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Kapitel 5

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Zu einer Zeit, welche selbst die Elfen nicht benennen konnten, überragte ein beeindruckender Bergkegel das Land. Dann erschütterten Beben die Erde und der hohe Berg verschwand unter einer Wolke aus Feuer und Asche. Glühendes Gestein floss seine Flanken hinab und das Land versank für lange Zeit in Finsternis, bis die Sonne erneut hervorbrach. Aber das Antlitz des Landes hatte sich gewandelt und aus dem hohen Bergkegel war ein großer Krater geworden. Seine Wände stiegen steil empor und an seinem Grund sammelte sich gelblich grüne Nässe. Erneut verging eine lange Zeit und die Erosion forderte ihren Tribut. Ein kleiner Teil der Felswand gab nach, stürzte ein und das Wasser des großen Flusses strömte in den Krater und bildete einen kristallklaren See. Viele Menschenalter später gab es den See noch immer, aber sein Anblick hatte sich abermals verändert.

Wenn man sich dem Berg vom Land näherte, sah er nun wie ein flacher Kegel aus, dessen oberes Ende man abgetrennt hatte. Das Gestein wies die verschiedensten Schattierungen von Schwarz über Grau bis Braun auf, war scharfkantig und stieg vom Fuß des Berges immer steiler an. Oben, auf dem Rand des Kraters, erhob sich in strahlendem Weiß das typische, glatte Mauerwerk menschlicher Baukunst. Eine hohe und massive Wehrmauer, die sich um den gesamten Krater zog, unterbrochen von achteckigen Türmen mit Plattformen, auf denen schwere Dampfkanonen standen. Überragt wurde diese Anlage von dem gewaltigen Turm, der sich inmitten des Kratersees auf einer Insel erhob. In seiner enormen Größe erschien er trotz seines Durchmessers schlank und filigran, unterbrochen von zierlich wirkenden Balkonen und Brüstungen, bis die Spitze des Turms in der Plattform endete, auf der sich die Signalstation befand.

Der Turm war umgeben von säulengetragenen Gebäuden und Grünflächen. Hier wirkten König und Kronrat des Reiches von Alnoa. Geschwungene Brücken führten über den großen Kratersee hinweg zu seinem Rand. Die Häuser der Stadt folgten dem Verlauf der Felswände, zogen sich ringförmig herum und stiegen immer höher an, sodass die Stadt ein wenig den Eindruck vermittelte, die Gebäude seien die Zuschauer eines riesigen Amphitheaters, dessen Bühne der Königspalast bildete. In der Stadt dominierte der weiße Stein, den die Bauherren des Reiches bevorzugten, und dies hatte dazu geführt, dass man sie auch die „Weiße Stadt“ nannte. Sie war das politische und kulturelle Zentrum des Königreiches von Alnoa und trug den Namen Alneris.

Es gab nur einen Zugang zur Stadt. Dort, wo einst ein Teil der Kraterwand eingestürzt war und nun die Verbindung des Sees mit dem Meer bestand. Die breite Straße und die Zufahrt des Hafens von Alneris waren durch schwere Tore und mächtige Batterien geschützt. Der Fluss Genda verband die Stadt mit dem offenen Meer und der Hafenstadt Gendaneris. Seit dem Seefrieden mit den Schwärmen der See blühte der Handel mit anderen Völkern, doch in Alneris machte sich dies nur indirekt bemerkbar. Der begrenzte Raum des Kratersees war Hauptankerplatz der königlichen Flotte, und die Schiffe aus fremden Ländern nutzten das ferne Gendaneris als Anlaufstelle. Ein reger Warentransport herrschte zwischen der Hauptstadt und dem Handelszentrum des Reiches.

Das Königreich von Alnoa bestand aus Provinzen mit deren Hauptstädten und Dörfern, die dem König Tribut zollten. Ansonsten blieben sie überwiegend eigenständig. Sie unterhielten eigene Stadtmilizen, die nicht dem Oberbefehl des Königs unterstanden, und entsandten ihre Ratsherren, um sich durch diese im Kronrat vertreten zu lassen. Nur die Präsenz der königlichen Gardekavallerie zeigte an, dass die Provinzen Bestandteil eines geeinten Reiches waren.

Der König Alnoas war eher ein Repräsentant als ein Befehlshaber und musste auf die Wünsche der verschiedenen Interessengruppen Rücksicht nehmen. Nur im Kriegsfall, wenn das Reich unmittelbar durch einen Feind bedroht wurde, war seine Herrschaft uneingeschränkt. Dies führte immer wieder zu Spannungen im Kronrat, der für die goldenen Schüsselchen der Schatzkammer eine bessere Verwendung sah, als sie für die Garde auszugeben. Dies galt vor allem nun, da das Königreich noch immer unter den Folgen des großen Erdbebens litt.

