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Eine offene Tür KUGA, Parkgasse 3, 7304 Großwarasdorf

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Fährt man nach Großwarasdorf, landet man, ehe man sich’s versieht, in Veliki Borištof. Zweisprachigkeit wird hier schon am Ortsschild demonstriert – wie in beinahe allen umliegenden Dörfern. Ortstafelkriege fanden anderswo statt, hier, im Mittelburgenland, Bezirk Oberpullendorf, war und ist das kein großes Thema. Dabei fühlt man sich, kaum dass man auf der Oberen Landstraße den Raidingbach überquert, wie im Niemandsland des fiktiven Wüstenplaneten Tatooine der Weltraumoper Star Wars. Kein Mensch auf der Straße, die Fenster der geduckten Häuser, die sich hinter breiten Wiesenvorgärten zurückgezogen haben, sind verschlossen. Sauber ist es hier. Aufgeräumt. Sind es die Bewohner auch?

Ich kurve mit meiner Roten durch die Slums von Großwarasdorf, nur dass die nicht wie Slums aussehen, eher schon wie die Innenstadt einer Mustergemeinde. In Sachen Ortsbild ist man hier auf der Überholspur. Bloß: Wo sind die Menschen? Zwei treffe ich: eine Mutter mit ihrem Kind. Die Frau trägt ein Tuch um den Kopf, womit sie auch ihr Kind gegen den scharfen Wind schützt, der über den weitläufigen Platz fegt und verwelkte Blüten der umstehenden Büsche hoch in die Luft wirbelt. Später dann fallen sie wie Tränen wieder auf das Rasenstück zurück, um sich gleich darauf von Neuem in der Luft zu zerstreuen.


Zweisprachigkeit war nie ein Problem.

Die Frau steht auf der Wiese vor der Dorfkirche, die dem heiligen Demetrius geweiht ist, einem bedeutenden Märtyrer der orthodoxen wie der römisch-katholischen Kirche. Der Gesichtsausdruck der Frau ist versteinert. Ich nähere mich ihr. Wie lange mag sie in dieser Haltung schon verharren? Wohl lange schon. Die Statue stellt die Hrvatska majka, die „Mutter der Kroaten“ dar, die sich vor etwa fünfhundert Jahren zu Zeiten Karls V. auf den Weg in den Norden machten, um sich im damaligen Westungarn anzusiedeln. Im Oktober 1984 wurde ein Wettbewerb ausgelobt, um des Jubiläums zu gedenken. Der Zagreber Bildhauer Stjepan Gračan konnte überzeugen. Seither steht seine Bronzeskulptur in Großwarasdorf auf der großen Wiese als Symbol für ein Volk auf Wanderschaft, für seinen Weg ins Unbekannte.

Das „Unbekannte“ wurde der kroatischen Bevölkerung des Burgenlandes längst zur Heimat. Die Assimilation ist zur Normalität geworden, die Zweisprachigkeit zur Selbstverständlichkeit. Gleich hinter der Statue beginnt das Reich der Kunst, eines kreativen Prozesses, an deren Beginn das Wort „Kultur“ steht. Dies wiederum kann bedeuten: Selbstverständnis, Geschaffenes oder Umgestaltetes, Religion, Haltung, Ethik und Moral, Modifikation oder Gegenposition zum gängigen Verständnis sozialen Zusammenlebens. Und genau dafür nimmt Großwarasdorf eine Vorreiterposition ein. Einfach, weil hier seit Anfang der Neunzehnachtziger ein Haus steht, das all dies unter seinem (unterdessen vergrößerten) Dach vereinigt: Kulturna zadruga, Kulturvereinigung, kurz KUGA genannt.

Ich gehe über den menschenleeren Platz auf das lang gestreckte Gebäude zu, das auf seiner rechten Seite ein dunkles Eingangsportal hat, worauf in weißen Lettern das Kürzel hiesigen Kulturverständnisses steht. Drinnen ist es still. Die Menschen verbergen sich in pandemischen Zeiten lieber in den eigenen vier Wänden. Ein Baum von einem Mann pflanzt sich vor mir auf: Manuel Bintinger. Der Typ schupft den Laden hier. In Wien ist er eine Größe in der Sub- bis Hochkulturszene, hier in Großwarasdorf ist er Kultur-Nahversorger. Er öffnet eine Tür, der große Saal liegt verwaist da. Es ist stockdunkel. In gesünderen Zeiten drücken sich hier Künstler*innen aller Sparten die Klinke der Bühnentür in die Hand: Sänger*innen, Kabarettist*innen, Zauber*innen, Dichter*innen, Rocker*innen und Wasnichtalleskönner*innen. Der Laden macht was her. Herr Bintinger, mit dem man gerne per Du ist, lädt sie alle ein. Und sie kommen. In Scharen. Auch die Zuseher. Aus allen Teilen des Umlandes pilgern sie hierher und sorgen für ein kreativ-chaotisches Miteinander. Genauso ist es gedacht.


