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Kultur fürs Volk Das Kulturzentrum Mattersburg, Wulkalände 2, 7210 Mattersburg
ОглавлениеDa Kunst aus ihrer Verantwortung, dem Thematisieren anstehender sozialpolitischer Probleme, dem Einbeziehen exponierter Bevölkerungsgruppen und dem Abbau von Berührungsängsten nicht entlassen werden darf, wurde in Österreichs jüngstem, aber innovativstem Bundesland zu Beginn der Neunzehnsiebzigerjahre auf Betreiben des damaligen Kulturlandesrates Gerald Mader und mit Unterstützung des Fachministers Fred „Es ist alles sehr kompliziert“ Sinowatz ein nachahmenswertes Projekt gestartet – die Errichtung von „dezentralen“ Kulturzentren. Es war und ist immer die Kunst, die einer Region Denken und Fühlen leiht, um sie unverwechselbar zu machen. Die Qualität des Zusammenspiels eines Denk- und Emotionspotenzials im Austausch mit dem Publikum macht den Zauber von Theater, Ausstellung, Konzert oder Performance aus. Ziel der Politik ist und muss es sein, einen periphären Raum, unter Einbeziehung sozialer Einrichtungen wie Sport, Gesundheit, Bildung und Freizeit, in seiner Identität zu stärken und ihm alle bildungspolitischen, gesellschaftlichen und kulturellen Chancen zu überantworten, die sonst nur den Metropolen vorbehalten sind. Dem zugrunde liegt das Bedürfnis nach Begegnung von Menschen mit Menschen.
Baustelle Kultur
Die Musikalität einer Pause, die Wahrhaftigkeit des gesprochenen Wortes, die Magie eines Pinselstriches, einer Fermate, all das ist mit dem nächsten Wimpernschlag Vergangenheit, im übernächsten vergessen. Hier manifestiert sich die Grundangst des Kreativen: Ist der Moment vorbei, ist es auch mit seiner Kunst vorbei. Er unterliegt aber nun mal der Zeiteinheit des Augenblicks. Was bleibt, ist Emotion. Sie ist von Bestand. Der vermeintliche Nachteil der Unwiederholbarkeit von Geste, Note oder Bewegung stellt in Wahrheit die Kostbarkeit, die Kompetenz des Künstlers dar. So wird vermeintliche Schwäche zur Stärke. Kunst impliziert den Moment, wie auch die Veränderung.
Das erste burgenländliche Kulturzentrum wurde als viel beachtetes Haus in Mattersburg, nach Plänen des Architekten Herwig Udo Graf, umgesetzt. Sein Baustil war der „Brutalismus“: Martialisch anmutende Mauern mögen die zarte Pflanze Kunst gegen angeborene Skepsis oder (anfängliche) Ablehnung beschützen. Wo wenn nicht hier kann die Leichtigkeit des Seins ebenso vorgeführt werden wie die Abgründe menschlicher Existenz. Aus meiner Zeit als Zirkusdirektor habe ich eines mitgenommen – Menschen wollen unterhalten und berührt werden. Sie sehnen sich nach Fantasiewelten, sie sehnen sich aber ebenso danach, ihre Wirklichkeit widergespiegelt zu sehen. Bei allen Überlegungen, weshalb es notwendig ist, eine Geschichte zu erzählen, ein Haus zu bauen, eine Sinfonie, ein Bild, einen Text, eine Skulptur zu erschaffen, das Entscheidende ist, dass das Ergebnis einzigartig ist in Inhalt und Form. Es muss sinnlich sein. Und es muss Sinn machen.
Als sich Kunst und Kultur ihres sozialen Aspektes erinnerten, herrschte Aufbruchstimmung im Land. „Ich treibe Geld auf!“, war das Schlagwort des Landesrats Dr. Mader. Eva Gold, langjährige Geschäftsführerin des Kulturzentrums Mattersburg, Mitstreiterin der ersten Stunde, blickt gedankenversonnen auf eine goldene Ära kulturellen Verständnisses zurück: „Wir haben alles selbst gemacht, alles. Zu viert waren wir. Und so blieb es all die Jahre auch. Das Haus funktionierte, die Zuschauer kamen. Anfangs mit großen Augen, gegangen sind sie mit einem Lächeln. Wir wussten, sie kommen wieder.“
Ein Kulturhaus zu führen heißt, sorgsam mit dem Vertrauensvorschuss des Publikums umzugehen. Im Moment des Erwerbs eines Tickets gilt das Prinzip Hoffnung. Nach dem Schlussapplaus sollte der Mehrwert offensichtlich sein. Der zufriedene Zuseher wird wiederkommen, sich vielleicht sogar eine teurere Karte kaufen, er will Vertrauen zurückschenken. In das Miteinander zu investieren, zahlt sich immer aus.
„Personell überbelegt waren wir nicht gerade, aber es ist sich ausgegangen. Und wir haben alle Zuseher persönlich gekannt. So hat man eine Stammklientel aufgebaut, um die uns andere beneidet haben. Die martialischen Mauern haben aus uns eine Trutzburg niedrigschwelligen Anspruchs gemacht. Ein Widerspruch? Nicht bei uns in Mattersburg!“, sagt Frau Gold, und dabei lacht sie ein spitzbübisches Lächeln.
Inzwischen ist vielen hier das Lachen vergangen. „Bauliche Mängel“ lautete das Fachurteil, um die Tore des einstigen Ideenkraftwerks zu schließen. Die Schutzhand fehlte, das Gebäude wurde ausgehöhlt. Keine Lesungen mehr, keine Gastspiele, keine Ausstellungen, Konzerte, „Bäuerinnen-Tage“, keine Kurse mehr, keine Symposien, Diskussionsabende, Faschingsbälle, kein Kindertheater, kein Literaturhaus, keine Volkshochschule. Schluss mit lustig. Das Kulturzentrum wurde geschlossen. Eine Unterschriftenaktion im Jahre 2014 fiel zugunsten einer Wiedereröffnung aus, die Mattersburger wollten „ihr“ Haus zurück.
„Kultur darf man nicht aus der Hand geben, sie verliert leicht ihre Seele und dadurch ihren Kopf“, sagt Frau Gold.
Inzwischen baut man wieder. Altes wird integriert, Neues gedacht. Es bleibt zu hoffen, dass das einst so skeptisch beäugte „brutalistische“ Mauerwerk neues, helles Leben umfassen wird. „Kultur für alle!“ hieß es einst vollmundig, aber wahrheitsgetreu. Es darf ruhig nachgeschärft werden. Hat jemand etwas gegen den Slogan: „Für wen, wenn nicht für uns?“ Als Anspruch muss man die Vision der Unverzichtbarkeit von Denken und Fühlen auf die eigene Fahne schreiben. Beides macht die Identität der Region aus, der Menschen.