Читать книгу Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes - Michael Schenk - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеWenn man sich dem Gebirge des Uma´Roll vom Westen näherte, so schien die Bezeichnung des Spaltes durchaus passend. Es wirkte, als sei ein stumpfer Keil von oben in die einst undurchdringlichen Berge getrieben worden und hätte sie gespalten. Je näher man der gewaltigen Öffnung kam, desto deutlicher wurde, wie falsch und irreführend der Begriff in Wahrheit war und wie sehr er zugleich auf erschreckende Weise zutraf. Der Spalt endete auf der Höhe des Erdbodens und zeigte sich dort als breite Schlucht, die tief in das Gebirge hinein- und, wie man befürchtete, vollständig hindurchführte. So war der Begriff des Spaltpasses sicher zutreffender. Etliche Tausendlängen innerhalb des Passes öffnete sich allerdings tatsächlich ein Spalt, der tief ins Erdinnere hinabzuführen schien. Erkundungstrupps der Garde berichteten von rötlichem Glühen und stinkenden Nebeln, welche dort wallten. Zwischen dem bodenlosen Abgrund und den steil aufragenden Felswänden des Uma´Roll gab es allerdings Trassen von Tausenden Längen Breite, die einen leicht begehbaren Eindruck machten. Die Berichte der Kundschafter ließen erahnen, dass der Feind sie bequem für einen Vormarsch nutzen konnte.
Die neue Festung von Nerianet hatte die Aufgabe, genau dies zu verhindern oder doch wenigstens ein Vorrücken des Feindes aufzuhalten, bis Verstärkung eintraf.
Einen Pass zu bewachen, war unter normalen Umständen nicht besonders schwierig, wenn es sich um einen relativ schmalen und leicht überschaubaren Weg handelte. Doch dieser war knapp vierzig Tausendlängen breit. Eine unvorstellbare Ausdehnung, die man nicht, wie am Nordpass des Eten, mit einer Mauer sperren konnte. So errichtete man die Festung am westlichen Ende des neuen Passes, ungefähr in der Mitte seiner Breite, und suchte nach einer Lösung, wie man ein mögliches Eindringen des Feindes verhindern konnte.
Einerseits galt es sicherzustellen, dass der Feind nicht unbemerkt über den Pass gelangte. Er sollte zeitig entdeckt und gemeldet werden. Andererseits musste man Truppen schnell heranführen können, um ihn zu bekämpfen. Rechtzeitig genug, um die Legionen des Gegners daran zu hindern, in das ungeschützte Herz des Königreiches vorzustoßen.
Es schien eine unlösbare Aufgabe, und doch hatten die Gelehrten Alnoas und die Garde eine Lösung gefunden.
Statt einer vierzig Tausendlängen messenden Sperrmauer zog sich ein fünf Längen breiter und drei Längen tiefer Graben über die gesamte Breite des Passes. Nur an der Festung Nerianet gab es einen festen Übergang. Ein Graben allein hätte die Orks nicht abgeschreckt, doch dies war ein Feuergraben, angefüllt mit Brennstein, der bei Gefahr entzündet werden sollte. Die Gelehrten versicherten, dass er mindestens fünf Tage brennen würde, bevor ein Angreifer ihn auf Stegen überqueren konnte. Damit Regen den Graben nicht durchnässte, gab es ein Entwässerungssystem mit Rohren und eine schützende Abdeckung.
Der Feuergraben war, so unkompliziert er äußerlich auch wirkte, unzweifelhaft ein Meisterwerk der Gelehrtenkunst und gleichermaßen die erste und letzte Verteidigungslinie zwischen dem ungeschützten Kernland Alnoas und dem Feind jenseits des Uma´Roll.
Eine Hundertlänge vor dem Graben waren die Vorposten stationiert. Ihre Fähigkeiten wurden besonders in der Nacht benötigt. Ihre Ohren konnten einen Feind entdecken, bevor die Augen ihn wahrnahmen. Falls er kam, würden sich die Männer über Holzplanken zurückziehen, die über dem Graben lagen, und diese danach fortnehmen. Jenseits des Grabens, auf der alnoischen Seite, erhoben sich die Kampftürme.
