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18 | Zwischenfall im Späti

Fünfunddreißigster Eintrag im KleinDicken

Bevor ich zum Arschlawozi fuhr, schaute ich beim Späti rein. Ich brauchte drei Flaschen Mineralwasser Spreequell Classic und Natron für Montezuma II, drei Flaschen stilles Wasser, Chips, Käsedip, Buttermilch und Pfefferminztee für mich und eine Flasche Eierlikör scharfes GELB und eine Schachtel Halloren-Kugeln mit Sahne-Kakao-Füllung für Allmut.

Kian Lachkick, der Inhaber, saß stets auf seinem Regiestuhl vor der Tür und empfing jeden Kunden mit Handschlag. Ohne den betrat man nicht seinen Laden.

Er war der kleinste, den ich je betreten hatte. Höchstens drei Personen passten gleichzeitig rein. Trotzdem führte Kian alles, was der typische Kreuzberger rund um die Uhr braucht. Kians Ladenfläche hätte größer sein können. Aber der hintere Teil seines Spätis stand leer. Und wenn man Kian nach diesem Leerstand fragte, antwortete er: Irgendwann wird der Platz vonnöten sein. Ich weiß es.

Vonnöten war für Kian schon jetzt das brillantkresylblaue Frotteehandtuch, das er grundsätzlich um seinen Hals trug und mit dem er sich nach jedem Kundenbesuch seine Hände abtrocknete, die er zuvor mit desinfizierender Schaumseife gewaschen hatte.

Kians kundenindividuelles Verkaufsritual machte eine Schlange vor dem Späti heimisch, die er Plapperschlange nannte, da alle Kunden sich in ihren Gesprächen so vertieften, dass viele vergaßen, dass und was sie einkaufen wollten. Für sie hatte Kian Klappstühle bereitgestellt.

Als das Ordnungsamt ihm die Plapperschlangenklappstühle verbot, stellte er ausgediente Überseekisten zu Bänken zusammen, die die Klappstühle vor seinem Späti ersetzten.

Als Kian mich sah, zelebrierten wir ausführlich die Begrüßung, der der standardisierte Eröffnungsdialog für unsere Begegnung folgte:

Wie geht es dir, Kian?

Danke, gut. Ich kann nicht klagen! Und selbst?

Danke, mir geht es gut und zu klagen habe ich nur über das Wetter!

Dann schauten wir synchron hinaus und hinauf zum Himmel.

Über das Wetter hatte ich immer zu klagen, weil jede Art von Wetter mir eine spezifische Unpässlichkeit bescherte. Seit damals führte ich ein genaues Tagebuch meiner Kopfpein in Abhängigkeit von objektiver Wetterlagenklassifikation.

Nach dem Himmel folgten die Welt und die Leute. Kian hatte sich für die Leute entschieden:

»Du kennst aber auch Leute, Knut!«

»Ja, ich kenne Leute, Kian! Warum?«

»Weil ein Typ heute hier war, der war so was von voll krass, so was von aber auch! Der war mondgrau. Ganz und gar. Genau! Ich dachte erst, hier würde ein Film gedreht oder so was!«

»Wie bist du auf mondgrau gekommen?«

»Larina-Vaiana brachte mir eine Mode-Illu mit. In der war ein grauer Typ in einem grauen Armani-Anzug vor einem grauen Felsen auf dem Mond abgebildet.«

»Armani-Anzug?«

»Hatte Larina-Vaiana gesagt. Die kennt sich aus!«

»Kian, wer ist Varina-Lajana?«

»Larina-Vaiana, Knut, Larina-Vaiana. Sie war meine Freundin, bis Hella kam. Egal! Varina-Lajana, äh, Larina-Vaiana, du bringst mich ganz durcheinander Knut, sagte, dass der auf dem Mond fotografiert worden sei.

Ja, und mein Besucher sah aus wie dieser Armani-Mann. Und der war reingekommen, wie soll ich dir sagen, einfach so. Ohne Handschlag! So was geht bei mir gar nicht! Der war ohne meine Erlaubnis in meinem Späti. So was geht gar nicht!

Ich wollte zuerst Tititroli17 anrufen. Doch ich konnte mein Handy nicht finden. Dann habe ich mir gedacht, vielleicht machen die noch einmal Außenaufnahmen auf dem Mond. Dann könnte ich vielleicht mit. Und vielleicht machen die dann dort auch ein Foto von mir. Oben auf dem Mond. Ist doch möglich. Wer weiß? Ich wollte schon immer mal dahin.

