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Ein kopfloses Genie Haydn-Haus, Joseph-Haydn-Gasse 19 & 21, 7000 Eisenstadt
ОглавлениеWo sonst kommt man dem Leben und Schaffen eines der größten Musikgenies aller Zeiten näher als in dessen eigenen vier Wänden? So schwingt man sich, kaum dass die ersten Boten des nahen Frühlings das Land mit Teppichen aus Primeln überziehen, aufs rote Einspurige und pfeift ins Reich des „Vaters der klassischen Sinfonien, Sonaten und Quartette“, ins auf Hochglanz gebrachte Hauptstädtchen der hundertjährigen alten Dame, um ihrem großen Sohn die Reverenz zu erweisen.
Sogar das hellgrau-weiße Barockhaus in der Joseph-Haydn-Gasse ist frisch gebotoxt. Ich löse ein Ticket und streife alsbald durch Räume, in denen gottnahe Melodien erfühlt, wohl auch erlitten, jedenfalls notiert wurden. Hier, im Zimmer mit dem Hammerflügel, arbeitete das Genie, dort dinierte es, in der Kammer mit der Bettstatt raufte es seine unter der wohlondulierten Perücke verbliebenen letzten Haare, weil, so darf vermutet werden, der Dienstherr mal wieder nicht verstand, was nicht zu verstehen werden brauchte. Mäzen und Künstler – das ewige Thema. An der endlos langen Mauer des Esterházy’schen Schlossgartens lebte der Hofmusikus inmitten seiner vollen, halben, Achtel-, Sechzehntel-, Zweiunddreißigstel- und Vierundsechzigstelnoten: Joseph Haydn, Musikdirektor und Kapellmeister derer zu Esterházy. Vernahm der Meister in diesen Räumen auch die Nachricht seiner Kündigung?
Der Kopf des Genies
Die Absonderlichkeit seines Todes konterkariert die Bedeutung seines Lebens, das ist die traurige Pointe meiner Geschichte. Was die Mozartkugel für Salzburg, Schanis Geige für Wien, ist die makabre Geschichte über Haydns kopflose Bestattung für Eisenstadt. Von den Räumlichkeiten des Wohnhauses aus möchte ich mich auf die Spur des seltsamen Verschwindens des erhabenen Musikerhauptes begeben.
Wie verliert man seinen Kopf? Als Vulgo-Wort, wenn’s denn sein muss, gewiss aber nicht realiter. Und schon gar nicht post mortem. Dennoch und trotz allem – einem der größten Musikgenies aller Zeiten widerfuhr das Außerordentliche. Und das kam so …
Joseph der Große diente den Házys, genau genommen Fürst Paul II. Anton und dessen Nachfolger, Nikolaus I., dem „Prachtliebenden“. Ihm folgte Fürst Anton, der weder G’spür für das Wahre noch für das Schöne, ganz zu schweigen für Kaiser-, Russische oder Erdödy-Quartette hatte. Dem Herrn Kapellmeister, nachmals weitgereist und weltberühmt, begegnete das Undenkbare: Er bekam den blauen Brief. Ein österreichisches Schicksal. Bis nach England zog es ihn in der Folge, später dann nach Bonn. Die Reisen waren Anlass zu den großen Compositiones des „Maître de la musique“: die Paukenschlag-, die Londoner, die Militärsinfonie, später, zurück in Wien, Die Schöpfung, Die Jahreszeiten und was nicht alles. Und irgendwann geschah es: Haydn, der Genius des 18. Jahrhunderts, wurde müde. Nach dem Tod seiner Frau war er nicht mehr in der Lage zu arbeiten, zu komponieren, noch weniger aufzutreten. Er starb an Altersschwäche, während die ersten Kanonenschüsse fielen. 1809 ritt Napoleon in Wien ein. Und Haydn verlor seinen Kopf.
