Читать книгу Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes - Michael Schenk - Страница 6

Kapitel 4

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Einst hatte das Pferdevolk weit im Westen in der Nähe der Küste gelebt. Seine Stämme wohnten in runden Wehrdörfern, den Weilern, und machten sich gegenseitig das Leben schwer, denn ein Kämpfer konnte sich nur bewähren, wenn er die Pferde eines anderen Clans raubte. Dann veränderte sich das Land. Der Sand bedeckte die fruchtbaren Grasebenen und ausgedehnten Wälder, und mit dem Sand kamen die Barbaren. Der erste König einte die zerstrittenen Stämme des Pferdevolks unter seinem Banner, doch es war zu spät, um die Krieger der Sandclans zu besiegen. Das Pferdevolk musste seine Heimat verlassen und floh nach Osten, wo es das verlassene Land der Zwerge übernahm. Es überlebte den Krieg gegen den Schwarzen Lord, und als das Schlachten ein Ende hatte, stand es in Waffenbruderschaft mit dem Königreich von Alnoa.

Aus den alten Clans entstanden die Marken, die von ihren jeweiligen Pferdefürsten regiert wurden und dem König verpflichtet waren. Die militärische Macht des Pferdevolkes basierte auf seinen Pferdelords. Männern, die der Treueid zum Waffendienst rief und die mit Stolz den grünen Umhang der Kämpfer trugen, wenn das Horn sie zur Schlacht rief.

Vor vielen Jahren war es aus Eifersucht zum Zwist zwischen dem damaligen König des Pferdevolkes und dessen Bruder Garodem gekommen. Um Blutvergießen zu verhindern, war Pferdefürst Garodem mit jenen, die ihm zu folgen bereit waren, in das Gebirge von Noren-Brak gezogen. Hier, im Schutz mächtiger Berge, hatte er eine Reihe fruchtbarer Täler gefunden und die Hochmark des Pferdevolkes gegründet. Im größten Tal waren die Stadt und die Festung Eternas entstanden, umringt von ertragreichen Feldern. Kleine Siedlungen, die Weiler, standen in den anderen Tälern. Auf Familiengehöften wurden Schafe und Hornvieh gezüchtet. Die Abgeschiedenheit der Hochmark schützte sie lange Zeit vor Feinden, und die Menschen vermehrten sich und ihre Siedlungen wuchsen.

Vor dreißig Jahren bedrohte der Sturm der Orks erneut den Frieden. Garodem blieb dem Eid der Pferdelords treu und stand den anderen Marken zur Seite. Sein Bruder fiel in der Schlacht um die alnoische Königsstadt Alneris. Der Pferdefürst verzichtete auf die Krone, überließ sie dem Sohn des Bruders und kehrte in seine Hochmark zurück.

Nach vielen Kämpfen schien wieder Frieden einzukehren. Ein brüchiger Frieden, denn niemand glaubte ernsthaft, dass der Schwarze Lord der Orks sein Vorhaben, alle Feinde zu vernichten, jemals aufgeben würde.

Als damals der neue Krieg gegen die Orks begann, war Nedeam ein Knabe gewesen. Inzwischen waren dreißig Jahre vergangen und aus dem Knaben war ein stattlicher und erfahrener Krieger geworden. Er war nun zweiundvierzig Jahre alt, doch wer ihn ansah, hätte ihn für allenfalls Mitte der Zwanzig gehalten. Beides entsprach auf wunderliche Art der Wahrheit. Im Alter von dreiundzwanzig Jahren hatte er im elfischen Haus des Urbaums gegen ein Graues Wesen gekämpft, einen jener unheimlichen Magier, die dem Schwarzen Lord gegen die Menschen und ihre Verbündeten zur Seite standen. Als das Graue Wesen starb, war Nedeam auf seltsame Weise mit ihm verbunden gewesen. Ein Teil der Fähigkeiten des Zauberers ging auf den jungen Pferdelord über. Seine Wunden heilten nun weit besser und schneller, zudem schien er nicht mehr zu altern. Auch die Fähigkeit, Auren zu sehen, war hilfreich, da sie auf Gefahren hinwies. Doch diese Gabe konnte Nedeam nicht kontrollieren. Manches Mal hatte sie ihn vor einer Bedrohung gewarnt, doch ebenso oft versagte sie.

Dennoch war Nedeam dankbar dafür, dass er mit dem Grauen verschmolzen war, denn die unerwartete Langlebigkeit führte ihn und die Liebe seines Herzens zusammen. Llaranya war eine Elfin aus dem Hause Deshay und hatte lange gezögert, ihrer Liebe zu einem vergänglichen Menschen nachzugeben. Nun waren sie nach elfischer Zeremonie im Bund der Ehe vereint und hatten manches Abenteuer Seite an Seite bestanden.

Im Norden des Tales von Eternas erhoben sich die Stadt und die gleichnamige Festung. Hier führte der Pass des Eten in das neue Reich der Zwerge, dann weiter zu der nördlichen Öde von Rushaan und bis hinauf in das im Eis verborgene Land von Julinaash. Der Fluss Eten teilte das Tal von Eternas. Zu seiner Linken lagen die Stadt und die Burg des Pferdefürsten. Am Flussufer erstreckten sich die Handwerksbetriebe, Gerbereien, Töpfereien und Schmieden. Hier stampften am Tag die Brennsteinmaschinen, um in der Nacht zu schweigen. Dann folgte die Stadt mit ihren meist zweigeschossigen Häusern und ihren engen Gassen und Straßen. Hier herrschte reges Treiben, denn der Handel mit den anderen Marken und den Zwergen blühte. Selbst Händler aus dem fernen Reich Alnoa kamen in die Hochmark.

Traditionell errichtete das Pferdevolk seine Häuser aus dem sonst überreichlich vorhandenen Baustoff Holz. In der Hochmark war man jedoch gezwungen gewesen, auf Stein zurückzugreifen. Der Handel mit den anderen Marken führte inzwischen zur Lieferung der verschiedensten Hölzer, und viele Häuser zeigten nachträglich angebrachte Zierelemente und Schnitzereien.

Um die Stadt lagen die Getreidefelder und der fruchtbare Boden erlaubte zwei Ernten im Jahr. Garodem und seine Gemahlin Larwyn hatten die Hochmark zur Blüte geführt. Sie waren vorausschauend vorgegangen, denn sie wussten, dass die Mark nur eine begrenzte Zahl von Menschen ernähren konnte. So war die Zuwanderung aus den anderen Marken streng reglementiert. Der Grund lag in der isolierten Lage der Hochmark. Der Zugang war nur über den Nordpass des Eten und den Südpass möglich. Im Kriegsfall konnten diese Lebensadern blockiert werden, und dann musste die Hochmark in der Lage sein, all ihre Bewohner eigenständig zu versorgen.

