Читать книгу Der Herzog und der Wahrsager von London - Michael Stolle - Страница 10
ОглавлениеZwielichtige Gestalten
Da Charles den Hafenmeister auf äußerst großzügige Weise bestochen hatte, war die Durchsuchung der Beatrice durch die Hafenbeamten beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Vier Soldaten, deren Taschen prall mit Silbermünzen gefüllt waren, ließen das Schiff unbehelligt und begleiteten Charles und seinen hugenottischen Freund zum Dover Castle. Charles war vom Gouverneur als Ehrengast eingeladen worden, deshalb wurden auch keine dummen Fragen über seinen Begleiter gestellt, der keineswegs bemerkenswert schien, außer dass er für einen Franzosen seltsam wortkarg war.
Erst spät am Nachmittag näherten sich zwei berittene Männer der Beatrice. Sie hatten zwei Ersatzpferde im Schlepptau.
»Ich glaube, die Galgenvögel dort unten sind unsere Führer«, rief Armand.
Pierre blickte ungläubig auf die Männer, die vor der Beatrice Halt machten.
»Die sehen genauso aus, wie die Art von Menschen, denen man voll und ganz vertrauen sollte. Ich bin nur froh, dass ich mein Testament aufgesetzt habe, bevor ich Paris verlassen habe«, antwortete Pierre pessimistisch.
»Ich nicht«, kam die fröhliche Antwort. »Aber du weißt ja, dass ich eher optimistisch veranlagt bin. Nun, wir wollten ein Abenteuer erleben und es sieht ganz danach aus, als ob wir wieder etwas Spaß haben werden. Cousin Charles hatte ja schon erwähnt, dass es zwielichtige Gestalten sein würden.«
»Für meinen Geschmack etwas zu zwielichtig und die zwei sehen auch nicht gerade nach viel Spaß aus.«
Pierre war weniger begeistert.
Die Knechte verbeugten sich ehrfürchtig und grüßten ihre neuen Herren, wobei sie pflichtbewusst ihre verfilzten Kappen lüpften und ein paar fettige Haarsträhnen sehen ließen. Ihre gemurmelte Begrüßung endete mit einem gegrunzten Laut, der als »M’lord«, gedeutet werden konnte. Aber es war schwierig, sie zu verstehen, denn die Tatsache, dass ihnen mehrere Schneidezähne fehlten, machte ihre Aussprache nicht gerade deutlicher.
Ein genauerer Blick verriet, dass sie jünger sein mussten, als sie auf den ersten Blick aussahen. Aber es gab keinen Zweifel, dass das Leben seinen Tribut gefordert hatte. Ihre Gesichter waren bereits faltig und wettergegerbt. Der Jüngere von den beiden sah eher dümmlich aus, aber der Mann, der sich als John vorstellte, wirkte alert und machte sofort klar, dass er der Anführer war.
Es dauerte eine Weile, bis Pierre ihn verstanden hatte, und er übersetzte für Armand. »Er schlägt vor, dass wir zu einem Gasthaus außerhalb der Stadt reiten, in Richtung eines Weilers namens Barham, oder so ähnlich. Wir werden dort übernachten und am nächsten Morgen schon weiterreiten. Das Gasthaus gehört seinem Cousin, dort werden wir gut unterkommen und sicher sein.«
»Wenigstens haben sie einen Plan, aber ich kann nur hoffen, dass das Gasthaus ein bisschen sauberer ist als unsere beiden Galgenvögel. Ich frage mich, warum Cousin Charles nicht jemanden besseren gefunden hat, als wandelnde Vogelscheuchen.«
Pierre zog eine Grimasse. »Wir haben keine Wahl. Wir können nicht auf der Beatrice sitzen und warten und im Hafen zu bleiben, ist zu gefährlich.«
Der Weiler Barham lag nur ein paar Meilen von Dover entfernt. Die beiden Fremdenführer waren zwar keine Ikonen der Eleganz, aber sie kannten sich aus und wussten – wie Charles versprochen hatte -, wie sie Kontrollen und Patrouillen umgehen konnten. Da Dover ein wichtiger Hafen und Hochburg des Parlaments war, wurde er schwer bewacht.
Zum Glück kannten ihre Führer die Gegend wie ihre Westentasche und sie verließen Dover unbemerkt. Sobald Dover Castle außer Sichtweite war und auch ihre Führer sich zu entspannen begannen, sprach Pierre den Älteren der beiden an.
»Wir müssen einen Umweg machen, um die Hauptstraßen zu meiden, M’lord. Die Patrouillen sind überall, aber machen Sie sich keine Sorgen. Wir werden noch vor Einbruch der Dunkelheit in Barham ankommen. Dort werden wir einen guten Braten und einen guten Becher Wein bekommen, M’lord«, verkündete der Führer fröhlich.
»Ausgezeichnet!«, antwortete Pierre. »Das wird sehr willkommen sein, wahrscheinlich besser als das Essen, das im Kloster serviert wurde. Ave Maria, regina coeli.«
Seine Bemerkung wurde von beiden Führern mit einem fragenden Blick quittiert. John räusperte sich. »Tut mir leid, wir sprechen kein Französisch, M’lord.«
Der zweite Führer murmelte etwas zu John und seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Die kleine Gruppe wendete sich nun gen Westen, in Richtung der untergehenden Sonne. Pierre sah nachdenklich aus, aber er folgte ihrem Beispiel.