Man hatte vor der Wahl gestanden, schlichte Beobachtungstürme mit Signaleinrichtungen zu bauen oder die wehrhafteren Türme. Zum Schutz der Männer hatte man sich für die Türme entschieden. Gedrungene Konstruktionen, die in einem Abstand von je einer Tausendlänge zueinander standen. Eigentlich glichen sie eher Klötzen als Wehrtürmen. Die Aufgabe ihrer Besatzungen war es, den Graben zu zünden, nötigenfalls Brennstein nachzufüllen und jene vereinzelten Orks abzufangen, die vielleicht doch über das Hindernis gelangten.
Jeder Turm war mit fünfzig Gardisten besetzt, die regelmäßig abgelöst wurden. Achtunddreißig Türme erforderten tausendneunhundert Gardisten. Daher hielten fast zwei volle Regimenter der Garde die Festung von Nerianet besetzt.
Gardekommandeur Daik ta Enderos hatte sich von den Gelehrten überzeugen lassen, dass eine kleinere Besatzung nicht in der Lage war, regelmäßige Streifen durchzuführen oder im Bedarfsfall den Graben nachzufüllen. Die Gardisten der Türme spotteten, über mehr Schubkarren als Reitpferde zu verfügen und dem Beruf des Brennsteinhändlers nachzugehen, denn in den Unterbauten der Türme lagerten unzählige Säcke des Materials. Die Vorräte an Brennstein waren in den Provinzen knapp geworden, als man den Graben befüllt hatte, und derzeit war das braune oder schwarze Material eine begehrte und teure Handelsware.
Am westlichen Ende und in der Mitte des Passes stand die neue Festung von Nerianet. Im Gegensatz zu Stadtbefestigungen errichtete Alnoa seine Festungsanlagen immer auf einer erhöhten Position. Dies bot den Verteidigern ein überlegenes Schussfeld und machte es für einen Angreifer schwieriger, überhaupt an die Mauern vorzustoßen. Im Fall von Nerianet war dies nicht möglich gewesen.
Nerianet lag inmitten einer ebenen Fläche und man versuchte, diesen Nachteil durch die Höhe und Stärke der Mauern auszugleichen. An der Basis waren sie gut fünf Längen stark und in zehn Längen Höhe verjüngten sie sich zu einem Wehrgang, auf dem mehrere Soldaten bequem hintereinander stehen konnten. Die Stärke der Mauer täuschte allerdings, denn Unterkünfte und Ställe waren in den Bau einbezogen worden, sodass die wehrhafte Konstruktion an vielen Stellen auf stützenden Säulen ruhte. Ein Zugeständnis an den ungeheuren Materialbedarf und Zeitaufwand bei der Errichtung. Dieser Umstand hatte zwar die Arbeit erleichtert, erfreute aber keinen der Soldaten und schon gar nicht ihren Kommandeur.
An der Innenseite der Mauer gab es, ebenfalls zusätzlich abgestützt, Plattformen für die schweren Katapulte und Dampfkanonen. Die Zahnkränze der Schwenkmechanismen befanden sich nicht unmittelbar an den Lafetten der Waffen, sondern in Maschinenständen am Boden. Das bedeutete eine Gewichtsersparnis für die Plattformen, war jedoch ein Schwachpunkt, da Zahngetriebe, Drehachsen und Dampfleitungen vom Boden nach oben geführt werden mussten.
Von oben betrachtet hatte die Festung die Form eines exakten Rechtecks mit einem Seitenverhältnis von eins zu zwei, wobei eine der Längsseiten direkt zum Spaltpass wies. Diese Nordmauer war massiv gehalten und an der Oberseite stark verbreitert. Auf diesem Mauerabschnitt stand die schwerste Batterie der Dampfkanonen. Man nannte diesen Bereich daher auch Batteriemauer. Hier hatte man Schwenkeinrichtungen und Kessel unmittelbar an den Waffen montiert, wie es eigentlich auch erforderlich war. Die Batteriemauer wies keine Ecktürme auf, sodass die schweren Geschütze keinen toten Winkel hatten, wenn man vom Fuß der Befestigung einmal absah. Das große Haupttor lag in der Südmauer und wurde von einem Überbau geschützt.
