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Kapitel 5

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Die Nachricht vom Erscheinen der Elfen in der Hochmark eilte der Gruppe

und Kormund voraus. Der erfahrene Scharführer hatte Buldwar losgeschickt,

damit der ungewöhnliche Besuch in Eternas gebührend empfangen werden

konnte. Mit seinem Pferd würde der Schwertmann weitaus schneller dort

anlangen als die Gruppe der Elfen.


Kormund ritt mit seinem Wimpel an der Spitze wie ein Bote, der die

Ankunft eines bedeutsamen Mannes verkündete. In der elfischen Gruppe

befanden sich gleich mehrere wichtige und hochgestellte Persönlichkeiten.

Elodarion-olud-Elodarion, der Älteste des Hauses Elodarion, Jalan-olud-

Deshay, der Älteste des Hauses Deshay und, zu Kormunds Überraschung, das

gute Graue Wesen Marnalf, der nicht nur Magier, sondern auch Berater des

Pferdekönigs Reyodem in Enderonas war. Dies alles deutete auf Ereignisse

von großer Bedeutung hin, und Kormund spitzte die Ohren, um wenigstens

ein paar Gesprächsfetzen aufzufangen, die seine Neugierde befriedigten.

Doch zu seiner Enttäuschung fielen nur wenige Worte, und diese galten den

Beobachtungen der Besucher auf ihrem Weg durch die Hochmark. Keiner

von ihnen machte Anstalten, den Scharführer ins Vertrauen zu ziehen.

Kormund konnte das auch nicht erwarten, aber dennoch wurmte es ihn.


Die Gruppe der Elfen, begleitet von Kormund und seinem letzten

Schwertmann, hatte den Hammergrundweiler passiert und schließlich den

südlichen Zugang zum großen Tal von Eternas erreicht. Vor ihnen breiteten

sich die Stadt, die Festung der Hochmark und die Straße aus, die

schnurgerade zur Stadt und durch diese hindurch zur Festung führte. Die

Straße war mit gerillten Steinplatten ausgelegt und wurde sorgsam gepflegt;

kein Kraut wucherte in den Rillen und ein Trupp war gerade dabei, eine Platte

auszubessern, die sich unter dem Gewicht eines Handelswagens gesenkt hatte.

Offensichtlich hatte Buldwar die Ankunft bereits verkündet, denn die Blicke

der Männer verrieten keine Überraschung, nur Neugier über den

ungewöhnlichen Besuch.


Je näher sie der Stadt kamen, desto intensiver wurden die Vielfalt der

Aromen und der Lärm. Menschliche Ausdünstungen mischten sich mit den

Gerüchen gebratenen Fleisches, erhitzten Metalls, wilder Kräuter und

zahlloser anderer Dinge, die das Leben des Pferdevolkes begleiteten. Als vom

Ufer des Eten ein gleichförmiges Stampfen herüberdrang, wandte sich

Marnalf Kormund zu. »Ich höre, Ihr nutzt nun ebenfalls die

Brennsteinmaschinen aus dem Reich Alnoa?«


Kormund nickte. »Der Händler Helderim brachte eine von ihnen aus dem

Reich der weißen Bäume. Zunächst wussten wir nichts damit anzufangen,

aber Guntram, der alte Schmied, kam auf den Gedanken, die Gebläse der

Essen damit zu betreiben.« Der Scharführer wies in Richtung der

Geräuschquelle. »Es funktioniert, und nun werden gleich zwei Schmieden mit

dieser dampfenden Brennsteinmaschine betrieben. Aber wenn es dunkelt,

muss sie abgestellt werden. Bei diesem Lärm kann ja kein Mensch schlafen.«


»Treibt Euer Schmied nur das Gebläse oder auch den Hammer damit an?«

Marnalf sah forschend über die Stadt. »Im Reich Alnoa gibt es kaum ein

Werkzeug mehr, das nicht durch die Kraft einer solchen Maschine bewegt

wird.«


»Solchen Unsinn werdet Ihr bei uns nicht finden«, erwiderte Kormund

entschieden. »Eine gute Rüstung und ein treffliches Schwert müssen von

Hand geschmiedet werden. Keine Maschine erreicht die Kunstfertigkeit eines

erfahrenen Schmiedes.«


»Wohl gesprochen, guter Herr Pferdemensch«, sagte Jalan-olud-Deshay

lächelnd. »Jeder Waffenmeister des elfischen Volkes wird Euch das

bestätigen.«


Am Stadtrand waren die Häuser zweigeschossig, zum Zentrum hin wiesen

sie oft drei Stockwerke auf. Die meisten waren aus sorgfältig behauenem und

geglättetem Stein errichtet, und die Klarsteinscheiben in den Fenstern zeugten

vom Wohlstand ihrer Bewohner. Viele der Straßen waren mit Steinen

gepflastert, und an den Ecken der Häuser standen lange Stangen mit

Brennsteinbecken, die in der Nacht Licht spendeten.


