Читать книгу Der Herzog und der Wahrsager von London - Michael Stolle - Страница 7

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Oxford, im Winter 1643

Die letzten Töne der golden funkelnden Trompeten hallten feierlich, geradezu triumphal durch die große Halle des Merton College, bis sie von der eiskalten Winterluft fortgetragen wurden. Im Inneren der Halle war eine Bühne aufgebaut worden, die mit weißen Säulen einem Tempel auf einer fiktiven griechischen Insel nachempfunden war, dem Schauplatz des Maskenspiels heute Abend.

Messinglaternen erhellten die Bühne und tauchten die silbernen Falten der Kostüme in einen warmen, goldglänzenden Schimmer. Das heutige Schauspiel war eine Allegorie, inspiriert von der griechischen Mythologie und es verherrlichte die Weisheit und die Tüchtigkeit Seiner Majestät, König Karls von Großbritannien.

Die drei Darstellerinnen beendeten ihr Stück, behielten aber ihre Masken auf. Als die Trompeten verklungen waren, verbeugten sie sich vor dem König, der auf einem goldenen Sessel unter einem Baldachin saß, der die stolzen Wappen seiner drei Königreiche vereinte. Seine Majestät wurde von seinem Sohn, dem Prinzen von Wales, begleitet und war zudem von seinen Höflingen und deren Damen umgeben.

Die königliche Gesellschaft war so prächtig gekleidet, wie man es bei einer großen Hofveranstaltung nur erwarten konnte: man sah schimmernde Seide und funkelnde Juwelen in allen Farben des Regenbogens. Die eleganten Kleider der Höflinge waren mit kostbaren Pelzen wie Silberfuchs, Zobel und Nerz gefüttert, denn trotz aller höfischer Eleganz war der große Saal im Winter ein kalter und zugiger Ort. Viele Nasen und Gesichter waren daher rot oder bläulich angelaufen und das lag nicht nur daran, dass man zu viel Rouge benutzt oder zu viel Wein getrunken hätte.

König Karl war, von Gottes Gnaden, der gesalbte Herrscher von England, Schottland und Irland. Die Lilien auf seinem Wappen verkündeten immer noch den englischen Anspruch auf den französischen Thron, ein Anspruch, der in Wahrheit längst vergessen und begraben war, da England vor nur wenigen Jahrzehnten seine letzten Gebiete auf der anderen Seite des Kanals verloren hatte. Kardinal Richelieu hatte für diese Demütigung gesorgt. Aber wenn nun bald kein Wunder geschah, könnten auch die drei verbleibenden Königreiche verloren gehen – die Macht des Königs und die Größe seiner Territorien schmolzen dahin wie Schnee in der Sonne.

Der König lächelte gnädig, obwohl seine Gedanken in Aufruhr waren. Wie lange werden meine Höflinge noch an meiner Seite bleiben? Ich habe Strafford, meinen treuen Minister, geopfert, aber das hat die Bestien im Parlament nach noch mehr Blut gieren lassen, wie soll das enden? Ich muss kämpfen, und sei es nur für meinen Sohn, dachte er weiter. Bald würde der Prinz von Wales ein Mann sein, bereit, das Erbe der Stuarts anzutreten und zu verteidigen.

König Karl lächelte seinen Sohn an und der Prinz von Wales lächelte zurück, aber nicht wie seine Höflinge, die nur mit dem Mund lächelten. Das Lächeln und die Zuneigung des Prinzen waren aufrichtig. Der Prinz von Wales war erst dreizehn Jahre alt und selbst bei wohlwollender Betrachtung keine Schönheit, er würde vermutlich niemals ein hübscher Mann werden. Seine Nase war zu lang und zu groß, sein Gesicht dunkel, fast hässlich – und doch strahlte der junge Prinz einen Charme und eine Wärme aus, die jedes Herz erobern konnten.

Ich wünschte, ich könnte die Herzen meiner Untertanen so leicht erobern, wie es meinem Sohn gelingt. Die Menschen gehorchen mir und respektieren mich, weil ich der König bin, aber sie lieben mich nicht … Solche Gedanken gingen dem König durch den Kopf, während er huldvoll lächelte, denn der Schein musste um jeden Preis gewahrt werden.