Während Unterkünfte und Ställe an und in die Wehrmauer gebaut worden waren, erhob sich im nordwestlichen Teil des Innenhofes das Hauptgebäude. In ihm waren Lagerräume, eine Waffenkammer, Offiziersunterkünfte, Vorratskammern und Kommandantur untergebracht. Ein Teil des Unterbaus diente als große Versammlungshalle, in der über tausend Gardisten gleichzeitig ihre Mahlzeiten einnehmen konnten. Das Vordach ruhte auf stützenden Säulen, welche mit bunten Farben bemalt waren. Darüber folgten drei Ebenen, die ein wenig den Eindruck vermittelten, als hätte man eine Reihe steinerner Schachteln auf dem Unterbau abgestellt.
Insgesamt machte Nerianet nicht den Eindruck, als könnte es die Höchstleistungen alnoischen Festungsbaus widerspiegeln. Aber es war eine Festung, und diese war bereit, den Pass zu schützen.
Hones ta Kalvet hatte die Ehre, in Nerianet als erster Festungskommandant zu dienen.
Er empfand diesen Vorzug durchaus als zweifelhaft, denn in der Anlage traten immer wieder Mängel auf, die ihrer hastigen Errichtung geschuldet waren. Hones hatte dieses Kommando weniger seinen militärischen Verdiensten als vielmehr seinen guten Verbindungen zu verdanken. Er war in mittleren Jahren und hatte zuvor ein Kanonenschiff der Marine befehligt. Als dieses beim Beben im Hafenbecken versank, wurde ihm kein neues Kommando angeboten, eine Folge der enormen Kurzsichtigkeit, die ihn inzwischen plagte. Obwohl hochgeboren, gehörte er nicht zu den vermögenden Adligen, und der Halbsold eines pensionierten Kapitäns nötigte ihn, seinen gewohnten Lebensstil drastisch zu reduzieren. In seiner Verzweiflung war er sogar bereit gewesen, ein Landkommando anzunehmen, obwohl ihm dies als „Seefuß“ zutiefst zuwider war.
Wegen der Katastrophe, die Alnoa getroffen hatte, wurden erfahrene Offiziere gesucht.
Für den Kronrat war von Bedeutung, dass das Kommando an einen Mann übertragen wurde, der Führungserfahrung besaß und die richtigen Entscheidungen traf. Seine Kurzsichtigkeit musste kein Manko sein, wenn er genug Feldoffiziere mit einwandfreiem Sehvermögen um sich hatte. Hones ta Kalvets Organisationstalent war unbestritten. So erhielt er schließlich den Befehl über Nerianet.
Seine Meinung, nachdem er die Anlage erstmals besichtigt hatte, war eines Kapitäns der königlichen alnoischen Flotte würdig. „Die Takelage vom Sturm mitgenommen, die Kessel leck und die Planken vom Wurm befallen“, beurteilte er die neue Festung. Dennoch, oder gerade weil sie so unvollkommen war, schloss er sie sofort in sein Herz.
Manchmal bereute er das, ganz besonders an diesem Morgen, als er mit jenen Männern in seine Kommandantur zurückkehrte, die an der morgendlichen Inspektion teilgenommen hatten.
Vieles in dem Raum erinnerte an die Kapitänskajüte eines Schiffes, denn Hones hatte sie nach seinem Geschmack eingerichtet, um sich auf dem trockenen Land ein wenig heimisch zu fühlen. Wände und Decken waren mit Holz getäfelt. Auf dem Boden des Zimmers lag einer jener Teppiche, deren Farbe und Stoff undefinierbar schienen und die so typisch für die fantasiefreie Ausstattung von Schiffen der Flotte war. Das hölzerne Regal quoll über vor Schriftrollen und Büchern. Überwiegend leichte Literatur, wie Hones sie bevorzugte, und darunter waren, versteckt in der zweiten Reihe, auch einige der neuen, frivoleren Werke.
