Читать книгу Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt - Michael Schenk - Страница 9
Kapitel 7
ОглавлениеDer Wind kam von Norden, und es schien, als wolle sich der Posten von
Niyashaar in den Schutz der steilen Felsklippe ducken, die hoch über ihm
aufragte. Es war eine klare Nacht, und in der eiskalten Luft funkelten die
Sterne besonders hell. Nur fern im Nordwesten zog eine einsame Wolkenbank
über den Himmel, sanft angestrahlt vom Licht des Mondes.
Es war ungewöhnlich kalt, und die elfischen Wachen auf der Wehrmauer
von Niyashaar hüllten sich eng in ihre Umhänge. Doch selbst die besondere
Machart des elfischen Tuches konnte sie nicht vor dem beißenden Wind
schützen, der durch jede Öffnung zog und leise pfeifend um den hohen Turm
strich, auf dessen Spitze das ovale Banner des Hauses Tenadan wie ein Brett
im steten Luftstrom stand.
Elgeros, Bogenführer des Hauses Tenadan und Kommandierender der
Hundertschaft, fand keinen Schlaf. Er hatte im obersten Stockwerk des
Verteidigungsturms auf dem Bett gelegen, die Hände im Nacken verschränkt,
und war vollständig angekleidet. Obwohl er die Decke über seinen Körper
gezogen hatte, war ihm kalt. Im Kamin des Turmzimmers brannte kein
wärmendes Feuer, und auch in den Unterkünften waren die Feuerstellen kalt
geblieben. Einige der Männer hatten gemurrt, aber Elgeros hatte darauf
bestanden, in der Nacht keine Feuer und Lampen zu entzünden. Irgendetwas
war da draußen, und es war den Elfen feindlich gesinnt. Ein Licht würde weit
in die Nacht hinausstrahlen, und der Bogenführer wollte den unbekannten
Feind nicht unnötig auf die neue Besatzung von Niyashaar aufmerksam
machen. Die verschwundene Hundertschaft, welche die Anlage zuvor besetzt
gehalten hatte, ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Disziplin der elfischen
Krieger war zu groß, als dass die Truppe Niyashaar einfach aufgegeben hätte.
Sie würde auch nicht versäumt haben, einen Boten zu den Häusern zu
schicken. Nein, die Elfen hier waren von irgendetwas überrascht und
überwältigt worden. Elgeros glaubte nicht, dass es Orks gewesen waren.
Diese Bestien hätten ihre Spuren hinterlassen. Aber wer war dann für das
Verschwinden der Elfen verantwortlich? In der nördlichen Öde existierte
nichts mehr, was einer Hundertschaft ihrer Bogen gefährlich werden könnte.
Und das Volk des Eises, das hoch im Norden lebte, ging nicht so weit nach
Süden, denn es fürchtete die Öde. Oder hatten es die Eismenschen doch
gewagt?
Elgeros fand einfach keine Ruhe. Über sich hörte er gelegentlich das leise
Scharren von Füßen, wenn die beiden Elfen auf der Turmplattform ihren
Standort wechselten. Sie bewegten sich öfter, als es üblich war. Vielleicht
wegen der Kälte oder weil auch sie beunruhigt waren …
Er seufzte leise und richtete sich auf. Sein Blick schweifte durch den
Raum. Die mit Klarstein verschlossenen Fensteröffnungen ließen genug
Sternenlicht herein, um sich mühelos orientieren zu können. Er brauchte
keine Lampe zu entzünden, als er sich erhob und zu dem Schreibtisch
hinüberging, der gegenüber an der Wand stand. Von unten hörte er leises
Schnarchen. Er hatte die Hundertschaft aufgeteilt und je zu einem Drittel in
den beiden Unterkünften und im Turm untergebracht. Sollte es einem Feind
gelingen, über die Mauer zu gelangen, würde er so von drei Seiten unter
Beschuss genommen werden.
Mit wenigen Handgriffen legte Elgeros seinen Waffengurt um und
vergewisserte sich, dass der kurze Kampfdolch und das Schwert leicht durch
ihre Scheide glitten. Dann hängte er den gefüllten Pfeilköcher an den Gurt,
legte den Umhang um seine Schultern und griff seinen Bogen. Holz knarrte,
als er durch den Raum schritt und zur Treppe hinüberging. Einer der
schnarchenden Schläfer verstummte für einen Moment. Elgeros hörte das
Ächzen des Schlafgestells und das Rascheln, als der Elf sich herumwälzte,
dann setzte das leise Schnarchen wieder ein. Wenigstens einer seiner Männer
fand in dieser Nacht Schlaf.