Der Versammlungssaal des Kronrates lag in einer der obersten Ebenen des Königsturms, der das Beben durch eine wundersame Fügung nahezu unbeschadet überstanden hatte. Die Risse im Wandputz waren übermalt und ein abgestürzter Balkon erneuert worden. Die beiden zu Tode gekommenen Ratsmitglieder hatten inzwischen ihre Nachfolger gefunden. Der Saal war kreisrund und mit weißem Stein ausgekleidet. Die bequem gepolsterten Sitzbänke bildeten ein Rund, welches nur an zwei sich gegenüberliegenden Stellen geöffnet war. Dort, wo sich der Thron des Königspaares erhob, und dort, wo man das Rund der Ratsversammlung betrat. In der Mitte befand sich eine mehrere Längen durchmessende Karte des Königreiches und der angrenzenden Regionen. Es war eine wundervolle Arbeit aus farbigen Mosaiksteinen. Einige von ihnen waren bei den Erderschütterungen geborsten und mussten noch ersetzt werden, doch es gab dringlichere Aufgaben zu bewältigen.

Die derzeitige Versammlung des Kronrates umfasste sechzehn Mitglieder sowie den König und den Kommandeur der Gardekavallerie.

Der augenblickliche Redner war Welbur ta Andarat, ein Hochgeborener und somit Adliger des Reiches. Er vertrat keine der Provinzen, sondern gehörte zum Hochadel der Hauptstadt. Als solcher fühlte er sich den anderen Hochgeborenen übergeordnet, und diese Form ausgeprägter Selbstsicherheit verschaffte ihm keineswegs Freunde. Welbur war ein sehr gut aussehender Mann. Er hätte jederzeit für ein Kriegerdenkmal Modell stehen können, doch er kämpfte lieber mit Worten als mit der Klinge. Er galt als Weiberheld und tat vieles, um diesen zweifelhaften Ruf zu nähren. Unbestritten hatte er Verbindungen zu den verschiedensten Kreisen der alnoischen Gesellschaft. Er gehörte zu jenen Ratsmitgliedern, die dem König und der Garde- gerne Knüppel zwischen die Beine warfen. Auch jetzt stellte er sich vehement gegen einen Antrag des Königs und hatte dabei viele der Ratsmitglieder auf seiner Seite, da es um die Belange der Hauptstadt ging.

„Wie üblich ist Seine Majestät zutiefst um die Sicherheit unserer Grenzen besorgt“, betonte Welbur ta Andarat mit leichtem Spott in der Stimme. „Und wie üblich wird sie in dieser Meinung von unserem geschätzten Gardekommandeur, dem Hochgeborenen ta Enderos, unterstützt. Gleichwohl wissen wir unsere Grenzen durch die vortreffliche Garde gut geschützt. Es will sich mir nicht erschließen, warum wir so viele goldene Schüsselchen zusätzlich aufwenden sollen, um die Grenztruppen zu verstärken, während sie doch so viel dringlicher zum Wiederaufbau unseres Landes und unserer schönen Stadt benötigt werden.“

Der Mann auf dem Thron hatte nicht die beeindruckende Statur seines Widersachers und sah eher wie ein Kaufmann aus. Venval ta Ajonas, Ajon von Alnoa, König des Reiches und seiner Provinzen, wusste, dass viel Wahrheit in den Worten des Hochgeborenen lag. Viel Wahrheit, doch nicht genug. Er warf dem kleinwüchsigen Gardekommandeur Daik ta Enderos an seiner Seite einen raschen Blick zu, denn er wusste, wie leicht reizbar sein Freund war. Doch Daiks Gesicht blieb nahezu unbewegt. Nur das leichte Wippen auf den Fersen verriet seinen Unmut.

„Es ist nur zu wahr, wie sehr unser Land und seine Provinzen unter dem Beben gelitten haben“, stimmte der König zu. „Selbst in Alneris sind die Schäden noch nicht beseitigt.“

„Hört, hört“, warf ein Ratsherr ein und ignorierte die mahnenden Blicke der anderen. „Das will ich wohl meinen, Euer Majestät. Denkt an den Südhang. All die Häuser und Menschen, die in die Tiefe gerissen wurden. Und die großen Trümmer, die noch immer im Hafenbecken liegen. Erst jetzt, zwei Jahre nach der Katastrophe, beginnt sich der Gestank zu verziehen. Wahrhaftig, Euer Majestät, die Schläge, welche wir erlitten haben, sind unübersehbar. Unübersehbar, Majestät.“

Bei den letzten Worten wurde die Stimme immer leiser und der König sah den Ratsherren mitfühlend an. Der Mann hatte beim Beben seine ganze Familie verloren.

