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Kapitel 7

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Nedeams Beritt ließ die Grenze zum Königreich Alnoa hinter sich.

Die Landschaft wandelte sich unmerklich. Auch hier erstreckten sich die ausgedehnten Grasebenen und Wälder, wie sie in den Marken des Pferdevolkes üblich waren. Dennoch gab es Unterschiede. Hier war der Anteil der Laubbäume deutlich höher. Es gab ganze Waldstücke, in denen die weißen Bäume wuchsen, deren besondere Rinde Alnoa den Beinamen „weißes Königreich“ eingetragen hatte. Die Rinde war mit schwarzbraunen Stellen durchsetzt, sodass die Bäume eigentlich nicht wirklich weiß aussahen. Nedeam wusste, dass diese Rinde, wenn man sie abschälte und trocknete, einen hervorragenden Zunder abgab, mit dem man jedes Feuer in Gang brachte.

Die Hügel wirkten ein wenig flacher, doch die Vielfalt des Lebens schien überall gleich. Scharen von Buntflügeln schwirrten über den Grasflächen, auf denen Wildblumen wuchsen. Wildläufer hoppelten eifrig umher und starrten immer wieder ängstlich nach oben, ob sich der Schatten einer Raubschwinge zeigte. Ein einsamer Pelzbeißer wanderte am Waldrand entlang und behielt den vorbeireitenden Beritt der Pferdelords im Auge. Ein paar Geweihtiere ästen friedlich. Nedeam erschien es allerdings so, als seien weniger Wildpferde und Hornvieh zu sehen als bei seinem früheren Ritt durch die alnoische Nordprovinz.

Der Pferdefürst der Hochmark hatte dem Beritt die freie Formation erlaubt. Es war drückend heiß und er sah keinen Sinn darin, seine Männer leiden zu lassen, nur um Eindruck auf einen der gelegentlichen Beobachter zu machen. So hatten die Männer die feste Viererkolonne aufgegeben und ritten in kleinen Gruppen, die immer wieder untereinander wechselten, je nachdem, wer auf dem Ritt gerade mit einem der anderen Reiter schwatzen wollte. Scherze flogen hin und her und die Schwertmänner waren sichtlich gut gelaunt. Die Harnische hatten sie hinter sich auf die Deckenrollen geschnallt. Obwohl sie die typische rotbraune Farbe der alten Lederkoller hatten, bestanden sie inzwischen aus lederbezogenem Metall. Dass man die Panzerung mit Leder überzog, hatte nicht nur traditionelle Gründe, sondern auch seinen praktischen Nutzen. Das Blinken und Blitzen einer Rüstung war bei gutem Wetter auf große Entfernung zu erkennen. Doch so sehr die Reiter die Marscherleichterung auch zu schätzen wussten, trotz der Hitze legte keiner von ihnen den langen grünen Umhang ab. Er wurde am Hals mit dem goldenen Symbol des Pferdevolkes geschlossen und zeichnete sie als Pferdelords aus.

Die Hundertschaft ritt ein Stück neben der Handelsstraße, die seit unzähligen Jahren von der Königsstadt des Pferdevolkes, Enderonas, in die Nordprovinz Alnoas führte. Die Hufe der Pferde waren beschlagen, dennoch war es für die Tiere sicherlich angenehmer, auf dem weichen Grasboden neben der Straße zu gehen als auf den Steinplatten der Straße.

Herklund und Hendur ritten mit dem Signalbläser und dem Wimpelträger direkt hinter Nedeam. Ein weiterer Mann führte die rechteckige Standarte des jungen Pferdefürsten. Sie unterhielten sich angeregt und tauschten Erinnerungen aus. Seit Herklund zum Scharführer aufgestiegen war, wurde er gelegentlich von seinem Freund Hendur geneckt. Dieser erlaubte sich gerne den Spaß, die Befehle seines nunmehrigen Vorgesetzten falsch zu deuten. Nedeam war froh, diese Männer in seiner Begleitung zu wissen. Sie hatten sich beim Abenteuer im fernen Julinaash bewährt und waren auch vor der Bedrohung durch die mörderischen Nachtläufer nicht zurückgewichen. Von Nedeam getrennt, hatten sie kühlen Kopf bewahrt und mit Arkarim, dem damaligen Scharführer des Beritts, den Pferdelords alle Ehre gemacht.