Der zierliche Schreibtisch hatte tatsächlich an Bord eines Schiffes gestanden, seines Schiffes. Hones hatte seine Verbindungen spielen lassen, damit man ihn aus dem gesunkenen Wrack holte. Sein Adjutant war strengstens angewiesen, die Algenflecken nicht zu beseitigen, die sich auf der ansonsten makellosen Oberfläche abzeichneten. Feder, Schreibflüssigkeit und Papier lagen in exakter Ausrichtung auf der Platte. Einziger Schmuck war ein Modell seines einstigen Schiffes, welches ihm die Besatzung geschenkt hatte.
Der Stab, mit dem Hones sich in Nerianet begnügte, war klein, aber kompetent.
Hauptmann Jalat ta Ganor war Hones Stellvertreter. Ein erfahrener Offizier, der viele Streifen ins Feld geführt und manchen Kampf ausgetragen hatte. Er besaß ein Ohr für die Nöte der einfachen Soldaten und hielt ein Auge auf den Lagerverwalter. Jalat verfügte über ein angeborenes Talent dafür, die Anordnungen von Vorgesetzten so auszulegen, dass sie weise und praktikabel erschienen. Kurzum, seine Erfahrung glich die Unerfahrenheit des Kommandanten aus, wenn es um die Belange des Landkrieges ging. Jalat war von normaler Statur und trug den üblichen Oberlippenbart der Hochgeborenen. Die graublaue Uniform des Reiches Alnoa saß an seinem Leib, als sei sie speziell für ihn entworfen worden.
Erlond ta Korom schien zunächst nur wenig mit dem Hauptmann gemein zu haben. Er kam aus dem Mannschaftsstand und gehörte zu den wenigen Personen, die es geschafft hatten, durch Erlass des Königs in den Stand der Hochgeborenen erhoben zu werden. Hierzu hatte es einer selbstmörderischen Heldentat und der zufälligen Gegenwart des Gardekommandeurs ta Enderos bedurft. Der hatte es sich nicht nehmen lassen, den damals Schwerverwundeten nach dessen Genesung dem König vorzustellen. Erlond hinkte noch immer ein wenig und durfte sich nunmehr Erlond ta Korom nennen. Er war froh, in Nerianet dienen zu können. Als frisch beförderter Hochgeborener war er aufgrund seiner Heldentat in Alneris herumgereicht worden und hatte dabei den Neid und die Missgunst vieler gebürtiger Adliger gespürt. Er war der falschen Freundlichkeiten oder offenen Feindseligkeiten überdrüssig und sehnte sich bald nach dem Dienst in einem Grenzregiment zurück. Erlond ta Korom empfand kein Verlangen nach neuen Heldentaten und hatte sich bislang als umsichtiger Offizier bewährt.
Selverk war kein Adliger und kein Offizier.
Im Gegenteil, er hätte es als Beleidigung empfunden, mit einem Offizier verwechselt zu werden. Er pflegte seine goldenen Schüsselchen auf ehrliche Art und durch harte Arbeit zu verdienen und gehöre nicht zu „jenen“, die ihren Ruhm auf Kosten armer Gardisten suchten.
Selverk war Regimentsunterführer des ersten Gardekavallerieregiments und ein strenger Zuchtmeister in der Ausbildung. Seine raue und doch herzliche Art machte ihn bei den Männern beliebt, zumal er stets dafür sorgte, dass „der Dung nicht bis zu den Hochgeborenen stieg“. Benahm sich einer der Soldaten daneben, regelte Selverk das hinter den Ställen, bevor einer der Offiziere davon erfuhr. So mochte der betreffende Soldat ein paar blaue Flecken erhalten, entging aber Disziplinarstrafe oder Soldentzug, wie es in der Garde üblich war. Diese Eigenschaft Selverks wurde allerdings nur selten gefordert, denn die Regimenter der Gardekavallerie galten nicht umsonst als Elite. Ihre Gardisten verfügten über einen sehr ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Wenigstens jene, die Schulter an Schulter gegen den Feind gestanden hatten. In letzter Zeit gab es viele neue Rekruten, was den Unterführer mit einer gewissen Sorge erfüllte. Natürlich musste er „die Neuen“ nicht selbst ausbilden. Dafür gab es die anderen Unterführer. Aber Selverk war verantwortlich für die Ergebnisse und der neue Kommandant hatte ihn zusätzlich mit der Beaufsichtigung der Handwerker betraut, die noch immer in der Festung arbeiteten. Selverk war groß, hager und verdeckte mit seinem buschigen Vollbart eine Narbe am Kinn.
