Читать книгу Einfach nur Fußball spielen - Michael Stilson - Страница 8

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Ich saß im Bett, die Schuhe im Schoß, das Handy in der Hand, und überlegte, ob ich meinem Vater eine Nachricht schreiben sollte, doch stattdessen öffnete ich Instagram und scrollte mich durch den Feed, um nicht mehr an den Stress mit Mama denken zu müssen. Ich ging auf die Profile von Neymar, Messi, Ronaldo und Pogba. Es sah so einfach aus, dieses Leben, das sie lebten. Fußball, Frauen und Spaß. Sorglos und verspielt. Und hier war ich, der nicht mal ein Paar neue Fußballschuhe als Geschenk annehmen durfte, nur weil meine Mutter Schiss hatte. Ich wusste nicht einmal, wovor. Fußball war nicht gefährlich. Es ging um ein paar Schuhe und einen Ball. Ein Spiel. Mehr nicht.

Aber wenn man ihr so zuhörte, konnte man denken, dass Vaters Schuhe mich das Leben kosten könnten.

Auf Insta konnte ich sehen, dass Erik einen ganzen Haufen Bilder von einem blonden Mädchen gelikt hatte, das kaum etwas anhatte. Ich klickte auf eines der Bilder und sah, dass sie Kamilla Larsen hieß und aus Trondheim kam. Sie saß auf ihrem Bett, nur mit einem Slip bekleidet, die Hände über die Brüste gelegt. Sie war sonnengebräunt und sexy, ziemlich sexy, auf so eine Love-Island-Art. Obwohl mir das Bild gefiel, likte ich es nicht. Das tat ich nie. Ich wollte nicht, dass andere sahen, dass ich mir solche Bilder anschaute. Ich wollte nicht, dass jemand mitbekam, dass ich auf Insta unterwegs war.

Ich klickte mich durch ihr Profil und sah mir noch weitere Fotos an. Auf einigen Bildern trug sie fast gar keine Klamotten, und obwohl mir ihre Bilder gefielen, musste ich dennoch an Line denken. Line musste sich nicht ausziehen, um schön zu sein. Oder sich etwas in die Brüste, die Lippen oder den Hintern spritzen. Sie war einfach schön, auf so eine Art und Weise, die man nicht in Worte fassen kann. Die Art, wie sie lächelte, wie sie sich bewegte und sprach. Line hatte dieses reife Selbstvertrauen, wodurch sie immer so weit entfernt zu sein schien. Wenn ich an Line dachte, fühlte ich mich wie ein kleines Nichts mit einem Ball.

Ich gab ihren Namen ins Suchfeld ein und klickte auf ihr Profil.

Das neueste Bild musste aus diesem Sommer sein, auch wenn sie es gestern Abend erst gepostet hatte, denn darauf trug sie eine enge Jeans-Shorts, ein schwarzes, eng anliegendes Trägershirt und eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Nicht gerade ein Outfit für November in Trondheim. Ihr Körper war wunderschön. Kamilla Larsen hatte einen tollen Körper, keine Frage, aber er war nicht so wie Lines.

Lines war halt einfach echt. Sie war stark, nicht so fitnessstudiomäßig, mit Anabolika zugepumpt, sondern gesund eben. Muskulös auf eine schöne Art. Ich bewunderte ihre Beine. Fußballerbeine, doch keine so übertrieben aufgepumpten Sportlerwaden. Schlank, aber stark, und ich konnte immer noch die dünnen Narben an ihnen erkennen, die von unseren Tritten kamen, als sie uns noch in Grund und Boden gedribbelt hatte.

Ich ging zurück auf ihr Profil und scrollte durch die Bilder. Alle Fotos waren gleich. Sie stand da, lässig und cool, mit ihrem langen, dunklen, welligen Haar und ihren stylishen Klamotten, auf Partys und im Urlaub, in warmen Ländern und großen Städten. Ihr letztes Bild als Fußballerin war drei Jahre alt. Sie, Erik und ich auf dem Bolzplatz, in den letzten Sommerferien vor der Mittelstufe. Sie war auch auf diesem Bild so hübsch wie immer. Ich konnte sie nicht ansehen, ohne dass mein Puls anstieg, und mir war klar, dass es mein größter Wunsch war, ihre Hand zu halten und sie vielleicht auch zu küssen.