Die Bewohner von Eternas säumten die Straße, als die Gruppe zum

Zentrum kam, und die Blicke und Worte, die sie den Neuankömmlingen

zuwarfen, waren freundlich. Die beiden Ältesten und die sie begleitende

Elfin, mit schönem Gesicht und langen schwarzen Haaren, winkten und

lächelten den Menschen zu, während die elfischen Krieger der Eskorte kaum

eine Miene verzogen.


Schließlich erreichten sie den Stadtausgang und sahen wenige

Hundertlängen voraus die Festung von Eternas.


Über dem Haupttor ertönte das metallene Horn der Hochmark, und ein

weiteres Horn nahm den Ton auf, als Kormund und die Elfen die letzten

Längen zum Tor zurücklegten. Im Innenhof waren Kommandos zu hören, und

als der kleine Trupp aus dem Schatten des Torbogens in den Hof gelangte,

nahm eine Ehrenformation der Schwertmänner Haltung an.


Die Männer boten, wie nicht anders zu erwarten, einen untadeligen

Anblick. Im Gegensatz zu den einfachen Pferdelords waren sie einheitlich

ausgerüstet und, zu Fuß und zu Pferd, in jeder erdenklichen Formation und an

jeder möglichen Waffe ausgebildet.


Die Ehrenwache hatte den grünen Rundschild mit dem Symbol der

Pferdelords und dem blauen Rand der Hochmark über den linken Arm

gestreift und führte ihn eng am Leib. Die rechte Hand hielt die lange

Stoßlanze aufrecht, die den Reitern beim Angriff ihre tödliche Kraft verlieh.

Von der Lanze des Wachführers hing der Wimpel seines Beritts schlaff herab,

und das Tuch strich gelegentlich über das Gesicht des Trägers, was dieser

hinnahm, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Die Formation aus zwanzig

Schwertmännern stand vom Tor in Richtung Haupthaus, vor dessen Stufen

Garodem mit seiner Begleitung wartete.


Der Herr der Hochmark war noch immer von kraftvoller Statur und hielt

sich aufrecht wie seine Männer. Haupthaar und Bart waren weiß und

kontrastierten stark mit dem gebräunten und wettergegerbten Gesicht des

Pferdefürsten. Er trug ein schlichtes grünes Wams und den Umhang der

Pferdelords, der am Hals mit der goldenen Spange in Form des doppelten

Pferdekopfes verschlossen war. Um die Hüften lag der rotbraune Schwertgurt,

aber Garodem trug weder Rüstung noch Helm.


Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als er die Elfen und Marnalf

erkannte. Er nickte Kormund freundlich zu und ging dann zu Jalan hinüber,

der als der ranghöchste Elf nach vorne getreten war. Mit festem Griff legten

sie ihre Hände ineinander. »Jalan-olud-Deshay, Herr des Hauses Deshay, Ihr

seid mir willkommen. Mögen meine Lanze und mein Schild Euer Schutz und

mein Atem Eure Wärme sein.« Er sah Elodarion und Marnalf an. »Und das

gilt ebenso für die Hohen Herren, die ich in Eurer Begleitung sehe. Euer

Anblick erfreut mein Gemüt.«


So viel Herzlichkeit zwischen Elfen und Menschen war eher

ungewöhnlich, doch diese Männer hatten Seite an Seite in der Schlacht

gestanden und fühlten sich auf besondere Weise verbunden.


Jalan lächelte ebenfalls. »Seid bedankt für Schutz und Wärme, Hoher Lord

Garodem. Mein menschlicher Freund, es tut uns wohl, Euch in der Hochmark

zu besuchen.«


Die Elfen und Marnalf verneigten sich höflich vor der Hohen Dame

Larwyn, die zu Ehren der Gäste ein elfisches Gewand angelegt hatte, das ihre

schlanke Figur umschmeichelte.