Der morgendliche Rundgang durch Nerianet war ein festes Zeremoniell, bei dem die anwesenden Truppen inspiziert und Fortschritte oder Mängel an der Festung festgestellt wurden. Danach besprach Hones ta Kalvet gewohnheitsmäßig mit seinem kleinen Stab, was am jeweiligen Tag zu bewältigen war. Bei der Gardekavallerie verliefen solche internen Besprechungen normalerweise in einem eher zwanglosen Rahmen, doch der einstige Kapitän hatte einige Gewohnheiten seiner einstigen Schiffsführung beibehalten. So standen nun die beiden Hochgeborenen und der Unterführer in tadelloser Respekthaltung vor Hones, der hinter seinen Schreibtisch getreten war und unruhig auf und ab ging. Drei Schritte vor und drei Schritte zurück, wie es den Abmessungen einer Kapitänskajüte entsprach, obwohl der Dienstraum der Kommandantur weit größer war. Eine alte Gewohnheit, die Hones nicht überwinden konnte.
Die Männer kannten diese Eigenheit und warteten ab, bis der Festungskommandant seinen Marsch am Fenster beendete und in den Innenhof hinuntersah. Man kannte die Kurzsichtigkeit des Adligen und keiner der Männer ging davon aus, dass Hones etwas, auch nur irgendetwas, auf dem Innenhof erblicken konnte.
Schließlich legte Hones ta Kalvet die Hände auf dem Rücken ineinander, wandte sich um und blickte die Männer eindringlich an. „Ich bin nun seit zwei Monden der Befehlshaber Nerianets. Ein Kommando, welches mich mit Stolz erfüllt. Mit Stolz, meine Herren, und zugleich mit Sorge. Disziplin, meine Herren, Disziplin ist es, welche die Stärke Alnoas ausmacht. Disziplin und makellose Waffenbeherrschung. Davon ist die Besatzung Nerianets noch weit entfernt, sehr weit entfernt, meine Herren. Ist Euch aufgefallen, wie ungleichmäßig die Reihen der Männer ausgerichtet waren? Ah, wahrhaftig, dergleichen würde auf einem Schiff der Flotte Seiner Majestät niemals vorkommen. Wart Ihr einmal auf einem Schiff Seiner Majestät, meine Herren? Es bewegt sich auf den Wellen des Wassers, meine Herren, auf den Wellen. Ihr solltet einmal sehen, wie eine Abteilung echter Seefüße antritt. Perfekter Gleichklang, meine Herren, wahrhaftig perfekt.“ Hones wippte leicht auf den Fersen. „Der perfekte Gleichklang vieler Menschen zeugt von ihrer Harmonie. Harmonie, meine Herren, und an der fehlt es in Nerianet noch beträchtlich.“
Das Gesicht von Regimentsunterführer Selverk blieb unbewegt, doch Hauptmann Jalat ta Ganor räusperte sich. Hones sah ihn auffordernd an. „Ihr seid anderer Meinung?“
„Selbstverständlich nicht“, behauptete Jalat und zeigte ein betrübtes Gesicht. „Doch ich gebe zu bedenken, was man den Männern abverlangt. Ein Drittel des Regiments besteht aus neuen Rekruten, die aus allen Provinzen des Königreiches kommen und deren Ausbildung noch eine ganze Weile dauern wird. Zugleich muss das Regiment jedoch seinen regulären Dienst versehen und die Region des Spaltpasses bestreifen.“
Hones‘ Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an. „In der Mannschaft eines Schiffes gibt es auch immer neue Seeleute, Hauptmann. Deswegen hält ein Schiff jedoch nicht an. Im Gegenteil, gerade die Tatsache, dass es sich bewegt, zwingt die Besatzung zur Harmonie.“
Selverks Bart bewegte sich ein wenig, als er mit den Kiefern mahlte. Der direkt neben ihm stehende ta Korom glaubte, die geflüsterte Bemerkung „Verdammter Seefuß“ zu hören, war sich jedoch nicht sicher.