„Sagt, Hoher Lord, ist es erlaubt, Euch etwas zu fragen?“, wandte sich Unterführer Hendur an Nedeam.

Der wandte sich mit ernstem Gesicht im Sattel um und erwiderte den Blick des grinsenden Scharführers, der neben Hendur ritt. „Scharführer Herklund, hättet Ihr die Freundlichkeit, den guten Herrn Hendur darauf hinzuweisen, dass er sein Gesuch über Euch an mich richten darf?“

Dem Unterführer klappte der Kiefer herunter, während Nedeam und Herklund schallend auflachten. Schließlich drohte der Pferdefürst dem verwirrten Freund mit dem Finger. „Sprich nicht so geschwollen. Das können wir uns aufheben, bis wir die Festung Alnoas erreicht haben. Da mag es angebracht sein, dem Zeremoniell zu folgen. Hier sind wir unter uns.“

„Ah, verdammt, das weiß ich selbst“, erwiderte Hendur und lachte befreit. „Aber es erfüllt mich und die Männer mit Stolz, dich so anzureden. Verdammt, du bist als Sohn eines Schäfers zu den Pferdelords gestoßen und nun bist du unser Pferdefürst. Ich meine, das ist etwas anderes als damals mit dem Hohen Lord Garodem. Der war von Geburt an etwas Besseres, du verstehst? Aber du bist, wenn ich es so sagen darf, einer von uns.“

Nedeam runzelte die Stirn und schüttelte dann lächelnd den Kopf. „Nein, Hendur, du irrst dich.“

„Ich irre mich?“

„Niemand ist von Geburt an etwas Besseres. Das mag im Königreich Alnoa so sein, wo einem Mann der Adelsstand in die Wiege gelegt wird, doch wir gehören zum Pferdevolk, vergiss das nicht. Wir sind Gleiche unter Gleichen. Mann und Frau beweisen sich im Leben durch ihre Taten und nicht durch einen Titel, den ihnen die Geburt verlieh.“

„Dennoch bist du nun der Pferdefürst und wir folgen deinem Banner.“ Der Unterführer klopfte seinem Freund Herklund auf die Schulter. „Du kannst diesen sturen Scharführer fragen, Nedeam, deine Wahl zum Herrn der Hochmark erfolgte mit einer einzigen Stimme. Und wahrhaftig, hätte sich einer gegen dich ausgesprochen, so wäre er kein wahrer Pferdelord gewesen.“

Nedeam errötete ein wenig. „Ihr macht mich verlegen, Freunde. Glaubt mir, die Würde des Pferdefürsten ist teuer erkauft. Als Schwertmann folgte ich Befehlen, und es war leicht, dies zu tun, denn ich hatte einen guten Pferdefürsten. Nun steht ihr unter meinem Banner und ich muss mich immer wieder fragen, ob ich euch gut führe und das Banner wert bin.“

Scharführer Herklund nickte mit ernstem Gesicht. „Diese Sorge steht dir manchmal ins Gesicht geschrieben. Du scherzt nicht mehr so oft wie früher und bist auch nicht mehr so häufig bei uns. Arkarim hat uns schon berichtet, wie unser Pferdefürst bis tief in die Nacht über Schriften grübelt und über das Schicksal der Mark nachdenkt. Wahrhaftig, ich möchte kein Pferdefürst sein.“

„Nun, es hat auch seinen Vorteil“, meinte Nedeam verlegen. „Ich darf vorne reiten und muss nicht so viel Staub schlucken.“

Fröhliches Gelächter erklang unter den Reitern, welche die Bemerkung gehört hatten.

Vor ihnen tauchte eine Gruppe von Männern auf, die an der Straße arbeiteten.