Eine obskure Lehre geisterte durch Europa. Der Anatom und Kraniologe Franz Joseph Gall begründete zu dieser Zeit mit der Phrenologie die Anfänge der Gehirnforschung. Der Herr Doktor glaubte anhand von Ausformungen der Schädelform auf Charakter und Wesen des Toten schließen zu können. Er hortete Porträtbüsten bekannter Zeitgenossen, hielt Privatvorlesungen und schreckte auch nicht vor okkulten Handlungen zurück. Halbgebildete Jünger schossen wie Pilzlinge aus dem Nährboden obskurer Theorien. Der Privatsekretarius des Fürsten Esterházy, Josef Carl Rosenbaum, war einer davon. Ein anderer: Johann Nepomuk Peter, Verwalter des k. k. Niederösterreichischen Provinzialstrafhauses. Eines Nachts rückten sie mit Spaten und Krampen bewaffnet aus. Der Totengräber des Hundsturmer Friedhofes zu Wien, der Joseph Haydn am Tag zuvor verscharrt hatte, wurde bestochen. Er grub den Leichnam wieder aus und trennte den Schädel vom Rumpf. Rosenbaum vermaß Kopf und Kragen nach dem Gall’schen System und erkannte prompt an einer der Schädelausbuchtungen Haydns ausgeprägten „Tonsinn“.
Das Haydn-Haus in der Haydn-Gasse im Haydn-Städtchen
Die grausige Reliquie bekam einen Ehrenplatz in seiner Wohnung, und vermutlich wäre der Diebstahl nie publik geworden, hätte nicht einige Zeit später Prinz Adolph Friedrich von Cambridge dem alten Esterházy seine Aufwartung gemacht und ihn auf den verstorbenen Compositeur angesprochen, der doch lange Zeit in Diensten seiner Vorfahren gestanden hatte. Der Fürst erblasste, hatte er doch glatt auf Haydns standesgemäßes Begräbnis vergessen. Umgehend ordnete er dessen Exhumierung an, um die Gebeine nach Eisenstadt überführen zu lassen. Als der Sarg geöffnet wurde, staunten die Anwesenden nicht schlecht. Statt des Kopfes lag eine Perücke in der Kiste. Fürst Esterházy übergab den Fall der Polizei, und Rosenbaum, bei der Graböffnung ebenfalls anwesend, notierte in seinem Tagebuch, dass es ihm „diebische Freude bereitet hatte, den Fürsten düpiert zu sehen“. Die Schlinge um seinen Hals aber zog sich zusammen. Vorerst übergab der Grabräuber der Polizei den Kopf eines x-beliebigen jungen Mannes, später dann den eines Greises. Beamtenüberforderung. Um keinen Skandal heraufzubeschwören, beließ man es dabei, und der arme Haydn begab sich mit fremdem Schädel auf seine letzte Reise nach Eisenstadt.
Während über die Sache Gras wuchs, ruhte Haydns Caput auf einem kleinen, samtverbrämten Seidenkissen in der Wohnung der Familie Rosenbaum. Erst als der Patron im Sterben lag, vererbte er das edle Stück seinem Freund Peter, der es an seinen Leibarzt weitergab. Der wiederum ließ den Kopf einem anderen Kollegen zukommen, dessen Erben ihn dem Haus der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien vermachten. Erst in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts kam man der Reliquie auf die Schliche, die Herren Musiker aber wollten ihren kostbaren Schatz beileibe nicht herausrücken. Juristische Begründung: Der Transport von Leichenteilen über die Wiener Stadtgrenze hinaus sei strengstens untersagt. Viele Jahre sollten vergehen, ehe der inzwischen hundertfünfundvierzig Jahre verblichene Haydn seinen Kopf zurückbekam.
Am 5. Juni 1954 war es so weit. Man überführte den genialen Schädel nach Eisenstadt und bettete ihn zu den Überresten des wohl größten Sohnes des Burgenlandes. Joseph Haydn war heimgekehrt. In allen Ehren – vor allem aber mit erhobenem Haupt.