Als Pferdefürst Garodem bei einem tragischen Treppensturz ums Leben kam, hinterließ er einen Sohn, Garwin, der sein rechtmäßiger Nachfolger werden sollte. Doch Garwin erwies sich als ein Mann von mangelnder Ehre, der eifersüchtig auf die Erfolge Nedeams war und sogar vor einem Mordversuch an der eigenen Mutter nicht zurückschreckte. Garwin wurde vom Pferdevolk verstoßen und lebte seitdem als Gesetzloser. Seine Mutter Larwyn hatte an seiner Stelle die Mark geführt, und ihr Tod war der Grund für die Trauer, die Nedeam und Llaranya in diesem Augenblick erfüllte.

Hier, am rechten Ufer des Eten, lag der einzige richtige Wald der Hochmark. Kein Baum hatte je ohne die Zustimmung des Pferdefürsten oder seiner Gemahlin gefällt werden dürfen, und so war er noch immer eine grüne Oase inmitten der Berge.

Hier, am rechten Ufer, erhob sich der lang gestreckte Hügel, in dem man jene Menschen beigesetzt hatte, die vor knapp dreißig Jahren dem Ansturm der Orks zum Opfer gefallen waren. Hier hatte Pferdefürst Garodem seine letzte Ruhe gefunden und hier, an seiner Seite, lag nun auch seine Gemahlin Larwyn.

„Es ist nun schon zwei Jahreswenden her“, sagte Nedeam leise und sah auf den Grabhügel hinunter, der sich noch nicht so weit abgesenkt hatte wie die anderen. „Und doch kann ich noch immer nicht begreifen, dass sie nicht mehr unter uns weilt. Sie war eine gute Herrin.“

„Das war sie ohne Frage.“ Llaranyas schlanke und doch frauliche Gestalt wurde vom zartblauen Umhang des elfischen Volkes verhüllt, doch die spitzen Ohren ließen keinen Zweifel an ihrer Herkunft. Das lange Haar trug sie offen, und es fiel ihr weit über den Rücken. Elfen waren eigentlich weißblond, doch es war eine Eigenheit der Elfen des Hauses Deshay, dass sie tiefschwarzes Haar hatten.

„Sie ruht an der Seite ihres geliebten Garodem“, sagte sie leise. „Du weißt, wie sehr sie ihn vermisst hat. Nun sind sie im ewigen Frieden vereint, und das sollte uns ein Trost sein.“

Für die Menschen der Hochmark war es ein Schock gewesen.

Das furchtbare Erdbeben hatte vor zwei Jahren auch die Mark getroffen, aber es waren glücklicherweise nur seine Ausläufer gewesen. Der Boden hatte geschwankt und einige Häuser waren beschädigt worden, doch alles war glimpflich verlaufen. Allerdings nicht ohne eine Tragödie. Ausgerechnet der alte Signalturm der Festung Eternas hatte nicht standgehalten. Unter seinen Trümmern waren viele alte Weggefährten begraben worden. Darunter Nedeams Mutter Meowyn und ihr Gemahl Tasmund, die sich in den Wohnräumen des Haupthauses aufgehalten hatten. So schmerzlich diese Verluste für Nedeam waren, weit härter traf ihn der Tod der Herrin Larwyn, die zu diesem Zeitpunkt auf der Signalplattform gestanden hatte.

„Ich vermisse sie“, bekannte Nedeam. „Sie hat die Hochmark mit Weisheit und gutem Herzen geführt.“

Llaranya schob ihre Hand in die seine und drückte sie sanft. „Du bist selbst kein ungestümer Krieger mehr, mein Liebster. Du hast viel an Weisheit gewonnen und wirst ein ebenso guter Herr der Mark sein.“

„Pferdefürst.“ Das Wort klang bitter. „Der Titel lastet schwer auf meinen Schultern. Ich wollte, ich wäre ein einfacher Pferdelord, würde das Gehöft meines Vaters bestellen und nur zu den Waffen eilen, wenn der Eid und mein Pferdefürst mich rufen. Nun bin ich selbst derjenige, der die Männer zu Kampf und Tod auffordert.“

„Rede keinen Unsinn.“ Sie deutete über den Grabhügel. „Du hast genug vom Kampf und auch vom Tod gesehen und bist nie dem Kampfrausch und der Ruhmessucht verfallen. Du weißt zu gut, was es bedeutet, den Tod zu geben oder zu empfangen. Nein, Nedeam, ich bin mir sicher, dass du deine Macht als Pferdefürst der Hochmark mit Bedacht einsetzen wirst.“

„Ja, mag sein“, antwortete er zögernd. „Doch die Zweifel bleiben.“

„Zweifel sind gut.“ Wind kam auf und spielte mit ihrem langen Haar. „Zweifel sorgen dafür, dass man seine Handlungen überdenkt. Nur darfst du dich niemals den Zweifeln ergeben. Wenn es gilt, dann musst du fest in deinem Entschluss sein. Bedenke, mein Liebster, dass du niemals alleine stehen wirst.“

Er legte den Arm um sie und zog sie an sich. Sie schmiegte sich an ihn und sie gaben sich ihrem Kuss und ihrer Liebe hin. Nichts verriet in diesen Augenblicken, welch gnadenlose Kämpferin die schöne Elfin sein konnte.

Als sie sich voneinander lösten, erklang ein leises Hüsteln. Sie wandten sich um und sahen den Ersten Schwertmann der Hochmark, Arkarim, und neben ihm die mächtige Gestalt von Fangschlag.

Das Rundohr der Orks trug seine alte Rüstung, die ihn als Legionsführer des Schwarzen Lords auszeichnete. Nedeam wusste, dass dies ein besonderer Respektbeweis des Kriegers war, welcher der toten Herrin Larwyn galt. Fangschlag hatte viele Jahre gegen das Pferdevolk und seine Verbündeten gekämpft. Er hatte sich als tapferer und ehrenhafter Feind erwiesen.

Die kräftigen Rundohren überragten einen durchschnittlichen Pferdelord um mehr als Haupteslänge, waren schwer gepanzert und stellten sich in vorderster Linie zum Kampf. Häufig deckten sie mit ihren Leibern die wesentlich kleineren und schlankeren Spitzohren. Diese waren hinterlistige Gesellen, die den offenen Kampf scheuten und ihre Pfeile und Bolzen lieber aus der zweiten oder dritten Reihe lösten. Sie waren bei den Rundohren nicht besonders beliebt, denn die Spitzohren kümmerte es im Kampf oft nicht, ob ihre Geschosse Freund oder Feind trafen.

Der Verrat eines dieser Spitzohren, Einohr, hatte zum Verlust von Fangschlags Legion geführt und diesen dazu bewogen, die Seiten zu wechseln. Nun hoffte er darauf, Einohr erneut zu begegnen, um ihn töten zu können. Obwohl sich Fangschlag immer wieder als treuer Verbündeter erwies, wusste Nedeam, dass sie nur einen Bund auf Zeit geschlossen hatten. Es mochte sein, dass der tapfere Krieger erneut in die Reihen der Rundohren trat, wenn der verräterische Einohr tot war. Es sprach für die Ehrenhaftigkeit des großen Kriegers, dass er diese Möglichkeit unumwunden einräumte. Nedeam empfand Unbehagen bei diesem Gedanken, denn aus dem einstigen Feind war längst ein verlässlicher Gefährte geworden. Fangschlags Persönlichkeit bewog den jungen Pferdefürsten immer wieder, in den feindlichen Orks nicht nur Bestien zu sehen.

