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Soziale Bedingungen: Mainstream-Frame

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Krügers Dissertation Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten wurde 2014 in der ZDF-Sendung Die Anstalt vor einem Millionenpublikum diskutiert. Durch eine Netzwerkanalyse zeigt Krüger, dass die Verbindungen zwischen leitenden Redakteuren der Leitmedien (SZ, FAZ, Zeit, Welt) und einem US- und Nato-affinen Elitenmilieu Effekte auf die außenpolitische Berichterstattung haben.116 Josef Joffe, Herausgeber der Zeit, verklagte das ZDF auf Unterlassung. Christoph Neuberger, einer der führenden Medienforscher, warf der Studie »mangelnde Wissenschaftlichkeit« vor.117 Das ZDF gewann allerdings den Prozess gegen Joffe vor dem Bundesgerichtshof und Krüger auch dadurch an Renommee.118

Uwe Krüger interessiert sich für die sozialen Bedingungen des Journalismus. Er zeigt zum Beispiel anhand der Ukraine-Krise von 2014, dass der deutsche »Meinungsmainstream« eine »Reihe an Falschinformationen« und »Schwarz-Weiß-Bilder« lieferte, »Putin-Versteher« als Verschwörungstheoretiker diffamierte, einen »frappierenden Gleichklang« bei bestimmten Themen aufwies und überhaupt nur ein »sehr enges Meinungsspektrum« spiegelte. Dabei kann er sich ebenfalls auf Frank-Walter Steinmeier berufen,119 der 2014 (noch als Außenminister) feststellte:

»Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.«120

Das führt direkt zum Indexing – zu einer Hypothese des US-Politologen Lance Bennett, auf die sich Krüger stützt. Bennett beobachtete in den 1980er Jahren, dass die großen Medien in der Regel nur das abbilden, was gewissermaßen offiziell im politisch-parlamentarischen Raum diskutiert wird. Das heißt: Wenn die Opposition zu einem Thema oder einer Position schweigt, kommt keine Kritik in die Medien. Kein Bericht, kein Kommentar. Obwohl Journalisten ›frei‹ sind, binden sie sich nach Bennett an den Diskurs in Parlament und Regierung, da sie auf diese Weise Ärger vermeiden und ihre Berichterstattung legitimieren können – sowie Ressourcen sparen.121

Uwe Krüger hat mehrere Themen genannt, bei denen sich die großen Medien seit den 2000er-Jahren an die Deutungsmuster der politischen Eliten klammern und nur Details kritisieren: die EU-Osterweiterung, die Einführung von Hartz IV oder die Finanzmarkt-Deregulierung. Der Journalismus falle folglich »als Frühwarnsystem für Fehlentwicklungen regelmäßig aus – und nach dem bösen Erwachen gibt es dann stets ein bisschen Selbstkritik in Branchenmagazinen und auf Medientagen.« In Krügers Ursachenzuschreibung sieht die massenmediale Wahrheitsproduktion so aus: Themen-Agenda und Meinungsspektrum geben die Eliten über informelle Absprachen auf einer politisch-medialen Hinterbühnen vor – für das »Gros der Berichterstatter« eine Art »Magnet«, an dem sie sich »wie Eisenspäne« ausrichten.122

Der Mainstream-Frame kennt eine zweite Ursache – ausformuliert von Noam Chomsky, der 1988 mit Edward Herman einen Meilenstein der akademischen Medienkritik veröffentlichte: das Buch Manufacturing Consent.123 Während die Indexing-Hypothese den Journalisten unterstellt, unbewusst oder freiwillig einer Art Daumenregel zu folgen, schaut Chomsky auf die Tiefenstrukturen des Journalismus.124 In seinem Propaganda-Modell kontrollieren die großen Medien keineswegs die Eliten, wie es auf einem »freien Marktplatz der Ideen«125 oder in der deliberativen Demokratie der Fall sein sollte, sondern organisieren Zustimmung. Bei Herman und Chomsky durchläuft jede Nachricht fünf »Filter«. Neben den Interessen von Medieneigentümern und Werbekunden, die antikapitalistische oder systemkritische Aussagen verhindern, ist hier vor allem auf die Macht der Quellen hinzuweisen (vor allem: Behörden und staatlich finanzierte Experten) sowie auf das Gegenfeuer, das sofort einsetzt, wenn doch einmal etwas durchrutschen sollte (»Flak«). Der Entstehungszeit (1980er-Jahre) geschuldet ist die Benennung des fünften Filters (»Antikommunismus«).126

