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Glaubwürdigkeit als Kern-Merkmal journalistischer Qualität
ОглавлениеDurch das orthodoxe Desinformations-Narrativ werden die Kriterien ›Vertrauen‹ und ›Glaubwürdigkeit‹ zum Goldstandard in der Beurteilung journalistischer Qualität. Die Glaubwürdigkeit des Journalismus sei »die Essenz unserer Demokratie«56 und Medienvertrauen eine »demokratische Notwendigkeit«,57 heißt es in der Kommunikationswissenschaft. Auch Bundespräsident Steinmeier machte Medienschaffenden bei einer Tagung zur politischen Streitkultur Mut (Zeitungen und öffentlicher Rundfunk würden in der Bevölkerung großes Vertrauen genießen, »bei gut 80 Prozent nach einer neuen Studie«)58 und weist damit den Weg, wie die Ergebnisse der entsprechenden Studien moralisch einzuordnen sind: Gut für die Demokratie sind hohe Werte.
Steinmeier kann sich auf einen Boom der quantitativer Glaubwürdigkeitsforschung stützen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten führen regelmäßig Umfragen durch, und in der Kommunikationswissenschaft stehen das Reuters Institute der Universität Oxford sowie die ›Mainzer Langzeitstudie Medienvertrauen‹ an erster Stelle. Das Mainzer Institut für Publizistik hat Steinmeier im März 2018 sogar besucht, um über Medienvertrauen zu diskutieren. Sein Urteil: »Hier wurde gute Arbeit gemacht, die gebraucht wird in der Demokratie.«59 Ergebnisse der Welle von 2019: Gut 40 Prozent der Befragten vertrauen den Medien und rund 30 Prozent nicht. Dazu kommen knapp 30 Prozent Unentschiedene. Damit sind die Zahlen seit 2016 »recht stabil«, was in den Pressemitteilungen als positive Nachricht für die ›etablierten Medien‹ kommuniziert wird. »Das Vertrauen in öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Tageszeitungen ist weiterhin hoch, die Werte für das Internet sinken«. Und: Nur bei »einer Minderheit verfestigt sich das Misstrauen gegenüber Medien«.60
Ist damit wieder alles gut in Deutschland? Hat sich das Elend der Medien erledigt? Nicht ganz. Folgt man der Mainzer Langzeitstudie, dann hat sich der Anteil der Unentschiedenen seit 2008 von 63 Prozent auf 29 Prozent halbiert.61 Das heißt: Immer mehr Menschen haben zum Thema Medienvertrauen eine klare Meinung. Die Forschergruppe ruft deshalb das Zeitalter der Polarisierung aus.62 Ein Befund, der Sozialwissenschaftlern, Meinungsforschern, Journalisten und Politikern gut in die Argumentation gespaltene Gesellschaft passt.63
An dieser Stelle kann es weniger um die methodischen Unstimmigkeiten hinter solchen Befunden gehen und auch nicht um die These, dass Umfragen zum Medienvertrauen allenfalls die Zufriedenheit mit dem gesellschaftlichen System messen und ansonsten vor allem denen helfen, die sie bezahlen. Es soll lediglich erwähnt sein, dass der Fokus auf Glaubwürdigkeit andere Kriterien zur Beurteilung journalistischer Qualität wie Relevanz, Transparenz, Vielfalt oder die Diskussion um den Objektivitätsbegriff verdrängt.64 Und: Durch die Vielzahl an Befragungen kann sich der forschende Interpret mittlerweile selbst aussuchen, ob er steigendes,65 sinkendes66 oder stabiles67 Medienvertrauen in Deutschland erkennen mag.
Wichtiger ist an dieser Stelle, wie die Studien interpretiert werden. Punkt eins, das sei hier wiederholt: Hohe Glaubwürdigkeitswerte gelten als gut für die Demokratie. Punkt zwei: Eine Zunahme an Ja- oder Nein-Antworten (und nicht: »weiß nicht«) steht für eine Polarisierung der Gesellschaft. Und Punkt drei: Auch in der moralischen Bewertung ist man sich einig. Es gibt »gerechtfertigte« und »konspirative« Medienkritik.68 Gerechtfertigte Medienkritik äußern »Medienskeptiker« – Menschen, die sich »intellektuell zurückhaltend« und »rational begründet« äußern. Gute Bürger. Medienzyniker69 dagegen unterstellen Politikern niedere Motive und sprechen von »Lügenpresse«. Diese »verächtlichabwertende« und destruktive Haltung habe, so kann man das in einem der Texte aus Mainz lesen, keine rational-wissenschaftliche Basis. Das Forscherteam weiß auch, wo (sozial und politisch gesehen) solche Medienzyniker zu finden sind: »höhere Präferenz für die politischen Ränder AfD und Linke; niedriges politisches Interesse; hohe wirtschaftliche Zukunftsangst; häufige Nutzung alternativer Online-Nachrichtenseiten; häufiges Lesen von Nutzer-Kommentaren sowie niedrigere formale Bildung.«70 Der Frame: Formal gebildete Personen sind gut und Ungebildete böse.71
Der herrschende Desinformations-Frame lässt sich folglich so zusammenfassen: Böse sind das Internet, autoritäre Kräfte, nichtjournalistische Kommunikatoren, Alternativmedien und Medienzyniker. In anderen Worten: Schuld an der Krise der Demokratie sind Wutbürger, die Putins Medien glauben. Diesen Befund dürfte eigentlich auch der Bundespräsident nicht gutheißen. Als Außenminister sagte Steinmeier 2014 zur ›Glaubwürdigkeitskrise‹ der Medien:
»Die einfachste Erklärung wäre: Der Leser ist schuld, der ist halt dumm und frech. Der kapiert nicht, wie gut die Zeitungen sind. Aber mit dem Leser ist es wie mit dem Wähler. Man kann sich über ihn ärgern, aber man sollte ihn nicht ignorieren und am besten sehr ernst nehmen.«72
Wenn in der psychologisch-quantitativ orientierten Kommunikationswissenschaft73 nach den Ursachen der Medienkrise geforscht wird, geht es zum Beispiel um die Frage, ob Zukunftsangst stärker als die wirtschaftliche Lage bestimmt, wer Medienzyniker wird und wer ›Medienfan‹ (Antwort: nicht ganz klar), oder darum, wo Verschwörungstheoretiker Gleichgesinnte finden. Antwort: im Internet.74 Nur in einem Nebensatz heißt es bei den führenden Medienvertrauensforschern Deutschlands, die den Forschungsstand bestens im Blick haben: »Bisher ist vergleichsweise wenig untersucht worden, was Menschen konkret an Medien kritisieren.«75 Damit ist zur Relevanz dieses Buches alles gesagt.