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Das Finale

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Manche Spiele sind einfach nur Spiele. Fußballspiele halt. Wir reden nicht groß drüber, weder davor noch danach. Die werden einfach nur gespielt, hier und jetzt, und dann sind sie für immer vergessen.

Aber nicht dieses Spiel. Dieses Spiel war keineswegs bedeutungslos, dachte ich und schaute auf die zwanzigtausend leeren Sitze, die über mir in den Himmel ragten. Die Flutlichter waren bereits angeschaltet, durch sie erstrahlte der Rasen knallgrün, obwohl es Mitte November war und schon der erste Schnee lag. Er schmückte den Rand des Spielfeldes wie eine weiße Kette, eine ständige Erinnerung daran, dass die Saison sich dem Ende näherte.

Mein Herz pochte, als ich die Hand in die Tasche steckte und nach dem dicken Briefumschlag tastete. Ich fühlte den Stapel Tausendkronenscheine, der leicht gegen meinen Oberschenkel drückte und mich daran erinnerte, worum es hier ging. Es war ein merkwürdiges Gefühl, dass dies mein erstes und letztes Spiel für Rosenborg im Lerkendal-Stadion sein könnte.

Dabei musste ich einfach nur alles wie immer machen. Wenn ich wie ein Berserker den rechten Flügel beackerte, so wie immer, dann würde ich es bis zum Profi schaffen.

Ich atmete die eiskalte Luft tief ein, spürte, wie die Härchen und der Schnodder in meiner Nase fast gefroren, und stieß eine Frostwolke aus. Ich kehrte dem Rasen den Rücken zu und schlug den Weg zur Kabine ein, während ich versuchte zu verdrängen, dass dieses Spiel mein Leben verändern würde.

Ich lief den langen Gang zur Umkleide entlang, als sich plötzlich ein Arm um meine Schultern legte und Eriks Stimme jene Gedanken durchschnitt, die in meinem Kopf kreisten.

»Fredrik, Alter! Ich habe gerade mal ein bisschen rumgerechnet«, sagte er.

»Okay«, sagte ich ziemlich desinteressiert und ging weiter, den Blick auf die Kabinentür gerichtet.

Er stellte sich vor mich und blockierte meinen Weg.

»Hör mir mal zu. Als Sechzehnjähriger hat Martin Ødegaard bei Real Madrid zwanzig Millionen Kronen im Jahr bekommen, oder?«

»Kann sein. Weiß nicht«, sagte ich und versuchte, an ihm vorbeizukommen.

Warum erzählte er mir das jetzt? Er baute sich vor mir auf, legte beide Hände auf meine Schultern und sah mir direkt in die Augen.

»Fredrik, hör mir zu! Alle sagen, dass Mathias fast so gut ist wie Ødegaard, ja? Oder nehmen wir mal an, Mathias ist nur halb so gut wie Ødegaard, obwohl er eigentlich fast an ihn rankommt. Das würde bedeuten, Mathias könnte für zehn Millionen Kronen pro Jahr bei irgendeinem großen Verein unterschreiben, stimmt’s? Und das bedeutet, dass wir beide, die wir wiederum halb so gut sind wie Mathias, auch ziemlich fett Kohle machen könnten. Vielleicht sogar hier bei Rosenborg. Definitiv, wenn wir heute das Finale gewinnen. Oder? Also, ich rede jetzt nicht von fünf Millionen, aber von ’nem echt guten Vertrag«, sagte er und schüttelte mich, um mir zu verstehen zu geben, dass er recht hatte.

Ich lachte nur.

»Ich glaube nicht, dass die Rechnung so einfach ist, Erik«, sagte ich und versuchte erneut, an ihm vorbeizukommen.

Dieses Mal gelang es mir und ich ging weiter Richtung Kabine. Es leuchtete mir nicht ein, warum Erik immer noch der Meinung war, er und ich seien auf demselben Niveau. Es ist schon eine Weile her, dass Erik als Einziger in der Kabine Haare am Sack hatte, um es mal so auszudrücken.

Ich hörte, wie er mir nachlief und erneut auf mich einredete.

»Fredrik, ernsthaft jetzt. Es gibt doch einen Grund, warum Rosenborg mit uns beiden noch nicht über einen Vertrag gesprochen hat. Die wollen sehen, wie wir uns in den großen Spielen machen. Du solltest dir mal überlegen, wie viel du wert bist, denn nach dem Finale wird alles ganz schnell gehen«, sagte er.

Ich atmete tief ein und hatte Bock, ihm zu erzählen, was letzte Woche alles passiert war. Dass ich bereits mit dem Verein gesprochen hatte. Ihn in alles einzuweihen, wovon er noch nichts wusste. Zum Beispiel, dass heute Vereinschefs ganz anderer Klubs auf der Tribüne saßen, um mich spielen zu sehen. Aber ich hielt die Klappe und öffnete die Tür zur Kabine.

Erik war mein bester Freund und das hier war nicht der richtige Augenblick, seinen Traum zerplatzen zu lassen.