Einen Schritt hinter dem Herrscherpaar der Mark stand die blonde Heilerin

Meowyn, die darauf gehofft hatte, ihre elfischen Freunde Lotaras und Leoryn

wiederzusehen. Sie verbarg ihre Enttäuschung, als sie keinen von ihnen sah,

und verneigte sich zusammen mit ihrem Ehemann Tasmund zum Gruß.

Tasmund war Garodems engster Freund und Berater, und Jalan-olud-Deshay

trat vor und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Noch ein guter Freund,

dem das Haus Deshay zu danken hat.«


Tasmund hatte vor acht Jahreswenden als Erster Schwertmann der

Hochmark an der Befreiung des Hauses Deshay mitgewirkt. Dabei hatte er

eine schwere Verwundung erlitten, die ihm den weiteren Dienst unmöglich

gemacht hatte. Tasmund freute sich sehr über die herzliche Geste des Elfen.


Dann erreichte Jalan einen jungen Mann, den er lange musterte, bevor er

auch ihm die Hand auf die Schulter legte. »Ein wahrhaftiger Erster

Schwertmann der Pferdelords. Es ist wohl getan, und du hast es von Herzen

verdient. Auch dir hat das Haus Deshay viel zu verdanken, Nedeam,

Pferdelord. Und nicht nur dieses Haus.«


Nedeam nickte lächelnd. Er fühlte sich ein wenig unwohl, denn in der

Gruppe der Elfen befand sich eine schlanke Gestalt mit einem lieblichen

Gesicht, das seine Gefühle in Aufregung versetzte. »Mein, äh, Schwert und

Schild sind Euer Schutz«, murmelte er verlegen.


Jalan folgte kurz dem Blick des Ersten Schwertmanns und nickte

verständnisvoll. »Du, Nedeam, Pferdemensch, bist einer der Gründe, warum

wir die Hochmark aufsuchen.«


Nedeam war sichtlich überrascht, und auch Garodem runzelte die Stirn.

»Ihr seid weit gereist, meine Freunde«, sagte er dann und musterte die

Eskorte elfischer Krieger. »Und sicher wollt Ihr Euch zunächst erfrischen.

Buldwar brachte Kunde von Eurer Ankunft, und alles ist für eine Erfrischung

und ein kräftigendes Mahl vorbereitet. So kommt nun herein in die Halle der

Schwertmänner, stärkt Euch und lasst uns unsere Freundschaft erneuern.«


Gefolgt von den elfischen Kriegern betraten Garodem, Larwyn und die

anderen das Haupthaus. Die Ehrenwachen stießen die Lanzenenden zum Gruß

auf den Boden, und der Schlag hallte im Innenhof wider. Während die

Männer und Frauen im Gebäude verschwanden, trat die Ehrenformation ab,

und Scharführer Kormund ließ sich erleichtert aus dem Sattel gleiten.


»Stärkt Euch und lasst uns unsere Freundschaft erneuern«, murmelte er

und grinste dann breit. Garodem war schon immer ein schlauer Bursche

gewesen. Der Pferdefürst hatte schnell reagiert und versucht, dem Besuch der

Elfen die besondere Bedeutung zu nehmen. Ein netter kleiner

Freundschaftsbesuch … Nein, Kormund war zu erfahren, um das zu glauben.


Auch Garodem und die anderen wussten es besser. Es lag nicht in der

elfischen Art, viel Zeit mit sinnlosen Gesten zu verschwenden. So lange, wie

das Leben eines Elfen auch währte, sie vergeudeten nur wenige Augenblicke

davon. Dennoch bezähmte er seine Neugier, und sie alle wahrten die

Tradition, indem sie an der langen Tafel in der Halle von Eternas Platz

nahmen und Getränken und Mahl zusprachen. Es war eine kleine Stärkung

mit Brot, Käse und kaltem Braten, dazu gab es verdünnten Wein und

Gerstensaft. Am Abend würde es dann ein ausgiebiges Fest geben, mit

mehreren Gängen und begleitet von Musik und Tanz.