Fangschlag lebte nun seit einigen Jahren in der Hochmark und trug meist eine braune Kutte, die seine Gestalt und seine gescheckte Haut verbarg. Noch immer schlug ihm Feindseligkeit entgegen, denn der Hass zwischen den Völkern war zu tief verwurzelt und durchaus begründet. Das Rundohr ertrug die Anfeindungen mit scheinbar stoischem Gleichmut und hatte ein Quartier in der Festung bezogen, um möglichst wenig mit den Bewohnern der Hochmark oder Fremden in Kontakt zu kommen. Unter den Schwertmännern und Pferdelords wurde er geachtet, und niemand wagte es, in Gegenwart eines Kämpfers abfällig über Fangschlag zu reden.

Neben dem gewaltigen Rundohr wirkte Arkarim klein und schmächtig, obwohl er hochgewachsen und durchaus kräftig war. Er war Schwertmann im Dienste der Hochmark gewesen. Die Schwertmänner bildeten die stehende Truppe einer Mark. Ihr Pferdefürst kam für Ausrüstung und Versorgung auf sowie für ein bescheidenes Handgeld. Die Aufwendungen wurden aus jenem Anteil beglichen, den jeder Bewohner einer Mark seinem Herrn zu entrichten hatte. Für die Familien auf den Gehöften war es ein eher symbolischer Betrag, der daraus bestehen mochte, dass man bei der Ernte auf den Feldern der Stadt half. Für Handelsherren wie den vermögenden Herrn Helderim konnte es sich hingegen um einen ansehnlichen Beutel goldener Schüsselchen handeln.

Die Anzahl der Schwertmänner unterschied sich von Mark zu Mark. Sie hing von ihrer Größe, einer möglichen Bedrohung durch eine nahe Grenze und der Aufwendung des Pferdefürsten ab. Garodem hatte einst über nur fünfzig Kämpfer verfügt, inzwischen brachte die Hochmark acht Hundertschaften, sogenannte Beritte, in den Sattel. Für eine relativ kleine Mark war dies eine stattliche Zahl, doch die Stärke der Schwertmänner war wohlbegründet. Gemeinsam mit dem Zwergenvolk hielt die Hochmark die Nordfeste besetzt.

Gleichgültig, aus welcher Mark ein Schwertmann kam, sie alle beherrschten Schwert, Stoßlanze und Bogen in Perfektion. Sie trugen die beigefarbenen Reithosen und den metallenen Harnisch. Alles Lederzeug hatte die typische rotbraune Farbe des Pferdevolkes. Ihre Kennzeichen waren die fußlangen Umhänge aus grünem Wollstoff und die hohen Helme mit Nackenschutz und Rosshaarschweif. Wenn man die Beritte der Marken zusammenführte, so unterschieden sie sich nur an den schmalen Säumen der Umhänge und dem Rosshaar. Diese waren in den Kennfarben der Marken gehalten. Garodem hatte für seine Hochmark ein kräftiges Blau gewählt, und Pferdefürst Nedeam führte diese Tradition weiter.

Die Schwertmänner waren nicht die einzigen Kämpfer des Pferdevolkes. Jeder waffenfähige Mann konnte sich freiwillig als Pferdelord verpflichten. Er leistete den Treueid und erhielt das Recht, den grünen Umhang der Kämpfer zu tragen. Rief der Pferdefürst die Pferdelords zu den Waffen, dann sattelten sie ihre Pferde, verließen Gehöft, Weiler oder Stadt und führten an Waffen, was ihnen zur Verfügung stand. Oft genug eine kräftige Axt, mit der sich Holz und Schädel gleichermaßen spalten ließen. Einmal im Jahr wurden sie zusammengerufen, damit sie den Umgang mit der Stoßlanze übten, welche die Waffenkammer des Pferdefürsten stellte.

Kein Pferdelord war verpflichtet, in den Krieg zu ziehen, wenn die Marken nicht direkt bedroht waren. Dies war ein Brauch aus alten Tagen, der jeglichen Eroberungsgelüsten eines Pferdefürsten entgegenwirken sollte.

Der Pferdefürst war der uneingeschränkte Herr seiner Mark, und doch hatte seine Macht Grenzen. Regierte er schlecht, so konnte er vom Rat der Pferdefürsten abgesetzt werden. Die Schwertmänner seiner Mark entschieden dann über die Nachfolge und konnten einen Mann aus ihren Reihen bestimmen.

Im Fall der Hochmark hatte die Hohe Dame Larwyn das Erbe ihres Gemahls Garodem angetreten, und sie hatte sehr darunter gelitten, dass der gemeinsame Sohn Garwin zum Renegaten geworden war. Nach ihrem Tod beim Einsturz des alten Turms und Hauptgebäudes hatte die Beratung der Schwertmänner nicht lange gewährt. So trug nun der einstige Erste Schwertmann der Hochmark, Nedeam, die Bürde der Verantwortung, und er war froh, Arkarim an seiner Seite zu wissen.

Arkarim hatte Nedeam schon als Scharführer in manches Abenteuer begleitet, und so schien es selbstverständlich, dass er die Nachfolge seines Freundes als Erster Schwertmann antrat. Auch Arkarim sehnte sich nicht nach dieser Last, und doch erfüllte sich damit für ihn ein Herzenswunsch.

Den Schwertmännern einer Mark war es verwehrt, ein Weib zu nehmen und eine Familie zu gründen. Die Sorge um die Ihren sollte sie im Kampf nicht beeinflussen. Nur der Erste Schwertmann bildete eine Ausnahme, denn seine Familie hatte einst als Faustpfand der Treue zu seinem Pferdefürsten gedient. Die Zeiten, in denen sich das Pferdevolk gegenseitig bekämpfte, waren lange vorbei, doch die Tradition hatte sich gehalten. Arkarim trug nun symbolisch das Banner des Pferdefürsten, und so hatte er endlich seine geliebte Etana heiraten können. Nedeam wusste nur zu gut, dass etliche seiner Schwertmänner ihre Liebschaften hatten. Natürlich nur in aller Heimlichkeit, obwohl sicher jeder davon wusste und keiner darüber sprach. Der neue Pferdefürst der Hochmark war fest entschlossen, mit der alten Tradition zu brechen, die so vielen Männern ihr Glück verwehrte, und hatte vor, dies bei der nächsten Versammlung des Rates zur Sprache zu bringen.

