Читать книгу Der Herzog und der Wahrsager von London - Michael Stolle - Страница 6

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Eine Reise wird geplant

François wechselte das Thema. »Wie wäre es, heute gemütlich einen netten Abend zu Hause zu verbringen? Gestern habe ich ein Exemplar eines neuen Buchs ergattern können, eine Komödie und man munkelt, dass es in Wirklichkeit die Karikatur einiger bekannter Mitglieder des königlichen Hofes ist. Ganz Paris wird sich darüber den Mund zerreißen.«

»Wir haben doch deiner Mutter und deiner Schwester versprochen, dass wir sie heute Abend ins Hôtel Saint Paul begleiten, wo der Marquis die Verlobung seiner jüngsten Tochter verkünden wird. Deine Mutter möchte die Gelegenheit nutzen, um deine Schwester vorzustellen und Armands Mutter zu bitten, Martine zu protegieren.«

François stöhnte auf. »Das klingt einfach furchtbar. Muss ich etwa den ganzen Abend auf meine Schwester aufpassen?«

»Hör auf zu jammern. Ich werde auch da sein und zusammen mit deiner Mutter auf sie aufpassen, und vergiss nicht, Armand de Saint Paul und Pierre de Beauvoir werden sicherlich anwesend sein. Wie ich dich kenne, verschwindest du zum Kartenspielen, sobald die Marquise uns in den Salon bittet. Als besonderen Leckerbissen hat sie nämlich einen jungen Dichter eingeladen, der uns aus seinen neuesten Werken vorlesen wird.«

François riss seine Augen vor Entsetzen weit auf. »Poesie!«, stöhnte er. »Ich hasse Poesie. Das Zeug langweilt mich zu Tode! Narzissen, die im Wind mit Nymphen tanzen und dieser ganze Quatsch. Wer ist es denn dieses Mal?«

»Ein vielversprechender, sehr attraktiver junger Dichter, der von der Herzogin von Limoges gefördert wird«, antwortete Julia verträumt. »Sehr interessant. Beim letzten Mal hat er ein sehr berührendes Gedicht über die ätherische Schönheit ihrer Augen vorgetragen.«

»Oh mon dieu!«, erwiderte François. »Aber sehen wir der Wahrheit ins Auge: Von der Schönheit der Herzogin ist nicht viel geblieben, abgesehen von ihren Schlössern und ihrem beträchtlichen Vermögen. Sie ähnelt mehr und mehr einem ihrer alten, zickigen Schoßhunde. Ich werde dich nicht allzu sehr schockieren, wenn ich annehme, dass dieser Dichter ihr neuester Liebhaber ist?«

»Oh nein, das ist ein offenes Geheimnis«, Julia musste kichern. »Aber zumindest scheint er talentiert zu sein – ich meine talentiert auch außerhalb ihres Schlafzimmers – und zwar mehr als ihre letzte Entdeckung. Ich muss schon sagen, dass Paris viel unterhaltsamer ist als Venedig. Keine Dame in Venedig würde es jemals wagen, sich mit einem jungen Liebhaber offen in der Gesellschaft zu zeigen.«

»Deshalb ist unsere Kultur im Niedergang begriffen«, antwortete François, der sich inzwischen mit der Tatsache abgefunden hatte, dass sich sein gemütlicher Abend zu Hause gerade in Luft aufgelöst hatte.

***

François hatte noch reichlich Zeit um zu bereuen, dass er zugestimmt hatte, den Ball zu besuchen. Ihre Kutsche kam nur mit Schneckengeschwindigkeit voran, denn viel zu viele luxuriöse Kutschen und Sänften blockierten den Eingang des Palais de St. Paul, dem Sitz des Marquis de Saint Paul und seiner zahlreichen Nachkommen. Abgesehen von der königlichen Familie gab es in Frankreich wohl kaum eine Familie von höherem Rang. Die Vorfahren des Marquis hatten Jerusalem erobert, das alte Byzanz im Namen des Allmächtigen geplündert und in Frankreich für die Valois gegen die englischen Usurpatoren gekämpft – oder sich mit ihnen verbündet, je nachdem, was zu einem bestimmten Zeitpunkt profitabler oder lohnender erschien. Im Laufe der Jahrhunderte war die Familie mit Titeln, Ländereien und Gold überhäuft worden und man munkelte, der jetzige Marquis sei reicher als der König von Frankreich – ganz zu schweigen von dem mittellosen Onkel des jetzigen Königs, dem König von England.