Ach, was rede ich da. Ich wollte sie küssen. Schon immer. Doch damals war sie anders gewesen. Vielleicht lag es daran, dass sie ein Messi-Trikot getragen hatte, immer dieses Messi-Trikot, dazu die Fußballschuhe und das Haarband, weshalb ich glaubte, dass sie anders gewesen sei. Aber nein, das war es nicht. Damals war sie anders, nicht so cool wie jetzt. Alle waren plötzlich so unglaublich cool, seit wir in der Mittelstufe waren. Was andere über uns dachten, war plötzlich viel wichtiger, als was wir selbst dachten und worauf wir Bock hatten. Kein Schwein kam mehr mit ’nem Ball zur Schule, seit wir in die Achte gekommen sind, und als ich in den Pausen allein im Schulhof den Ball gegen die Wand schoss, wollte Line keine Zeit mehr mit mir verbringen.

Nicht in der Schule. Nicht auf dem Bolzplatz. Und nicht beim Training. Sie beendete es von einem Tag auf den anderen.

Ab und zu chatteten wir auf Snapchat oder Messenger, aber das war einfach nicht dasselbe, wie zusammen zu kicken. Ich konnte sie jeden Tag am Bolzplatz vorbeigehen sehen, und obwohl ich immer innehielt und ihr nachsah, kam sie nie und sagte Hallo, selbst wenn sie mir manchmal zuwinkte.

Ich vermisste die Zeit mit Erik und Line. Am meisten jedoch mit Line. Ich zoomte das Bild von uns mit Daumen und Zeigefinger heran, so dass nur noch wir beide zu sehen waren und nicht Erik, doch ich kam aus Versehen auf das kleine Herz unter dem Bild, das sich sofort rot färbte.

Scheiße. Ich wollte es gleich wieder rückgängig machen, drückte aber so oft auf das Herz, dass es erst weiß, dann wieder rot wurde, bis es endlich wieder weiß war.

Mein Brustkorb war kurz davor zu explodieren.

Ich fragte mich, ob bei Line bereits eine Push-Benachrichtigung eingegangen war, dass ich ein drei Jahre altes Bild gelikt hatte, oder ob diese Benachrichtigungen zeitverzögert abgeschickt wurden, sodass sie niemals erfahren würde, dass ich an einem Sonntagabend zu Hause saß und sie bei Insta stalkte.

Ich schaute mir das Bild ein letztes Mal an. Sie. Uns. Was einmal gewesen war. Was hätte sein können. Dann schloss ich Insta und öffnete eine leere Nachricht an Vater. Von einem geplatzten Traum zum nächsten. Ich sah auf die Schuhe in meinem Schoß.

Plötzlich bekam ich eine Nachricht von Line. Ich spürte, wie mein Gesicht glühte und mein Herz zu hämmern begann, und ahnte, dass sie sich über mich lustig machen würde. Aber sie schrieb nichts über das Bild, das ich gelikt hatte. Hatte sie es etwa nicht mitbekommen? Das musste sie doch gesehen haben.

Ich vergaß die Schuhe und Mama und Vater. Wie immer versetzte Line mich in eine Trance, in der sich alles nur um sie drehte.

Hey, Markussen, was geht? Hab dich gestern gar nicht auf der Party gesehen. Erik war da und ich dachte, dass du vielleicht auch noch kommst.

Hei! Wollte eigentlich vorbeischauen, aber dann ist mir was dazwischengekommen. Gute Party?

Hehe. Erik meinte, du warst mit Mathias im Stadion! BOMBE! Haha, die Party war ganz cool. Hab dich dort vermisst ;-)

Hat er das gesagt? Ja, beim Training ist es spät geworden, als wir fertig waren, war’s schon zu spät, um noch rumzukommen. Kann mir vorstellen, dass dann alle schon voll waren.

Ja, megavoll. Erik war total besoffen. Hat draußen im Garten gelegen und den ganzen verdammten Abend gekotzt. Er hat nur hartes Zeug getrunken.

Haha, nicht so geil, dass er besoffen war. Hoffentlich ist er bis Samstag wieder fit!

Wenn er denn lebend nach Hause gekommen ist. Da wär ich mir nicht so sicher, ey! :-) Was geht denn am Samstag?

Hä? Weißt du das nicht?

Nein. Sollte ich?

LINE! Das Finale?

Finale?

Keine Ahnung, ob du dich gerade dumm stellst oder ob dir Fußball wirklich so scheißegal geworden ist, dass du es nicht mitbekommen hast. Ich hab dir doch erzählt, dass wir das Halbfinale gewonnen haben. Kannst du dich ernsthaft nicht dran erinnern?