„Es ist an der Zeit, Hoher Lord“, sagte Arkarim leise. „Der Beritt ist bereit.“

Nedeam erwiderte den Druck von Llaranyas Hand. „Ich weiß. Geht schon vor, Arkarim, ich werde Euch folgen.“

Die beiden Freunde, denn Nedeam zählte auch Fangschlag zu ihnen, gingen zu der kleinen Brücke, die über den Eten zur Stadt führte. Der Pferdefürst und seine Elfin wandten sich hingegen dem nahen Wald zu.

Seite an Seite und mit langsamen Schritten näherten sie sich den Bäumen. Sie wussten, dass ein Abschied nahte, den sie beide nicht wünschten.

„Ich sollte bei dir sein“, sagte Nedeam traurig.

„Ja, das würde ich mir wünschen“, bekannte Llaranya.

Als elfischem Wesen lag ihr jede Lüge fern, obwohl sich Nedeam das in diesen Augenblicken wünschte. Ein paar tröstende Worte hätten ihm die Trennung leichter gemacht.

„Es ist deine erste Schröpfung“, fügte er hinzu.

„Du könntest mir dabei nicht helfen“, sagte sie freimütig. „Und ich würde deine Präsenz kaum spüren. Aber ich bin nicht allein. Meine elfische Schwester Leoryn wird über mich wachen.“

Leoryn war nicht die leibliche Schwester Llaranyas, aber sie war immerhin eine Elfin, wenn auch aus dem Hause Elodarions. Sie und ihr Bruder Lotaras hatten entschieden, bei ihren Freunden in der Hochmark zu bleiben, als die Elfen das Land verließen. Es war ein großes Opfer, und die Hohe Dame Larwyn hatte den spitzohrigen Freunden bereitwillig den kostbaren Wald überlassen. Hier war ein typisches Haus der Elfen des Waldes entstanden, welches sich die Geschwister teilten, während Llaranya mit Nedeam in der Festung lebte.

Doch nun näherte sich ein Zeitpunkt, der für jeden Elfen von außergewöhnlicher Bedeutung war.

Das Volk der Elfen war unsterblich, sofern das Leben nicht durch Krankheit oder gewaltsamen Tod beendet wurde. Diese Unsterblichkeit hatte ihren Preis. Es gab nur wenige Geburten, und Kinder waren daher das höchste Gut des Volkes. Zudem musste sich jeder Elf in einem Abstand von ungefähr fünfhundert Jahren der Schröpfung unterziehen. So aufnahmefähig ein Gehirn auch sein mochte, so war seine Fähigkeit dennoch begrenzt. Es kam der Zeitpunkt, an dem es von den Eindrücken des Lebens überfüllt war, und dies führte unweigerlich zum Wahnsinn. Die Elfen hatten jedoch eine Möglichkeit ersonnen, sich davor zu schützen. Bei der Schröpfung wurde eine Zeremonie vollzogen, die den Geist eines elfischen Wesens von seinem Wissen befreite und nur eine rudimentäre Erinnerung übrig ließ. Damit nichts verloren ging, schrieb ein Elf, der sich der Schröpfung unterziehen musste, zuvor alle wichtigen Ereignisse nieder.

Llaranyas Zeit war nun gekommen, und sie hatte in den letzten Monaten eifrig aufgeschrieben, was ihr von Bedeutung erschien. Jetzt musste die Zeremonie vollzogen werden, die nur von Elfen durchgeführt werden konnte. Es war für Llaranya und auch für die Geschwister Lotaras und Leoryn die erste Schröpfung, und Nedeam verspürte Furcht um sein geliebtes Weib. Obwohl er Vertrauen in die elfischen Fähigkeiten hatte, nagten die Zweifel an ihm, ob Llaranya ihn nach der Schröpfung noch immer lieben würde.

Diese Furcht wurde immer größer, je näher sie dem Wald und dem elfischen Haus kamen.

Nedeam hatte beim Bau geholfen und Handreichungen gemacht, doch die meiste Arbeit hatten die drei Elfen bewältigt. Es gab wohl nur wenig, in dem es ein Elf nicht zur Vollkommenheit brachte. Das kleine Haus zeigte alle Kunstfertigkeit des elfischen Volkes. Es verfügte über mehrere Räume, die sich dem natürlichen Wuchs des Baumes anpassten und in verschiedene Ebenen eingeteilt waren. Feine Schnitzereien verzierten die Handläufe und die Rahmen der Türen und Fenster. Als Zugeständnis an die gelegentlich unfreundliche Witterung der Hochmark hatte man Klarsteinscheiben eingesetzt. Viele der Möbel waren von Tischlern des Pferdevolkes gefertigt worden und die Elfen hatten die Geschenke aus Höflichkeit angenommen, auch wenn sie, im Vergleich zu denen ihres Volkes, eher grob und kantig wirkten. Nedeam fragte sich immer wieder, wie es den Elfen wohl gelang, ihren zierlichen Möbelstücken ein solches Maß an Festigkeit zu verleihen.

Die Elfen waren geschickte Kletterer, und doch hatten sie an diesem Haus eine Konstruktion angebracht, welche diese Mühsal ersparte. Über Rollen und Gegengewichte wurde eine kleine Plattform bewegt, die den bequemen Aufstieg oder Abstieg ermöglichte. Nedeam hatte den durchaus berechtigten Verdacht, dass dies ihm zuliebe geschah, denn er besaß nicht die unnachahmliche Geschicklichkeit des elfischen Volkes.

So war es sicherlich Höflichkeit, die Llaranya dazu veranlasste, die Plattform gemeinsam mit Nedeam zu nutzen und sich langsam in die untere Ebene des Hauses hinauftragen zu lassen. Nervös glitt die Hand des Pferdefürsten dabei über das zierliche Geländer des Fahrkorbs, und er hatte keinen Blick für die filigranen Blattschnitzereien und die sorgfältige Bemalung übrig.

Lotaras und Leoryn, die elfischen Geschwister mit dem weißblonden Haar ihres Volkes, erwarteten sie bereits im gemeinsamen Wohnraum. Einige Kerzen brannten und betörende Düfte fremdartiger Essenzen erfüllten den Raum. Dies war eher ungewöhnlich, und Nedeam runzelte überrascht die Stirn.

Leoryn, die eine hervorragende Heilerin war, deutete um sich. „Dies ist die Vorbereitung der Schröpfung, Pferdelord. Llaranya hat ihr Wissen niedergeschrieben, und nun ist es an der Zeit, ihren Geist von unnötiger Last zu befreien.“

Der Pferdefürst war schon oft in diesem Raum gewesen und ihm fiel auf, dass es ein neues Regal gab, in dem sich die Schriftrollen stapelten. „Das alles ist von Llaranya?“

„Fünfhundert Jahreswenden ihres Lebens“, bestätigte die Heilerin. „Wir werden die Rollen später zu Büchern zusammenfassen. So wie es bei unserem Volk üblich ist.“

„Ihr müsst verdammt viele Bücher in euren Häusern haben“, seufzte Nedeam.