Mit zusammengebissenen Zähnen hatten die Saint Pauls den Aufstieg von König Heinrich IV. ertragen, dem ersten Bourbonen in einer langen Reihe von Königen, der aus einem schäbigen und winzigen Königreich im abgelegenen Süden stammte und den heiligen Thron Frankreichs bestiegen hatte. Aber der Marquis war nicht blind für die Realität. Nachdem Kardinal Richelieu geräuschlos, aber mit tödlicher Effizienz viele einflussreiche Familien von der Landkarte der Macht vertilgt hatte, hatte der Marquis geschickt dafür gesorgt, dass zumindest seine Familie ungeschoren blieb. Es war ein unausgesprochener Waffenstillstand zwischen zwei mächtigen Männern gewesen.

»Schau, François, ist das nicht schön?« François’ Schwester zerrte an seinem Ärmel und zeigte auf den Innenhof, als sie näher kamen. Ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet, denn heute war ihr erster offizieller Ball, seit sie in Paris angekommen war.

Fackeln in schmiedeeisernen Halterungen warfen ihr helles Licht auf die Fassade des Palais de Saint Paul. Die lodernden Flammen ließen die Reliefs und Verzierungen so plastisch erscheinen, als seien sie zum Greifen nahe. Der Lärm der Dienerschaft war inzwischen ohrenbetäubend geworden, denn jede Kutsche forderte lautstark um Vorrang, um die Wichtigkeit ihrer edlen Besitzer zu unterstreichen.

Schließlich stiegen auch François, seine Frau, seine Mutter und seine Schwester aus der Kutsche und wurden herzlich von der Marquise de Saint Paul und ihrem Mann begrüßt. Die Marquise schätzte François nicht nur, weil er ein Verwandter war, sondern sie hatte auch ein Faible für ihren klugen und hübschen Neffen.

Bis vor Kurzem war der Kleidungsstil am Hof nüchtern und betont schlicht gewesen. Der plötzliche Tod des Königs hatte zu einer langen Zeit der Trauer geführt und somit waren alle Farben verpönt gewesen. Aber sobald der Anstand es erlaubte, brachen die Dämme und kam es zu einer Welle neuer Mode, so edel und luxuriös wie es der geizige, verstorbene König niemals toleriert hätte. Daher glitzerten und funkelten die Damen und Herren im Hôtel de Saint Paul heute Nacht in den leuchtendsten Farben. Die teuren Stoffe waren mit Fäden aus Silber und Gold verwebt und mit funkelnden Diamanten und Edelsteinen besetzt.

So schnell wie möglich fand François eine Ausrede, um seine Familie zu verlassen und nach seinen Freunden Armand de Saint Paul und Pierre de Beauvoir zu suchen. Schließlich fand er sie, aber nicht im Spielsalon – wie er gehofft hatte – sondern im großen Ballsaal, wo Armand den Tanz mit einer korpulenten jungen Dame anführte.

Pierre sah aus wie ein blutjunger Adliger, der gerade die Aufnahme in den Ritterstand anstrebte, obwohl er bereits zwei der höchsten Titel besaß: väterlicherseits trug er den Titel Marquis de Beauvoir von Frankreich und mütterlicherseits hatte er das Herzogtum Hertford in England geerbt. Pierre und Armand waren eng befreundet; der eine war ohne den anderen kaum vorstellbar. Da Pierre im letzten Jahr geheiratet hatte, war Armand nun einer der heißesten Preise auf dem Pariser Heiratsmarkt. Er sah sehr attraktiv aus, trug schulterlanges, lockiges braunes Haar und hatte eine muskulöse Statur. Aber seine wahre Waffe waren seine schmelzenden braunen Augen, die eine ständige – und sehr vielversprechende – Einladung für jede schöne Frau waren.

Armand war allerdings inzwischen dafür bekannt, dass er das Flirten vielleicht etwas zu sehr genoss und er war bisher noch in keine der zahlreichen Heiratsfallen getappt, die ihm gestellt worden waren. Deshalb waren die säuerlich dreinblickenden Matronen, die für die Tugend ihrer Töchter verantwortlich waren, sehr misstrauisch, sobald Armand sich näherte. Er hatte schon zu viele gebrochene Herzen hinterlassen.

Armand war nicht dafür bekannt, dass er reichen Erbinnen hinterherjagte, also konnte es nur eine Erklärung dafür geben, warum sich heute Abend um ein Mauerblümchen kümmerte: Seine Mutter musste ihn dazu verdammt haben. Dieser Verdacht wurde durch das breite Grinsen auf Pierres Gesicht bestätigt, wann immer er seinem Freund während einer der komplizierten Tanzfiguren begegnete. Die Musik hörte endlich auf und nichts hätte korrekter, charmanter und höflicher sein können als die Art und Weise, wie Armand sich von seiner Tanzpartnerin verabschiedete.