Egal. Ich hab also nichts gesagt. Und der Mondgraue schaute sich um und fragte mich, ob Knut Feuereis mein Nachbar sei. Der Typ war in Wirklichkeit so weit weg. So, als ob er noch auf dem Mond vor diesem Felsen gewesen wäre.«

»Und was hast du ihm geantwortet?«

»Ach so ja, ich hab ihm gesagt, dass wir doch alle Nachbarn wären und wenn er nichts kaufen würde, möge er bitte meinen Späti verlassen!«

»Und, hatte er etwas gekauft?«

»Gar nicht! Er hatte gar nichts gekauft! Und bevor er ging, sagte er komisches Zeugs. Zum Beispiel: ›Bei allem ist die Form entscheidend, denn nichts ist von Dauer!‹. Dann ging er zur Tür, drehte sich zu mir um, sagte: ›Es ist so weit!‹ und verschwand nach draußen!«

»Ich bin ja auch neugierig, Kian. Warum ist Varina-Lajana von dir gegangen?«

»Larina-Vaiana, Knut, Larina-Vaiana! Sie ist eifersüchtig auf Hella gewesen. Hella schmeißt fast meinen ganzen Späti. Sie putzt, räumt auf, wäscht, bügelt, stapelt die Wäsche und kümmert sich um mein Abendessen und, und, und. Hella macht alles perfekt! So wie diesen Stapel brillantkresylblaue Frotteehandtücher für den Späti!«

»Diesen Stapel hat Hella gebügelt?«

»Gewaschen, gebügelt und gefaltet, ja!«

»Aber sehr unregelmäßig, Kian. Sehr unregelmäßig! Schau mal! Dein Name Kian Lachkick auf den brillantkresylblauen Frotteehandtüchern ist mal rechts oben, mal links unten, mal ist er auf der anderen Seite. Sehr unordentlich, muss ich schon sagen!

Ich meine, wenn man etwas macht, macht man es richtig oder man lässt es!«

»Sehr dünnes Eis, Knut. Ich lasse nichts auf Hella kommen. Ist das klar? Ganz dünnes Eis!« »Eine andere Frage, Kian. Hast du eine Überwachungskamera?«

»Yepp!«

»Kannst du die letzten beiden Stunden einmal abspielen? Der Mondgraue müsste in dem Video doch zu sehen sein!«

Sofort hantierte Kian an dem Gerät.

»So, jetzt ist es soweit«, sagte er, als es soweit war.

Ich starrte auf den Monitor und sah das nachmittägliche Schneeflockentreiben vom 23. November des Vorjahres.

»Hier schüttel ich gerade dem Aegelnoth die Hand, um ihn zu verabschieden.«

»Du meinst den Anselm Friedbrath, der über PapaLo wohnt?«

Lone Abelkies wurde von allen nur PapaLo gerufen. PapaLo war die Abkürzung von Lone, die Papageienfrau, denn PapaLo hielt seit Urzeiten das Blaustirnamazonenpapageienpärchen Bobo und Coco.

»Yepp. Hier trockne ich mir die Hände ab. Und gleich müsste der Mondgraue kommen. So, jetzt guck mal, da, da kommt … äh … was ist das denn?«

Das Video zeigte Kian auf seinem Regiestuhl. Und dann tauchte eine menschliche Gestalt auf, die allein aus dem 13-Uhr-Schneetreiben vom 23. November des Vorjahres bestand. Sie ging an Kian vorbei in den Späti. Sie schaute sich um. Dann in die Kamera. Langsam, ganz langsam. Dann folgte Kian. »Hier, Knut, frage ich ihn: ›Hallo, was kann ich für Sie tun?‹«

Das Flockentreiben in der Form des Flockenmannes wurde kurz dichter.

»Und hier fragt er mich, ob Knut Feuereis ein Nachbar sei.«

Das Flockentreiben beruhigte sich, um dann kurz wieder wilder zu flackern.

»Und hier muss er gesagt haben: ›Bei allem ist die Form entscheidend! Alles ist nicht von Dauer!‹ Hier schaut er sich noch um. Und komisch, immer wenn er auf meine Fragen reagiert, wird der Flockenmann nervös. So, und schon geht er zur Tür und verlässt meinen Späti.«

Zu sehen war tatsächlich, wie der Flockenmann den Späti verlässt. Wenige Schritte später löst sich das Flockentreiben auf und mit ihm der Flockenmann.

»Kein Wunder, dass du ihn nicht mehr sehen konntest, Kian. Ich möchte sehr gerne eine Kopie für mein Archiv.«

»Kriegst du nachher. Jetzt muss ich erst die brillantkresylblauen Frotteehandtücher falten. Ja, so! Und nun willst du bezahlen. Nee, nee! Lass mal. Dann muss ich mir gleich wieder die Hände waschen. Ich schreib das auf. Ja, und mach es dann gut, Knut!«

Wir gingen nach draußen und verabschiedeten uns mit handschlagloser Verbeugung.

17 Spitzname für Kommissaranwärter Tido Tillfried Trockstock-Linsensieb

KNUT

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