Er erreichte die unterste Ebene. Zwei Zehnen der Männer hielten auf Turm
und Mauer Wache, eine dritte Gruppe lag hier unten in Bereitschaft. Die
Männer dösten und wirkten entspannt, aber ihre Köpfe hoben sich sofort, als
ihr Führer den Raum betrat. An ihren Augen konnte Elgeros erkennen, dass
keiner von ihnen wirklich geschlafen hatte. Raubte Niyashaar auch diesen
Männern die nächtliche Ruhe? Oder spürten sie wie er selbst, dass eine
finstere Bedrohung über diesem Ort lag?
Er nickte ihnen mit einem aufmunternden Lächeln zu und verließ den
Turm. Der eisige Wind ließ ihn frösteln, und er zog den Umhang enger um
seine Schultern. Rasch sah er sich um. Vor dem sternklaren Nachthimmel
waren die Wachen gut zu erkennen. Jeder Mann war auf seinem Posten. Vier
Krieger standen direkt am Tor, und er sah, wie sie sich die Hände rieben und
ihre Füße bewegten. Es war wirklich kalt und vielleicht ein Fehler, den
Männern kein wärmendes Feuer zu gönnen. Aber schließlich waren sie
abgehärtete Kämpfer, und auch wenn der Wind schneidend kalt war, so war
dies noch nichts gegen die Fröste des Winters. Elgeros schätzte den Winter in
den Wäldern von Neshaar, wo die meisten Häuser der Waldelfen standen.
Selbst zur kalten Jahreszeit wurde man dort vom Wind verschont. Der Fluss
Sam sowie die Bachläufe und kleinen Seen froren niemals zu; nur der Schnee
bedeckte Baumwipfel und Boden und glich einem weichen weißen Teppich,
der den Füßen schmeichelte. Was für ein Gegensatz zu dieser schrecklichen
Öde. Einen Winter lang hatte Elgeros einmal hier in Niyashaar gewacht, und
er war dankbar gewesen, als er wieder zurück nach Süden gehen konnte.
Er hörte das leise Knirschen seiner Schritte. Sand und kleine Steine
schienen gefroren zu sein, obwohl der Boden trocken war. Elgeros nickte den
Torwachen zu und ging dann zu der steinernen Treppe hinüber, die auf den
nördlichen Wehrgang führte. Er wusste, dass er dort seinen Stellvertreter und
Freund Neolaras antreffen würde, der sicherlich ebenso wenig Ruhe fand wie
er selbst.
Die Wachen, die in regelmäßigen Abständen postiert waren, wandten nur
kurz den Kopf, als sie seine Schritte hörten. Er legte jedem von ihnen flüchtig
die Hand auf die Schulter; ein stummes Zeichen der Verbundenheit. Elgeros
wusste, wie wichtig dies für die Männer war, denn auch wenn der nächste
Posten nur wenige Längen entfernt stand, so war doch die Wache in der
Nacht immer ein einsames Geschäft. Wenigstens hatte sie das ewige Leben
Geduld gelehrt, und die Männer waren so erfahren, dass sie sich nicht durch
das Spiel der Schatten am Boden irritieren ließen. In unregelmäßigen
Abständen würden sie ihre Augen für wenige Momente schließen, sodass sie
nicht so rasch ermüdeten.
Ein Stück voraus erkannte Elgeros seinen Freund. In seiner typischen Art
stand er, leicht vorgeneigt, auf den langen Bogen gestützt. Wer ihn nicht
kannte, mochte glauben, er sei eingedöst, aber Neolaras’ Sinne waren
hellwach. Ohne sich Elgeros zuzuwenden, erkannte er seinen Bogenführer.
»Du hast Schmerzen im Bein. Ich höre, wie du links ein wenig stärker
aufsetzt. Schmerzt die alte Wunde?«
Elgeros seufzte leise. »Sie schmerzt wieder. Die Kälte setzt ihr zu.«
»Das Eisland ist nicht fern«, murmelte Neolaras. »Ich frage mich, wie das
Volk von Julinaash dort überleben kann.«
»Sie haben ein grünes Tal und heiße Quellen«, erwiderte Elgeros. »Eine
solche wärmende Quelle könnte ich jetzt auch gebrauchen.«
Die beiden Elfen standen nahe der Stelle, an der nördliche und östliche
Mauer zusammentrafen. Von hier hatte man einen guten Blick in beide
Richtungen. Der Einschnitt des Passes von Rushaan lag im Licht des Mondes
und hob sich deutlich von den aufsteigenden Felswänden des Gebirges ab.
