Читать книгу Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt - Michael Schenk - Страница 6

Kapitel 4

Оглавление

Nendas aus dem elfischen Hause Tenadan, dem Geblüt des Waldes

entstammend und unter dem Zeichen der Wildblüte geboren, war ein

erfahrener Kämpfer, der schon viele Schlachten gesehen und überstanden

hatte. Er gehörte nicht zu den ältesten Elfen, und doch hatte er schon manches

Menschengeschlecht entstehen und wieder vergehen sehen. Im Gegensatz zu

vielen seiner Art hatte er nie das Interesse an dem verloren, was sich

außerhalb der elfischen Häuser ereignete. Er war fasziniert davon, wie viel

sich in den anderen Reichen veränderte, die einem steten Wandel unterworfen

waren, während die Häuser der Elfen als ruhende Pole erschienen, fern jeder

Hektik eines endlichen Lebens.


Nun würden die Häuser des elfischen Volkes zu den Neuen Ufern reisen.

Ein fernes und verheißungsvolles Land, das es zu entdecken und zu

erforschen galt. Nendas freute sich darauf und war froh, das alte Land, das

vom Untergang bedroht war, bald verlassen zu können. Der endlos

scheinende Kampf gegen den Schwarzen Lord und seine Orks zehrte an den

Kräften der elfischen Häuser, während die Legionen der Finsternis in ihren

Bruthöhlen raschen Nachschub erhielten. So würden sich die Menschen bald

allein der Finsternis entgegenstemmen müssen, und niemand vermochte zu

sagen, ob ihnen dies gelingen würde.


Nendas hatte den Vorposten von Niyashaar vor einigen Tageswenden

verlassen und die nördliche Öde im raschen Schritt seines Volkes passiert,

ohne eine längere Rast einzulegen. Das Verschwinden der elfischen

Besatzung in Niyashaar bereitete ihm Sorge. Eine ganze Hundertschaft

verschollen und vermutlich tot, kostbare Leben, die nun vergangen waren.

Nendas kannte die Bedeutung Niyashaars für die große Reise der Häuser.

Hier verlief die letzte Grenze, die von den Elfen gehalten wurde und von den

Mächten der Finsternis bedroht war. Wurde der Vorposten bedrängt, dann

blieb den Häusern nur noch wenig Zeit, das Land zu verlassen. Niyashaar

sollte rechtzeitig vor dieser Bedrohung warnen und ihnen die erforderliche

Zeit verschaffen. Nun war seine Besatzung verschwunden und der Posten

gefallen, und doch war er nicht eigentlich genommen worden, denn keine

Legionen der Orks marschierten über den Pass von Rushaan. Für Nendas war

das ein Rätsel. Welcher Sinn lag darin, einen befestigten Posten zu nehmen

und den so erlangten Vorteil nicht zu nutzen? Nein, in Niyashaar war etwas

geschehen, dessen Bedeutung noch nicht abzusehen war. Die Kunde musste

die Ältesten erreichen, und sie mussten entscheiden, was zu tun war. Dies war

Nendas’ Aufgabe, und er erfüllte sie mit der Sorgfalt eines elfischen Kriegers.


Rastlos war sein Blick umhergehuscht, um jede Gefahr rechtzeitig zu

erspähen, und ebenso rastlos waren seine Schritte gewesen, die ihn an der

Öde vorbeitrugen. Er hatte den Pass von Eten im Gebirge von Noren-Brak

erreicht, war dem Flussverlauf gefolgt und dabei immer auf der Hut gewesen.

Bald würde er den verborgenen Pfad erreichen, der rechter Hand durch das

Gebirge führte und an den Häusern des Waldes endete. Dort, im Schutz der

elfischen Bogen, würde er in Sicherheit sein. Doch bis dahin war es noch

weit.