Kulturna zadruga in Großwarasdorf

„Mani“ ist selbst ein KUGA-Kind der ersten Stunde. Zwischen Mischpulten, Soundmodulen und Light-Boxen wuselte er herum, Kabel waren seine Springschnur und Mikros seine Tröten. Der Kleine wuchs multikulturell, zweisprachig und kunstaffin auf. Eine bessere Ausbildung zur Kulturvermittlung gibt es nicht.

„Die KUGA ist der Key Faktor hier. Kroaten, Romas, Ungarn, Slowenen, Österreicher, alle sind willkommen. Alle. Denn wir leben hier. Wir alle sind Burgenländer.“

Ein schönes Statement. Wir.

„Miteinander ist hier selbstverständlich?“

„Ja. Wir Burgenland-Kroaten sind schon lange hier. Es ist unsere Heimat. Wir sind dankbar, Österreicher sein zu dürfen.“

Vielleicht stand am Beginn des Kulturzentrums so etwas wie Dankbarkeit.

„Die KUGA jedenfalls ist dazu da, Mehrsprachigkeit zu fördern“, sagt Mani und rollt das ‚R‘ so schön, wie es nur Kroatischsprechende tun. „Wir bieten Kultur für jedermann und jedefrau an. Auch für die Kleinen. Von Workshops, Musik, Bewegungs- und Sprachkursen, die ganze Palette sozialer Bedürfnisse. Und alles wird angenommen.“ Im Sommer kommen die Feriencamps für die Kids dazu. „In den Achtzigern hatte die KUGA gegen die Begriffe ‚Hippie‘, ‚Kiffen‘ und ‚Rudelbumsen‘ anzukämpfen. Inzwischen hat sich der Begriff ‚künstlerische Freiheit‘ durchgesetzt. Das alles funktioniert nur, weil sich die Großwarasdorfer*innen mit ‚ihrem‘ Haus identifizieren. Eine Heerschar von Volunteers arbeitet in den unterschiedlichsten Funktionen, um das gemeinsame Werkl am Laufen zu halten. KUGA steht für Identität.“

In Großwarasdorf gibt es die Außenseiterrolle nicht. Hier wird Wasser auf die Mühle kulturellen Selbstverständnisses gegossen. Der große Theaterdenker George Tabori hat die Frage „Wo sehen Sie die Kultur in der Krise?“ geantwortet: „Im Feuilleton.“ Kunst ist Orientierung. Es liegt an uns, der Gesellschaft, sich dieses Selbstverständnis zu leisten und zu erhalten. Ein Staat, der nicht in Kultur investiert, hat keine Zukunft, er hat nicht einmal das Recht, sich zuweilen mit dem glitzernden Mäntelchen des Divertimentos zu schmücken. Kulturelle Schmelztiegel wie die KUGA sollten nicht um Subvention bitten müssen. Sie dürfen sich aber auch nicht vereinnahmen lassen. Sie haben frei zu sein von jeder wirtschaftlichen oder parteipolitischen Bindung. Wenn nicht, dann multiple Kreativität ade. Denn Maler mit gebundenen Händen können nicht malen.

Der Lulatsch von Bintinger, Kulturvermittler von Großwarasdorfer Gnaden, begleitet mich zur Tür. Draußen hat sich der Wind gelegt. Menschen sind immer noch keine zu sehen. Nur die Frau mit dem Kind am Arm steht immer noch da und blickt zu mir herüber. Lächelt sie?

„Wenn man will, versteht man sich. Welche Sprache immer man spricht“, sagt der Mani, steigt in sein Auto und fährt davon. Die Tür zum Kulturinstitut hat er vergessen zu schließen. Warum auch? Sie bleibt geöffnet. Und das ist gut so.

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