„Ich hatte keine Vorstellung davon, wie sehr das Land unter dem Beben gelitten hat“, bekannte Herklund. „Unsere Hochmark blieb ja weitestgehend verschont, aber allein was wir in Enderonas erblickten, das lässt mich schaudern.“

Enderonas, die Stadt des Pferdekönigs, lag auf einem Hügel, und die mehrgeschossigen Bauten folgten dem Verlauf des steil ansteigenden Hangs. Alle Bauwerke mit Ausnahme des Königspalastes und des Stadttores waren aus dem traditionellen Holz erbaut worden. Wahrscheinlich hatte diese Tatsache die meisten Häuser vor Schäden bewahrt. Aber ein Teil des Hangs war abgerutscht und hatte diverse Bauten und ein Stück der hölzernen Wehrmauer mit sich gerissen. Inzwischen waren alle Schäden längst behoben, doch die Stelle, an welcher die Erde nachgegeben hatte, war noch immer gut zu erkennen und ließ erahnen, was Enderonas erlitten hatte.

Der Signalbläser des Beritts meldete sich zu Wort. „Ich glaube, je näher wir Alnoa kommen, desto übler werden die Spuren der Schäden sein.“

„Wir sind schon in Alnoa“, erwiderte Nedeam auflachend.

„Oh, wahrhaftig?“

„Ja, wahrhaftig. Unsere Königreiche stehen im Bund miteinander, und so gibt es keine Grenzbefestigungen. Heden, die Hauptstadt der Südmark, war die letzte Siedlung unseres Volkes. Vor zwei Zehnteltagen haben wir den Fluss Rorin überquert. Seitdem sind wir im Reich von Alnoa.“

„Verdammt“, brummelte Hendur, „das hättest du uns auch sagen können.“

„Ist es von besonderer Bedeutung?“

„Na, das will ich wohl meinen.“ Der Unterführer drehte sich im Sattel und löste die Riemen seines Harnischs. „Wir sind jetzt in einem fremden Land. Befreundet, aber dennoch fremd. Da sollten wir einen guten Eindruck machen, wenn wir als Beritt unseren Pferdefürsten begleiten.“

„Lass es gut sein.“ Nedeam ließ Duramont ein wenig zurückfallen, sodass er zwischen den beiden Freunden ritt. „Wenn wir in Nerianet einreiten, dann erwarte ich, dass der Beritt makellos aussieht. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Waffenübungen werden dort noch anstrengend genug, bis dahin können wir die Männer schonen.“

Nedeam trabte wieder an die Spitze, um seine Rührung zu verbergen. Die Kämpfer der Hochmark hatten ihm immer Respekt und Freundschaft entgegengebracht und er erwiderte dies von Herzen. Doch ihm war nicht bewusst gewesen, welche Bedeutung es für die Pferdelords hatte, dass er, Nedeam, nun ihr Pferdefürst war.

Die Handelsstraße folgte dem natürlichen Verlauf der Landschaft und war noch vor der Zeit des ersten Bundes angelegt worden. Sie war breit genug, um zwei Fuhrwerke nebeneinander passieren zu lassen, und vollständig mit Steinplatten ausgelegt. Randsteine verhinderten, dass sich diese Platten zu sehr verschoben. Dennoch ließ sich nie verhindern, dass sich die Natur ein Stück von dem zurückholte, was ihr der Mensch entrissen hatte. Obwohl die Straße häufig benutzt wurde, wuchsen Grasbüschel in den Fugen, und an einigen Stellen hatten sogar kleine Büsche Wurzeln geschlagen. Nedeam hatte solche Straßen schon oft genutzt und kannte die sanften Wellen, in denen sich Steinplatten und Erdreich aneinander anpassten.

Die Straßen dienten dem sicheren Transport von Waren und der schnellen Bewegung von Fußtruppen, die auf den festen Steinplatten nicht so sehr von schwerem Wetter und aufgeweichtem Boden behindert wurden. Abgesehen von gelegentlichen Streifen der Pferdelords oder der Garde, welche die Handelswege gegen Raubgesindel sicherten, gab es allerdings keine Truppen, welche hier unterwegs waren. Dafür hatte die Anzahl der einzeln fahrenden Händler und Handelskarawanen deutlich zugenommen. Nedeam und seine Männer waren auf ihrem Weg schon manchem Fuhrwerk begegnet und sogar einer kleinen Herde Hornvieh, die den weiten Weg von der Westmark in das Reich Alnoa getrieben wurde.