Schnell gesellte er sich zu seinen Freunden. »Bitte holt mich aus dieser Folterkammer hier raus. Ich habe meiner Mutter versprochen, mit den jungen Debütantinnen zu tanzen, die keinen Partner finden konnten, aber genug ist genug! Dieser Trampel ist mir zweimal auf die Füße getreten – kannst du dir das vorstellen?«

»Autsch!«, kommentierte Pierre. »Sie sieht ein bisschen schwer aus …«

»Das ist sie auch!«, antwortete Armand und warf einen vorwurfsvollen Blick auf die dickliche junge Dame, die jetzt auf der gegenüberliegenden Seite des Ballsaals saß und dort mit ihrer Schwester flüsterte und kicherte. Sobald die beiden Mädchen bemerkten, dass sie nicht nur von einem, sondern von drei attraktiven Männern beobachtet wurden, traten ihrer Fächer kokett in Aktion, in der Hoffnung, zu einem weiteren Tanz aufgefordert zu werden.

François ignorierte die sehnsüchtigen Blicke der Damen und wechselte das Thema. »Ich muss mit euch beiden reden – und zwar unter vier Augen – oder sollte ich sagen, unter sechs Augen?«

»Ich wünschte, es wäre etwas, das mit einem neuen Abenteuer zu tun hat«, seufzte Armand. »Paris ist so langweilig geworden. Ich könnte wirklich ein bisschen Abwechslung gebrauchen.«

»Ich auch«, warf Pierre ein und errötete. »Ich meine, ich bin ein verheirateter Mann – und sehr glücklich – aber manchmal …«

François lachte. »Ich verstehe schon. Ich muss zugeben, nachdem ich das Vergnügen hatte, euch beide bei eurem letzten Abenteuer in Venedig zu retten, kommt mir das Leben hier auch ein bisschen langweilig vor. Wo und wann können wir uns vertraulich unterhalten?«

»Später, François, nach Mitternacht. Sobald ich hier im Ballsaal die Debütantinnen geschwenkt habe, hat mich meine Mutter zu einer Dichterlesung in den blauen Salon beordert. Sie will damit zeigen, dass sich die Familie Saint Paul für die Förderung der schönen Künste einsetzt«, stöhnte Armand. »Übrigens, Pierre, meine Mutter verlangt auch deine Anwesenheit und ich soll dich warnen, dass sie keine Ausreden akzeptiert.«

»Ein Raum voller Damen mittleren Alters, die um die Aufmerksamkeit des großen Dichters buhlen. Ich kenne diese Art von Vorträgen, sie sind einfach grauenhaft!«, rief Pierre aus. »Du willst mich doch nicht ernsthaft in so etwas reinziehen!«

»Doch, und ich wiederhole, keine Ausrede wird akzeptiert. Du kennst Maman … aber sie wird dafür bezahlen müssen«, antwortete Armand düster. »Es gibt eine Grenze für das, was selbst der treueste Sohn für seine Mutter tun muss.«

»Dann lass uns das Treffen nach Mitternacht vereinbaren, aber wo?«, fragte François, der insgeheim erleichtert war, dass die Marquise offensichtlich vergessen hatte, ihn auch einzubestellen.

»Das ist nicht ganz einfach. In der Bibliothek wurden Spieltische aufgestellt, sie wird vor Gästen wimmeln. Bleibt eigentlich nur mein Zimmer, wenn es dir nichts ausmacht. Ein anderer Ort ist heute Abend nicht verfügbar, um etwas Vertrauliches zu besprechen.«

»Einverstanden, dann treffen wir uns nach Mitternacht in der Bibliothek und gehen gemeinsam hoch auf dein Zimmer. Aber jetzt muss ich erst mit meiner Schwester tanzen.« Sein Blick fiel auf Armand. »Oder hättest du etwas dagegen, mit ihr zu tanzen? Sie hat mir gesagt, dass es ihr peinlich ist, den Tanz mit mir zu eröffnen. Sie ist überzeugt, dass dann alle denken werden, dass sie keinen passenden Partner finden konnte.«

Armands Gesicht erhellte sich. »Mit Vergnügen, erstaunlich, wie hübsch deine Schwester geworden ist. Ich werde zwei daraus machen, wenn du es erlaubst!«

»Ein Tanz ist genug, sonst gehen sofort die Gerüchte los. Und bitte zurückhaltend, kein Flirten, klar?«

»Vertrau mir!«, antwortete Armand mit einem Augenzwinkern, »deine Schwester ist in den besten Händen.«

»Nun, dann können wir gerne über eine eheliche Verbindung nachdenken …«

»Ich hab’s schon verstanden, François, ich werde anständig sein.« Und schon war Armand verschwunden.

»Das Wort ‚Ehe’ löst immer Panik bei ihm aus«, erklärte Pierre entschuldigend.

