Читать книгу Burgenland für Entdecker - Michael Schottenberg - Страница 13

Wo er recht hat, hat er recht Die Fahnengemeinde Neckenmarkt, Rathausgasse 1, 7311 Neckenmarkt

Оглавление

Kein Zweifel, die Neckenmarkter haben eine Fahne. Und die knapp zweitausend Einwohner*innen sind stolz darauf. Sie haben sie sich erarbeitet, mit Mut und Einsatz. Darauf können sie sich berufen. Mit Recht. Jeden Sonntag nach Fronleichnam stehen sie dicht an knapp auf dem großen Platz vor dem Rathaus, recken die Hälse und betrachten andächtig die tüchtigen jungen Burschen, die in Reih und Glied angetreten sind, um an jenes Ereignis zu erinnern, das im Bewusstsein der Marktgemeinde auch nach vierhundert Jahren mehr als verankert ist.

Fesch ist er, der regierende Fähnrich in seiner dunkelblauen Uniform, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Tut sie auch. Er ist vorgetreten, in der Hand hält er eine riesige Fahne. Sein Gesichtsausdruck ist ernst. Um die Hüfte hat er eine seidene Schürze gelegt, das „Fürtuch“, das zu tragen ausschließlich ihm vorbehalten ist. Atemlose Stille. Mit beiden Händen packt er zu, dann windet er das fünfunddreißig Kilo schwere Ding in eigenwilliger Verschraubung um seinen Körper. Mindestens hundertzwanzig Mal muss er die Nachbildung, deren Original im fernen Eisenstadt verwahrt ist, um Kopf und Kragen schwingen. Die Entschlossenheit steht ihm gut, dem diesjährigen Fähnrich, der seinem Namen mehr als gerecht wird.

Tag der Fahne

Der ungewöhnliche Brauch, von der UNESCO in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen, ist Ausdruck von Tradition und Zusammenhalt und erinnert an den Mut und die Heimatverbundenheit der tapferen Neckenmarkter. Es ist zwar alles schon ein paar Jährchen her, aber man merkt es ihnen immer noch an – zu ihrer Fahne stehen sie, jung wie alt. Kein Wunder: Wir befinden uns mitten im Top-Anbaugebiet des Blaufränkischen, des Zweigelt und all der Top-Cuvées, die das gebenedeite Riedenland so hergibt. Das Winzer-Gen steckt ihnen in den Knochen, den Butte an Butte stehenden Neckenmarkter*innen, die dem Tag und ihrem Fähnrich zur Ehre alle ihre höchsteigene, innere Fahne gehisst haben.

Rückblende: Dreißigjähriger Krieg. Neckenmarkt, an der alten Bernsteinstraße gelegen und deshalb immer schon im Zentrum des Interesses durchziehender Handelsleute, die wertvolle Rohstoffe nach Aquileia, in Richtung Lagune, transportierten, geriet selbst zwischen die Fronten. Nikolaus Esterházy kam durch Heirat in den Besitz des nur ein paar Bouteillen von Neckenmarkt entfernt liegenden Schlosses Lackenbach. Just hier durchquerten protestantische Freischärler des ungarischen Rebellen und Fürsten von Siebenbürgen, Gábor Bethlen, das Land, im Kampfeszug gegen die in Wien ansässigen katholischen Habsburger. Das Schloss wurde umzingelt, der Fürst saß in der Falle. Er kabelte nach Wien, dass er dem Druck der Ungarn nicht lange werde statthalten können, und während er ungeduldig auf die kaiserlichen Truppen wartete, kamen ihm in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die benachbarten Neckenmarkter zu Hilfe: Mit „allerlei Geräthschaften, Heugabeln, Dreschflegeln, Sichel und Sensen“, sowie einer gehörigen Portion Mut und Entschlossenheit stürmten sie quer über die Äcker in die unbewachte Rückflanke der ungarischen Rebellen. Tatsächlich gelang es ihnen, die Schlacht zugunsten Esterházys zu entscheiden. Dafür wurden die tapferen Weinbauern belohnt – mit einer immerwährenden Fahne.

Anlässlich meiner Ankunft stehen der Herr Bürgermeister, der Herr Gemeindeamtsleiter und der letztjährige Herr Fähnrich bereit. Ich hätte nicht gedacht, mit solchem Respekt empfangen zu werden, lasse es mir aber gerne gefallen. Die Neckenmarkter verstehen sich auf Etikette. Der Alt-Fähnrich erhebt sich und verkündet mit fester Stimme die Aufgaben der „Ehrsamen Burschenschaft Neckenmarkt“: Vom Fällen des „Burschenbaumes“, der der Marktgemeinde alljährlich von den Esterházys als Geschenk zur Verfügung gestellt wird, vom Aufstellen desselben vor dem Rathaus, vom „Tanz auf der Brücke“, dem „Faschings-Eintanzen“, wo Burschen mit Burschen tanzen, ein jeder mit Rosmarinbüscheln am Hut, vom „Kipferlwerfen“ am Faschingsdienstag, anlässlich dessen tausend Stück Kipferln und achthundert Orangen (warum immer) unter der jubelnden Menge verteilt werden, und, als Höhepunkt des Jahres, von der Wahl des neuen Fähnrichs. Die nämlich findet kurz vor dem großen Fest statt und bestimmt den aktuellen Fahnenbeauftragten samt Team, bestehend aus dem „Kommandanten“, den beiden „Wachtmeistern“, den zwei „Kellnern“ und den „Jungburschen“, den beiden Sterzträgern. Zum inneren Zirkel der Burschenschaft gehört auch noch das „Fähnrichmädchen“ (First Girl), die „Fahnenpatin“ (zuständig für die Organisation) und die „Fahnenmutter“ (Fahnen- und Gewehrschmuck). Diese Mann-/Frauschaft steht für die Festivitäten, die ganzjährig stattfinden, bereit.