Während die elfischen Krieger schweigend aßen, machten Marnalf und die

anderen anerkennende Bemerkungen über die Hochmark. Garodem war stolz

auf die Entwicklung seiner Mark, dennoch nahm er die Worte als höfliches

Geplauder, das nur den Augenblick vorbereiten sollte, an dem die Elfen den

wahren Grund ihres Besuches verraten würden. Er war erleichtert, dass es

nicht zu lange dauerte, bis Jalan, als Wortführer der Elfen, seinen Stuhl

zurückschob und sich erhob.


»Nachdem wir uns nun von der Reise erholt und uns erfrischt haben,

würde ich gerne einen Blick auf die Karte werfen, die im Amtsraum unseres

Gastgebers Garodem hängt. Es interessiert mich brennend, welche neuen

Entdeckungen unsere menschlichen Freunde gemacht und auf ihr verzeichnet

haben.«


Garodem zeigte ein unverändert freundliches Gesicht, während sich

Tasmund verschluckte und dann beschämt errötete. Es war eine Karte der

Elfen, ein Geschenk an Garodem und die Hochmark, und es gab nichts, was

Menschen daran hätten verbessern können. Auf dieser Karte waren viele

Dinge eingezeichnet, die nie zuvor ein Mensch erblickt hatte. Zumindest kein

Mensch des Pferdevolkes. Ganz offensichtlich war es Jalan, der die Karte zu

ergänzen dachte. Aber warum diese Vorsicht? Hier war niemand im Raum,

der ein Geheimnis nach außen tragen würde.


Nedeam sah unterdessen die schöne Elfin Llarana forschend an. Er tat es

unter halb gesenkten Lidern, denn ihr Anblick machte ihn verlegen. Ihm fiel

auf, wie oft sie Blicke mit dem guten Grauen Marnalf wechselte.


Nedeam war ein schlanker Mann, durchtrainiert, aber nicht unbedingt

muskulös. Er hatte ein offenes und freundliches Gesicht, in dem seine großen

braunen Augen dominierten. Inzwischen hatte er sich einen sauber gestutzten

Bart wachsen lassen, da er dies praktischer fand, als sich jeden Morgen zu

rasieren. Das schulterlange Haar war mit einem schwarzen Band im Nacken

zusammengebunden, und er trug die uniform wirkende Kleidung der

Schwertmänner. Doch führte er statt des breiten Schwertes mit dem

Handschutz in Form des Pferdelordsymbols eine leicht gekrümmte elfische

Klinge.


Vor nicht allzu langer Zeit hatte die junge Frau Nedeam gepflegt und ihm

beigestanden, als ihn ein bösartiger Zauberer mit Hilfe seiner geheimnisvollen

Kräfte verhört hatte. Dabei war zwischen der Elfin und ihm eine Beziehung

entstanden, zumindest hoffte Nedeam das. Er hatte versucht, Llarana die

Gefühle, die er für sie hegte, zu erklären, aber sie war vor seiner Liebe

zurückgeschreckt. Sie konnte und wollte sich nicht mit einem Sterblichen

verbinden, denn es wäre ihr unerträglich, nach einer kurzen Phase

gemeinsamen Glücks zusehen zu müssen, wie der Körper des Geliebten

langsam verfiel. Das zumindest hatte sie Dorkemunt gegenüber behauptet.

Doch der enttäuschte Nedeam hoffte noch immer, seine unglückliche Liebe

zu dem elfischen Wesen werde Erfüllung finden.


»Gehen wir in meinen Amtsraum, meine Freunde«, sagte Garodem und

wies einladend zur Treppe, die ins Obergeschoss hinaufführte.


»Ich habe eine Bitte, Garodem, mein Freund«, sagte Jalan leise und legte

die Hand an den Arm des Pferdefürsten. »Eigentlich ist es eher eine Bitte von

unserem Freund Marnalf, dem guten Grauen Wesen. Er möchte mit Eurem

Ersten Schwertmann sprechen. Unter vier Augen, Ihr versteht?«


»Mit Nedeam?« Garodem sah forschend zu Marnalf und wirkte ratlos.