„Eure Trauer ist unsere Trauer, Hochgeborener“, versicherte Venval ta Ajonas.

Der Ratsherr nickte mühsam beherrscht. Er mochte nicht einer Meinung mit dem König sein, doch er wusste, dass dessen Worte aus dem Herzen kamen.

Bei einem Nachbeben hatte ein Teil der südlichen Kraterwand nachgegeben. Segmente der Stadtmauer, zwei der mächtigen Kanonentürme und die Häuser mitsamt ihren Bewohnern waren eingestürzt und teilweise bis zum Innenhafen hinuntergerutscht. Viele der Getöteten hatte man nicht bergen können und lange Monate hatte ein entsetzlicher Verwesungsgestank über dem Areal gelegen. Der keilförmige Trümmerbereich war eine klaffende Wunde im Leib der Stadt und man war nicht sicher, ob man ihn erneut stabilisieren und bebauen konnte. Dennoch würde man es versuchen. So makaber es auch klang, aber der Raum innerhalb der Stadt war begrenzt und konnte nicht ungenutzt bleiben.

„Die Worte des Hochgeborenen ta Halda erinnern uns schmerzlich daran, welche Aufgaben noch vor uns liegen, um unser Reich zu erneuter Blüte zu führen“, nahm Welbur ta Andarat das Wort wieder auf. Geziert zog er ein feines Tuch aus dem Gewand und tupfte sich demonstrativ die Augenwinkel. „Ein jeder von uns hat einen persönlichen Verlust erlitten.“

„Scheinbar hat es damals eine seiner Geliebten erwischt“, knurrte Daik ta Enderos bösartig. „Ich wüsste nicht, was der gezierte Bastard sonst verloren haben könnte.“

„Daik.“ Der König vergewisserte sich, dass niemand die Bemerkung gehört hatte. „Lass dich von ihm nicht provozieren. Du weißt, dass er genau darauf hofft.“

„Die Spur der Verwüstung zieht sich von Gendaneris über unsere geliebte Stadt bis hinüber zu jenem Ort, den man nun den Spaltpass nennt“, fuhr Welbur fort. „Überall müssen Wunden der Seele und des Landes heilen. Städte und Dörfer haben schwer gelitten.“

„Wir standen am Rande einer Hungersnot“, warf ein Ratsmitglied ein.

„Das Volk von Alnoa hat es nie gescheut, sich die Hände schmutzig zu machen“, knurrte Gardekommandeur Daik ta Enderos, „und es hat auch nach dieser Katastrophe beherzt zugepackt. Die Hungersnot konnte abgewendet werden. Nicht zuletzt, da die Garde half, wo immer sie konnte.“ Er räusperte sich. „Wobei auch die Garde zu leiden hatte, ihr hohen Herren des Rates.“

„Oh, fraglos“, räumte Welbur ein und betupfte geziert einen Mundwinkel. „Wobei mir doch scheint, dass ein Soldat ein härteres Los erträgt als eine Mutter mit ihrem hilflosen Kind.“

„Ihr Herren, solche Reden führen zu nichts“, warf der König ein. Er erhob sich von seinem Thron und ging zu der Karte im Zentrum der Versammlung. Am Rand des farbigen Mosaiks blieb er stehen. „Es wird noch lange dauern, bis alle Schäden beseitigt sind, und dabei spreche ich nicht von den seelischen Wunden, die manchem von uns zugefügt wurden. Doch bei aller Not, die wir noch innerhalb des Reiches vorfinden, dürfen wir die Sicherheit seiner Grenzen nicht außer Acht lassen.“

„Ah, die Grenzen“, seufzte Welbur ta Andarat und lächelte sanft. „Sie scheinen Eure Majestät und unseren geschätzten Gardekommandeur weit mehr zu sorgen als die Not der Menschen, die innerhalb dieser Grenzen leben.“

„Genug!“ Der Ratsherr, der seine Familie bei dem Beben verloren hatte, erhob sich und sah den Hochgeborenen erregt an. „Es steht Seiner Majestät und dem Hochgeborenen ta Enderos sehr wohl an, sich um die Sicherheit des Landes zu sorgen. Ich habe den Spaltpass gesehen, Hochgeborener ta Andarat, denn im Gegensatz zu Euch nahm ich die Mühsal auf mich, ihn persönlich in Augenschein zu nehmen. Er ist unheimlich, dieser Pass, und er ist fraglos eine Pforte in unser Land.“