Die Straßen waren Lebensadern des Handels und somit von großer Bedeutung für die Reiche der Menschen und die Kristallstädte der Zwerge. Immer wieder wurden die Wege überprüft und ausgebessert, denn Schäden an der Straße konnten leicht zu Schäden an Fahrzeugen und deren Ladung führen.

Der Beritt erreichte die Kuppe eines Hügels.

Auf der anderen Seite war Bewegung auf der Straße zu sehen. Eigentlich keine wirkliche Bewegung, sondern eher eine Ansammlung von Menschen, Tieren und Fahrzeugen.

„Eine Handelskarawane auf dem Weg nach Süden“, meinte Herklund. Er senkte den Kopf ein wenig, sodass ihn der Stirnschutz des Helms gegen das grelle Sonnenlicht schützte. „Von hier aus kann ich die Handelszeichen der Wagen nicht erkennen, aber ich denke, sie kommen aus einer unserer Marken.“

„Ich bewundere deinen Scharfsinn, alter Freund“, bekannte Hendur ironisch. „Ich brauche kein Handelszeichen zu sehen, um das zu wissen. Einige der Begleitreiter tragen die grünen Umhänge von Pferdelords.“

Herklund schnaubte leise. „Mein Fehler. Ich habe zu sehr auf die Wagen und zu wenig auf die Bewaffneten geachtet.“ Er wandte sich im Sattel um. „Richtet die Formation aus, Schwertmänner der Mark. Lasst die Harnische am Sattel, aber setzt euch gerade. Da vorne sind andere Pferdelords und sie sollen kein schlechtes Bild von der Hochmark und ihrem Pferdefürsten bekommen.“

„Es scheinen Wagen verschiedener Händler zu sein“, vermutete Herklund, während der Beritt langsam näher trabte. „Ich frage mich nur, warum sie hier herumstehen und was all die Aufregung soll.“

„Was soll es schon bedeuten?“, erwiderte Hendur. „Sie stecken in irgendwelchen Schwierigkeiten. Händler stecken immer in irgendwelchen Schwierigkeiten. Und gleich, welche Schwierigkeit es auch sein mag, sie dient ihnen immer als Vorwand, die Preise für ihre Waren zu erhöhen. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass sie mitten auf der Handelsstraße lagern.“

Der Handelszug bestand aus wenigstens zwanzig schweren Fuhrwerken. Einige waren mit Planen abgedeckt, andere hatten hölzerne Aufbauten. Sie alle waren darauf ausgelegt, große Gewichte und Mengen zu transportieren. Nedeam sah ein paar Fahrzeuge mit den alten Scheibenrädern. Die meisten verfügten jedoch über die Speichenräder, die man in der Hochmark erfunden hatte. Der einstige Holzmangel hatte zur Entwicklung dieser leichten Bauweise geführt. Die Frachtwagen wurden von Hornvieh oder Pferden gezogen. Eine ansehnliche Herde graste ein Stück abseits der Straße, bewacht von Männern mit den grünen Umhängen der Pferdelords.

An den Wagen herrschte ein buntes Gewimmel von Händlern und Gehilfen, deren Stimmen erregt durcheinander schwirrten. Manche nutzten die Gelegenheit, um sich zu stärken, oder schafften es trotz des Lärms, ein Nickerchen zu halten. Letzteres verwunderte keinen der Pferdelords. Die meisten hatten sich die Fähigkeit angeeignet, auf langen Ritten auch im Sattel zu schlafen, sofern sie einen wachsamen Freund neben sich wussten.