In der Tat gab es heute Abend einen echten Grund zur Freude. Der König hatte ermutigende Nachrichten aus Frankreich erhalten. Pierre de Beauvoir, der junge Herzog von Hertford, hatte nicht nur zugesagt, an seinen Hof zu kommen, sondern auch eine große Summe Geld zu schicken, genug, um die in Oxford stationierte Kavallerie bis zum Frühjahr unterhalten zu können. Mehr hätte er sich nicht wünschen können. Vielleicht wendete sich sein Glück nun doch noch.

Das Lächeln des Königs entspannte sich und er tauschte einen kurzen Blick mit Prinz Rupert vom Rhein, seinem Neffen und General der Kavallerie, einem Mann, auf den er sich immer verlassen konnte. Prinz Rupert musste seine Gedanken gelesen haben, denn er lächelte ermutigend zurück. Karl mochte seinen Neffen, diesen schneidigen jungen Soldaten, der immer bereit war, für die Sache der Stuarts zu kämpfen und dessen Enthusiasmus auch durch die vielen Rückschläge in den letzten Monaten nicht gedämpft worden war. Rupert war eine Säule der Stärke, wenn er nur etwas diplomatischer wäre!

Die Aufmerksamkeit des Königs richtete sich wieder auf die Bühne, wo zwei der Damen erneut einen tiefen Knicks machten, während die dritte, die viel üppiger war als ihre beiden Begleiterinnen, nur leicht mit dem Kopf nickte.

Daraufhin klatschte König Karl laut in die Hände, und die Höflinge, die auf sein Zeichen gewartet hatten, applaudierten und bejubelten die drei Darstellerinnen. Das war das Zeichen für die erste der als griechische Göttinnen verkleideten Damen, ihre Maske abzunehmen. Natürlich hatten alle gewusst, dass die Königin heute Abend unter den Darstellerinnen sein würde, aber wie üblich taten alle so, als wären sie erstaunt, sie auf der Bühne zu sehen. Der König stand auf und empfing seine Frau.

»Darf ich Ihnen gratulieren, Ma’am, Ihre Darstellung der Göttin Athene war wirklich großartig. Die Göttin der Weisheit … was für eine ausgezeichnete Wahl, wer sonst hätte sie so gut darstellen können?«

Königin Henrietta Maria errötete unter ihrer Schminke. Sie liebte die Künste, Theaterstücke und Tänze – obwohl sie zum Verdruss ihrer zahlreichen Lehrer nie das geringste Interesse an Wissenschaften oder Büchern jeglicher Art gezeigt hatte.

»Ihr seid viel zu freundlich, Sire, je suis heureuse que notre spectacle vous ait pu faire plaisir!ˮ Henrietta verfiel ins Französische – selbst nach vielen Jahren in England zog sie es immer noch vor, ihre Muttersprache zu benutzen, wann immer es ihr möglich war.

»Hast du das gehört?«, flüsterte die Gräfin von Portsmouth ihrer ebenso stark geschminkten Nachbarin zu, einer Dame ebenfalls weit jenseits ihrer besten Jahre. »Die Königin spielt Athene, die Göttin der Weisheit! Pffft, was für ein Witz, die Königin ist selten dämlich. Sie liest nie etwas und das Schlimmste ist, dass sie nicht einmal vernünftig Englisch spricht.«

Ihre Nachbarin zuckte nur mit den Schultern. »Sie ist nun einmal die Königin von England, alle Königinnen sind intelligent und schön, zumindest sagen wir ihnen das immer«, sie kicherte, »und dafür erwarten wir dann auch, reichlich belohnt zu werden …«

***

In dem Maße, in dem die Anhänger des Königs immer weniger wurden, verließ sich Karl immer mehr auf die Unterstützung und den Rat seiner Frau. Von Natur aus war er ein schwacher, fast schüchterner Mensch und fand in seiner Frau die unbeugsame Stärke und das Vertrauen, das ihm fehlte.