In der Kommunikationswissenschaft nimmt Siegfried Weischenberg einige Elemente dieses Modells auf, wenn er »kungelnde Elite-Journalisten« und »Alpha-Tiere in der Medienwelt« beobachtet127, die auch mit Hilfe der PR-Branche eine »Medienrealität« kreieren, die sich immer öfter an »Pseudo-Ereignissen« und nicht an Wahrhaftigkeit orientiert. »Hier geht es um Macht und Einfluss, um Images und professionelle Tricks.« Trotzdem distanziert sich Weischenberg ausdrücklich von Chomsky. Von einer »gezielten Manipulation« könne keine Rede sein, weil die Menschen noch immer selbst entscheiden könnten, was sie glauben. Dass die großen Medien nicht die Ansichten der Mehrheit repräsentierten und deswegen die Empörung in der Bevölkerung wächst, erklärt er mit der »Selbstreferenz des Journalismus«: Die Medienmacher würden sich stärker an der Arbeit ihrer Kollegen orientieren als am »wahren Leben« der »normalen Bevölkerung«.128

Bei Uwe Krüger ist das homogene Milieu der Journalisten die dritte Ursache für das »Mainstreaming«. Marcus Klöckner hat ein sozial ziemlich homogenes Feld beschrieben, das vom »Habitus der Mittelschicht« dominiert wird und »auf Anpassung« sowie auf »Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse« programmiert sei. Bei Klöckner wird daraus eine »sozialstrukturell ausgeformte Zensur«.129 Zumindest seine Angaben zur Sozialstruktur lassen sich mit Daten belegen. 2005 (bei der letzten großen Repräsentativbefragung) stammten zwei Drittel aller Journalisten aus gut abgesicherten Angestellten- oder Beamtenhaushalten. Damals hatten rund 70 Prozent einen Hochschulabschluss (Bevölkerungsschnitt: 14 Prozent). Mehr als ein Drittel stand den Grünen nahe. Zum Vergleich: 2005 kam diese Partei bei den Bundestagswahlen auf fünf Prozent.130 Das homogene Milieu spiegelt sich in den Wohnorten: Viele Journalisten leben in bürgerlichen Vierteln wie Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Eppendorf oder München-Glockenbach. In der Medienrealität wird daraus ein rot-grüner oder »grüner Mainstream« mit den Leitlinien Multikulturalität, Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz, Gleichstellung und Gender-Mainstreaming. Zum »pluralistischen Relativismus« gehört, dass gleichzeitig alles abgelehnt oder sogar bekämpft wird, »was in diesem Sinne nicht ›politisch korrekt‹ ist.«131

Kurioserweise ist der Mainstream-Frame auf den ersten Blick gar nicht so weit weg von der Medienkritik aus der Mainzer Schule. Elisabeth Noelle-Neumann und Hans-Mathias Kepplinger zeigten bereits Mitte der 1970er-Jahre, wie sich die »Homogenität des Weltbildes der Journalisten« auf ihre Berichterstattung auswirkt.132 In dem Sammelband Angepasste Außenseiter sagt Kepplinger 1979, dass keine andere Berufsgruppe in politischen Fragen derart übereinstimme wie Journalisten. Selbst bei den Eliten im kleinen Mainz sei das Meinungsspektrum deutlich breiter. Als Ursachen für den »eng begrenzten Gruppenstandpunkt« nannte Kepplinger damals die Nachwuchsrekrutierung (Selbstselektion und »Kooptation«) sowie »komplexe Anapassungsmechanismen«. Journalisten seien links, weil sie sich (oft als Studienabbrecher und Langschläfer) gegen eine Karriere in Staat und Wirtschaft entschieden haben und somit »zweckrationale Entscheidungen« ablehnen.133 Noelle-Neumann-Schülerin Renate Köcher sprach wenig später von »Missionaren«.134