Nendas’ Schritt war nicht mehr so leicht und federnd wie noch bei seinem

Aufbruch in Niyashaar. Der Lauf zehrte zunehmend an seinen Kräften,

außerdem führte der Weg nun durchs Gebirge, über enge, steile Pfade mit

losen Steinen, auf denen man ausgleiten konnte. Auch gab es hier

gefährliches Wild und es gab Zwerge, und beidem wollte Nendas möglichst

aus dem Wege gehen. Denn auch wenn es begrenzten Handel mit der

Zwergenstadt von Nal’t’rund gab, so traute Nendas den kleinen Herren nicht

sehr. Eigentlich traute er keinem sterblichen Wesen; zu schnell verfielen sie

der Gier. Und die Beständigkeit des elfischen Lebens fehlte den Zwergen

ebenso wie den Menschenwesen. Zwar hatten sich die Menschen mit den

grünen Umhängen durchaus Verdienste erworben, doch die Treue dieser

sterblichen Wesen währte nur so kurz wie ihre Lebensspanne. Er hatte das

schon oft erlebt. Sechs der sieben Menschenreiche waren zerfallen, weil

Uneinigkeit und Gier in ihnen geherrscht hatten. Das Schicksal des

vergangenen Reiches Rushaan hätte den Menschen eine Mahnung sein sollen,

doch sie lernten nicht aus ihrer Vergangenheit, sondern eiferten den Fehlern

ihrer Vorfahren nach. Sie kannten nicht einmal Bücher, durch die das

unendliche Wissen des elfischen Volkes bewahrt wurde. Nein, es war gut, das

Land zu verlassen und nicht in den Sog vergänglichen Lebens hineingezogen

zu werden.


Der Pfad zu den Häusern der Elfen führte an jenen Bergen vorbei, unter

denen sich eine der Zwergenstädte befinden sollte. Kundschafter hatten

berichtet, die Stadt sei bei einem Erdbeben zerstört worden, aber Nendas

kannte die Fähigkeit des kleinen Volkes, sich im Verborgenen zu halten. So

achtete er auf Spuren von ihnen, während er den Pfad entlangeilte und dem

Verlauf der Berge und Täler folgte, mal hoch über dem Talgrund, dann mitten

durch ihn hindurch. Wer diesen Weg nicht kannte, würde ihn nur durch Zufall

finden, und selbst wenn ein Feind darauf stieß, so war er so schmal und

schwer zu begehen, dass der elfische Posten am Ende des Pfades kaum Mühe

haben würde, einem Angriff zu begegnen.


Der Tag neigte sich erneut seinem Ende zu, und Nendas beschloss, an

einer geeigneten Stelle zu rasten und das Tageslicht abzuwarten, bevor er

seinen beschwerlichen Weg fortsetzte. Er suchte sich einen Platz unter einem

Felsüberhang, der ihn vor einem möglichen Steinschlag schützen konnte,

trank etwas Wasser und nahm ein paar Bissen der elfischen

Marschverpflegung, die aus einer Mischung aus Brot, Gemüse, Früchten und

Fleisch bestand. Dann legte er seine elfische Klinge und den Bogen griffbereit

neben sich und hüllte sich in seinen blauen Umhang. Er konzentrierte sich

einen Moment auf die Entspannungsübungen und schlief dann mit der

Gewissheit ein, beim ersten Licht des neuen Tages zu erwachen. Seine

Instinkte, geschult in einem fast ewigen Leben, würden ihn zuverlässig

wecken, wenn Gefahr drohte.


Die Spitzen der Berge im Osten verfärbten sich gerade rot, als er am

nächsten Morgen erwachte. Die Nacht war kalt gewesen, und gefrorener Tau

überzog die Steine und den Umhang, der den Elfen zuverlässig warm

gehalten hatte. Nendas erhob sich, schüttelte den Umhang aus und legte ihn

sich um die Schultern. Er nahm sich die Zeit, den Sonnenaufgang zu

genießen, während er ein paar Schlucke Wasser trank. Nach all den

Jahreswenden, die er nun schon lebte, hatte dieses morgendliche Farbenspiel

nichts von seiner Faszination verloren: der Wechsel vom tiefen Rot über ein

orangefarbenes Glühen bis zu dem strahlenden Goldgelb, mit dem sich das

Himmelsgestirn dann über den Horizont erhob. Sofort spürte der Elf die Kraft

der wärmenden Strahlen. Schon in wenigen Augenblicken würde der Reif

geschmolzen und der Pfad wieder trocken sein. Er schob das Schwert in die

Scheide, gürtete den Pfeilköcher und hielt einen der Pfeile am Bogen bereit.