Die Kleidung der Männer und Frauen des Handelszuges war sehr unterschiedlich, was Qualität und Gestaltung anbelangte. Die Männer aus den Marken des Pferdevolkes waren an Hose und Wams zu erkennen. Die aus den Provinzen Alnoas trugen ein eng anliegendes Beinkleid und darüber ein lose fallendes Gewand. Die Witterung im südlich gelegenen Königreich war entschieden wärmer als jene im Land des Pferdevolkes. Zwei, drei Männer trugen schlichte Kutten, die aus den Resten verschiedener Tücher gefertigt waren. Diese Kleidungsstücke waren einfach zu nähen und wurden gelegentlich vom einfachen Landvolk geschätzt.

Überraschung machte sich breit, als man am rechteckigen Banner erkannte, dass sich ein Pferdefürst näherte. Nedeam wurde respektvoll gegrüßt oder einfach neugierig angestarrt, während er mit seinen Männern an den Wagen vorbeiritt, um zur Spitze des Zuges zu gelangen. Dort musste sich die Ursache für den Halt befinden.

Die vorderen Fuhrwerke zeigten das Speichenrad-Zeichen des Handelshauses Helderim.

„Helderim“, brummte Scharführer Herklund. „Ich hätte es mir denken können. Wenn es um Handel geht, hat der kleine Kerl seine Finger überall drin.“

Der kleine und sehr schmächtige Mann hatte als Ladenbesitzer in der Hochmark begonnen. Er versuchte nie, seine Kunden zu übervorteilen, und dies hatte ihm einen ausgezeichneten Ruf, aber wenig Vermögen eingebracht. Der Überfall der Orks auf die grüne Kristallstadt der Zwerge änderte das. Helderim wurde nie müde, diese Geschichte zu erzählen, doch war das auch verständlich, denn auf ihr und seiner Findigkeit, beruhte der inzwischen erworbene Reichtum.

Die Orks hatten sehr lichtempfindliche Augen, und der Schwarze Lord hatte einen hinterlistigen Plan ersonnen, sie gegen das Sonnenlicht zu schützen. Ein grauer Magier war als Händler getarnt in der Hochmark erschienen und hatte von den dortigen Schmieden kleine recheckige Rahmen anfertigen lassen. Angeblich als Schmuckstück für die feinen Damen Alnoas gedacht, sollten sie in Wahrheit als Fassung für feine Scheiben schwarzen Kristalls dienen. An den Kriegshelmen der Orks befestigt, sollten sie deren Augen vor zu grellem Licht bewahren. Um diesen Lichtschutz zu erlangen, ließ der Herr der Finsternis die Zwerge überfallen und zwang sie zur Sklavenarbeit, damit sie die begehrten Kristallscheibchen herstellten. Nedeam und die Pferdelords vereitelten die Umsetzung des Plans und Helderim war der Nutznießer daraus. Er erkannte, dass man zwei der Rahmen aneinanderheften konnte und, wenn man sie mit den schwarzen Scheibchen versah, einen perfekten Blendschutz gegen die grelle Sonne erhielt, der auch den Menschen von Nutzen war. Zudem fand er heraus, dass bestimmte Kristalle, wenn man sie richtig schliff, eine vergrößernde Wirkung besaßen. Bald waren Helderims Vergrößerungssteine über die Grenzen hinaus bekannt und begehrt.

Inzwischen hatte der kleine Mann, wohl mit zwergischer und elfischer Hilfe, auch jene Langaugen ersonnen, die den Blick auf ferne Dinge ermöglichten. So war der gute Herr Helderim ein überaus wohlhabender Mann geworden und sich dennoch treu geblieben, denn auch jetzt achtete er stets darauf, seinen guten Ruf zu bewahren und fairen Handel zu treiben. Ein entsprechender Teil seines Gewinns wanderte in Form von begehrten Waren zu den fleißigen Zwergen, die unermüdlich Kristallplättchen und Vergrößerungssteine schliffen.

Im Augenblick war Helderim jedoch kein besonders glücklicher Mann.