»Genau deshalb habe ich es ja benutzt«, antwortete François lachend. »Bis später.«

***

Der Marquis de Saint Paul hatte seinem Maître de Cuisine freie Hand gegeben, der sich sofort seinen kühnsten Träumen hingegeben hatte. Im Speisesaal entdeckte François Speisen in einer Fülle, die noch nicht einmal der königliche Hof bieten konnte – wer außer dem Marquis de Saint Paul – konnte es sich in diesen Zeiten leisten, Berge von Kaviar zu servieren, der auf Schlitten mit Eis aus dem fernen Russland herbeigeschafft worden war?

Ein hochmütiger, ausgestopfter Pfau thronte in königlicher Pracht über einem Berg von köstlichem Geflügel. Dazu gab es mit Honig glasiertes Spanferkel, Rehpastete und Wildschweinbraten – die Liste war schier endlos.

Die Speisen waren auf polierten Silbertellern angerichtet. Dies war eine bewusste Untertreibung, denn der Marquis hätte seine goldenen Teller und Platten benutzen können. Aber da Seine Eminenz, der Kardinal Mazarin, heute Abend zu einem kurzen Besuch erwartet wurde, hatte der Marquis beschlossen, nicht zu viel von seinem Reichtum zur Schau zu stellen und damit zu riskieren, die Aufmerksamkeit des Premierministers zu erregen, der dafür bekannt war, Schätze zu horten und dabei die unterschiedlichsten – selten ethischen – Wege zu beschreiten, um alles, was ihm gefiel, an sich zu raffen.

François war gerade dabei, sich einige der Köstlichkeiten servieren zu lassen, als ein hünenhafter Mann den Raum betrat und mit tiefer, vor Zufriedenheit triefender Stimme ausrief: »Das ist genau der Raum, den ich gesucht habe. Ich bin am Verhungern!« Sein prüfender Blick glitt über das Essen – ein seltsamer Blick, denn der Riese besaß Augen mit zwei verschiedenen Farben.

»Charles!«, rief François aus. »Ich wusste nicht, dass du in Paris bist. Du bist genau der Mann, den ich brauche!«

Der Riese drehte sich um und lächelte François an. Sie waren nicht nur enge Freunde, sondern hatten in der Vergangenheit auch schon viele Abenteuer miteinander erlebt.

»Du klingst genau wie meine Frau!«, scherzte er mit seinem englischen Akzent.

»Aber lass mich erst eine Kleinigkeit essen, denn ich bin am Verhungern. Du willst doch sicher nicht, dass ich vor Erschöpfung umfalle, bevor du mir sagst, warum du mich brauchst. Zumal es bestimmt etwas Lästiges ist.«

François begann zu protestieren, aber Charles unterbrach ihn. »Es hat keinen Sinn, mir etwas anderes zu sagen, ich kenne dich einfach zu gut! Du hast schon wieder dieses Funkeln in den Augen, das hat mich das letzte Mal durch halb Europa gehetzt.«

»Ich bin empört, das ist üble Nachrede!«, antwortete François mit einem Augenzwinkern. »Nur ein kleiner Ratschlag, nichts, was dich stören könnte. Sieh mich nicht so an!«

Charles lachte, ein Geräusch, das den Raum fast zum Vibrieren brachte. »Ganz unschuldig, wie immer, aber mich kannst du nicht täuschen.«

Dann wählte er mit Bedacht und Genuss die besten Gerichte aus. Während sie aßen, tauschten sie sich über die neuesten Nachrichten aus, vermieden aber sorgfältig alle Themen, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. François hatte Gerüchte gehört, dass Charles mit einer geheimen diplomatischen Mission für Seine Majestät, König Karl, König von England, Schottland und Irland, betraut worden war. Aber angesichts seines letzten Gesprächs mit Kardinal Mazarin bezweifelte François, dass besagter König Karl in der Lage sein würde, seinen Kopf noch retten zu können.

»Ich treffe mich mit Pierre und Armand um Mitternacht in der Bibliothek, würdest du dich uns anschließen? Wir könnten deinen Rat gebrauchen.«

»Ihr drei auf einem Haufen – das bedeutet sicher eine Menge Ärger. Ich hatte mal wieder Recht – nicht wahr?«

Charles seufzte. »Ihr habt Glück, jetzt, wo ich gegessen habe, bin ich in versöhnlicher Stimmung und werde mich euch anschließen. Aber zieh mich bloß nicht eine eurer irren Geschichten hinein. Ich werde nie vergessen, wie mich deine lästigen Freunde Tag und Nacht durch Frankreich und Italien galoppieren ließen, um sie aus den Klauen von Pierres mörderischem Cousin Henri zu retten! Pierres französische Verwandte sind schon ein seltsames Völkchen.«

»Keine Abenteuer, das verspreche ich, bei allen Heiligen.« François sah ihn unschuldig an und kreuzte seine Finger hinter seinem Rücken. »Übrigens, einer dieser lästigen Freunde, die du gerade erwähnt hast, ist dein eigener Cousin. Mach dir aber keine Sorgen, Charles, wir haben nur das dringende Bedürfnis, aus der Quelle deiner Weisheit schöpfen zu dürfen.«