Ta Andarat hatte die Spitze wohl verstanden und wich ihr elegant aus. „Da Ihr, Hochgeborener ta Halda, den Pass bereist habt, gab es kein Erfordernis, dass ich Eurem Beispiel folge. Euer Urteil ist geschätzt im Kronrat, das weiß ein jeder hier. Es wäre sinnlos gewesen, mich der gleichen Mühsal zu unterziehen.“

„In ganz Alnoa haben die steinernen Hochbauten, Signaltürme und Festungsanlagen unter den Erschütterungen gelitten. Alles, was besonders fest gefügt war, wurde auch besonders stark gerüttelt.“ Der König gab Daik ta Enderos ein knappes Handzeichen. „Der Kommandant unserer Gardetruppen kann hierzu Genaueres sagen. Wir sollten seine Worte gut beachten, er hat in den letzten Zehntagen die Grenzfesten besucht und weiß von dort zu berichten.“

Gardekommandeur ta Enderos trat ebenfalls vor, blieb aber respektvoll einen halben Schritt hinter dem König stehen. Er war ein kleiner und eher schmächtiger Mann und sah, da er keine Rüstung der Garde trug, keineswegs beeindruckend aus. Von diesem Erscheinungsbild ließ sich jedoch keiner der Ratsherren täuschen. Daik ta Enderos war klug, zäh und tapfer, was ihn zur ersten Wahl als Kommandeur machte. Er war bei den Gardetruppen geachtet und beliebt und, zum Bedauern einiger Hochgeborener, ein unbestechlicher Freund und Verbündeter des Königs. Ta Enderos trug das bequeme, weit fallende Gewand des alnoischen Adels, verzichtete jedoch auf die schreiend bunten Farben, die so geschätzt waren.

„Ihr hochgeborenen Herren und ehrenwerten Mitglieder des Kronrates“, begann Daik seine Ausführungen. „Wie Ihre Majestät erwähnte, haben nicht nur unsere Dörfer und Städte gelitten, sondern auch die Befestigungen. Mauern verschoben sich oder stürzten ein, Dampfkanonen und ihre Kessel wurden aus den Bettungen gedrückt und dabei beschädigt, andere sogar zerstört. Soldaten wurden von Trümmern erschlagen oder erlitten schwere Verletzungen.“

„Wohl kaum weniger als bei der zivilen Bevölkerung“, warf Welbur ta Andarat ein.

„Sicher nicht“, sagte Daik kalt. „Doch die zivile Bevölkerung steht auch nicht auf den Wällen, um diese zu verteidigen. Obwohl es sein mag, dass diese Zeit bald kommt.“

Welbur wedelte mit der Hand. „Ja, ja, solche Behauptungen haben wir schon oft genug gehört.“

Ein anderes Ratsmitglied beugte sich vor und sein Gesicht zeigte Betroffenheit. „Ich dachte, die Verluste der Garde hielten sich in Grenzen, so bedauerlich sie auch sicherlich sind.“

„Ja, die Garde kam recht glimpflich davon“, bestätigte der kleine Kommandeur. „Allerdings dürft Ihr nicht vergessen, verehrtes Ratsmitglied, dass viele Truppen aus den Festungen abgezogen wurden, um beim Wiederaufbau der Städte und Dörfer zu helfen. Im Augenblick sind die Grenzfesten geschwächt und mit der neuen Festung Nerianet, die den Spaltpass sperrt, muss eine weitere Anlage bemannt werden.“

„Ist dies der Grund, warum Ihr die Barbaren ins Land holt?“ Welbur ta Andarat blickte auf seine Fingerspitzen, hauchte dagegen und polierte sie am Stoff seines Gewandes.

„Barbaren?“ Daik runzelte die Stirn. „Ihr meint die Pferdelords?“

„Ich glaube, so nennt man sie wohl.“

Der Ratsherr der Stadt Gendaneris erhob sich. „Als unsere Stadt von den Korsaren berannt wurde, da haben die Pferdelords keinen Augenblick gezögert, uns zu Hilfe zu eilen. Als Vertreter von Gendaneris werde ich keine Beleidigung dieser tapferen Männer dulden.“

Welbur blinzelte überrascht und nickte zustimmend. „Ich hatte keinerlei Beleidigung im Sinn. Wenn dies so verstanden wurde, so bedauere ich das ausdrücklich. Ich wollte nur zu bedenken geben, dass das Pferdevolk ein … anderes … Volk ist und sicherlich Gebräuchen huldigt, die uns fremd sind.“

„Als die Legionen der Orks vor dreißig Jahren unsere Wälle berannten, da waren es die Beritte der Pferdelords, welche die entscheidende Wende herbeiführten“, mahnte der König und erhielt zustimmendes Gemurmel.