Diese Gemeinsamkeiten sind erstens deshalb kurios, weil sich Weltbild und Handlungsempfehlung unterscheiden. Wo Krüger Netzwerke sieht (Lobbyisten und Transatlantiker), beobachtet Nolle-Neumann 1978 auf einem Sommerfest eine »dunkle Gruppe, wie zusammengeballt« – der Journalismus als »geschlossene Gesellschaft«.135 Und wo Krüger Transparenz und Offenheit vorschlägt, um das Meinungsspektrum zu erweitern, setzt Noelle-Neumann auf kommerziellen Rundfunk.136 Das führt direkt zu zweitens. Uwe Krüger kommt von links und Elisabeth Noelle-Neumann von rechts. Während der eine die Nato- und US-Nähe der Journalisten thematisiert, arbeiten die anderen ihre »Russen«- und Kommunisten-Nähe heraus.137 Während Kepplinger kritisiert, dass sich Journalisten ihrer Verantwortung nicht bewusst sind sowie Wirtschaft und Staat ablehnen,138 spricht Krüger von einer »Verantwortungsverschwörung«139 der polit-medialen Eliten pro Staat und Wirtschaft. Weischenberg stellt in seinem Überblick zum Forschungsstand fest, dass viele Muster der Medienkritik regelmäßig wiederkehren: »Neu ist aber das Ausmaß der Wut vieler Menschen auf Journalisten des ›linksliberalen Mainstreams‹.«140 Was ist passiert?

Die Antwort steckt im Beginn dieser Einleitung: Die »Links«-Parteien in Frankreich (Sozialisten), Deutschland (SPD-Grüne), Großbritannien (Labour) und den USA (Demokraten) haben ab den 1990er-Jahren in Regierungsverantwortung die neoliberale, »rechte« Wirtschaftspolitik entscheidend vorantrieben. Blickt man in Deutschland auf die Nähe der Journalisten zur SPD in den 1970er-Jahren141 und den Grünen in den 2000er-Jahren142, dann lässt sich sagen: Sie haben nicht nur den Kurswechsel mitgemacht, sondern auch den gleichen gesellschaftlichen Aufstieg erlebt: vom Schmuddelkind der westdeutschen Nation zur Zeitgeist-Domina. Bourdieu spricht von einer Homologie der Lebenslagen, wenn Menschen mit ähnlichem Kapital ganz unabhängig von ihren Berufen die gleiche gesellschaftliche Position innehaben. Aus seinen Studien weiß man, wie eine vormals häretische Avantgarde nach ihrem Sieg im Kampf um Anerkennung die Herrschaftsmittel selbstgewordener Orthodoxie nutzt.143 Ein Beispiel: Gabor Steingart saß als Student Ende der 1980er-Jahre für die Grünen in der Marburger Stadtversammlung und trieb als Leiter der Spiegel-Wirtschaftsredaktion die Agenda 2010 voran. Die »Reform« lobpreist er später als Herausgeber des Handelsblatts und jetzt als Gründer der Plattform ThePioneer. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, um ein zweites Beispiel zu nennen, wurde 1999 (mit Anfang 30) erst eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands (in Münster) und dann 2001 Sprecherin von NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD). Den wirtschaftsliberalen Kurs von damals verteidigt sie heute als Herausgeberin der Wirtschaftswoche.

Das Elend der Medien

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