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1. Geltungsbedürfnis
ОглавлениеHast du schon einmal darüber nachgedacht, dass es Dinge gibt, die wir einfach können, ohne sie lernen zu müssen? Nach unserer Geburt muss man uns zum Beispiel nicht beibringen, wie man lacht oder weint. Wir können von Anfang an Freude, Trauer, Angst oder Zorn empfinden. Einfach so. Das ist ziemlich faszinierend, oder? Wir kommen jedoch nicht nur mit sogenannten „Grundemotionen“ zur Welt, sondern auch mit Trieben und Instinkten. Zu denen gehören beispielsweise Hunger und Durst. Sie gewährleisten, dass unser Körper am Leben bleibt. Das ist nur logisch, und selbstverständlich hast du das schon gewusst. Wusstest du jedoch auch, dass zu unseren Trieben ebenfalls das Geltungsbedürfnis gehört? Man nennt es nicht umsonst „Geltungsdrang“ oder „Geltungstrieb“. Es beschreibt unser Bedürfnis, wichtig und bedeutsam zu sein. Wir wollen, dass das, was wir machen, gut und richtig ist. Vor allem aber wollen wir, dass uns dies von unserer Umwelt bestätigt wird. Dabei dürften dir jetzt bestimmt einige amüsante Beispiele aus dem Alltag einfallen, oder? Ich meine, warum sonst sollten Menschen ihr Essen fotografieren und die Bilder dann auf Instagram hochladen? Warum sonst geben wir mit unseren Statussymbolen an? Warum sonst wollen wir immer, wenn wir etwas gut gemacht haben, dass auch der Rest der Welt davon erfährt? Oder – und bitte verzeih mir, dass ich das offen anspreche – warum sonst würde gefühlt jede bzw. jeder Zweite täglich ihren bzw. seinen Hintern fotografieren und in den sozialen Medien präsentieren?
Im Grunde genommen ist das ein völlig natürliches Verhalten. Auf diese Weise konnte der Mensch sich weiterentwickeln. Wenn er nicht das Bedürfnis hätte, Dinge gut zu machen, hätten unsere Vorfahren einfach in einer Höhle bleiben können. Alles wäre gut gewesen. Aber irgendwann waren romantische Lagerfeuer, atmosphärische Wandmalereien und schicke Fellschuhe nicht mehr gut genug. Der Mensch von damals wollte besser sein als die anderen, also gab er sich Mühe, um über sich hinauszuwachsen. Belohnt wurden seine Innovation und Tatkraft einerseits mit offensichtlichen Erfolgen, aber auch mit sozialem Ansehen. Stell dir mal vor, was es damals bedeutet haben muss, der Erste mit einer schicken Lehmhütte zu sein, während die anderen noch in Höhlen hausten. Mehr Prestige ging nicht. Wir dagegen haben heute ganz andere Möglichkeiten, um nach Geltung zu streben und bewundert zu werden. Dies ist einer der essenziellen Bestandteile des menschlichen Fortschritts. Man könnte also meinen, das Geltungsbedürfnis sei gut und gesund. Das ist es jedoch, wie so viele Dinge im Leben, nur bis zu einem gewissen Punkt. Sobald wir nämlich nur noch Bestätigung von anderen erhalten können, machen wir uns abhängig. Wir verlernen, unser Selbstwertgefühl selbst zu fördern, und somit leidet auch unser Selbstbewusstsein. Schauen wir uns doch mal an, wie es dazu kommt.
Bei der Entwicklung unseres Wertesystems orientieren wir uns an unseren Eltern. Wenn wir uns nach dem Maßstab von Mama und Papa gut verhalten, werden wir gelobt. Missachten wir jedoch ihre Regeln und Werte, werden wir kritisiert und bestraft. Da Lob und Anerkennung sich logischerweise besser anfühlen als Kritik und Sanktionen, passen wir unser Verhalten entsprechend an. Hier wird es erstmals zur Gewohnheit, sein Verhalten den Erwartungen anderer anzupassen, um sich Anerkennung zu verdienen.
Wichtig ist hierbei, dass „Richtig“ und „Falsch“ an subjektive Sichtweisen gebunden sind. Das heißt, dass nicht alle Eltern ihre Kinder gleich erziehen. Es gibt Eltern, die von ihren Kindern verlangen, still zu sitzen und sich in Ruhe, Geduld und Demut zu üben. Andererseits gibt es Eltern, die ihre Kinder dazu ermutigen, den ganzen Tag lang zu toben, Spaß zu haben und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Man kann also sagen, dass sich in verschiedenen Haushalten verschiedene Wertesysteme entwickeln. Das ist übrigens auch so ziemlich der Hauptgrund dafür, dass man es nicht allen recht machen kann. Wir begegnen im Laufe des Lebens immer wieder Menschen, die aufgrund ihrer Erziehung andere Dinge für richtig und wichtig halten als wir. Für erste Verwirrungen sorgt das, sobald wir in den Kindergarten kommen bzw. eingeschult werden.