Dann folgte er weiter dem Pfad.


Schritt um Schritt führte ihn der Weg den Häusern weiter entgegen. Noch

einmal wand er sich um einen Berg herum, dann würde Nendas auf die

hölzerne Brücke stoßen, die ein Stück zerstörten Pfades ersetzte. Obwohl er

dann den größten Teil des Weges hinter sich hatte, würde er noch zwei

Tageswenden benötigen, bis er den Vorposten des Hauses Elodarion erreichte

und seine Botschaft überbringen konnte.


Wie würden die Ältesten auf die Nachricht reagieren, dass eine volle

Hundertschaft in Niyashaar verschwunden war? Würden sie den Vorposten

endgültig aufgeben, ungeachtet der kostbaren Vorwarnzeit, die sie damit

opferten? Oder würden sie, im Gegenteil, die Besatzung noch verstärken?


Nendas Schritt stockte.


Er hatte die Brücke nun im Blickfeld und erkannte sofort, dass sie

beschädigt war. Zwei der stützenden Pfeiler waren zur Seite geknickt, und der

Steg der Brücke war eingesackt. Nur die Balken auf der rechten Seite, die den

Bohlen dort als Auflage gedient hatten, schienen unversehrt. Was auch immer

dies bewirkt hatte, es war ärgerlich, wenn auch kein ernsthaftes Hindernis.

Nendas konnte sich mühelos an den Trümmern entlangbewegen. Aber wenn

ein größerer Trupp die Brücke benutzen wollte, mit all seinen Vorräten und

seinem Gepäck, dann würde man Holz mitnehmen müssen, um den Schaden

ausbessern zu können. Auch das mussten die Ältesten erfahren.


Er erreichte die Brücke und nickte betrübt. Die linke, dem Abgrund

zugewandte Seite war von herabstürzenden Felsen zerstört worden. An der

rechten Seite standen die Stützen noch, aber die Auflagebalken waren

ebenfalls beschädigt. Einer hatte sich aus seiner Verankerung gelöst, und

Nendas war sich nicht sicher, ob das Holz dem Gewicht seines Leibes

standhalten würde.


Der Elf schob den Pfeil in den Köcher und schlang sich den Bogen über

die Schulter. Er brauchte seine Hände nun, um sich Halt zu verschaffen.

Vorsichtig packte er das Geländer, setzte einen Fuß tastend auf den Balken

und belastete ihn vorsichtig. Das Holz hielt. Langsam und vorsichtig schob er

sich weiter auf den Balken und balancierte dabei mit den Armen, um sein

Gleichgewicht zu halten. Er setzte Fuß vor Fuß, um den Abgrund, der sich

unter ihm öffnete, sicher zu überqueren. Ein Fehltritt nur, und er würde einige

Längen in die Tiefe stürzen, direkt auf den steilen Hang, von dem aus er eine

endlose Fahrt ins Tal anträte, die er gewiss nicht lebend überstehen würde. Es

ging kaum Wind, der ihn behindert hätte, und Fuß um Fuß kam er voran.

Gelegentlich knarrte das Holz drohend, und einmal senkte sich der Balken um

eine volle Zehntellänge. Nur seine Reflexe bewahrten ihn vor dem Tod. Dann

erreichte er den zweiten Balken, dessen Auflage noch intakt war, und er

atmete erleichtert auf.


Bis er das drohende Brummen neben sich hörte.