„Kümmert Euch darum, dass der Ausbildungsstand besser wird, Hauptmann“, fuhr Hones fort. „Vor allem der Gebrauch der Bögen lässt zu wünschen übrig.“
„Schwert und Lanze sind die Waffen der Gardekavallerie“, warf nun Selverk ein und sah den Kommandanten finster an.
Bevor der Kommandant antworten konnte, kam ihm ta Korom zuvor. „Sie waren es, Unterführer. Im Kampf um die Hafenstadt Gendaneris hat sich gezeigt, dass die traditionellen Waffen ihre Schwächen haben. Als die Korsaren die Stadt besetzt hielten, da waren es die Bögen der Pferdelords, die der Garde einen Weg hinein öffneten.“
Hones ta Kalvet nickte. „Wir haben keine Fußtruppen in Nerianet, Unterführer. Eine deutliche Schwäche, meine Herren, eine deutliche Schwäche. Obwohl ich ansonsten nichts von Fußlatschern halte, so sind sie doch als Bogenschützen tauglich. Und um die Mauern zu besetzen, braucht es Bogenschützen. Wie ich schon sagte, wir haben hier keine Fußgarde und somit auch keine Bogenschützen, meine Herren. Daher werden wir uns behelfen, bis man uns Fußgarden zuteilt. Ihr kennt den Erlass des Kronrates, Unterführer. Ein Drittel jedes Beritts muss am Bogen geschult sein und ihn mit sich führen.“
Selverk wollte wohl einwenden, dass die Gardekavallerie stets Mann gegen Mann oder doch wenigstens Mann gegen Ork kämpfe, doch ta Korom stieß ihn heimlich an und schüttelte unmerklich den Kopf. „Lass es sein“, raunte der erfahrene Soldat. „Der Kommandant hat recht.“
Hones wandte sich wieder Jalat ta Ganor zu. „Kümmert Euch darum, Hauptmann, dass sich das ändert. Die meisten Fußgarden werden immer noch dafür eingesetzt, die Schäden der Katastrophe zu beheben. Vor allem an den verdammten Handelsstraßen. Sie wissen ja, wie wichtig die Straßen für Handel und Nachschub sind. Sollten sich die Ergebnisse unserer Bogenschützen nicht verbessern, und ich meine deutlich verbessern, werde ich Fußgardisten vom Straßenbau anfordern und an ihrer Stelle unsere Gardekavallerie zum Steineschleppen befehlen.“
Diese Aussicht behagte keinem der Kavalleristen und insgeheim mussten sie dem Kommandanten auch zustimmen. Vor dem großen Beben hatte es genug Fußgarden und Gardekavallerie in den Festungen gegeben, doch derzeit waren noch immer ganze Regimenter damit beschäftigt, alle Verbindungswege wieder befahrbar zu machen und das System der Signalstationen instand zu setzen und auszubauen. Zudem hatte sich in den letzten Kämpfen tatsächlich die Schwäche offenbart, mit der ein Reitertrupp behaftet war, der über keinerlei Fernwaffen verfügte. Er musste feindliche Geschosse hinnehmen, bis er nah genug für den Einsatz von Schwert und Lanze war. Das führte zu Verlusten, welche die Garde nicht mehr einfach hinnehmen wollte.
„Ich werde die Unterführer anweisen, die Ausbildung zu verschärfen“, sagte Hauptmann Jalat ta Ganor rasch.
Selverk warf dem Offizier einen düsteren Blick zu. Als erfahrener Gardist wusste er, dass Dung immer nach unten sickerte. Also würde es an ihm hängen bleiben, den Druck auf Unterführer und Rekruten zu erhöhen.