Der Norden hingegen wirkte trostlos. Die Öde machte ihrem Namen Ehre: ein
endlos erscheinendes Feld aus Sand, Geröll und Felsen, deren Konturen die
sternklare Nacht scharf hervortreten ließ. Nichts regte sich, nur ab und zu ließ
der Wind kleine Wirbel von Sand und Staub aufsteigen, die sich kreisend
erhoben und dann zerfaserten.
»Ein trostloses Land«, flüsterte Elgeros.
»Es ist die Öde.«
»Einst war das Land schön, mit fruchtbaren Ebenen und riesigen Wäldern.
Der Glanz seiner Städte erhellte die Nacht.«
»Das ist lange vergangen«, seufzte Neolaras. »Die Sonnenfeuer haben alles
verschlungen.«
»Und was die Feuer nicht vernichteten, das zerstörten die Beben.«
Elgeros nickte und sah nachdenklich nach Süden. »Es ist an der Zeit, dass
wir das Land verlassen. Die Zeichen werden immer deutlicher.« Er spürte die
Hand des Freundes an seinem Arm und wandte sich ihm zu. »Was ist?«
»Dort.« Neolaras deutete in die Öde hinaus. »Die Wirbel verdichten sich.
Der Wind scheint zuzunehmen.«
Der Wind war beißend und kalt, aber er war nicht stärker geworden.
Elgeros schüttelte unbewusst den Kopf. »Davon kann ich nichts spüren.«
»Aber die Sandwirbel werden dichter.«
Sie starrten nun beide zu den aufsteigenden Wirbeln hinüber. Erneut
schüttelte Elgeros den Kopf. »Das ist kein Sand.«
Neolaras sah hinauf in den Himmel. »Noch drei Zehnteltage, bis der Tag
anbricht. Es kann noch kein Morgennebel sein.«
»Aber Dunst ist es.«
Neolaras beugte sich weiter vor und stützte sich dabei auf seinem Bogen
ab, der sich unter der Last ein wenig bog. »Du hast recht, es ist Nebel. Aber er
zeigt sich nur dort.«
»Und er breitet sich aus und kommt näher«, murmelte der Bogenführer.
Es war eine ungewöhnliche Erscheinung. Noch nie hatten sie gesehen, wie
Nebel so übergangslos aus dem Nichts entstand und sich auf so merkwürdige
Weise ausbreitete wie dieser hier. Er verdichtete sich schnell, bis er einer
milchigen Flutwelle glich. Dabei war die Nebelbank kaum zwei Längen hoch
und gerade mal eine Hundertlänge breit, ein eng abgegrenztes Areal dunstigen
Wallens.
»Hast du das gesehen?« Neolaras beugte sich weiter vor. »Dieses Glühen
und Gleißen?«
»Ja, als würde in dem Nebel ein Gewitter toben.« Der Bogenführer
musterte den nächtlichen Himmel. »Aber die Sterne stehen klar, und keine
Wolke ist in Sicht.«
»Das gefällt mir nicht«, brummte Neolaras. »Wir sollten die Männer zu
den Waffen rufen.«
»Wegen Nebels?«
»Wenn es Nebel ist.« Neolaras richtete sich auf und zog einen Pfeil aus
seinem Köcher. »Und wer weiß, was sich in diesem Wallen verbirgt.«
»Du hast recht«, seufzte Elgeros. »Die meisten von uns können ohnehin
nicht schlafen.«
Der Bogenführer wandte sich dem Innenhof zu und legte die Hände an den
Mund, um die Männer zu den Waffen zu rufen.
»Da ist etwas im Nebel, ich kann es sehen«, zischte Neolaras erregt. »Mir
scheint, es ist der Umriss einer Gestalt.«
Elgeros wandte sich wieder der Öde zu. »Wo?«
Sein Blick folgte dem Fingerzeig des Freundes, der nun einen Pfeil an die
Sehne legte. Der Nebel pulsierte nun stärker, er schien sich auszudehnen und
wieder zusammenzuziehen, wobei er unaufhörlich näher kam. In dem
weißlichen Dunst erschienen dunkle Schatten und verschwanden wieder, und
ein bläuliches Licht blinkte kurz auf, bevor es erlosch.
Elgeros war sich nun sicher, dass sich etwas in dem Wallen verbarg, das
den Elfen feindlich gesinnt war. Er wandte sich halb zur Seite, um seine
Männer endgültig auf die Mauer zu rufen, da sah er aus den Augenwinkeln
ein kurzes Aufblitzen.
Der Bogenführer des Hauses Tenadan fand nicht einmal mehr Zeit zu
schreien. Ein glühender Schmerz erfüllte seine Brust, begleitet von einem
grellen Gleißen, dann versank die Welt um ihn in ewiger Finsternis.