„Und es waren Pferdelords, welche die Heimtücke der Magier von Lemaria aufdeckten und das Volk der krebsartigen Irghil an unsere Seite brachten“, fügte Daik hinzu. „Die Männer des Pferdevolkes sind uns eine willkommene Hilfe und wir stehen in ihrer Schuld.“

„Nun, für Euch, verehrter Daik ta Enderos, gilt dies wohl in besonderem Maße.“ Die Ironie in Welburs Stimme war unverkennbar.

Der brave Gardekommandeur erbleichte für einen Augenblick, denn er wusste wie alle anderen, worauf der Hochgeborene anspielte.

Vor nunmehr fünf Jahren hatten Pferdelords und Gardekavallerie einen Feldzug in das Reich des Schwarzen Lords führen wollen. Der Renegat Garwin hatte erfahren, dass sein Widersacher Nedeam das Vorauskommando führte, und einen hinterlistigen Plan ersonnen, um seinen persönlichen Feind zu vernichten. Seine Männer töteten einige Gardisten und berichteten dem Pferdefürsten in deren Uniformen, die Garde werde nicht kommen. Dadurch war der Pferdefürst gezwungen, den geplanten Kriegszug abzusagen. Zugleich trat Garwin als Pferdelord vor Daik ta Enderos und berichtete ihm, die Pferdelords hätten sich gegen den Kampf entschlossen. Der getäuschte Daik ließ seine Gardekavallerie heimkehren, und so wurde Nedeam mit seinem kleinen Vorauskommando im Feindesland isoliert. Nur der Feueratem der Lederschwingen bewahrte ihn und die Stadt Merdoret vor dem Untergang.

Der Makel, dass er sich von Garwin hatte täuschen lassen, nagte an Daik ta Enderos, obwohl ihn keine wirkliche Schuld traf. Er atmete tief durch, um die Fassung zu bewahren. „Es ist keine Frage der Schuld, sondern eine Frage der Waffenbrüderschaft und Freundschaft“, erwiderte er mit beherrschter Stimme.“

„Nun, es stünde dem Stolz unseres Königreiches besser an, wenn das Pferdevolk beim Wiederaufbau hilft und die Garde entlastet, sodass unsere eigenen Männer wieder die Wälle besetzen.“

„Ich weiß nicht, wie gut die Pferdelords im Steineschleppen sind“, sagte Daik grimmig, „aber im Töten von Feinden sind sie vortrefflich.“

„Was auch für die tapfere Garde gilt“, stimmte Welbur lächelnd zu, der spürte, dass er im Augenblick an Boden verlor. „Sie hat sich schon oft auf das Beste bewährt, und dies gilt unbenommen auch für Euch, verehrter Daik ta Enderos, und Euren Sohn. Ich hörte, er ist derzeit in der Königsstadt des Pferdevolkes, in Enderonas?“

„Im Auftrag der Krone, ja“, bestätigte der König anstelle seines Freundes. „Pferde für unsere Gardekavallerie und einige Dampfkanonen für das Pferdevolk.“

„Da Ihr die Waffenbruderschaft erwähntet, Hochgeborener ta Enderos, so will ich doch festhalten, nur für das Protokoll, dass dies kein Bündnisfall ist, nicht wahr?“

Daik nickte. „Der Bund gilt im Fall der unmittelbaren Bedrohung durch den Feind und verpflichtet uns zur gegenseitigen Hilfe.“ Er sah Welbur spöttisch an. „Sofern unter Freunden eine Verpflichtung erforderlich ist.“

Eines der Ratsmitglieder seufzte vernehmlich. „Verzeiht, aber langsam bin ich ein wenig verwirrt. Warum gehen die Männer des Pferdevolkes zu unseren Festungen? Ist das Königreich von Alnoa so geschwächt, dass es auf fremde Hilfe angewiesen ist?“

„Seid beruhigt, Hochgeborener, das ist nicht der Fall“, sagte der König freundlich. „Die Pferdelords bestreifen nicht unser Land. Doch der Spaltpass im Uma´Roll ist ihnen ebenso neu wie uns. Man kann die Gefahr, die von ihm ausgeht, noch nicht einschätzen. Daher entsenden die Marken des Pferdevolkes abwechselnd einige Beritte, die in der neuen Festung von Nerianet ihren Dienst leisten. So lernen sie den Spalt kennen und es festigt zudem die freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Reichen.“