Kommandant Hones ta Kalvet strich sich flüchtig über die Augen. Seine Gegenüber so konzentriert anzusehen, ermüdete sie rasch und ließ sie tränen. „Was hat die Dampfprobe der Kessel ergeben?“
Ta Ganor stieß einen vernehmlichen Fluch aus. „Die Kessel und Zuleitungen der Hauptbatterie sind in Ordnung, aber bei etlichen der anderen Dampfkanonen gibt es noch immer Probleme. Die Zuführungswege der Dampfleitungen sind einfach zu lang und jede Bewegung des Geschützes belastet die Verbindungen. Es kommt immer wieder zu Undichtigkeiten, bei denen der wertvolle Dampfdruck verloren geht. Es sind die Leitungen, Kommandant, nicht die Kessel.“
„Das sehe ich selbst“, knurrte Hones. „Zufällig habe ich ein Dampfkanonenschiff befehligt, falls Ihr das vergessen haben solltet. Ich kenne mich mit Brennsteinanlagen und Dampf aus.“
„Selbstverständlich, Kommandant.“ Ta Ganor errötete ein wenig.
„Regimentsunterführer Selverk.“
Die Haltung des Angesprochenen wurde ein wenig steifer. „Euer Hochgeboren?“
„Seht dem Lagerverwalter etwas sorgfältiger auf die Finger. Die Vorräte an Brotfett nehmen mir ein wenig zu schnell ab.“
„Das kann ich erklären, Euer Hochgeboren“, erwiderte Selverk. „Wir haben nur einen begrenzten Bestand an Schmierfett für die Geschütze. Das Zeug ist normalerweise mehr als ausreichend vorhanden, aber diese blödsinnige Hochmontage der Kanonen belastet die Drehmechanismen sehr stark.“
„Diese blödsinnige Montage, wie Ihr es zu nennen beliebt, Unterführer, entlastet die Trageplattformen der Waffen.“
„Wie Euer Hochgeboren meinen. Jedenfalls müssen die Drehmechanismen der Lafetten eine Menge leisten. Mehr als üblich, wie ich betonen möchte. Da der Vorrat an Schmierfett zur Neige geht, habe ich stattdessen Brotfett anwenden lassen. Funktioniert recht gut und zu mehr taugt das Brotfett auch kaum.“
„Ich muss doch sehr bitten.“ Abermals wippte Hones auf den Fersen. „Die Garde erhält ausgezeichnete Lebensmittel und das Brotfett ist hervorragend. Ich schmiere es selbst auf mein Brot.“
Selverk enthielt sich eines Kommentars. „Jedenfalls benötigen wir mehr Schmierfett als gedacht.“
„Gut, ich werde eine entsprechende Anforderung an den Kronrat in Alneris formulieren.“ Hones beugte sich über seinen Schreibtisch und kritzelte eine Notiz auf ein Papier. „Demnächst meldet den Bedarf, bevor Ihr Euch am Brotfett vergreift, verstanden?“
„Selbstverständlich, Kommandant.“
„Gut. Hauptmann, der Tagesdienst ist eingeteilt?“
Ta Ganor nickte und reichte dem Kommandanten den Dienstplan. Dieser blickte kurz auf das Papier, blinzelte und nickte dann. „Schön, schön, lasst es so ausführen.“
Ta Ganor war überzeugt, dass der Vorgesetzte die Schrift kaum lesen konnte und sich einfach darauf verließ, der Hauptmann werde schon das Richtige anordnen. Hones versuchte alles, um seine so offensichtliche Kurzsichtigkeit zu verbergen, während sich ta Ganor wiederum ein Vergnügen daraus machte, seine Schrift möglichst klein zu halten.
„Da wäre noch etwas.“ Hones ta Kalvet trat erneut ans Fenster und blickte hinunter. „In den nächsten Tageswenden …“ Er unterbrach sich, als es an der Tür klopfte. „Ja, verdammt, was ist denn?“, fragte er unwirsch.
Die Anwesenden sahen überrascht einen Fremden in der schlichten graublauen Uniform der Garde eintreten. Hones Gesicht verfinsterte sich, bis der Unbekannte einen perfekten Ehrensalut vollführte und der Kommandant dabei das goldene Blitzen der Krone auf der rechten Schulter erkannte.