»Du schlauer kleiner Teufel, du machst dich schon wieder über mich lustig. Wir sehen uns später!«

Beim Anblick des üppigen Buffets erinnerte sich François mit einem Anflug von Schuldgefühlen daran, dass seine Frau und seine Familie auf ihn warten mussten, wahrscheinlich hungrig und ihn vermutlich für seine lange Abwesenheit verfluchten. Mit mehr als nur einem Anflug von schlechtem Gewissen machte er sich auf den Weg zurück in den Ballsaal, um nach Julia und seiner Mutter zu suchen, die seine Schwester chaperonierte.

Doch zu seiner größten Erleichterung blieben François Belehrungen über seine Nachlässigkeit erspart. Durch einen glücklichen Zufall hatte seine Mutter ein paar ihrer alten Freundinnen getroffen und er fand sie vertieft in einer angeregten Unterhaltung, während seine Frau mit Armand tanzte und dabei nicht verbarg, dass sie sich prächtig amüsierte.

»Du scheinst mich ja nicht allzu sehr zu vermissen«, begrüßte er seine Frau mit zusammengebissenen Zähnen.

»Sie waren abwesend, Sir?«, antwortete Julia. »Ich muss es vergessen haben, ich habe eine äußerst angenehme Zeit mit einem sehr attraktiven Herrn verbracht, der sich rührend um mich gekümmert hat, er hat uns sogar Wein und Süßigkeiten gebracht, während mein Mann irgendwohin verschwunden war …«

»Quäle mich nicht, Julia, wie kann ich deine Gunst jemals zurückgewinnen?«, flehte François.

»Das wird schwierig sein, mein Herr, aber ich könnte es mir überlegen. Du könntest mich zum Beispiel fragen, ob ich tanzen möchte und danach wäre ein nettes Essen der Vergebung förderlich.«

Die Zeit verging rasend schnell und beinahe hätte François die Verabredung mit seinen Freunden verpasst. Aber wie sich herausstellte, war er der erste, der in der Bibliothek ankam, wo er noch genügend Zeit hatte, ein Glas Wein zu trinken, bevor Pierre und Armand endlich auftauchten. Die beiden Freunde hatten die Zeit beim Würfelspiel vergessen.

»Ich habe Charles eingeladen, sich uns anzuschließen, hat ihn jemand gesehen?«

»Oh, Cousin Charles! Er ist jetzt ein hohes Tier geworden. Ich habe gesehen, wie er unten mit Kardinal Mazarin und Armands Vater diskutiert«, rief Pierre aus. »Stell dich lieber darauf ein, dass wir noch eine Weile warten müssen. Mazarin redet gerne und viel – genau wie Charles.«

Es dauerte dann auch noch, bis Charles endlich auftauchte. »Ihr wartet ja immer noch auf mich«, seufzte er. »Ich hatte gehofft, dass ihr es vergessen würdet. Ihr seid lästiger als ein Rudel junger Hunde.«

»Wie könnten wir dich nur vergessen, Charles?«, protestierte Armand, »deine schiere Größe macht dich unvergesslich.«

»Frechdachs!«, kommentierte Charles gut gelaunt. »Jetzt sei ein guter Gastgeber und organisiere etwas Wein. Wenn wir schon reden müssen, will ich nicht dabei verdursten.«

***

Armand war der jüngste Sohn des Marquis de Saint Paul. Sein Zimmer war angenehm groß, aber keineswegs das größte im Haus. Sein ältester Bruder, der Erbe des Titels, hatte dafür gesorgt, dass er das größte Zimmer besaß – abgesehen vom Marquis und seiner Frau, natürlich. Aber die Fenster von Armands Schlafzimmer gingen auf den Garten hinaus, was eine nette Entschädigung dafür war, dass sein Bruder durch den Lärm der Straße gestört wurde.

Bis Charles das Zimmer betrat, hatte es geräumig gewirkt – jetzt wirkte das Schlafzimmer plötzlich klein. Charles begutachtete misstrauisch den Sessel, der ihm angeboten wurde, bevor er sich setzte. Pierre hielt den Atem an: der Stuhl quietschte protestierend, aber er hielt. Zwei weitere Stühle standen für Pierre und François bereit, und Armand warf sich auf das große Himmelbett und tat dies mit einem zufriedenen Seufzer, da seine Füße vom Tanzen schmerzten.