Eine halbe Stunde später kam das Gasthaus in Sicht. Es lag weitab von jeder Stadt oder jedem Dorf und war ein niedriges, strohgedecktes Gebäude, das seinen heruntergekommenen Zustand und sein respektables Alter nicht verbergen konnte. Pierre konnte sich nur wundern, welche Art von Gästen es normalerweise beherbergte. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass Armands Hoffnung, das Gasthaus sauberer und ordentlicher vorzufinden als die beiden Männer, sich leider nicht erfüllen würde. Auch der Schankraum sah schmutzig und heruntergekommen aus, allerdings war ein Stapel von schmutzigem Geschirr ein stummer Zeuge dafür, dass sie zumindest nicht die einzigen Gäste waren, die dieses Lokal frequentierten.
Der Wirt schlurfte in den Raum und verbeugte sich tief. Er stellte sich als ein Cousin von John vor. »Es ist mir eine große Freude, Gäste von Rang bedienen zu dürfen, meine Herren. Ihr werdet alles nach dem Geschmack Eurer Herrschaften finden!«
Wie um seine Worte zu unterstreichen, griff er nach seiner Schürze, die vor Flecken strotze, und wedelte damit über den Tisch und die Stühle. Dann lud er die beiden Freunde und ihre beiden Begleiter mit einer großen Geste ein, Platz zu nehmen.
»Ich habe für heute Abend ein besonderes Menü vorbereitet: Wildschweinbraten, dazu Hammel und als Beilage gibt es eine Entenpastete.« Er strahlte. »Und der beste Wein wird auf euch warten, meine Herren. Niemand soll je behaupten, dass Jasper Thomason sparsam ist oder nicht weiß, wie man edle Gäste bewirtet.«
»Darf ich zuerst unser Zimmer sehen?«, unterbrach Pierre die Redseligkeit des Hausherrn.
»Natürlich, Mylord! Wir haben unser bestes Zimmer für Sie reserviert.«
Sie stiegen zusammen eine steile Treppe hinauf, die in den ersten Stock führte. Die Dachzimmer im ersten Stock waren klein und das für sie vorgesehene Zimmer war wahrscheinlich das größte, das das Haus bieten konnte, aber es war stickig und roch nach einer unangenehmen Mischung aus Staub, abgestandenen Küchengerüchen und Schimmel, der sich in den Ecken breitgemacht hatte.
»Mais c’est dégoutant!«, zischte Armand.
»Ja, es ist eklig«, flüsterte Pierre zurück. »Ich mag das nicht. Das alles hier gefällt mir überhaupt nicht.«
Er wandte sich an den Vermieter. »Du kannst uns Wasser und Seife bringen, wir möchten uns frisch machen, bevor wir zu Abend essen. Ihr könnt uns jetzt verlassen, wir treffen uns später beim Abendessen.«
Ihre Begleiter sahen sie überrascht an. Wasser und Seife wurden doch nur zu besonderen Anlässen wie einer Hochzeit, Weihnachten und Ostern benutzt. Aber da Pierre darauf bestand, verließen die beiden Führer zusammen mit dem Wirt das Zimmer, um aus der Küche das gewünschte Stück Seife und eine Schüssel mit warmem Wasser zu holen.
»Was für ein schreckliches Zimmer!«, murrte Armand, sobald die drei Männer gegangen waren. »Ich mag verwöhnt klingen, aber für mich sieht dieses Zimmer eher wie ein Gefängnis aus.«
»Genau das wird es auch sein, wenn wir nicht aufpassen«, antwortete Pierre ruhig.
Armand drehte sich um, als ob er von einer Wespe gestochen worden wäre. »Was meinst du?«
»Ich bin mir ziemlich sicher: diese Führer sind nicht die, die Charles für uns ausgesucht hat.«
»Woher willst du das wissen? Ich gebe zu, dass sie seltsam aussehen, aber warum bist du dir da so sicher? Sie kannten unsere Namen, sie wissen, wo wir hinwollen, und kannten die Umgebung in – und auswendig, genau wie Charles es uns gesagt hatte.«
»Erinnerst du dich daran, dass Charles uns erzählt hat, dass einer der Führer in einem Kloster gedient hat? Aber keiner von den beiden hat jemals ein lateinisches Gebet gehört. Ich habe zitiert: ’Wir grüßen dich, Maria, Königin des Himmels’, und sie haben kein einziges Wort verstanden. Für mich ist klar, die haben noch nie ein Kloster von innen gesehen. Ich bin auch überzeugt, dass Charles niemals so schäbige Führer für uns ausgesucht hätte. Das Ganze stinkt zum Himmel.«
»Du meinst, wir sind in eine Falle getappt?«
»Genau, mein Freund, du hast dich nach einem Abenteuer gesehnt, nun dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen.«
»Warum verduften wir dann nicht einfach?«, fragte Armand.
»Unser eifriger Wirt mit der sauberen Schürze wird sicher Wachen aufgestellt haben.«
Armand schaute auf das kleine Fenster und bemerkte jetzt, dass es vergittert war.
»Wir sitzen in der Falle«, sagte er.
»Ja, mein Freund, wir sitzen in der Falle. Wie dumme Jungen.«
»Aber was können wir tun? Die wollen uns sicher umbringen?«
»Armand, denk doch mal nach. Lebendig sind wir ein Vermögen wert, tot nicht viel. Sie werden vermutlich ein Lösegeld verlangen. Ein Herzog ist mindestens 50.000 Pfund wert und du … vielleicht 10.000.«
»Ich bin mehr wert! Die Saint Pauls sind eine der ältesten Familien Frankreichs, wir waren schon Grafen, als deine Familie sich noch abrackerte, um eine einfache Baronie zu bekommen!« Armand war aufgebracht.
»Toll, warum sagst du ihnen das nicht? Sie werden den Preis sofort erhöhen. Mach schon!«
»Vielleicht sollten wir lieber einen Ausweg finden?«, schlug Armand versöhnlich vor, »ich gebe zu, das mit der Baronie war etwas übertrieben.«
»Vielleicht sollten wir das!«