Ah, das Finale, ja. Klar, weiß ich doch. Ist das jetzt am Samstag?

Jupp. Das Spiel des Jahres. Kommst du?

Äh — ich bei ’nem Fußballspiel? An einem Samstag? Äh, ich dachte, du kennst mich, Fredrik!

Willst du echt nicht kommen? Ein Spiel pro Jahr wirst du doch wohl schaffen.

An einem Samstag vier Stunden lang draußen in der Kälte sitzen und irgendwelchen Jungs dabei zugucken, wie sie einem Ball hinterherrennen? Klingt verlockend, aber NO WAY!!! Sorry, Fredrik, vergiss es. Aber ich komm auf eure Siegerparty. Falls ihr gewinnt?

Das ist echt dein Ernst? Du kommst nicht zum Spiel?

Jetzt chill mal, Fredrik. Ich hab seit Jahren kein Fußballspiel mehr gesehen, das ist doch jetzt keine Überraschung.

Aber Line, das ist das Finale um die Norwegische Meisterschaft. Das größte Spiel ever. Und Erik und ich werden spielen!

Ich komm zur Party, Fredrik. Wenn du kommst …

Scheiß auf die Party. Komm zum Spiel!

Meine Güte! Entspann dich. Es werden doch genug Leute ins Stadion kommen, du wirst es überhaupt nicht checken, ob ich da bin oder nicht!!

Okay. Ich muss hier weitermachen. Muss noch für Bio lernen. Bis dann.

Hä? Bist du jetzt sauer, Fredrik? Sehen wir uns morgen in der Schule?

Fredrik?

Bist du jetzt sauer?

Ich war von mir selbst genervt, dass ich auch nur einen Augenblick lang geglaubt hatte, dass sie zum Spiel kommen würde. Sie war diejenige, die Interesse zeigte. Sie hatte sich gefragt, warum ich gestern nicht auf der Party gewesen war. Irgendwas musste da doch sein. Aber da war nichts. Vielleicht hatte sie nur an mich gedacht, weil ich das Bild gelikt und dann doch wieder nicht gelikt hatte und weil sie mich bemitleidete. Ich hatte keinen Bock mehr, ihr zu antworten, denn sie würde sicherlich wieder etwas sagen, was mir Hoffnung machte, nur um mich dann wieder zu enttäuschen. Außerdem musste ich noch die Nachricht an meinen Vater schreiben und ihm Bescheid sagen, dass er kommen sollte, um die Schuhe abzuholen. Ich hielt das Handy in der Hand, bereit, ihm zu schreiben, doch dann fiel mein Blick wieder auf die Schuhe. Ich musste sie einfach im Finale tragen. Mama würde mir nie im Leben solche Schuhe kaufen und mit meinem Taschengeld von fünfzig Kronen die Woche war ich nicht gerade besonders reich.

Diese Schuhe oder gar keine. Ich hatte keine Wahl.

Ich legte mein Handy aufs Kopfkissen, ging zur Tür, öffnete sie einen Spaltbreit und rief:

»Mama?«

Ich konnte sie in der Küche tippen hören. Sie hielt inne.

»Ja?«, rief sie zurück.

»Ich hab ihn erreicht. Er hat heute Abend leider keine Zeit, aber ich habe mich für morgen mit ihm verabredet, um die Schuhe zurückzugeben.«

Sie schwieg. Als wartete sie auf ein Zeichen in meiner Stimme, woran sie erkennen konnte, ob ich die Wahrheit sagte.

»Okay. Gut«, sagte sie nach einer Weile.

Dann war es wieder ganz still. Kein Tippen auf der Tastatur war zu hören und ich konnte mir denken, dass sie eiskalt dasaß und darauf wartete, dass ich noch etwas sagte. Dass ich einknickte und ihr meine Loyalität bekundete.

Stattdessen schloss ich die Tür. Ich nahm die Schuhe, ging zu meinem Schrank und öffnete die Schublade mit der Unterwäsche. Ich schob alle Boxershorts ganz nach vorn und versteckte die Schuhe dahinter, nahm einige der ausgeleiertsten Shorts und legte sie über die Schuhe. Dann schloss ich die Schublade leise.

Wenn es einen Ort gab, an dem meine Mutter nicht herumwühlen würde, war es die Schublade mit meiner Unterwäsche. Das war sicher.

Einfach nur Fußball spielen

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