Ich frage: „Freiwillig?“

Der Herr Bürgermeister wird unruhig, der Herr Amtsleiter scharrt mit den Hufen und der Herr Alt-Fähnrich rollt die Augen: „Freiwillig. Es ist uns eine Ehre. Neckenmarkt sind wir alle gemeinsam.“

Die Burschen verstehen sich als eine verschworene Gemeinschaft, fern jeder Politik oder Ideologie. Jeder ist Teil des Ganzen. Schließlich ist man nicht in Horitschon geboren, sondern unterhalb des Bahnschrankens, in Neckenmarkt. Zusammenhalt und soziales Bewusstsein schmieden die Allianz. Und darauf sind die Fahnenschwinger, ihre Gefolgschaft und alle rundum in den Häusern (mit Recht) stolz.


Auch Reisende haben bisweilen eine Fahne.

„Wir wenige übernehmen Verantwortung für alle. Das bedeutet das Schwingen eigentlich. Immer noch. Gestern, heute, morgen.“

Der Alt-Fähnrich setzt sich, seine Worte wiegen schwer wie Steinbrocken. Jetzt erhebe auch ich mich. Ich weiß gar nicht warum – und deshalb setze ich mich gleich wieder. Die Gemeinschaft steht über dem Einzelnen. Das finde ich schön. Mit sechzehn wird man hier erwachsen und erfüllt seine Pflicht im Dienste der Allgemeinheit.

Jetzt erheben sich auch die Honoratioren. Und ich, der ich mich doch gerade gesetzt habe, stehe auch schon wieder stramm, und gemeinsam marschieren wir hinauf in den ersten Stock, in den großen Sitzungssaal der Bürgermeisterei, wo in einer mit Samt ausgeschlagenen Vitrine der Stolz der Marktgemeinde ruht. Die drei Herren stemmen die Fahne aus ihrem gläsernen Sarg und reichen sie mir. Das Zeug hat ein Mordsgewicht und droht zu kippen, obwohl ich von Natur aus mit Grundfitness ausgestattet bin.

„Schwing einmal!“, befehligt mir der Herr Bürgermeister, und ich versuche die Stange zu heben, aber sie rutscht mir aus den Tatzen, und wenn mir der Herr Amtsleiter nicht zu Hülf’ geeilt wär’, der Wimpel wäre laut krachend am Neckenmarkter Parkett gelandet. Zu meiner Verblüffung schwingt Amtsleiter Georg die Fahne quer durch den Saal, sodass mir jedes Mal, wenn sie an mir vorüberschwingt, die Haare am Kopf strammstehen. Dann greift der Bürgermeister zu und zuletzt der Ex-Fähnrich. Hier wird man wohl nichts, wenn man nicht zuzupacken versteht. Ich bin beeindruckt. Und ich sehne mich nach … mehr. Herr Igler, Neckenmarkts Oberster, errät meine Gedanken und befehligt mich direkt in die Vinothek. Hier und nur hier wird der zweite Teil der Ortschronik geschrieben. Jede Menge Glas lagert hier, darin der köstlichste Saft, der aus hiesigen Reben alljährlich gewonnen, gekeltert, gefüllt und abgeflascherlt wird.

Die Neckenmarkter verstehen sich aufs Leben. Und aufs Genießen. Manchmal kein Widerspruch. Vor allem aber verstehen sie was von Solidarität und Zusammenhalt. Was will man mehr?

„Hast alles?“, fragt mich Amtsleiter Georg, während ich ein paar Flascherln in meine rote Vespa bunkere. Zu Hause werden sie gut geschüttelt ankommen, vorsorglich schlage ich nicht in der Prosecco-Abteilung zu.

„Ja, ich hab alles“, sage ich, „… außer dieser Frage noch: Machen die Horitschoner auch mit beim Schwingen?“

„Nein“, sagt er, „die sind alles andere als Neckenmarkter.“

Wo er recht hat, hat er recht. Wo waren sie denn damals, im Dreißigjährigen? Oberhalb des Bahnschrankens, nehme ich an.

Burgenland für Entdecker

Подняться наверх