Die Hofdamen der Königin brachten einen warmen, pelzgefütterten Umhang, während die Feierlichkeiten weitergingen. Im Anschluss an das Schauspiel war ein Ball mit einem üppigen Abendessen als Höhepunkt geplant.

Seitdem der Hof aus London weggezogen war, mochten sich Kritiker wie der beleibte Earl of Shrewsbury darüber beschweren, dass vom Kontinent importierte Köstlichkeiten heutzutage eine Rarität waren und die Gerichte, die auf den aus Whitehall mitgebrachten goldenen Platten serviert wurden, eines königlichen Hofes nicht würdig waren. Aber ein nie endender Vorrat an Wildbret aus den umliegenden Wäldern machte in den Augen der meisten Höflinge das Fehlen exotischer Gerichte mehr als wett. Die Speisekammer der Küche war bestens gefüllt, denn die Kavaliere und der König gingen häufig auf die Jagd, in der kleinen Stadt Oxford gab es nicht viele andere Dinge, um sich die Zeit zu vertreiben.

Die jüngste der drei Schauspielerinnen begleitete die Königin zu ihrem Sessel. Sie stand hinter der Königin und nahm nun auch ihre Maske ab, die ein Gesicht von außergewöhnlicher Schönheit verborgen hatte. Als sie die Bänder der Maske löste, lockerte sie versehentlich auch die Schnüre ihrer silbernen Haube. Die Haube fiel herunter und eine Kaskade von lockigen Haaren, mit der Farbe von geschmolzenem Kupfer, fielen auf ihre Schultern. Das Haar der Zofe stand in einem auffälligen Kontrast zu ihren violetten Augen – Lady Elisabeth Huntville war eine Schönheit.

Das blieb allerdings nicht unbemerkt. Nicht nur der Prinz von Wales blickte sie sprachlos an, als wäre sie aus einem Märchen entsprungen, sondern mehrere Herren beeilten sich sofort, hinabzutauchen, um ihr die Haube anreichen zu dürfen. Lady Elisabeth bedankte sich bei dem glücklichen Finder und ihr strahlendes Lächeln versetzte den jungen Gentleman in Ekstase. Sie bedankte sich, aber der junge Mann war nicht in der Lage zu antworten. Mit hochrotem Gesicht stammelte er ein paar unzusammenhängende Sätze, bevor er sich zurückzog und sich dafür verfluchte, dass er die Chance seines Lebens verpasst hatte, sie zum Tanz aufzufordern.

»Das hat sie mit Absicht gemacht!«, zischte die Gräfin von Portsmouth ihrer Nachbarin zu, der Marchioness of Halifax, einer schlanken Dame mit einem scharfen Blick. »Diese Hure will nur ihr rotes Haar zur Schau stellen, denn sie weiß, dass es die Männer vor Begierde verrückt macht. Ich habe meinem Sohn gesagt, er soll sich von ihr fernhalten! Warum sind Männer nur so naiv? Der arme Junge denkt, dass ich nur eine eifersüchtige Mutter bin.«

»Es spielte ja keine Rolle, ob sie eine Hure wäre oder nicht, wenn sie nur eine beträchtliche Mitgift erwarten könnte. Wir haben schon viele verkleidete Huren am Hof gesehen. Erinnerst du dich an Lucy Hays, Percys Schwester? Sie ist die Schlimmste von allen. Jeder weiß, dass sie eine Affäre mit diesem hässlichen Puritaner in London hat – wie kann man sich nur so erniedrigen? Aber was Elisabeth Huntville angeht, abgesehen von ihrem Mangel an gutem Betragen, so hat sie keinen Penny, keine Mitgift, nichts. Ich habe auch meinem James gesagt, er soll sich von besser ihr fernhalten.«

Die Gräfin von Portsmouth verzog das Gesicht. »Dein James schwimmt im Geld, nicht wie mein Sohn. Was spielt es für eine Rolle, ob eine Schwiegertochter noch mehr mitbringt?«

»Geld spielt immer eine Rolle, meine Liebe, vergiss das nie!«

»Wie könnte ich das vergessen? Ich hoffe nur, dass dieser Krieg bald zu Ende ist, wir sind von unseren Ländereien im Norden abgeschnitten, wir sind völlig auf die Almosen des Königs angewiesen.«

Ihre Nachbarin nahm sie am Arm. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe, es sollte bald vorbei sein.«

Zumindest für uns, fügte sie im Geiste hinzu. Zum Glück ist mein Mann klug genug, dafür zu sorgen, dass wir in London mit offenen Armen empfangen werden. Bald wird diese Farce hier ohnehin vorbei sein.