»Jetzt?« Er zögerte. »Wenn Ihr dringende Angelegenheiten mit uns

besprechen wollt, erscheint es mir doch sinnvoller, dass mein Erster

Schwertmann dabei ist.«


»Ich muss Euch dennoch bitten.« Jalans Blick wurde eindringlich. »Es ist

durchaus von Bedeutung, Pferdefürst Garodem.«


»Das muss es wohl sein.« Garodem sah Jalan nachdenklich an. Der Elf

setzte sich einfach über den Wunsch seines Gastgebers hinweg; eine

Unhöflichkeit, die zeigte, wie wichtig es dem Ältesten war, dass Marnalf mit

Nedeam sprach. Und dass Nedeam nicht an ihrem eigenen Gespräch

teilnahm. »Schön, dann werden wir es so machen, Hoher Lord Jalan.

Nedeam, seid so freundlich und begleitet den guten Herrn Marnalf.«


Nedeam nickte überrascht, und dann griff Garodem Jalans Arm. »Und Ihr,

mein elfischer Freund, werdet mir nun erklären, was das alles zu bedeuten

hat. Nedeam ist nicht nur mein Erster Schwertmann, sondern auch ein guter

Freund.«


»Ihr werdet es erfahren, Garodem, Ihr werdet es erfahren.« Jalan sah den

Pferdefürsten und dessen Berater Tasmund entschuldigend an. »Alles ist

wohlbegründet und wird sich zusammenfügen. Lasst uns nun zur Karte

gehen, Ihr menschlichen Freunde, denn sie ist von Bedeutung für Euch. Und«,

seine Stimme war ungewohnt ernst, »für Eure Zukunft.«


Normalerweise hätte Larwyn ihren Gemahl begleitet, denn alle

Entscheidungen, welche die Hochmark betrafen, berührten auch sie selbst.

Aber die Frau des Pferdefürsten hatte gespürt, dass dies nicht den Wünschen

der Elfen entsprochen hätte. Sie war eine höfliche Gastgeberin und

respektierte die Geheimnistuerei der Ältesten, zumal sie wusste, dass

Garodem sie uneingeschränkt ins Vertrauen ziehen würde. Trotz der Weisheit

eines langen Lebens waren die Elfen doch nicht weise genug, die Frauen an

ihrer Seite als wirklich gleichberechtigte Wesen zu akzeptieren. Für das

Pferdevolk galt das nicht. Zu oft hatten Männer und Frauen Schulter an

Schulter ihre Gehöfte und Weiler verteidigt. Man lebte, und starb nötigenfalls,

gemeinsam, und man tat dies bedingungslos und mit den gleichen Rechten.

So gab die Herrin der Hochmark ihrer Freundin Meowyn einen unauffälligen

Wink, und die beiden Frauen machten sich daran, die Bediensteten zu suchen,

um ihre Anweisungen für den Abend zu geben.


Die beiden Ältesten, Garodem und Tasmund, stiegen die Treppe zum

Obergeschoss hinauf und betraten den Amtsraum. Der Pferdefürst war

gleichermaßen neugierig wie missgestimmt, und er rätselte, was Jalan wohl

bewogen hatte, Nedeam aus ihrer Runde auszuschließen. Der Herr der

Hochmark umrundete den massigen Schreibtisch, der an der Stirnseite des

Raumes stand, und setzte sich in den hochlehnigen gepolsterten Stuhl. Hinter

ihm stand in einem Gestell seine Rüstung, die er nun schon einige

Jahreswenden nicht mehr getragen hatte, wenn man von der jährlichen Feier

absah, in der die neuen Pferdelords vereidigt wurden.


Tasmund trat zu einem kleinen Schrank, der neben einem Regal mit

Büchern und Schriftrollen stand, öffnete ihn und nahm Becher und eine

Karaffe heraus. Während Elodarion auf einem anderen Stuhl Platz nahm,

schenkte Tasmund ihnen allen ein. Garodem sah angespannt zu, wie Jalan an

die große Karte trat, die an der linken Wand hing.


Durch die großen Klarsteinscheiben der Fenster fiel helles Licht herein und

hob jede Einzelheit der Karte hervor. Diese zeigte die Marken des

Pferdevolkes und die angrenzenden Länder und war weitaus genauer und mit

deutlich mehr Details versehen als die üblichen Karten der Menschen.


Jalan-olud-Deshay trat nahe an die Karte heran, betrachtete sie eine Weile

schweigend und nahm geistesabwesend den Becher entgegen, den Tasmund

ihm hinstreckte. Als der Freund und Berater Garodems zurücktrat und sich

neben den Pferdefürsten stellte, räusperte sich der Elf, wandte sich um und

sah die Menschen ernst an.