„Sehr viele.“ Lotaras grinste breit. „Da unsere Häuser zu den neuen Ufern aufgebrochen sind und ihre Bücher mitgenommen haben, ist uns nur wenig von dem alten Wissen geblieben. Vieles von dem, was unser Volk kennt, bleibt uns somit verborgen. Dies ist der Anfang eines neuen Hauses und es werden noch viele Aufzeichnungen folgen.“ Er lachte freundlich. „Wir Elfen haben ein langes Leben.“

Alle drei Elfen waren mit ihrem Alter von fünfhundert Jahren noch außerordentlich jung und sie alle standen vor ihrer ersten Schröpfung. Llaranya würde sie als Erste erleben. Fünfhundert Jahre … Dabei sah sie aus wie eine allenfalls Zwanzigjährige. Nedeam kannte den elfischen Gelehrten Mionas, der einem würdigen alten Patriarchen glich. Das Aussehen verriet nur wenig über das wahre Alter eines Elfen. Sie besaßen die Fähigkeit, den Alterungsprozess ihres Körpers zu einem beliebigen Zeitpunkt anzuhalten, ihn fortzusetzen und erneut zu unterbrechen. Sie waren in der beneidenswerten Lage, ihre Erscheinung wählen zu können. Allerdings ließ sich die körperliche Alterung nicht rückgängig machen. Immerhin blieben Elfen auch nach einem langen Leben von den Gebrechen der Menschen verschont.

„Nedeam sorgt sich.“ Llaranya sah ihren geliebten Mann mit sanftem Lächeln an.

„Wegen der Schröpfung?“

„Er fürchtet, ich könnte vergessen, wem mein Herz gehört.“

„Oh.“ Leoryn nickte. Ihr Blick war verständnisvoll, als sie zu Nedeam trat und seine Hand ergriff. „Sei unbesorgt. Die Empfindungen des Herzens und die Kenntnis von Personen bleiben unberührt. Auch ihre Fertigkeiten werden nicht angetastet. Doch die Erlebnisse einzelner Tageswenden, Monde oder Jahreswenden, sie werden aus ihrem Gedächtnis entnommen. So wird ihr Geist frei für neue Eindrücke und Erlebnisse.“

„Wie … wird das geschehen?“

Llaranya seufzte leise. Sie hatte es Nedeam in den vergangenen Wochen schon oft erklärt und doch waren seine Zweifel und Ängste geblieben. „Essenzen werden mir helfen, in einen tiefen Schlaf zu sinken. Leoryns Geist wird über mich wachen. Es ist eine … Verschmelzung … und sie kann nur von jenen durchgeführt werden, die reinen elfischen Blutes sind.“

„Sei ohne Sorge“, warf Lotaras ein. „Wir sind vom Hause Elodarions und somit von allerreinstem Blut. Du brauchst dich nicht zu ängstigen.“

„Du musst zur Feste.“ Llaranya zog Nedeam an sich und spürte das leichte Zittern seines Körpers. „Der Beritt und die Pflichten eines Pferdefürsten warten.“

Sie küssten sich, und es fiel ihnen beiden schwer, sich wieder zu trennen.

Lotaras griff neben sich und warf sich Pfeilköcher und Bogen über die Schulter. Als Nedeam die Stirn runzelte, lachte der Elf unbeschwert. „Ich werde dich auf deinem Weg begleiten, mein Freund. Llaranya würde es mir niemals verzeihen, wenn dir ein Leid geschähe. So mag es hilfreich sein, wenn du mich an deiner Seite hast.“

Nedeam war schon oft an Llaranyas Seite in den Kampf geritten. Sie war nicht nur die Frau seines Herzens, sondern auch eine überaus fähige Kriegerin, die den Umgang mit dem elfischen Langbogen und der leicht geschwungenen Elfenklinge perfekt beherrschte. Er musste sich eingestehen, dass ihre Reflexe besser als die seinen waren. Das hatte er in manchem spielerischen Übungskampf erfahren.

„Wir werden kaum zum Kampfe kommen“, antwortete er. „Es ist ein Freundschaftsbesuch im Reich Alnoa. Doch mag es nicht schaden, wenn die Ritter der Garde einen Elf zu Gesicht bekommen.“

„Gut.“ Lotaras nickte mit zufriedenem Gesicht, umarmte seine Schwester Leoryn und auch Llaranya. „Dann sollten wir gehen.“

Er packte Nedeam in freundschaftlicher Geste am Arm, denn er spürte, wie schwer dem Pferdefürsten die Trennung fiel.

Lotaras hatte unzweifelhaft recht. Es gab keinen Grund, die unausweichliche Trennung hinauszuzögern, zumal sie sich in wenigen Zehntagen wiedersehen würden. Nedeam leckte sich über die Lippen und glaubte, etwas von Llaranyas Duftwasser zu schmecken. Dann nickte er den beiden Frauen zu und wandte sich zur Plattform, die ihn gemeinsam mit Lotaras dem Boden entgegen trug.

Während sie über den weichen Waldboden schritten, sah Lotaras den Freund nachdenklich an. „Ich hoffe, du hast das nicht ganz ernst gemeint.“

„Was soll ich nicht ernst gemeint haben?“

„Dass es keinen Kampf geben wird.“

Nedeam lachte auf. „Nein, den wird es nicht geben. Wir reiten zu der neuen Festung am Spaltpass. Dort werden wir eine Weile mit der Garde Alnoas üben und unseren Freundschaftsbund festigen. Es wird nur Übungskämpfe geben.“

Lotaras seufzte. „Besser, als sich überhaupt nicht im Kampf zu messen. Weißt du eigentlich, wie langweilig mein Leben geworden ist? Leoryn zu beobachten, wie sie ihre Kräutertränke und Salben mischt und die Wirkung von Pflanzen erforscht, ist nicht gerade erfüllend. Und das Rezitieren elfischer Gedichte mag einem Krieger zwar durchaus gebühren, doch ein Krieger braucht auch das Schwirren der Bogensehne und das Singen seiner Klinge.“

„Mir scheint, du bist ein ziemlich blutrünstiger Elf.“

„Nein, Nedeam, mein Freund, nur ein gelangweilter Elf, und das ist weit schlimmer.“ Lotaras seufzte erneut. „Nun, vielleicht haben wir Glück und begegnen am Spaltpass ein paar Orks.“

Nedeam legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Du solltest deine Hoffnung lieber nicht darauf setzen. Seit Jahreswenden hat sich kein Ork mehr an den Grenzen gezeigt, und ich bin froh darüber. Wenn sie erscheinen, so treten sie stets mit Macht auf. Unser Winterfeldzug nach Merdoret hat gezeigt, dass sie zu kämpfen lernen. Sie werden immer gefährlicher. Ohne den flammenden Atem der Lederschwingen hätten sie damals die weißen Sümpfe überquert und Merdonan genommen.“

„Der Schwarze Lord wird keine Ruhe geben, bis alle freien Völker vernichtet sind.“

„Fangschlag ist derselben Meinung“, räumte Nedeam ein. „Gerade deshalb ist es wichtig, unser Bündnis mit dem Königreich Alnoa zu festigen.“