»Zu Hause einen Ball abzuhalten ist ein Albtraum … da ich ein Gentleman bin, werde ich dir nicht sagen, was ich wirklich denke, aber ich fühle mich, als ob ich gefoltert worden sei – und zwar an Körper und Geist. Erst musste ich mit den hässlichsten und denkbar ungeschicktesten Mädchen tanzen, nur um meiner Mutter einen Gefallen zu tun, dann kam dieser dumme Dichter mit seiner schier endlosen ‚Ode an meine Nymphe, die im silbernen Licht des aufsteigenden Mondes badet’. Dieser gelackte Kerl hat mich fast umgebracht. Ich habe noch nie so viel Unsinn gehört. Und du hättest die Damen sehen sollen, die sich an seinen Worten weideten und ihm fast die Füße küssten, es war einfach ekelhaft!«

»Du scheinst dich aber mit Julia gut amüsiert zu haben«, warf François ein, immer noch eifersüchtig.

»Oh, Julia! Das muss man ihr lassen, sie ist wirklich etwas Besonderes, ein echter Schatz. Ich habe nie verstanden, warum sie dich geheiratet hat, ein Wort nur – und sie hätte mich haben können! Eines Tages wird sie aufwachen und verstehen, was für einen schrecklichen Fehler sie gemacht hat.«

François trat nach ihm, verzichtete aber auf einen Kommentar.

Charles nippte an seinem Wein. »Kann mir jemand verraten, warum wir uns hier oben wie eine Gruppe von Verschwörern verstecken müssen? Ich dachte, ich hätte zu Hause in England schon genug davon ertragen müssen.«

»Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich euch allen eine Erklärung gebe.« François bewegte sich, um eine bequemere Position in seinem Stuhl zu finden; schließlich gab er diese fruchtlose Übung auf und rief verärgert aus: »Dieser Stuhl stammt direkt aus euren mittelalterlichen Folterkammern.«

»Beschwere dich nicht über meinen Stuhl, er hat meiner Familie schon seit Generationen treu gedient«, erwiderte Armand.

»Vielleicht ist es dann an der Zeit, sich neue Möbel anzuschaffen?«

Doch dann fuhr er fort: »Was ich euch jetzt erzähle, ist streng vertraulich. Um es kurz zu machen: Ich habe die Ehre, nach England zu segeln, um dort die Königin von England zu treffen und ihr die Augen dafür zu öffnen, dass es an der Zeit ist, in die Sicherheit im Schosse ihrer Familie in Frankreich zurückzukehren. Hat jemand einen Vorschlag, wie ich das erfolgreich anstellen kann?«

»Machst du Witze?« Charles sah François an, als hätte er gerade entdeckt, dass sein Freund nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.

»Nein, ich meine es todernst. Seine Eminenz hat den Befehl persönlich gegeben. Ihre Schwägerin, sprich unsere verehrte Königin Anne ist besorgt, dass die Ereignisse in England bald außer Kontrolle geraten könnten, und Mazarin teilt ihre Ansicht. Es wäre ein Albtraum, wenn Königin Henrietta Maria, sprich eine frühere Prinzessin von Frankreich, in die Hände der Schurken fällt, die gerade das Parlament erobert haben. Deshalb muss sie unbedingt davon überzeugt werden, zu fliehen – und zwar je früher, desto besser.«

»Hast du jemals etwas von Königin Henrietta Maria gehört?«, fragte Charles, während er sich ein weiteres Glas Wein einschenkte. »Ich brauche das jetzt und ich kann dir garantieren, dass du das gleich auch brauchst«, fügte er hinzu und deutete auf den Wein.

François runzelte die Stirn. »Ja und nein, ich meine, die üblichen Dinge. Sie soll eine Schönheit sein, aber wir alle wissen, dass das wahrscheinlich nicht stimmt. Wie kann sie schön sein, mit Eltern wie Heinrich IV., der mit seiner schrecklichen Nase wie ein Bauer aussah, und ihrer fetten Medici-Mutter mit ihrem Doppelkinn und einer Taille, dick wie ein Schwein. Ich habe auch gehört, dass ihr ständig das Geld ausgeht, aber das ist nichts Ungewöhnliches, es gibt kaum einen König oder eine Königin, die rechnen können.«

Charles nahm einen langen Schluck Wein, kratzte sich am Kopf und antwortete: »Unsere edle Königin ist etwas Besonderes, das gebe ich zu. Sie ist übrigens nie gekrönt worden, weil sie sich strikt weigert, an einem Gottesdienst teilzunehmen, der von einem Bischof der Kirche von England geleitet wird. Das mag überraschen, denn ihr Vater war ein überzeugter Protestant, aber er hat ja seinen Glauben so schnell gewechselt wie ein Hemd, als ihm angeboten wurde, sich die französische Krone auf sein kahles Haupt zu setzen. Aber Königin Henrietta – ihr Mann nennt sie übrigens Marie – wurde von Karmeliterinnen erzogen, ist religiös und dazu stur wie ein Maultier, eine Eigenschaft, die sie von ihrem Vater geerbt hat. Sie sieht sich selbst als Märtyrerin, die von der Vorsehung auf eine unkultivierte Insel namens England geschickt wurde, um die Heiden dort zu bekehren. Ach ja, sie sagt immer wieder, dass sie lieber sterben wolle, als ihren Mann zu verlassen.«