Von all diesen Gedanken war in ihrem Gesicht jedoch nichts zu lesen, denn sie fuhr geschmeidig fort: »Ich bewundere dieses neue Kleid, das du trägst, wo hast du es machen lassen – nicht hier, nehme ich an?«

***

In der Zwischenzeit hatte Lady Elisabeth ihre Locken gebändigt und die Bänder ihrer Haube wieder festgebunden. Sie stellte sich hinter den Stuhl der Königin, die violetten Augen sittsam gesenkt, und gab vor, die bohrenden Blicke und das Getuschel der Umstehenden nicht zu bemerken.

Lady Elisabeth war sehr zufrieden, denn sie hatte den kleinen Trick mit ihrer Haube vor einem Spiegel geprobt, bis jede Bewegung saß und alles völlig natürlich und zufällig aussah. Sie hatte selbstredend gehofft, dass ihr kleiner Auftritt nicht unbemerkt bleiben würde, aber jetzt war deutlich, dass ihre kleine List perfekt funktioniert hatte. Alle Zungen am Hof waren nun in Bewegung, aber sie hatte die wichtigste Regel am Hof verinnerlicht: Schlimmer als Gegenstand von Klatsch und Tratsch zu sein, war das Schicksal, unbemerkt zu bleiben und vergessen zu werden.

Elisabeth war an den Hof gekommen, um erfolgreich zu sein und reich zu heiraten – nicht um vergessen zu werden. Sie bemerkte, dass der junge Earl of Wiltshire auch in ihre Richtung schaute, aber sobald sie zurückblickte – natürlich nur zufällig – wandte er schnell den Kopf ab. Er war jung und gut aussehend, jungenhaft mit seinem blonden Schopf – und doch männlich genug, um sie zum Träumen zu bringen. Aber der Graf hatte noch nie Interesse an ihr gezeigt – ihre Abstammung war wahrscheinlich nicht gut genug für die Wiltshires. Der Graf war reich, gut aussehend und hatte einen Stammbaum, der bis zur normannischen Eroberung zurückreichte. Er konnte es sich leisten, wählerisch zu sein.

Um Mitternacht beschloss die Königin, sich vom Ball zurückzuziehen, und der König begleitete sie ausnahmsweise zu ihren Privatgemächern im Merton College. Die Zeiten, in denen sich die Königin nach Greenwich, in ihren Privatpalast, zurückziehen konnte, waren lange vorbei. Der Zug der kleinen königlichen Prozession bewegte sich den Gang hinunter und die Höflinge machten Platz und verbeugten sich tief wie Schilf im wehenden Wind.

Das Merton College war nie mit der Absicht gebaut worden, die Annehmlichkeiten einer königlichen Residenz zu bieten. Aber die Königin hatte ihren kompletten Hausstand mitsamt Möbeln und Gemälden aus London mitgebracht und ihre Diener hatten bemerkenswerte Arbeit geleistet, um die weitläufigen Gebäude des Colleges in einen Miniaturpalast zu verwandeln. Außerdem hatte der König ihr erlaubt, die angrenzende Kapelle als Ort für katholische Gottesdienste zu nutzen. Seine Entscheidung wurde allgemein mit einem Stirnrunzeln aufgenommen, aber er bestand darauf, die in ihrem Ehevertrag festgelegten Regeln zu respektieren. Wären da nicht die Hiobsbotschaften gewesen, die mit entnervender Regelmäßigkeit aus allen Teilen Englands und Schottlands eintrafen, hätte ihr Aufenthalt in Oxford sehr angenehm sein können.