Normalerweise trafen wir uns immer anderthalb Stunden vor Beginn eines Spiels, aber vor dem heutigen Finale waren die meisten schon früher da, um möglichst viel von der Stimmung aufzusaugen. Denn die war anders als sonst. Vielleicht waren die Jungs nervös oder fokussiert oder hatten Schiss, auf jeden Fall hielten alle die Klappe. Normalerweise war es laut in der Kabine, eigentlich lief immer Musik, jemand brüllte herum und irgendwer prügelte sich zum Spaß, doch jetzt saßen die Jungs mit Kopfhörern da und tippten auf ihren Handys rum, sie waren damit beschäftigt, zu snappen und auf Instagram zu posten. Vielleicht wirkten sie so konzentriert, weil alles schon vorbereitet war, was sonst vor unseren Spielen nie der Fall war. Auf den Bänken lag unsere Spielerkleidung, säuberlich zusammengefaltet. Ein Stapel pro Spieler. Stutzen, kurze Hose, Langarmtrikot, Trainingsjacke, lange Hose. Die Dinge lagen bereit, zusammen mit einem Handtuch und einem Kulturbeutel mit Hygieneartikeln. Ich ging hinüber zum ersten Stapel, über dem das Torwarttrikot mit der Nummer Eins hing. Ich nahm den Beutel in die Hand und sah, dass etwas in den Stoff eingestickt war:

Rosenborg Trondheim – Brann Bergen

Norwegische Meisterschaft U16

Lerkendal-Stadion

Ich strich mit der Hand über den Text, betrachtete ihn gründlich und fühlte in mir einen kleinen Stich von Stolz, ein Gefühl, das in der ganzen Kabine zu spüren war. Alle saßen hier, versunken in ihrer eigenen Welt, und dachten, dass sie jetzt Stars waren, die bedrucktes Zeug bekamen, als würden wir heute das Champions-League-Finale spielen. Ich erstickte das aufkommende Gefühl im Keim. Ich war nicht wie sie. Für die allermeisten in der Kabine war dieses Finale das Größte, was sie jemals auf dem Fußballplatz erleben würden, nicht aber für mich. Für mich war es nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zu etwas Größerem. Etwas viel Größerem. Ich legte den Beutel zurück und sah mich nach meinem Platz um.

Über jedem Kleiderstapel hingen die Trikots, mit der Rückennummer nach vorne. Ich sah die Nummern Eins bis Elf. Das waren die Spieler, die in der Startelf stehen würden. So lief es bei den Juniorenteams von Rosenborg immer ab. Der Rechtsverteidiger trug die Nummer Zwei, die Innenverteidiger die Drei und Vier und der Linksverteidiger die Fünf. Das Trio im Mittelfeld hatte die Nummern Sechs, Sieben und Acht. Und dann gab es noch die drei Stürmer mit den Nummern Neun, Zehn und Elf. Ich lief an den Trikots entlang auf die Nummer Neun zu. Meine Nummer. Ich spielte Rechtsaußen. Deshalb war ich auch verwirrt, als ich Solomon auf meinem Platz sitzen sah und er bereits die Hose mit der Nummer Neun anhatte. Ich ging auf ihn zu.

»Was geht hier ab, Solomon?«, fragte ich.

Er war gerade dabei, sich den rechten Stutzen hochzuziehen, hielt dann aber inne, zog sich die Kopfhörer aus den Ohren und sah mich an.

»Was’n los?«

»Du weißt schon, dass ich die Nummer Neun habe?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Ja, aber heute soll ich sie tragen. Frag nicht mich, warum.«

»Wer hat das gesagt?«

Er schaute mich einen Moment lang an, dann wandte er den Blick nach rechts.

»Ich würd’ mal ihn fragen«, sagte er und deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Ståle.

Ståle stand mit dem Rücken zu uns und schrieb den Matchplan an die große Tafel. Ich ging auf ihn zu. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust, mit Ståle zu sprechen. Ich hatte gehofft, es heute vermeiden zu können, doch mir blieb keine andere Wahl.

Ich räusperte mich. Er setzte den Stift ab und drehte sich zu mir um.

»Fredrik! Genau mit dir wollte ich sprechen.«

Er sah mich an, ohne zu lächeln. Ich ahnte plötzlich, dass er von dem Treffen von gestern Abend Wind bekommen hatte, auch wenn das eigentlich nicht sein konnte. Ich hatte niemandem davon erzählt.

»Ähm, Solomon meint, dass er mit der Neun spielt – gibt es heute eine andere Nummernaufteilung?«, fragte ich.

In Ståles versteinertem Gesicht zeigte sich mit einem Mal ein listiges Grinsen.

»Nein, nein, es ist alles wie immer. Mathias! Komm mal mit mir und Fredrik raus auf den Gang.«

Mathias trug bereits die Sieben und stand mit dem Rücken zu uns. Er hatte einen Fuß auf die Bank gestellt und tapte sich gerade den Knöchel. Er drehte sich zu Ståle um, der auf die Kabinentür zeigte, dann nickte er, riss sich das Tape, das er gerade erst befestigt hatte, wieder von der Haut und legte die Tape-Rolle auf die Bank. Zu dritt gingen wir vor die Tür.

»Was ist los?«, fragte ich und hob die Arme.

Mathias starrte auf den Fußboden, er sah mich nicht einmal an, als ob er bereits wüsste, was Ståle gleich sagen würde, und sich nicht traute, mir in die Augen zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, warum er bei unserem Gespräch dabei war.

Ståle kratzte sich am Hinterkopf, räusperte sich und sah mir in die Augen.

»Es ist was passiert, Fredrik. Wir müssen einige Änderungen vornehmen. Du spielst heute nicht auf dem rechten Flügel, ich brauche dich als Rechtsverteidiger«, sagte er.

Ich spürte, wie mir das Blut innerhalb von Sekunden aus dem Hirn strömte, und mir wurde schlecht. Alles, was diese Woche passiert war, schoss mir auf einmal durch den Kopf. Das Treffen gestern Abend und was in diesem Finale auf dem Spiel stand.

Ich konnte spüren, wie mir der Traum vom Profifußballer entglitt.

Alles hing davon ab, dass ich im Finale im rechten Sturm spielte.

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