wort für „umsonst“ lautet frustra. Frustrierte sind immer in Gefahr, entweder in ihrer selbstverliebten oder in ihrer selbstvernichtenden Bilanz stecken zu bleiben. Die wirklich relevante Lebensbilanz wird jedoch Gott ziehen. Das ist meine Überzeugung. In seiner nachhaltigen „Ökonomie“ geht nichts verloren. Nichts von dem, was wir an Herzblut und Lebensmühe investiert haben, war umsonst. Hundertprozentig wird sich „auszahlen“, was wir ohne Fixierung auf einen sichtbaren und sofort nachweisbaren Erfolg mit einer guten und ehrlichen Intention ausgesät und „investiert“ haben. Wie diese Lebenssaat letztlich aufgeht und die Früchte aussehen werden, wissen wir nicht.

Trost

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