»Dies ist unsere Welt, meine menschlichen Freunde, und sie ist im

Wandel, so wie alles im Wandel ist. Die Häuser der Elfen haben das

Menschengeschlecht für lange Zeit begleitet. Vieles, was unsere Augen

sahen, hat uns nicht gefallen. Euer kurzlebiges Wesen ist von Habgier und

Machtstreben bestimmt; Ihr achtet zu wenig auf das, was die Natur Euch im

Übermaß schenkt, und schätzt es nicht; Ihr vermehrt Euch und verbreitet

Euch über das Land. Vom Standpunkt eines elfischen Wesens aus besehen,

gibt es nur weniges, was für Euch spricht.«


Garodems Augen verengten sich, und Tasmunds Blick nahm einen

drohenden Ausdruck an. Doch Jalan hob beschwichtigend eine Hand und

lächelte sanft. »Ich will Euch nicht beleidigen, meine Freunde. Es gibt

natürlich auch Dinge, die ich an Euch schätze, denn sonst würde ich Euch

nicht meine Freunde nennen. Wir Elfen sind mit solchen Bekundungen sehr

sparsam, das wisst Ihr.«


»Das ist wahr«, stimmte Garodem zu, und die beiden Pferdelords

entspannten sich wieder. »Aber Ihr scheint nicht gerade eine hohe Meinung

von uns Menschen zu haben, Freund Jalan.«


»Ich bedaure das. Wir Elfen sprechen die Dinge aus, wie sie sind.« Jalan

lachte freundlich. »Oder wenigstens, wie sie uns erscheinen. Falschheit und

Lüge liegen uns fern. Ich war lange Zeit ein Gegner des Bundes zwischen

Menschen und Elfen. Manches Eurer Reiche habe ich zerfallen sehen – nicht

etwa bezwungen von einem äußeren Feind, sondern zersetzt durch Hass und

Missgunst untereinander. Als der Schwarze Lord sich erhob, traten die

elfischen Häuser an die Seite der Menschen, um den gemeinsamen Feind zu

bezwingen. Heute weiß ich, dass diese Entscheidung richtig war. Es gibt

Menschen, an deren Seite man dem Tod unbekümmert entgegentritt. Ihr,

Garodem, und Ihr, Tasmund, gehört dazu.«


»Und Nedeam?« Garodems Stimme war leise.


Jalan-olud-Deshay zögerte mit der Antwort. »Das wird sich rasch

erweisen, Garodem, Fürst der Hochmark. Nein, stellt nun keine Frage. Nur

Marnalf kann darüber entscheiden.«


»Was, bei den Finsteren Abgründen, geht hier vor?«, fragte Tasmund

grimmig. »Nedeam ist der Erste Schwertmann der Mark. Ein wahrer und

aufrechter Pferdelord. Das hat er oft genug bewiesen.« Tasmunds Stimme

wurde kalt. »Unter anderem auch im Kampf um Euer Haus, Herr Elf.«


»Ich kann den Zorn in Euch spüren, Pferdemensch Tasmund.« Jalan löste

sich von der Karte und trat auf Tasmund zu, wobei er die offenen

Handflächen zeigte als Zeichen des Friedens. »Doch zürnt mir nicht, Hoher

Herr Tasmund. Ich trage keine Schuld an dem Schicksal, das Eurem Volk

bestimmt ist.«


»Seht es mir nach, Ihr Hohen Herren«, stieß nun Garodem hervor. »Ich bin

ein einfacher Krieger und an offene Worte gewöhnt. Sprecht gerade heraus,

was vor sich geht. Gilt Euer Besuch meinem Ersten Schwertmann oder der

Mark?«


»Ich will es Euch erklären, so gut ich kann.« Jalan nahm die Karaffe vom

Schreibtisch und schenkte sich nach. Nachdem er an seinem Becher genippt

hatte, trat er erneut zur Karte. »Wie Ihr wisst, werden die Häuser der Elfen

das Land verlassen. Schon lange beabsichtigen wir, zu den Neuen Ufern

aufzubrechen. Nun, da unser Volk über das notwendige Wissen verfügt, ist es

so weit.« Er sah in die Augen der Menschen und nickte. »Ja, es ist so weit.

Die Häuser der Elfen gehen fort. Zwei sind schon auf der Reise über das

Meer, und die anderen werden rasch folgen.«


»Wie rasch?«, fragte Garodem.