„Vielleicht hat das Beben sie erwischt.“ Lotaras warf einen kurzen Blick in den gut gefüllten Pfeilköcher, der an seinem Gürtel hing. „Das Tanzen der Erde soll ja im Königreich Alnoa sehr heftig gewesen sein. Ich kann mir vorstellen, dass es im Land der Orks noch weitaus schlimmer gewütet hat.“

Nedeam zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Doch auf eine solch gute Fügung des Schicksals würde ich mich nicht verlassen.“

Der Elf grinste vergnügt. „Ja, vielleicht treffen wir doch auf ein paar Orks. Spitzohren wären für Zielübungen nicht zu verachten.“

„Warum keine Rundohren? Aus Rücksicht auf unseren Freund Fangschlag?“

„Nun, ich will ehrlich sein … Du kennst doch die Rundohren. Vorneweg auf den Feind los und ein verdammt großes Ziel. Leicht zu treffen. Aber die kleinen feigen Spitzohren huschen immer umher und versuchen, sich zu verstecken. Sie sind für einen Bogenschützen die größere Herausforderung.“

Sie schritten über die kleine Brücke ans andere Ufer. Hier war der Eten noch schmal und bescheiden, da er im Quellgrundweiler entsprang. Inzwischen kannte Nedeam auch seinen Verlauf im fernen Land Julinaash, wo er stark und reißend war.

Das linke Ufer kam einer anderen Welt gleich. Vom nahen Handwerksviertel drang eine Vielzahl an Geräuschen und Gerüchen zu ihnen, und die wenigsten davon waren angenehm. Der Geruch von Urin, mit dem das Leder gegerbt wurde, und von erhitztem Eisen aus den Schmieden trieb mit dem Wind heran. Das monotone Stampfen eines Schlagwerks war zu hören.

Nedeam sah missbilligend auf eines der Abflussrohre der Kanalisation. Die einstige Herrin Larwyn hatte seinen Blick für diese Dinge geschärft. „Das Rohrsystem muss gereinigt werden“, sagte er zu sich selbst. „Und wir brauchen mehr Dungschlepper in der Stadt. All die Menschen produzieren eine Menge Abfall und das bekommt dem Fluss nicht. Da muss ich mir etwas einfallen lassen.“

Lotaras nickte. „Du solltest nicht jeden Dung aus der Stadt schlämmen. Einiges könnte man trocknen und dann verbrennen. Es riecht nicht besonders angenehm, aber zu viel Dung ist weder für den Fluss noch für die Felder gut. Ihr Menschen müsst mehr maßhalten. Lebt mit der Natur und nicht gegen sie.“

„Es ist der Fortschritt“, sagte Nedeam düster. „Dampfmaschinen stampfen, wo einst der Hammer des Schmiedes auf dem Amboss erklang. Brennsteinlampen glühen, wo zuvor offene Brennsteinbecken standen. Und es gibt sogar Maschinen, die eine Naht schneller setzen, als jede Näherin.“

„Maschinen können hilfreich sein“, gab Lotaras zu. „Doch sie können sich auch als Fluch erweisen. Denk an die einstige Macht des Reiches von Rushaan. Es besaß metallene Menschen und stählerne Schwingen, und doch ging es unter.“

„Weil es im Krieg mit den Magiern von Jalanne stand.“

„Fortschritt kommt aus dem Geist des Menschen. Doch der Geist muss diesen Fortschritt beherrschen und darf nicht hinter ihm zurückbleiben. Die Macht der Maschinen macht den Menschen bequem, Nedeam, mein Freund. Es kann eine Zeit kommen, in der die Maschinen nicht dem Menschen dienen, sondern umgekehrt.“

Nedeam lachte auf und verstummte, als er das ernste Gesicht seines Freundes sah. „Du redest, als sei dies bereits einmal geschehen.“

„Es gab Zeiten, die euch Menschen vom Pferdevolk unbekannt sind“, erwiderte der Elf. „Und die euch besser verborgen bleiben.“

Nedeam verspürte ein leichtes Frösteln zwischen den Schulterblättern. Er wusste bereits, dass die Elfen viel von ihrem Wissen geheim hielten. Er konnte sich an die Metallpferde von Julinaash erinnern, welche die Macht der Sonne gegen den Feind richteten, und auch daran, dass Llaranya diese furchtbaren Waffen offenbar erkannt hatte. Auf seine Frage hin hatte sie nur auf die Schriften der Elfen verwiesen und Nedeam wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiter in sie zu dringen. Die Häuser des unsterblichen Volkes verbargen ihr Wissen wohl aus gutem Grund.

Rechts von ihnen lag nun die alte Festung von Eternas.

Pferdefürst Garodem hatte sie einst als erstes Bauwerk in der Hochmark errichten lassen, denn er hatte sich damals um den Schutz der Menschen gesorgt. Es war eine kleine und bescheidene Anlage gewesen, die im Verlauf von Nedeams Leben immer weiter ausgebaut wurde.

Eine wehrhafte Mauer umgab den vorderen und hinteren Burghof und eine etwas kleinere trennte die beiden Höfe voneinander. Zum Süden hin flankierten zwei quadratische Türme das mächtige Haupttor. Im Gegensatz zu den üblichen Festungstoren wurde dieses nach außen geöffnet. Dies hatte den Vorteil, dass eine Ramme das Tor noch fester in seine Bettungen presste, statt es aus den Angeln zu schmettern. Im Inneren der Anlage standen das Haupthaus mit dem Signalturm von Eternas und die alten Unterkünfte der Schwertmänner. Schmiede, Vorratshaus, Heilerstube und Ställe waren im inneren Burghof untergebracht, der nach Norden zeigte. Die dortige Mauer war im Halbrund errichtet und breit genug, dass man dort drei der neuen Dampfkanonen hatte aufbauen können. Sie zeigten zum Pass des Eten, der nun von der Nordfeste geschützt wurde.

Haupthaus und Signalturm hatten bei dem Beben schwerste Schäden erlitten, und ihr Einsturz hatte viele wertvolle Leben gekostet. Nedeam war sich unsicher gewesen, ob man es wieder aufbauen sollte, aber Llaranya und die Schwertmänner hatten ihn überzeugt. Inzwischen war das Haupthaus erneuert und die Wohnräume und die große Halle von Eternas waren wieder verfügbar. Am neuen Signalturm wurde noch immer gearbeitet. Er sollte höher werden als der alte Turm. Auf ihm würde einer der neuen Sonnenspiegel errichtet werden, den man nachts auch mit Brennsteinlampen betreiben konnte. Umlenkspiegel erlaubten es jederzeit, das Licht in die polierte Fläche zu leiten, und Klappen dienten dazu, es zu unterbrechen. Gemeinsam mit dem Reich von Alnoa hatte man ein System entwickelt, bei dem kurze und lange Lichtblitze die Übertragung von Botschaften erlaubten. Solche Signalstationen standen inzwischen im gesamten Einflussbereich des Bündnisses. Eine Kette von ihnen durchzog sogar den Pass des Eten, um die Hochmark mit der Nordfeste zu verbinden. Da der neue Signalturm von Eternas noch nicht fertig war, hatte man die Konstruktion vorerst auf einem der Südtürme installiert.