Der Ratsherr von Gendaneris schlug mit der Hand auf die Sitzbank und zog durch das klatschende Geräusch die Aufmerksamkeit auf sich. „Ich sehe keine Gefahr darin, dass Freunde an unserer Seite stehen, und das Pferdevolk ist unzweifelhaft unser Freund.“

Erneut erhob sich Zustimmung. Welbur ta Andarat zuckte die Schultern, betupfte seine Mundwinkel und lehnte sich ein wenig zurück. „Wie der hochverehrte ta Enderos bekundete, werden die Schäden durch das Beben stärker, je weiter man nach Osten gelangt. Wir haben somit gute Gründe, anzunehmen, dass der Schwarze Lord und seine Horden noch weit mehr gelitten haben als wir.“

„Wir können die Verteidigung des Reiches nicht auf Vermutungen stützen.“ Daik ta Enderos wies in Richtung Osten. „Es mag sein, dass es die Bestien schlimmer erwischt hat, doch wir wissen es nicht.“

„Das führt zu nichts.“ Ta Halda schüttelte entschieden den Kopf. Er sah Welbur ta Andarat an und seine Stimme wurde etwas schärfer. „Der Kronrat hat sicherlich dringlichere Probleme zu erörtern. Es gibt, wie ich ausdrücklich erwähnen möchte, noch genug Dung aufzuwirbeln. Das Beben hat das Kanalisationssystem von Alneris schwer getroffen. Überall stinkt es nach menschlichem Abfall und die Dungschlepper kommen mit ihrer Arbeit kaum nach. Wie weit ist die Verlegung neuer Rohre vorangeschritten?“

Es war an der Zeit, ein wenig zurückzustecken. Welbur hatte eine durchaus bedeutsame Position im Kronrat inne, die er nicht gefährden wollte, indem er zu viel Unmut bei den anderen Ratsmitgliedern erweckte. Er bezeichnete sich gelegentlich als Bewahrer der goldenen Schüsselchen und dies war durchaus, wenigstens in Teilen, zutreffend.

Die Provinzen und Städte zollten der Krone ihren Tribut. Ein Teil des Goldes ging in die Schatzkammer des Königs, der größte Teil wurde jedoch vom Kronrat verwaltet. Der König legte ein wenig Gold als Kriegsreserve zurück, das meiste hingegen gab er dafür aus, die Lebensumstände des einfachen Volkes zu verbessern.

Welbur sah keinen Sinn darin, dem Pöbel kostenlose Theatervorführungen oder Gaukeleien zu bieten und ihre Wänste bei Festen zu füllen. Lediglich den Nutzen der öffentlichen Badehäuser und Heilerstuben erkannte er an, minderten sie doch den unangenehmen Geruch nach Schweiß und schwerer Arbeit, der dem Volk so oft anhaftete. Der König war hingegen nicht für die Besoldung der Garde und die Unterhaltung der Festungen verantwortlich. Dadurch sollte verhindert werden, dass er die militärische Macht ausbaute und auf sie gestützt zum alleinigen Herrscher in Friedenszeiten wurde. Man hatte aus der Vergangenheit mit einem despotischen König gelernt.

Unglücklicherweise gehörte es zu Welburs Aufgaben, über die goldenen Schüsselchen zu wachen, welche der Garde zukamen. Für die Garde und ihren Kommandeur stellte sich so durchaus gelegentlich die Frage, ob sie den härteren Kampf gegen die Orks oder Welbur ta Andarat zu führen hatten.

An diesem Tag zog sich die Sitzung noch lange Stunden hin. Es begann zu dunkeln, als sich König Venval ta Ajonas und Gardekommandeur Daik ta Enderos endlich zurückziehen und die Privatgemächer des Königs aufsuchen konnten. Obwohl es prachtvolle Räume im Königspalast unterhalb des Turmes gab, bevorzugte der Monarch die schlichten Räume knapp unterhalb der Turmspitze. Er liebte die grandiose Aussicht, die man von dort genoss, denn die Spitze des Turms ragte noch ein gutes Stück über den Kraterrand hinaus und man konnte weit in das Land hineinsehen.

Auf dem Balkon vor dem Arbeitsraum Venvals stand eines der neuen Langaugen, die der Händler Helderim vertrieb. Ein verschiebbares goldenes Rohr, an dessen Enden kristallene Linsen saßen, mit deren Hilfe man ferne Dinge für das Auge nah heranholen konnte.

Venval nickte seinem vertrauten Schreiber zu und trat an den massigen Schreibtisch, der mit Schriftrollen und Schreibutensilien bedeckt war. Seufzend bückte er sich und holte eine Karaffe und zwei Gläser hervor, um sich und dem Freund einzuschenken.