»Zur Wende des kommenden Jahres werden die letzten von uns Elfen

aufgebrochen sein.«


»So rasch?« Tasmunds Stimme klang bestürzt.


»Ich kann Eure Sorge verstehen, Tasmund.« Elodarion seufzte schwer.

»Ich weiß, dass dann die Last, die wir bislang teilten, allein auf Euren

Schultern liegt. Es ist nun an den Menschenreichen, dem Schwarzen Lord zu

widerstehen.«


»Bei den Finsteren Abgründen«, murmelte Garodem mit tonloser Stimme.

»Ich dachte, es bliebe uns noch mehr Zeit.«


»Der Moment ist gekommen.« Jalan blickte auf den Boden. »Das Zeitalter

der Elfen ist vorbei und das der Menschen ist angebrochen.«


»Oder das der Orks«, stieß Tasmund heiser hervor. »Verdammt, der

Schwarze Lord ist noch lange nicht geschlagen. Seine Legionen stehen an den

Grenzen und werden immer stärker.«


»Wir haben gehofft, Ihr Elfen würdet uns zur Seite stehen«, warf Garodem

leise ein. »Es wird schwer sein ohne Euch.«


»Es geht nicht anders. Wir müssen gehen, Garodem, Pferdefürst.« Jalan

wandte sich der Karte zu und legte seinen Finger auf eine der eingezeichneten

Regionen. »Wenn wir Elfen das Land verlassen, wird sich manches ändern.

Die Kraft der Menschen wird entscheiden, ob zum Guten oder zum

Schlechten. Hier, im Süden, liegt das Reich der weißen Bäume, das

Königreich Alnoa. Es ist das letzte der alten Königreiche und noch immer

stark. Seine Festungen und Truppen schützen den Süden und halten die Pforte

von Alnoa bei Maratran sowie den Pass von Dergoret. Das vergangene

Königreich von Jalanne und die südliche Öde von Irghil bilden einen

zusätzlichen Schutz gegen das Vordringen der Orks.« Der Finger glitt am

mächtigen Ostgebirge entlang nach oben. »Das Land des Pferdevolkes. Und

hier die Stadt Merdonan an den Weißen Sümpfen, wo wir Seite an Seite

standen. Jenseits dieser Sümpfe führt der Pass von Merdoret ins Reich der

Finsternis. Doch Merdonan ist stark, und die Sümpfe bilden ein natürliches

Hindernis. Auch von dort droht nur wenig Gefahr.«


Tasmund stieß ein leises Schnauben aus. »Erst vor acht Jahreswenden

fochten wir dort, und es war ein harter Kampf.«


»Aber Ihr habt ihn bestanden.«


»Mit Eurer Hilfe, Jalan-olud-Deshay.« Garodem erhob sich hinter seinem

Schreibtisch. »Mit der Hilfe von fünftausend elfischen Bogen, die uns in

Zukunft fehlen werden.«


»Ja«, sagte Jalan schlicht. »Sie werden Euch fehlen.« Es lag nicht in seiner

Art, die Situation zu beschönigen. »Und Ihr werdet in Zukunft noch eine

weitere Grenze schützen müssen. Hier oben im Norden.« Sein Finger glitt den

nördlichen Pass entlang und folgte dem Verlauf des Eten. »Die nördliche Öde

des toten Reiches Rushaan. Dahinter liegt das Eisland, doch von dort droht

keine Gefahr. Die kommt vielmehr von hier.« Er tippte auf eine bestimmte

Stelle. »Der Pass von Rushaan. Der Schwarze Lord hat zwei Möglichkeiten,

mit seinen Truppen von der Ebene Cantarim in Euer Land vorzustoßen. Über

den Pass von Merdoret und die Weißen Sümpfe oder über den Pass von

Rushaan, an der nördlichen Öde vorbei und weiter durch den Pass des Eten

nach Süden.«


»Und direkt in unsere Hochmark«, brummte Garodem.