Sie betraten die Burg nicht, sondern gingen an ihr vorbei nach Westen. Hier breitete sich das große Areal aus, auf dem die Pferdelords der Hochmark ihre Waffenübungen abhielten. Auf diesem ebenen Platz standen die Unterkünfte und Ställe der Beritte. Es waren zweigeschossige Bauten mit einem spitzen Dachstuhl. Im unteren Bereich waren die Pferde untergebracht, darüber lebten die Schwertmänner. Auf den Dachböden lagerten Vorräte, Heu für die Pferde und die Waffen der jeweiligen Beritte. Die Anlage war nicht von einer Wehrmauer umgeben, denn es stand kaum zu befürchten, dass ein Feind bis in die Hochmark vordrang. Sollte dies einmal geschehen, so konnte jedes der Gebäude als kleine Festung dienen. Doch der Nordpass war gut geschützt und am Südpass konnte man einen Feind leicht an den Engstellen aufhalten.

Mehrere Beritte übten auf dem Platz das Reiten in Formation oder den Umgang mit den verschiedenen Waffen. Auf einer Koppel wurden neue Pferde zugeritten und an den Klang der Waffen und Hörner gewöhnt. In der Schlacht benutzte man Hörner, um Befehle zu übermitteln. Normalerweise verwendete das Pferdevolk die gekrümmten Stoßhörner des Hornviehs, aber in den Beritten der Hochmark hatte man ein metallenes Horn eingeführt, dessen Klang heller war und weiter trug.

Drei Beritte standen in sauberer Formation, und als Nedeam und Lotaras den Platz betraten, ertönte ein scharfes Kommando. Die zuvor fröhlich schwatzenden Männer schienen in Reglosigkeit zu erstarren. Der Wind spielte sanft mit den grünen Umhängen und Rosshaarschweifen, und einige der Pferde wurden unruhig, als freuten sie sich, dass es nun endlich losging.

Zwei der Beritte waren als Ablösung für die Nordfeste gedacht, der Dritte würde Nedeam begleiten. Die Männer hatten sich große Mühe gegeben, sich und ihre Pferde herauszuputzen. Alles Lederzeug war frisch geölt, jedes Stück Metall poliert und jedes Ausrüstungsteil saß an seinem Platz.

Jeder der Beritte führte seinen Wimpel an einer langen Lanze mit blattförmiger Spitze aus reinem Gold. Die Wimpel waren aus grünem Tuch und in der blauen Farbe der Hochmark eingefasst. Die Feldzeichen maßen eine Länge bis zur Spitze und eine Viertellänge an der Lanze. Sie zeigten in weißer Farbe das individuelle Symbol des Beritts. Bei den Pferdelords aus den Gehöften und Weilern war dies meist das Zeichen ihrer Herkunft, so zum Beispiel die drei Wellen des Quellweilers. Bei den Schwertmännern entschied meist der Scharführer, was auf das Tuch gemalt wurde. In jedem Fall hatten die Wimpel eine besondere Bedeutung für die Männer, die ihnen folgten und sie bis zum letzten Blutstropfen verteidigten.

Einer der Beritte führte neben dem üblichen Ehrenzeichen ein rechteckiges Tuch. Es war ebenfalls grün und mit einer blauen Einfassung umgeben. Seine Farben waren frisch und das Tuch hatte noch nicht unter der Witterung gelitten. Es war Nedeams neues Banner als Pferdefürsten der Hochmark. Normalerweise übernahm ein Nachfolger das des Vorgängers, doch Nedeam hatte dieses der Hohen Dame Larwyn mit ins Grab gegeben. Der Respekt vor der alten Herrin und dem geliebten Pferdefürsten war zu groß, als dass Nedeam unter dessen Farben hätte reiten können.

So hatte er lange überlegt, welches Zeichen sein neues Banner zieren sollte. Mit Llaranyas Hilfe hatte er manchen Entwurf gefertigt und wieder verworfen, und er war zu keinem rechten Entschluss gekommen. Schließlich stellte ihn die Elfin, ihrer Art entsprechend, vor vollendete Tatsachen und präsentierte ihm ein fertiges Banner, welches sie eigenhändig genäht hatte.

Es zeigte das goldene Erkennungszeichen der Pferdelords. Einen oben offenen Ring, der einem Hufeisen ähnelte. Dessen Enden wurden von zwei Pferdeköpfen gebildet, die in entgegengesetzte Richtungen sahen. Das Symbol verkörperte die Einigkeit und zugleich Wehrhaftigkeit des Pferdevolkes. In seinem Inneren fügte Llaranya das persönliche Zeichen Nedeams hinzu, den Abdruck der Tatze eines Pelzbeißers in weißer Farbe. Als Knabe hatte er die Begegnung mit einem solchen Raubtier nur knapp überlebt und führte die Bärentatze seitdem als persönliches Zeichen auf seinem Rundschild. Das Banner gefiel Nedeam ausnehmend gut, zumal Herz und Blut seiner Llaranya darin steckten, denn sie hatte sich, wie sie verschämt eingestand, beim Nähen mit der Nadel gestochen.

Nun war das Banner des neuen Pferdefürsten an seiner Lanze befestigt und würde die Hochmark zum ersten Mal verlassen.

Arkarim ließ es sich als Erster Schwertmann der Hochmark nicht nehmen, seinen Pferdefürsten und Freund persönlich zu verabschieden.

„Ich sollte an Eurer Seite sein, Hoher Lord“, sagte er in formellem Ton.

„Es geht nicht gegen den Feind, Hoher Herr Arkarim“, erwiderte Nedeam ebenso steif. Einige der Schwertmänner grinsten unverfroren, da sie wussten, wie sehr die beiden Männer sich einander verbunden fühlten. „Es ist nur ein Übungsritt und ich weiß die Mark bei Euch in guten Händen.“

Ein Stallbursche führte Nedeams Hengst Duramont heran. Obwohl alles in bester Ordnung war, überprüfte Nedeam jeden Gurt und jedes Ausrüstungsteil. Der Mann nahm ihm das nicht übel. Im Gegenteil, es hätte ihn und die anderen Männer sehr verwundert, wenn sich ein bewährter Pferdelord wie Nedeam nicht selbst vergewissert hätte, dass alles so bereit war, als müssten sich Ross und Reiter im Kampf bewähren.

