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Der Kommerzialisierungs-Frame

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Bei Weischenberg »leiden« die Medien an der »amerikanischen Krankheit«.101 Damit ist die Kommerzialisierung des Mediensystems gemeint, die seit Einführung des Privatrundfunks in den 1980er Jahren in der politischen Kommunikationsforschung bis zum Aufkommen des Desinformations-Frames das dominierende Thema war.102 Als Folgen der ›Amerikanisierung‹ gelten Phänomene wie ›Horse-Race‹-Journalismus, Boulevardisierung, Sachthemenverlust, Personalisierung von Wahlkämpfen, die Demontage der Politik103 oder Politainment.104 Zu den Problemen, die mit der Kommerzialisierung des Mediensystems verknüpft werden, zählen auch die »langfristige Machtverschiebung zwischen Journalismus und Public Relations«,105 »stetig wachsende Lobby-Einflüsse«, »verstärkte staatliche Einflussnahme«, die »Verknappung des journalistischen Personals« und generell »schlechtere Arbeitsbedingungen« in den Redaktionen.106

Das ist das Thema von Siegfried Weischenberg, der ja einst eine Gewerkschaft leitete: Wie wirken sich die »entfesselten Medienmärkte« auf die Arbeit von Journalisten aus? Weischenberg beobachtet zum Beispiel »sinkendende Wahrhaftigkeitsansprüche« einer Journalisten-Generation, die »schnell was raushauen will.« Die Folgen: »fehlende Transparenz«, »inkompetente Berichterstattung«, »fehlendende Selbstreflexion«, »keine kritische Distanz zur Politik« sowie eine »Tendenz zur Pädagogisierung«. Statt das Verhältnis zu den Lesern zu überdenken, werde in den »Newsrooms« nur das aufgesaugt, was das Publikum auf digitalen Plattformen und den Forumsseiten der Medien »absondert«. Das Wenigste davon sei Journalismus – bei Weischenberg verstanden als »Kommunikation, die informiert und orientiert in unübersichtlichen Zeiten.«107

Dass Kommerzialisierung ein weltweites Medienphänomen ist, haben Daniel Hallin und Paolo Mancini 2004 in ihrem Buch Comparing Media Systems gezeigt.108 Und dass die Digitalisierung diesen Trend noch einmal verstärkt hat, habe ich selbst untersucht – in meiner Dissertation über Online-Journalisten in Argentinien, China, Deutschland und die USA. Selbst im Kommunismus made in Peking gehen Journalisten im Netz auf Jagd nach Klicks.109 Florian Rötzer, den wir für dieses Buch interviewt haben, hat Online-Journalisten schon kurz vor meiner Veröffentlichung als »epidemische Verstärker kollektiver Trends« beschrieben und befürchtet, dass die Vielfalt freien Marktes durch eine neue Form der sozialistischen Planwirtschaft ersetzt wird. Unsere Aufmerksamkeit, so Rötzer, werde in der schönen neuen Onlinewelt nur auf das gelenkt, was bereits Aufmerksamkeit gefunden hat«.110 Michael Meyen denkt dieses Phänomen noch einen Schritt weiter und sagt, dass die (kommerzielle) Medienlogik nicht nur Nachrichteninhalte verändert, sondern sich auch in unsere Lebensstile einschreibt. In seiner Lesart folgen wir auch in Kneipe, Religion, Museum, Universität, Militär, Familie oder beim Fußball dem Imperativ der Aufmerksamkeit.111

Bei Ruß-Mohl wird aus der Aufmerksamkeitsökonomie112 eine »Desinformationsökonomie«, angetrieben von der »pubertären Hybris weltumspannender Internet-Konzerne«.113 Auch Bundespräsident Steinmeier hat 2020 die »Logik der Plattformökonomie« verurteilt: Ihr treibendes Element seien die »größtmögliche Erregung« und der »größtmögliche Lärm«. Wenn es in der öffentlichen Kommunikation nur noch um Klicks, Likes und Shares gehe, so Steinmeier, dann sei eine Grundvoraussetzung der Demokratie bedroht.114 Weischenberg, Ruß-Mohl und Steinmeier, so lässt sich das zusammenfassen, werben für die traditionellen journalistischen Normen. Relevanz, Ausgewogenheit, Neutralität – am besten umsetzbar in einem starken öffentlichrechtlichen Rundfunk.115 Das ist die Handlungsempfehlung im Kommerzialisierungs-Frame. Und die Moral der Geschichte lautet: Böse ist die Quote, gut sind die Ideale des Journalismus. Mit ihrer Kritik an den ökonomischen Bedingungen des Journalismus befinden sich Medienforscher wie Weischenberg oder Ruß-Mohl im legitimen öffentlichen Bereich. Sonst hätte der Bundespräsident diesen Frame nicht benutzt. Uwe Krüger dagegen kommt der Rolle des Bösewichts, des Häretikers, der an Machtverhältnissen rüttelt, schon näher.

Das Elend der Medien

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