»So ist es«, bestätigte Jalan. »Doch bislang war diese nördliche Grenze

geschützt. Hier, am Pass von Rushaan, liegt Niyashaar. Eine kleine Feste, die

von den Häusern des Waldes gehalten wird. Es ist nur ein Vorposten, nicht

stark genug, um einem massiven Angriff standzuhalten.«


Garodem trat neben Jalan. »Ich verstehe. Er soll Euch Zeit verschaffen,

nicht wahr?« Er tippte auf den Pass des Eten. »Warum habt Ihr den Posten

nicht hier errichtet?«


»Es gab … Gründe«, antwortete Jalan ausweichend.


»Jedenfalls werden wir Niyashaar bald aufgeben«, meldete sich Elodarion

zu Wort. »Dann wird der Pass von Rushaan offen und ungeschützt sein.«


Garodem stieß ein leises Schnauben aus. »Wir können die Orks nicht bis

zur Hochmark vorstoßen lassen. Das ließe uns zu wenig Raum zum

Manövrieren. Und zu wenig Zeit, um die Truppen zu versammeln. Wir

müssten den Feind, genauso wie Ihr Elfen, früh genug entdecken, um noch

angemessen reagieren zu können.« Der Pferdefürst nickte sorgenvoll.

»Außerdem würde es unsere kleinen Freunde in Bedrängnis bringen. An

diesem Pass liegt die grüne Kristallstadt Nal’t’rund. Sie könnte einem

massiven Ansturm der Legionen nicht standhalten, wenn niemand sie

unterstützt.«


Tasmund nickte. »Und der Schwarze Lord weiß, wo die Stadt liegt.«


Garodem und Tasmund waren beide erfahrene Kämpfer. Sie hatten oft

genug in der Schlacht gestanden und erlebt, wie die sorgfältige Planung eines

Kampfes zerfiel, sobald man dem Feind begegnete. Sie waren Pragmatiker,

und über den Abzug der Elfen zu jammern, würde an ihrer Situation nichts

ändern. Sie mussten sich der neuen Lage stellen und eine Lösung für das

Problem finden.


»Niyashaar liegt ungünstig.« Tasmund leckte sich über die Lippen, nippte

an seinem Becher und trat zu den anderen. »Viel zu weite Wege. Es würde zu

lange dauern, bis wir Nachrichten von dort bekämen und den Posten

verstärken könnten. Der nördliche Ausgang des Passes Eten, noch oberhalb

Nal’t’runds, wäre ein guter Kompromiss. Wir könnten die Befestigung

innerhalb des Passes anlegen. Dann würde auch eine kleine Truppe reichen,

um eine große Übermacht für längere Zeit aufzuhalten.«


»Eine solche Befestigung muss erst erbaut werden.« Garodem ließ sich

nachschenken und nahm ein paar Schlucke, um etwas Zeit zu gewinnen und

seine Gedanken zu ordnen. »Wir bräuchten viele Hände, um das zu

vollbringen.«


»Und bis ein solches Bollwerk vollständig errichtet ist, müsste ein

Vordringen der Orks über den Pass von Rushaan verhindert werden.«


»Richtig, Tasmund, mein Freund«, stimmte Garodem zu. »Oder zumindest

so lange aufgehalten werden, bis sich die Pferdelords und unsere kleinen

Freunde in ausreichender Zahl gesammelt haben.«


Jalan trat ein wenig zurück, und in seinem Blick lag Verständnis. »Ich

bedauere sehr, dass es keinen anderen Weg für mein Volk gibt. Aber wir

müssen gehen und Euch zurücklassen. Daher kann ich Euch, als aufrechter

Freund, nur raten, Niyashaar zu besetzen und den Pass des Eten im Norden zu

befestigen. Der Schwarze Lord wird es rasch bemerken, wenn der Weg für

ihn frei ist, und er wird die Gelegenheit nutzen.«


»Ich verstehe. Also werden wir sehr schnell eine Truppe hinschicken

müssen, um die Lage zu erkunden und dann entscheiden zu können, was zu

tun ist.« Garodem seufzte schwer. »Es gibt nur einen Mann, dem ich diese

Aufgabe anvertrauen kann. Meinem Ersten Schwertmann Nedeam.«


Jalan wich dem Blick seiner menschlichen Freunde aus. Elodarion

hingegen trat zu ihnen und legte ihnen die Hände auf die Schultern. »In

diesem Augenblick spricht der gute Herr Marnalf mit Nedeam. Dabei wird

sich erweisen, ob Euer Erster Schwertmann noch Euer Vertrauen verdient.«


Die Pferdelords 06 - Die Paladine der toten Stadt

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