„Hauptmann Bernot ta Geos“, stellte sich der Offizier vor. „Vom siebenten Regiment der Gardekavallerie aus Maratran. Auf Befehl der Hochgeborenen Livianya ta Barat wurde ich vorübergehend dem zweiten Regiment zugeteilt und überbringe die Grüße der Hohen Frau.“
Bernot ta Geos war gegen seinen Willen abgeordnet worden, denn Gardekommandeur Daik ta Enderos suchte händeringend erfahrene Offiziere für die neue Festung. Livianya ta Barat, einzige weibliche Kommandantin einer Festung und eines Regiments, hatte ihrem väterlichen Freund und Vorgesetzten nachgegeben, sich allerdings ausbedungen, dass Bernot wieder zur Siebenten zurückkehren konnte. Beide waren nicht nur durch gemeinsame Erlebnisse miteinander verbunden, sondern auch durch eine gelegentliche Liebschaft.
Hones blinzelte erfreut und genoss die Überraschung in den Gesichtern der anderen. „Ihr wurdet mir angekündigt, Hochgeborener ta Geos, und Ihr seid uns sehr willkommen. Euer Name hat Klang in der Garde, ebenso wie der Eurer Kommandantin. Der Feldzug gegen die Irghil in Jalanne ist unvergessen.“
Bernot wollte seinen Dienstantritt nicht sofort durch Widerspruch trüben, doch die Ausführung von Hones ließ ihm und seiner Ehre keine Wahl.
„Wir hielten die krebsartigen Irghil für den Feind, doch in Wahrheit waren es die Magier von Lemaria, die uns durch Hinterlist gegeneinander hetzten. Wir kämpften die Zauberer an der Seite der tapferen Irghil und der Pferdelords nieder.“
„Natürlich, natürlich“, brummte Hones. „Womit wir bei dem Punkt wären, an dem mich Eure wertgeschätzte Ankunft unterbrach.“ Er straffte sich ein wenig. „Meine Herren, mir ist die Ankunft eines Beritts der Hochmark des Pferdevolkes angekündigt worden.“
„Pferdelords der Hochmark?“, entfuhr es ta Geos erfreut. „Das ist wahrlich eine frohe Kunde.“
„Ja, ein Freundschaftsbesuch zur gemeinsamen Waffenübung“, erklärte Hones. „Ich hoffe nur, die Pferdelords üben keinen schlechten Einfluss auf unsere Männer aus. Es heißt, sie seien nicht sonderlich diszipliniert. In Jalanne stritten sie sogar untereinander, nicht wahr, Hauptmann ta Geos?“
„Es gab Verrat in ihren Reihen“, räumte der Angesprochene widerwillig ein. „Aber sie sind Männer von großer Ehre, Euer Hochgeboren. Das hat schon Gendaneris aufgezeigt.“
„Hm, ja, das stimmt wohl.“
Unterführer Selverks Bart bewegte sich, ohne dass man einen Laut hören konnte.
„Wie meinen?“, fragte Hones irritiert.
„Ein Beritt der Pferdeleute benötigt sicher Unterkunft und Verpflegung“, sagte Selverk.
„Oh, ja, natürlich.“
„Bei zweihundert zusätzlichen Leuten werden unsere ein wenig enger zusammenrücken müssen.“
„Es sind nur hundert“, warf ta Geos ein. „Die Beritte des Pferdevolkes sind nur halb so stark wie die unseren. Aber keine Sorge. Wenn es gilt, dann werden sie wie zweihundert kämpfen.“
Selverk stieß ein leises Schnauben aus. „Ah, so gut wie zweihundert unserer Männer? Bei allem Respekt, Hauptmann, die hundert Pferdereiter mögen sicherlich wie zweihundert gute Gardisten an unseren Vorräten zehren, aber ob sie auch wie zweihundert gute Gardisten kämpfen, das müssen sie mir erst noch beweisen.“
Hones ta Kalvet räusperte sich. „Nun, eingedenk der Tatsache, wie beklagenswert der Ausbildungsstand unserer eigenen Truppen ist und welche Mängel Nerianet noch aufweist, will ich doch hoffen, dass vorerst niemand seine Fähigkeiten im Kampf beweisen muss.“