Daik musterte die kristallklare Flüssigkeit misstrauisch. „Zwergenblor? Mit Verlaub, alter Freund, doch dieses Zeug ist mir zu stark. Es wird aus Pilzen gebrannt, benebelt die Sinne und verätzt die Innereien. Ich vermute, die Zwerge kleiden ihre Mägen mit Metall aus, um keinen Schaden zu erleiden.“

„Ich hörte aus halbwegs verlässlicher Quelle, dass selbst Metall vom Blor zerfressen wird“, meinte der König lächelnd. „Meinem Magen bekommt es jedoch recht gut. Sofern ich den Genuss in Grenzen halte.“

Daik nahm ein Glas mit kühlem Wein entgegen und prostete dem Freund zu. „Dieser verdammte ta Andarat wirft uns immer wieder Steine in den Weg. Könntest du ihn nicht mit diesem Blor abfüllen und versehentlich von deinem Balkon fallen lassen?“

Venval lachte auf. „Ein verlockender Gedanke, doch das wäre taktisch unklug. Immerhin lässt sich ta Andarat leicht durchschauen und sein Spiel auch zu unserem Vorteil und dem der Garde nutzen. Zudem sind die anderen Ratsherren klug genug, auf Argumente zu hören. Und gelegentlich, mein Freund, hat ta Andarat gar nicht so unrecht. Die Garde steht nicht so schlecht da, wie du es mitunter betonst.“

„Hm, ja, mag sein“, räumte Daik ein. „Manchmal muss man den Hochgeborenen des Kronrats ein wenig Feuer im Kessel machen, damit der Dampf ihre trägen Hintern bewegt.“

„Ich kann dich verstehen, denn du siehst es von der Warte des Soldaten. Dennoch tust du ihnen unrecht, mein Freund. Sie vertreten die Städte und Provinzen und damit auch die Menschen, aus denen das Königreich besteht. Damit das Reich blüht und gedeiht, gibt es viele Dinge zu bedenken.“

„Die es zu schützen gilt“, brummte Daik.

„Dem stimme ich zu.“ Der König stellte die Karaffe mit dem Blor zurück und schenkte sich nun klares Wasser ein. „Jedenfalls bin ich sehr froh, dass das Pferdevolk seine Beritte entsendet. Es entlastet unsere Garde, die noch immer viel mit dem Wiederaufbau beschäftigt ist. Um die Dörfer steht es recht gut. Die kleinen Häuser haben nicht so viel gelitten wie die großen Stadtbauten. Die meisten Schäden sind schon wieder behoben und die Ernteerträge sehen vielversprechend aus. Die Viehzucht in der östlichen Provinz von Nerianeris macht mir allerdings Sorgen. Beim Beben ist dort viel Hornvieh umgekommen. Die Leute haben es für einen Machtbeweis der Finsternis gehalten, dass die Tiere panisch umher rannten, bis sie tot umfielen. Ich denke eher, dass sie sich bei den Erdstößen zu Tode erschrocken haben. Aber wie dem auch sei, trotz der Zuführung von Rindern aus den anderen Provinzen und der erfolgreichen Nachzucht wird es noch eine Weile dauern, bis die Fleischversorgung wieder normal läuft.“

„Bei meinem Besuch der Festungen bin ich an etlichen Dörfern vorbeigekommen.“ Daik strich sich nachdenklich über das Gesicht. „Dabei sind mir immer wieder diese Kuttenträger aufgefallen.“

„Kuttenträger?“ Der König runzelte die Stirn. „Was für Kuttenträger?“

Der Schreiber räusperte sich. Venval wandte sich seinem Vertrauten zu und nickte. „Wenn du etwas von ihnen weißt, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, darüber zu sprechen“, ermunterte er.

Der Mann war groß und muskulös und schien eher ein Schwert als eine Schreibfeder führen zu können. Er tat beides, denn er gehörte zur Leibwache und begleitete den König immer, wenn er den geschützten Bereich des Königsturms verließ. Der König mochte im Volk ein paar Gegner haben, wenn auch sicherlich keine Feinde, die ihm nach dem Leben trachteten. Dennoch konnte sich der Monarch nicht in Sicherheit wiegen. So fleißig und ehrbar das Volk von Alnoa sein mochte, es gab unter ihnen auch Gesetzlose, die umherstreiften, Handelszüge ausraubten und gegen entsprechende Bezahlung ein Leben vorzeitig beendeten. Dem Schwarzen Lord der Orks war diese Tatsache bekannt. So war es nicht unmöglich, dass eine entsprechende Anzahl goldener Schüsselchen einen Attentäter bewog, die Ermordung des Königs zu versuchen. Ferner verfügte der Schwarze Lord über eine Schar unheimlicher Helfer, die man die Grauen Wesen nannte. Sie beherrschten nicht nur verschiedene Zauber, sondern besaßen oft auch die Fähigkeit, ihre Gestalt zu verändern. Sie konnten das Äußere eines beliebigen Menschen annehmen und sich somit unerkannt unter ihren Feinden bewegen.

