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Rot-weiß-rotes Gold Zuckerfabrik und Safranoleum, Ödenburger Straße/Eisenstädter Straße 97, 7011 Siegendorf

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Rüben, Rüben, Rüben. Der Weg zahlt sich aus. Vor mir steht eine fünfstöckige Halle. Viel mehr ist nicht übrig von der „Großen Fabrik“ der Patzenhofers. So hießen die Dorfkaiser hierzulande, und sie waren Herren über ein von ihnen geschaffenes Imperium: die Rübe. Daraus machten sie Zucker. Ihr Reichtum wuchs in gleichem Maße wie der der Bevölkerung. Aus einer Handvoll Häuser wurde eine Siedlung, ein Marktflecken, eine Marktgemeinde. Eine Schule, eine Feuerwehr, eine Arztpraxis, sogar ein eigener Gendarmerieposten, all das wurde zum Wohle der Belegschaft von den Patzenhofers I–III finanziert – von betriebseigenen Arbeiterwohnungen ganz zu schweigen. Bald schon nannte man die Siegendorfer Aufschneider, kein Wunder, patzig zeigte man, was man hatte. Und das war nicht wenig: Arbeit nämlich. Auch in Zeiten, in denen es beileibe nicht selbstverständlich war, sich und seine Familie durchzubringen, die Esterházys der Wulkaebene – vulgo der Patzenhoferische Clan – zeigten, wie’s ging: Zucker, Zucker, Zucker. Die ehemalige Fabrik galt hundertfünfunddreißig Jahre lang (1853–1988) als einer der sozial am klügsten aufgestellten Betriebe des Bezirks Eisenstadt-Umgebung.


Das Reich des Herrn Pinterits

Heute aber bin ich nicht nur auf der Spur des weißen Goldes, auch das rote hat es mir angetan. Ich lasse mich treiben, ich schnuppere. Kaum liegt das (ehemalige) Industriegebiet hinter mir, passiere ich Feuerwehr, Gendarmerieposten und Ärztezentrum, lasse die Volksschule rechts liegen, denke an die (gerne auch zum eigenen Vorteil gereichende) Großzügigkeit der Patzenhoferischen, folge der Eisenstädter Straße, widerstehe dem Angebot der Kakadu-Nachtbar, biege bald nach den letzten Häusern Siegendorfs auf einen geschotterten Weg ein, der mich, entlang von Feldern, zu einem reichlich seltsamen Vogel führt. Nach hundert Metern prangt das Schild: „Safranoleum“. Klingt nach Bodenbelag. Ist es aber nicht. Links von der Einfahrt, das Kräutergärtlein. Die Pflanzen sind fein säuberlich beschriftet, hier wird nichts dem Zufall überlassen. Ich komme nicht unangemeldet.


Das rote Gold: Safranblüten

„Hallo?“

„Ich würde gerne vorbeikommen.“

„Wann?“

„Heute.“

„Nicht zwischen eins und zwei!“

„Gibt’s was zu essen?“, frage ich scherzhaft. Dem Mann ist nicht zum Scherzen zumute, vielleicht hat er gerade Hunger. Er legt auf. Habe ich ins Schwarze getroffen? Safranologen haben Appetit. Zwischen eins und zwei.

Ich bin um zwölf da.

Ein schwarzer Kubus, rechts davon ein schnittiges Einfamilienhaus. Rundherum: Gegend. Nichts als Gegend. Gott sei bei uns! Wer lebt hier? Herr Pinterits Hannes, ein fescher Mensch, schlank wie ein Safranstängel, öffnet die Designer-Tür.

„Sie sind …?“

„Ja“, sage ich, „wann gibt’s was zu essen?“

„Um eins.“

„Deswegen bin ich da.“

„Was?“

„Nein. Ich bin an Safran interessiert. Ausschließlich.“

Erleichtert baut sich der Longinus vor mir auf, und ohne dass ich „Bap“ sagen kann, legt er los: „… dass das Land hier einmal führend in der Zucker- und Safran-Erzeugung war, ein Jahrtausend lang hat man hier das Rote Gold produziert. Bis zum Ersten Weltkrieg. Und dann war’s beinahe hundert Jahre lang ruhig, bis, ja, bis es wieder begonnen hat. Kriterium war und ist die Qualität. Bei der reifen Pflanze entfernt man die drei ‚Narben‘, die in einem gemeinsamen ‚Narben-Griffel‘ verwachsen sind. Die Qualität des Safrans erkennt man an der Farbe (je röter, desto besser) und am fehlenden Griffel. Bei schlechter Ware ist er noch dran. Es geht um jedes hundertstel Gramm. Um ein Kilogramm zu verkaufen, benötigt man bis zu hundertfünfzigtausend Blüten oder vierhundertfünfzigtausend Narben. Die Produktion erfolgt händisch, was auch den Preis erklärt. Die Ernte ist im Spätherbst. Es geht um den geeigneten Moment: Schönwetter. Sonst verdirbt die Ware.“

Herr Pinterits fingert nach ein paar silbernen, hübsch beschrifteten Döschen und reicht mir eine Kostprobe.

„Jetzt werden S’ staunen!“

Ich staune. Ich koste ein Löffelchen. Es schmeckt. Echt jetzt. Keine Ahnung, was das ist. Hocharomatisch.

„Fenchelpollen! Der Geschmack ist so einmalig wie unverwechselbar. Fenchelartig, nur etwas süßer. Elegante, pinienartige Note.“

Anis, Koriander, Curry, Marille, Zitrone, Safran.

„Wofür braucht man das?“

Herr Pinterits rollt die Augen. „Vorspeise, Suppe, Hauptspeise, Dessert. Sie können die Pollen zum Würzen, Marinieren oder Garnieren verwenden – einfach als Tüpfelchen auf dem ‚i‘.“

Also spricht der Herr. Und ich glaube ihm, greife nach einem der Tiegel und sage kleinlaut: „Und was haben Sie sonst noch im Angebot?“

Da schnellt er auf und baut sich in voller Größe vor mir auf: „Den Neusiedler Maigroun, wenn’s gefällt.“

Bahnhof.

„Majoran. Meine dritte Leidenschaft. Schon die Großmütter wussten ihn zu schätzen. Er darf keinesfalls zu seicht im Feld liegen, sonst picken ihn die Vögel auf. Aber eben auch nicht zu tief. Die Omama sagte immer: ‚Er muss grad noch das Zwölfeläuten hören.‘“ Apropos: Der Safranologe, Maigrounist und Fenchelpol(l)itiker sieht mich fragend an. Ich stelle schnell ein paar Goodies zusammen, nehme noch einen kräftigen Schluck vom wunderbar pannonischen Safran-Gin, angereichert mit hauseigenen „Key-Botanicals“ und frage, was ich schuldig bin. Herr Pinterits rudert ein bisschen in der Luft herum.

„Sie empfehlen mich weiter!“ Sagt’s und verschwindet im Haus nebenan. Das Essen ist fertig.

Ich ziehe meiner Wege, mit der Erkenntnis, dass einem findigen Geist immer auch eine Portion Lebenselixier innewohnt. Der Herr Pinterits Hannes wollte immer schon hoch hinaus (bei seiner Größe auch nicht verwunderlich). Aufs Leben! Auf den Zucker! Auf den Safran! Aber bitte nicht zwischen eins und zwei …


Der Zahn der Zeit hat an der alten Zuckerfabrik genagt.

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