„Ein Elend ist es, Hoher Lord Nedeam, ein wahrhaftiges Elend“, jammerte er und wies anklagend über die Straße. „Oh, wahrhaftig, Hoher Lord, ich weiß um die Risiken des Weges, denn das furchtbare Erdwackeln hat damals viele der Steinplatten verschoben oder sogar bersten lassen. Deshalb lasse ich immer einen Kundschafter vorausgehen, der auf die Straße achtet und vor jedem Schaden warnt. Ah, der verdammte Nichtsnutz! Seht es Euch an, Hoher Lord, seht es Euch an!“

Nedeam konnte den kleinen Händler durchaus verstehen. Auf der Straße hatte sich eine der Platten so angehoben, dass ihre Kante zwei Fingerbreit emporragte. Das erste Fuhrwerk war daran vorbeigerollt, doch der zweite Wagen hatte dies nicht geschafft. Das Speichenrad musste mit voller Wucht gegen das Hindernis geprallt sein. Der Metallreifen war aufgerissen, Speichen geborsten und der Kastenwagen war prompt umgestürzt.

„Seht es Euch an“, klagte Helderim erneut. „Ich lasse meine Wagen sogar auf besondere Weise polstern, damit die empfindliche Ware geschont wird, doch was soll das nützen, wenn der verdammte Kundschafter mit offenen Augen schläft? Ein Nichtsnutz, sage ich Euch, ein elender Nichtsnutz!“

Der Gescholtene stand ein Stück abseits und die Röte seines Gesichts vertiefte sich, als er bemerkte, das Nedeam ihn ansah. „Es war nicht meine Schuld, Hoher Lord“, sagte er störrisch. „Die Tiere des vorausfahrenden Gespanns ließen Dung fallen und der bedeckte die Platte. Wie soll man denn da etwas sehen?“

Nedeam hatte Verständnis für die Not des Mannes, nicht jedoch für die dreiste Art, mit der er sich herausreden wollte. „Nun, guter Herr, Ihr seid dem ersten Fuhrwerk vorausgegangen, nicht wahr? Bevor es den Dung fallen ließ. Ihr wart unaufmerksam, und es wird am guten Herrn Helderim liegen, das richtige Strafmaß für Euch zu finden.“ Er sah in das verstockte Gesicht des Mannes. Die Kleidung verriet, dass er aus einer Mark des Pferdevolkes stammte. „Ein Mann des Pferdevolkes muss zu seinen Taten stehen und ebenso zu seinen Fehlern.“ Er blickte Helderim und die Umstehenden an. „Und ebenso dazu, dass ein Fehler geschehen kann. Ein Pferdelord, der auf der Wache einschläft, gefährdet seine Kameraden. Doch wenn es ihm einmal geschehen ist, wird es nie wieder passieren, das lässt sein Stolz nicht zu. Ihr mögt den Mann bestrafen, guter Herr Helderim, aber seid Euch gewiss, er wird diese Unachtsamkeit nie wieder zulassen. Ihr werdet künftig keinen aufmerksameren Kundschafter finden als diesen Mann. Bedenkt das, wenn Ihr das Strafmaß wählt.“

Der unglückliche Kundschafter blinzelte überrascht und nickte dann eifrig, während Helderims Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck annahm. Nedeam zog Duramont mit leichtem Schenkeldruck herum und ritt an den umgestürzten Wagen heran.

„Ist es eine kostbare Ladung, guter Herr Helderim?“

„Fürwahr, kostbar und außerordentlich empfindlich.“

„Klarstein?“, vermutete Nedeam.

Die durchsichtigen Klarsteinscheiben ersetzten längst die Darmhäute, mit denen man einst die Fensteröffnungen bespannt hatte. Der Klarstein war vollkommen durchsichtig, allerdings auch sehr stoßempfindlich.