Der Schreiber überlegte kurz. „Diese Kuttenträger tauchen überall in den Provinzen auf. Es sind gute Menschen, die dort anpacken, wo ihre Hilfe benötigt wird. Ich weiß nichts Genaues über sie, aber ich hörte, sie kämen aus den verschiedensten Ständen und Handwerken. Sie halten das große Beben für ein Zeichen, dass die Gewalt enden muss, und haben ihr abgeschworen.“

„Na, das wird die Orks aber freuen“, knurrte Daik sarkastisch.

Venval machte eine abwehrende Handbewegung, da er hören wollte, was der Mann zu sagen hatte. „Berichte genauer, was du von ihnen weißt oder wenigstens gehört hast.“

„Nun, wie ich schon sagte, sie haben wohl jeglicher Gewalt abgeschworen. Als Symbol, dass sie alle von gleichem Stand sind, tragen sie braune Kutten mit langen Kapuzen. Gleiche unter Gleichen nennen sie das wohl. Sie bezeichnen sich als die Bruderschaft des Kreuzes.“

„Was für ein Kreuz?“, fragte Venval prompt.

Daik meldete sich zu Wort. „Sie schleppen immer ein hölzernes Kreuz mit sich herum. Plump geformt und etwas größer als ein gutes Schwert.“

„Dieses Kreuz stellt auch ein Schwert dar“, erklärte der Schreiber. „Um aufzuzeigen, dass sie für den Frieden eintreten, halten sie das Holzschwert nicht am Griff, sondern am langen Ende.“

„Aber was bezweckt diese … diese Bruderschaft des Kreuzes?“ Der König nippte verwirrt an seinem Glas. „Du sagst, sie treten für den Frieden ein und haben jeglicher Gewalt abgeschworen …“

„Ja, das ist verdächtig“, brummte der Gardekommandeur. „Versuchen sie, die Leute zu bekehren, Schreiber? Ich meine, sie davon abzubringen, sich gegen die Orks zu wehren?“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Darüber ist mir nichts bekannt. Sie führen keine aufrührerischen Reden gegen die Krone oder die Garde. Ich habe mal einen von denen hier in Alneris auf dem Markt getroffen und ihn ein wenig, äh, ausgefragt. Der Mann erzählte mir, er habe seine Familie beim Beben verloren und sein Bruder habe einst bei der Garde gedient und sei im Kampf gefallen. Es sei seine eigene Entscheidung, keine Gewalt mehr auszuüben, doch er verstehe sehr wohl, wenn die Garde die Menschen vor einem Feind schützen müsse. Aber er selbst werde nie eine Waffe anfassen und die Hand nur ausstrecken, um Gutes zu tun.“

„Diese Burschen sind überall im Reich zu finden?“

„Es gibt nur wenige“, beschwichtigte der Schreiber, der die Unruhe des Gardekommandeurs spürte. „Meist ist es nur einer oder zwei, gelegentlich eine Handvoll. In den Dörfern im Osten sollen sie häufiger zu finden sein. Dort gab es ja die schlimmsten Zerstörungen und werden noch immer viele helfende Hände benötigt.“

„Wenn sie helfen und dabei friedlich sind, soll es mir recht sein“, meinte der König.

„Dennoch sollte man sie im Auge behalten.“ Daik ta Enderos reckte sich ein wenig. „Das Reich und die Garde erholen sich gerade erst von der Katastrophe und wir heben neue Rekruten in den Provinzen aus. Da behagt es mir nicht, wenn sich diese Bruderschaft da einmischt.“

„Mein Freund“, rügte der König, „manchmal denkst du zu sehr wie ein Soldat. Glaube mir, am Frieden ist nichts Schlechtes.“

„Solange es nicht der Friede einer Begräbnisstätte ist“, antwortete Daik düster.

Der König seufzte und legte dem Freund die Hand auf die Schulter. „Schön, wenn es dich beruhigt, entsende ich ein paar Männer, welche die Brüder des Kreuzes für eine Weile beobachten. Aber ich finde, Gewalt abzulehnen und Gutes zu tun, ist ein dankenswerter Vorsatz.“

„Solange der Schwarze Lord und seine Orks nicht an unsere Türen klopfen“, stimmte Daik mit erzwungenem Lächeln zu.


Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes

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