Nendas hatte sich voll auf seine Füße und den Balken konzentriert und zu

wenig auf die Umgebung geachtet. Der Anblick des großen Pelzbeißers am

Ende der Brücke, nur wenige Schritte entfernt, überraschte ihn.


Das riesige Tier war aufgerichtet weitaus größer als ein Elf. Mit dichtem

braunen Pelz bedeckt, schien es sonst nur noch aus Muskeln, Tatzen und

einem albtraumhaften Gebiss zu bestehen.


Pelzbeißer und Elf sahen einander an, belauerten sich und warteten auf

einen Hinweis darauf, was der andere wohl beabsichtigte. Nendas überlegte,

ob er eine der elfischen Melodien anstimmen sollte, diese sanften,

zweistimmigen Folgen von Pfiffen, wie sie nur die Kehlen von Elfen oder

Zwergen erzeugen konnten. Schon oft hatten diese Klänge aggressive Tiere

beruhigt, aber dieser Pelzbeißer war auf eine Mahlzeit aus.


Dennoch begann er zu singen. Vielleicht beruhigte es den Pelzbeißer ja

doch ein wenig oder lenkte ihn zumindest ab, bis er sich auf den

entscheidenden Schuss vorbereitet hatte. Geschickt auf dem Balken

balancierend, zog Nendas mit langsamen Bewegungen den Bogen von der

Schulter, der sich einen Moment im langen Umhang des Elfen verfing, dann

aber wieder freikam. Nendas nahm einen Pfeil und legte ihn an die Sehne. Es

kam auf diesen einen entscheidenden Schuss an, das wusste der erfahrene

Krieger.


Das gewaltige Raubtier brüllte erneut, und seine feucht schimmernde Nase

schnüffelte in Nendas Richtung. Eines seiner Augen fehlte offensichtlich, das

andere wirkte dafür umso bösartiger. Der elfische Krieger überlegte, ob er auf

das verbliebene Auge schießen sollte. Das hatte Vor- und Nachteile. Wenn

der Pfeil nicht genau traf und das Gehirn des Pelzbeißers verfehlte, würde das

Tier dadurch noch rasender werden. Wurde das Auge allerdings zerstört, wäre

der Räuber vollständig geblendet. Es war zumindest einen Versuch wert.


In einen gleitenden Bewegung hob Nendas den Bogen, spannte ihn und

löste den Pfeil. Das Geschoss schnellte vor und bohrte sich in das geöffnete

Auge des Pelzbeißers.


So rasch der Schuss auch erfolgt war, das Ungetüm hatte sich unmerklich

bewegt, und der Pfeil durchschlug Auge und Augenhöhle, ohne das Gehirn zu

treffen. Stattdessen trat er seitlich wieder aus und zerfetzte dabei ein Ohr.


Der Pelzbeißer brüllte schmerzerfüllt auf, stellte sich auf die Hinterbeine

und schlug blind mit seinen Pranken in Nendas’ Richtung. Dabei verlor er den

Halt und kippte vornüber. Nendas erkannte entsetzt, dass der schwere Körper

auf den Balken prallen würde, auf dem er selber stand, und instinktiv

versuchte er nach hinten auszuweichen, doch es war zu spät.


Das Raubtier schlug wuchtig auf den Balken, der unter dem Gewicht des

tobenden Tieres nachgab.


Nendas hörte das krachende Splittern, mit dem das Holz brach. Er ruderte

hilflos mit den Armen und spürte, wie der Boden unter ihm nachgab. Für

wenige Augenblicke fühlte er, wie die Luft an ihm vorbeistrich, und er war

überrascht, wie gleichgültig ihn das Sterben ließ. Den Aufprall spürte er

kaum.


Staub wallte auf, als die beiden Körper den steilen Hang hinab in die Tiefe

stürzten und dann, auf seltsame Weise im Tode vereint, am Fuß des

Steilhangs liegen blieben.


Die Botschaft von Niyashaar würde die Häuser der Elfen nicht mehr

erreichen.


Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt

Подняться наверх