Helderim schüttelte den Kopf. „Unsinn. Oh, verzeiht, Hoher Lord“, entschuldigte sich der Händler rasch, als ihm bewusst wurde, dass er den Herrn seiner Mark indirekt gerügt hatte. Nedeam grinste nur und der kleine Mann fuhr hastig fort. „Der beste Klarstein wird im Reich Alnoa hergestellt und daher von Süden nach Norden transportiert. Wir sind jedoch nach Süden unterwegs. Nein, nein, Hoher Lord, die Fracht ist sehr viel kostbarer. Sie besteht aus allerbesten Langaugen.“

„Langaugen?“

„Zwei Röhren aus reinem Gold, die man ineinanderschieben kann. An den Enden sitzt jeweils einer meiner Vergrößerungssteine. Helderims Vergrößerungssteine, Ihr versteht, Hoher Lord? Mit meinen Langaugen kann man ferne Dinge ganz nah heranholen.“

„Ich kenne die Langaugen, guter Herr. Eines davon steht bei der Signalanlage von Eternas“, sagte Nedeam freundlich.

„Gewiss, Hoher Lord, gewiss.“ Helderim leckte sich über die Lippen. „Erwähnte ich schon, Hoher Lord, dass ich derzeit an der Entwicklung tragbarer Langaugen arbeite?“

„Tragbare Langaugen?“

„Sehr viel kleiner, und man muss sie nicht auf ein Stativ stellen, sondern kann sie bequem in der Hand halten. Dennoch vergrößern sie auf unvergleichliche Weise. Ah, Helderims Vergrößerungssteine und Helderims Langaugen haben einen wahrhaftig guten Ruf bis in das Königreich von Alnoa hinein.“

„Und nun sind sie zerbrochen?“

Der Händler seufzte schwer. „Vielleicht lassen sich einige noch retten. Daher stehen wir hier auch herum und bewegen den Wagen nicht. Einer meiner Gehilfen, ein sehr vorsichtiger Mann, ist im Fahrzeug und untersucht die Ladung. Ach, Herr, eine ganze Lieferung bester Langaugen für die alnoische Garde.“ Helderim lächelte unvermittelt. „Wie ich bereits erwähnte, meine Langaugen werden gerühmt, und ich habe die Ehre, die königliche Garde Alnoas zu beliefern. Sie sollen auf jeder Festung eingesetzt werden und von der Qualität bester Handwerkskunst zeugen.“

„Fraglos werden sie das“, stimmte der junge Pferdefürst zu. „Ihr habt einen großen Wagenzug, guter Herr, und viele Rinder dabei. Alles für das Königreich?“

„Aber ja, Hoher Lord. Die hinteren Wagen sind voller Brennstein. Allerbeste Qualität, wie ich anmerken möchte, und das Hornvieh wird bis hinunter nach Eolaneris getrieben.“

„Bis zur Pforte von Alnoa?“ Nedeam lächelte. „Dann werdet Ihr dort sicherlich Streifen der siebenten Gardekavallerie begegnen. Sie wird von der Hochgeborenen Livianya befehligt. Grüßt herzlich in meinem Namen.“

„Ah, Euer Abenteuer in Jalanne, nicht wahr?“ Helderim war wieder sichtlich guter Stimmung. „In der Hochmark gibt es einen Schreiberling, der Eure Abenteuer niederschreibt.“

„So? Warum?“

„Das fragt Ihr? Damit sie der Nachwelt erhalten bleiben.“ Der Händler breitete theatralisch die Arme aus. „Ihr seid ein Mann von Bedeutung, Hoher Lord, und die späteren Generationen müssen davon erfahren.“

„Ich bin nichts als ein gewöhnlicher Pferdelord, guter Herr“, erwiderte Nedeam verlegen. Er sah sich um. „Nun, Ihr habt genug Hände, um zurechtzukommen. So werden wir denn unseren Weg fortsetzen. Ich wünsche Euch eine glückliche Reise und gute Gewinne.“

„Dafür seid bedankt, Hoher Lord.“

Nedeam gab das Zeichen und der Beritt trabte an, ritt endgültig an der Wagenkolonne vorbei und verschwand bald jenseits des nächsten Hügels.

Helderim strich sich nachdenklich über das Gesicht. „Nur ein gewöhnlicher Pferdelord? Wohl weit mehr als das. Weit mehr als das.“


Die Pferdelords 10 - Die Bruderschaft des Kreuzes

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