Bei unseren ersten Kontakten mit anderen Kindern merken wir, dass diese nicht immer genauso sind wie wir. Schließlich haben sie andere Verhaltensweisen entwickelt, mit denen sie sich wiederum die Anerkennung ihrer Eltern verdienen. Was jedoch gleich bleibt, ist unser Geltungsbedürfnis. Wir wollen diesen neuen Freunden gefallen. Wir wollen von ihnen als wichtig und wertvoll empfunden werden. Was machen wir also? Wir passen unser Verhalten ihren Erwartungen an. Mit der Zeit lernen wir, dass es die verschiedensten Wege und Möglichkeiten gibt, um beachtet und bewundert zu werden. Wir können mit Humor, Loyalität oder Mut überzeugen. Und tatsächlich ist es sogar möglich, Anerkennung für gutes Aussehen zu erhalten. Wenn diese neuen Verhaltensweisen im Widerspruch zu dem stehen, was wir zu Hause gelernt haben, gibt es Konfliktpotenzial. Da wir überaus anpassungsfähig sind, lernen wir schnell, den Spagat zu machen. Zu Hause benehmen wir uns so, wie unsere Eltern es von uns erwarten, und in der Schule passen wir uns unserem neuen sozialen Umfeld an. Im weiteren Verlauf des Lebens passiert das dann auch auf der Arbeit, in verschiedenen Freundeskreisen, in Partnerschaften und anderen sozialen Strukturen. Kommt dir das bekannt vor? Wenn ja, dann mach dir nichts draus. Das ist völlig normal und natürlich. So sind wir nun einmal gestrickt.
Es gibt Menschen, die früher oder später intuitiv den Absprung schaffen. Sie sind aufgrund ihrer Erziehung sehr selbstbewusst und dominant. Persönlichkeiten, die es nicht anderen recht machen, sondern es von ihren Mitmenschen recht gemacht bekommen. Ihr Geltungsbedürfnis wird dadurch befriedigt, dass andere sie für diese Stärke und ihr Selbstbewusstsein bewundern. Ziemlich verrückt, oder? Wenn du gewissenhaft mit diesem Buch arbeitest und dein Selbstbewusstsein stärkst, kannst du dich auch in diese Richtung entwickeln, falls du das möchtest. Du musst es aber nicht.
Der Kern des Ganzen ist, dass wir es uns zur Gewohnheit machen, anderen gefallen zu wollen. Wir passen uns an. Wir können uns so viel Geltung, Anerkennung und Bewunderung verdienen, indem wir uns unseren Mitmenschen gegenüber „richtig“ verhalten, dass wir gar nicht erst auf die Idee kommen, unser Geltungsbedürfnis selbst zu befriedigen. Die meisten Menschen wissen nicht einmal, wie das geht. Man kann es ihnen nicht verübeln, oder?
Wenn es also immer nur darum geht, es den anderen recht zu machen, und wenn es immer nur darum geht, die Erwartungen anderer zu erfüllen, wann geht es dann mal um uns? Was bedeutet das für unser Selbstbewusstsein? Richtig: Unter diesen Umständen geht es nur selten um uns. Eher gar nicht. Wir entfernen uns von unseren Wünschen und Interessen. Wir verlernen, es uns selbst recht zu machen. Wir entfremden uns von uns selbst. Somit ist das übermäßige Geltungsbedürfnis einer der stärksten Gründe für mangelndes Selbstbewusstsein.
Wie du siehst, steckt hinter all dem nichts Schlechtes. Im Grunde machst du nichts falsch, und niemand meint es böse mit dir. Die Dinge entwickeln sich einfach auf ganz natürliche Weise. Du musst dir irgendwann die Frage stellen, ob du dich damit zufriedengeben möchtest oder den Kreislauf durchbrichst. Letzteres wird deinem Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl einen großen Schub verleihen. Wie du das anstellst, wirst du Stück für Stück im weiteren Verlauf des Buches erfahren. Nun weißt du jedoch, wie das Geltungsbedürfnis und dessen Konsequenzen funktionieren. Das hilft dir dabei, dein Selbstbewusstsein künftig zu schützen, und allein diese Erkenntnis ist unschätzbar wertvoll!