Pierre meldete sich: »Ich habe gerade eine dringende Depesche von König Karl erhalten, der Geld und meine Anwesenheit einfordert. Ich hasse die Vorstellung, nach England überzusetzen, aber ich habe wohl keine Wahl. Bald gehen mir die Ausreden aus.«

Charles nickte. »Ja, die Dinge ändern sich von Minute zu Minute – leider zum Schlechteren. Das Parlament in London gewinnt täglich an Stärke. Es gibt da einen neuen Anführer in der Armee, einen gewissen Cromwell, der ihnen einredet, dass er vom Allmächtigen inspiriert und geleitet wird.«

»Ist dein Cromwell eine Art englische Johanna von Orleans?«, scherzte Armand. »Sie hat sich zumindest ihren Platz in der Geschichte gesichert, denn sie hat uns vor den Engländern gerettet.«

Charles ignorierte diese Frechheit und fuhr fort: »Vielleicht wird dieser Oliver Cromwell auch seinen Platz in der Geschichte finden. Ich kann hier ganz offen sprechen, ich habe noch nie so viel Inkompetenz gesehen wie im königlichen Hauptquartier. Manchmal denke ich, dass sich unsere Adligen mehr um ihre Kleidung, ihre Pferde und ihren Rang kümmern, als an einem Plan zu arbeiten, wie man die Flut der Puritaner aufhalten kann, die unser altes Königreich wegzuspülen droht.«

»Was ist mit Prinz Rupert?«, fragte Pierre. »Er scheint ein ausgezeichneter Soldat zu sein – und wie ich gehört habe, ist er auch ein charismatischer Anführer der Truppen – und ein überzeugter Protestant?«

»Prinz Rupert ist ein guter Kämpfer, aber sein Cousin, der König, bleibt unser oberster Befehlshaber. Bei allem Respekt vor Seiner Majestät, der König ist ein langsamer Denker und macht sich einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang Gedanken, bevor er eine Entscheidung trifft, wenn er überhaupt eine trifft …«

»Besser eine schlechte Entscheidung als gar keine, hat mein Vater immer gesagt«, warf Armand ein.

»Das stimmt, in der Kriegsführung muss man schnell handeln.«

»Also, ratet mir, wie soll ich vorgehen?«, fragte François. »Ich kann doch nicht nach London gehen und an die Tür von Schloss Windsor klopfen: ’Eure Majestät, ich schlage vor, dass Ihr eine Kutsche zurück nach Frankreich nehmt, und rein zufälligerweise wartet da draußen schon eine!’«

Charles musste lachen, aber dann wurde er ernst.

»Zunächst einmal musst du wissen, dass der Hof London schon vor längerer Zeit verlassen hat, denn selbst Schloss Windsor galt nicht mehr als sicher. Der König und sein Hof befinden sich jetzt in Oxford. Die Stadt wurde befestigt und ist viel leichter zu verteidigen als London. Die traurige Tatsache ist, dass die Hauptstadt für die Krone verloren ist, sie ist fest in der Hand der Puritaner.«

»In Oxford? Ich wusste nicht einmal, dass es dort einen königlichen Palast oder ein Schloss gibt?« Pierre war verblüfft.

»Nein, es gibt weder ein Schloss noch einen Palast. Die Königin wohnt im Merton College, sie hat dort ihren Hofstaat eröffnet«, antwortete Charles, »der König und sein Stab sind in ihrer Nähe, aber in einem anderen Gebäude der Universität untergebracht. Es ist nur ein vorübergehendes Arrangement, denn er ist überzeugt, dass er bald nach Whitehall zurückkehren wird, allerdings eine Ansicht, die ich mit Seiner Majestät nicht teile.

François griff nach einem Glas Wein. »Jetzt erinnere ich mich, Mazarin hat Oxford erwähnt. Ich brauche jetzt wirklich ein Glas Wein, du hattest recht. Die Königin wird niemals zustimmen, ihren Mann in einer solchen Situation zu verlassen, das würde wie Hochverrat aussehen.«

»Lass mich ein Wort der Warnung sagen, François, du musst von dem Moment an, in dem du englischen Boden betrittst, äußerst vorsichtig sein«, fuhr Charles fort. »Die Puritaner, oder Roundheads, wie wir sie nennen, hassen die Franzosen und sie verabscheuen jeden, der katholisch ist. Sobald sie merken, dass du aus Frankreich kommst, wirst du als Verräter verhaftet, wenn nicht sogar auf der Stelle getötet. Und was Pierre angeht, du musst auch sehr vorsichtig sein, nicht jeder wird deine Ankunft begrüßen.«

Pierre nickte. »Leider ist mir das sehr bewusst. Aber ich muss gehen, es ist meine Pflicht, ich könnte sonst mein Herzogtum verlieren. Ich habe es Marie bereits mitgeteilt. Sie wird bei ihren Eltern in Reims bleiben, bis ich zurückkomme.«

»Ich könnte vorgeben, ein französischer Hugenotte zu sein, der vor der Verfolgung in Frankreich flieht«, schlug François vor.