Duramont war auf die Art des Pferdevolkes gesattelt und gezäumt. Der Sattel war an den Seiten so unterpolstert, dass er nicht auf dem Widerrist des Pferdes auflag. Anstelle der im Reich Alnoa üblichen Steigbügel gab es Bügelschuhe, die den Vorteil hatten, dass sich ein Reiter beim Sturz nicht darin verfangen konnte. Rechts war der Lanzenköcher befestigt, in dem man Stoßlanze oder Wimpellanze abstützte. Zum Zaumzeug gehörte keine Gebisskette. Nedeam hatte die Kandaren alnoischer Gardekavallerie gesehen. Sie waren für ihn ein Zeichen dafür, dass die Alnoer mit ihren Reittieren bei Weitem nicht die Kampfeinheit bildeten, die für die Reiter des Pferdevolkes so typisch war. Bei den Pferdelords kämpften Pferd und Reiter gemeinsam, während ein Gardist kämpfen und zugleich sein Pferd beherrschen musste.

Er warf einen kurzen Blick über die wartenden Beritte. Jene Männer, die mit ihm nach Alnoa reiten würden, hatten schon an der Seite von Gardisten gekämpft. Diesmal würde es jedoch nicht in die Schlacht, sondern nur zu einer Waffenübung gehen. Für die Männer des Pferdevolkes und der Garde eine Gelegenheit, miteinander zu reden und sich besser kennenzulernen. Das war einerseits gut, denn es förderte das Gemeinschaftsgefühl. Andererseits wusste Nedeam, wie sehr seine Männer den alten Traditionen verbunden waren. Das Pferdevolk war freiheitsliebend und konnte dem stark reglementierten Leben im alnoischen Königreich nichts abgewinnen. Das mochte zu Reibungen zwischen Pferdelords und Gardisten führen. Nedeam nahm sich vor, darauf zu achten und seinen Scharführer entsprechend zu instruieren.

Die Unterführer Herklund und Hendur hatten ihn bereits nach Julinaash begleitet. Herklund war inzwischen zum Scharführer aufgestiegen. Verlässliche Männer und gute Kämpfer, die das Vertrauen und die Wertschätzung der Pferdelords besaßen.

Der junge Pferdefürst nickte dem Stallburschen zu und schwang sich in Duramonts Sattel. Vor dem Aufbruch wollte er noch ein paar Worte an die Beritte richten.

„Es ist an der Zeit, Pferdelords der Hochmark, unsere Pflicht zu erfüllen und alten Freunden und Waffenbrüdern zu begegnen. Jene von euch, die zur Nordfeste reiten, werden unter dem Befehl eines tapferen Axtschlägers des Zwergenvolkes stehen. Wie ich hörte, dient auch der alte Maratuk in der Grenzfestung. Grüßt ihn in meinem Namen. Verseht euren Dienst in Ehren und lasst mir die Finger von zu viel Blor.“ Es gab ein paar fröhliche Lacher bei den Männern und einer von ihnen wankte demonstrativ im Sattel. Nedeam stimmte in das Lachen ein. „In euren Packlasten ist frisches Brot. Es wird nicht mehr ganz so frisch sein, wenn ihr die Festung erreicht, aber es wird die Zwerge freuen. Achtet mir darauf, dass die Zwerge der nördlichen Öde von Rushaan fernbleiben. Auch wenn von dort keine Gefahr drohen mag, so gab ich den einstigen Paladinen doch einen Schwur, ihre Grenzen nicht zu verletzen. Die Krieger Rushaans sind vergangen, aber der Schwur bleibt bestehen.“

Die Reiter nickten. Ein Pferdelord stand bedingungslos zu seinem Wort. So brave und tapfere Männer die Zwerge auch waren, gelegentlich lockten sie doch die Reichtümer, die unter dem Boden des toten Reiches verborgen lagen. Die Männer der Hochmark würden darüber wachen, dass der alte Schwur nicht erneut gebrochen wurde.

„Jene, die mit mir zur neuen Festung Nerianet reiten, werden ebenfalls guten Männern begegnen.“ Der Pferdefürst überlegte kurz. „Die Garde ist ein wenig anders als wir vom Pferdevolk. Sie schleppen viel Metall mit sich herum und machen beim Reiten eine Menge Lärm. Sie lieben das Stampfen von Brennsteinmaschinen und ihre Unterführer brüllen gerne herum.“

„Hört, hört“, meinte ein Schwertmann. „Wo doch unsere Unterführer ihre Stimmen nur so sanft erheben.“

Nedeam ließ die spöttische Bemerkung durchgehen. Auf Streife, im Kampf und beim Waffendrill herrschte unter den Schwertmännern eine eiserne Disziplin, aber es war wichtig, den Männern auch Freiraum zu lassen. Es mochte sein, dass sie manchmal ein wenig über die Stränge schlugen, doch umso disziplinierter waren sie beim Töten ihrer Feinde.

„Das Reich Alnoa hat beim großen Beben schmerzliche Verluste erlitten“, führte Nedeam aus, „und mit dem Spaltpass im Gebirge des Uma´Roll wurde eine neue Passage in das Reich des Schwarzen Lords geöffnet. Bislang ist der Feind dort nicht erschienen, doch wir alle haben oft genug gegen den Herrn der Finsternis und die Orks gekämpft, um zu wissen, dass er sich auf einen neuen Schlag vorbereitet. Daher reiten wir nach Nerianet, um an der Seite der Gardisten zu üben und ihnen zu zeigen, dass sie im Kampf nicht alleine stehen. Ihr alle seid erfahrene Krieger und eine Waffenübung mag euch eher lästig erscheinen. Doch in der Garde Alnoas dienen viele neue Soldaten, denn das Beben hat große Lücken gerissen. Eure Anwesenheit und eure Waffenkunst werden ihnen Zuversicht geben und ein Ansporn sein.“

Nedeam reckte sich ein wenig im Sattel und klopfte dem unruhig werdenden Duramont den Hals. „Duramont ist der Meinung, ich hätte genug geredet. Wohlan, Männer der Hochmark, lasst uns aufbrechen.“

Knappe Befehle wurden gegeben und die Männer saßen auf. Sie waren Schwertmänner und ihr Drill war makellos. Die Körper senkten sich zur gleichen Zeit auf das Sattelleder, Stoßlanzen wurden in die Köcher der Bügelschuhe gestellt, und die metallenen Hörner der Hochmark ließen ihren fordernden Ruf hören.

Nedeam zog Duramont herum, um sich an die Spitze zu setzen.

Er war schon oft hinausgeritten, doch nun ritt er zum ersten Mal unter seinem eigenen Banner. Das erfüllte ihn mit Stolz und zugleich mit Sorge. Es war leicht, Befehle auszuführen, doch nun, als Pferdefürst, trug er die Verantwortung für die Mark und für die Männer, die unter seinem Befehl ritten.

Nedeam hoffte, diesem Anspruch gerecht zu werden.

Bei diesen Gedanken musste der junge Pferdefürst unbewusst lächeln. Vielleicht hatte seine Llaranya wirklich recht und er war kein ungestümer Krieger mehr. Jedenfalls nahm er sich vor, jeden dieser Männer wieder in die Hochmark zurückzubringen.

Ein seltsamer Gedanke, wo es doch nur zu einer Waffenübung ging.


Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes

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