»Nicht, wenn du wie ein Pfau gehst und dich auch so anziehst.«

Pierre schüttelte den Kopf. »Armand und ich haben Genf, die Hochburg der Calvinisten, vor drei Jahren besucht. Ich habe noch nie in meinem Leben eine so deprimierende Stadt gesehen. Wenn du auch nur lachst, erschießen sie dich. Wenn du als Hugenotte durchgehen willst, musst du als Erstes deine Kleidung und deine Frisur ändern und lernen, bescheiden und fromm auszusehen.«

»Du meinst, ich muss mir die Haare schneiden lassen?« François war schockiert und tastete unbewusst nach seinen Locken.

»Ja – und keine Samthosen oder seidenen Hemden mehr, sondern schlichte, kratzige Wolle. Aber ich wette, dass Kardinal Mazarin dir eine stattliche Belohnung angeboten hat, sonst hättest du das nie akzeptiert. Also hör auf zu jammern«, sprach Armand und grinste ihn an.

»Wann musst du abreisen?«, fragte Charles.

»Das weiß ich noch nicht, der Kardinal wartet auf Nachricht von seinen Spionen. Die Lage von König Karl hat sich in den letzten Wochen leicht verbessert, aber der Kardinal teilt nicht seinen Optimismus, dass das so bleibt. Er rechnet damit, dass die Armee des Parlaments im Frühjahr einen großen Angriff starten wird und möchte, dass ich bis dahin mit der Königin spreche und sie überzeuge. Kannst du mir sonst noch einen Rat geben?«

Charles runzelte die Stirn. »Ich schließe mich Pierres Empfehlung an, sei lieber vorsichtig, sonst findest du dich direkt auf einer Abkürzung ins Paradies wieder, vorausgesetzt natürlich, dass dies dein endgültiges Ziel ist.«

Er kratzte sich am Kopf und fuhr fort: »Ich habe da vielleicht eine Idee. Ich plane ohnehin, im Januar nach England zu reisen; wie wäre es, wenn du dich mir als mein französischer Freund anschließt? Du müsstest allerdings trotzdem als Hugenotte auftreten. Ich habe noch viele Freunde in England – zum Glück auf beiden Seiten – und ich könnte dich während deiner Reise nach London beschützen. Wenn Mazarin sicher ist, dass sich die Situation bald verschlimmern wird, solltest du lieber alles rechtzeitig vorbereiten.«

»Danke, Charles, ich nehme deine Einladung gerne an. Was ist mit dir Pierre?«

»Ich schätze, ich muss ungefähr zur gleichen Zeit aufbrechen. Der Brief des Königs war sehr eindringlich. Ich muss Marie noch nach Reims bringen, aber ich will nicht, dass sie mich nach England begleitet. Ich bin mir aber nicht sicher, was der König eigentlich von mir erwartet – nur mein Geld, oder will er wirklich, dass ich in seiner Armee kämpfe? Ich habe keine Erfahrung auf dem Schlachtfeld, ich wüsste nicht, wie ich ihm in irgendeiner Weise nützlich sein könnte.«

»Verglichen mit den meisten anderen Herren, die ich am Hof des Königs getroffen habe, wirst du ein wahres Juwel in der Armee sein, keine Sorge«, antwortete Charles sarkastisch.

»Ich schließe mich an!« Jetzt mischte sich auch Armand ein.

»Ich werde Pierre nicht alleine reisen lassen, er wird er mich brauchen!«

»Armand, du weißt, dass ich immer froh bin, wenn du mich begleitest – aber ich bin jetzt erwachsen, ich komme schon alleine klar!«

Armand schnaubte. »Blödsinn, ich komme mit dir mit. Das steht fest.«

Charles hob sein Glas. »Ein Toast auf England, auf unseren König und auf unsere Freundschaft. Es scheint so, dass wir also alle bald in England wieder vereint sein werden. Möge der Herr unseren König beschützen – und unser Vorhaben!«

»Wenn wir Glück haben, wird es ein großartiges Abenteuer werden! Auf England und auf die Rettung der Königin!«, erwiderte Armand und hob sein Glas.

Der Herzog und der Wahrsager von London

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