Der König und die Königin betraten ihren privaten Salon, wo die Königin ihre Hofdamen entließ. Ihre geliebten Zwerge blieben in der Ecke hocken, denn sie wussten, dass sie normalerweise mit der Nachsicht der Königin rechnen konnten, aber heute Abend war alles anders.

»Lasst uns allein, wir werden nach euch läuten, wenn wir euch brauchen, und nehmt die Hunde und den Affen mit, Seine Majestät wünscht Ruhe und Frieden.«

Die Damen knicksten und gehorchten, aber es dauerte eine ganze Weile, bis der letzte knurrende Hund eingefangen und angeleint war, ein widerwilliger Affe hoch oben aus den Vorhängen entfernt und der Käfig mit den laut schreienden Papageien entfernt war. Die Zwerge machten sich einen Spaß daraus, beim Verlassen des Raums übereinander zu purzeln, aber die Königin lächelte sie kaum an; ihre Gedanken waren woanders. Der Lärm steigerte sich und wurde fast unerträglich, denn die Papageien und Hunde machten ihrem Unmut Luft, als sie aus ihrem Paradies vertrieben wurden. Endlich schlossen sich die Türen und der König war allein mit der Königin.

Der König atmete tief durch; die letzten paar Minuten waren sehr anstrengend gewesen.

»Gibt es etwas Bestimmtes, das Ihr besprechen wollt, Ma’am?«, fragte er neugierig. Er wusste, dass es nutzlos war, ihre Vorliebe für die verwöhnten Haustiere zu kritisieren.

Die Königin war nervös. Sie zupfte an den Falten ihres silbernen Kleides. »Ich muss mit dir reden, Karl!«

»Das liegt auf der Hand, Marie …«, er hatte den Namen Henrietta, den sie hasste, schon lange fallen lassen.

»Ich habe gehört, dass du heute gute Nachrichten erhalten hast?« Die Königin vermied es, direkt auf das Thema zu sprechen zu kommen.

»Ich wundere mich immer, wie schnell sich Gerüchte bei Hofe verbreiten, aber das habe ich in der Tat. Der junge Herzog von Hertford, den du vielleicht noch von seinem Aufenthalt in London vor zwei Jahren kennst, wird Frankreich nach Weihnachten verlassen und hat versprochen, sich mir anzuschließen. Er hat mir bereits einen Wechsel geschickt, der auf seine Bankiers in London gezogen ist.«

Er lachte verbittert. »Der König von England, ein armer Schlucker in seinem eigenen Land, angewiesen auf die Almosen seiner Adligen. Aber so kann ich wenigstens meine Pferde über den Winter füttern. Ich muss nur noch einen Weg finden, auch meine Männer zu ernähren.«

»Aber Karl, das sind doch wundervolle Nachrichten! Du wirst sehen, von jetzt an wird alles besser werden, das weiß ich. Der Herr ist mit uns, diese Heiden in London werden vernichtet werden, das ist der Wille des Allmächtigen, das hat mir mein Beichtvater gesagt.«

Der König sah seine Frau mit einem schiefen Lächeln an. »Ich wünschte, ich hätte deinen festen Glauben, meine Liebe. Diese Heiden haben eine Menge Geld und sie stellen fast täglich neue Truppen auf. Ich hingegen, ihr gesalbter König, bin ein Bettler in meinem eigenen Land und verliere täglich Anhänger. Hertford ist eine Ausnahme. Aber wechseln wir das Thema: Warum wolltest du mit mir unter vier Augen sprechen, Marie?«

»Der liebe Gott hat uns wieder gesegnet, Karl.«

»Was meinst du damit, Marie? Ich verstehe das nicht.«

»Ich erwarte ein Kind, Karl!«

Der König schluckte. »Bist du sicher? Ich meine …«

»Das dachte ich auch, ich habe die Symptome auf mein Alter geschoben, aber meine Ärzte sind sich jetzt sicher, dass ich schwanger bin.«

»Wann erwartest du die Geburt, meine Liebe?«

»Im Mai oder Juni, ich hoffe, wir sind bis dahin wieder in London.« Eine einzelne Träne kullerte über ihre Wange. »Bist du wütend auf mich?«

»Wie könnte ich dir böse sein? Ich mache mir nur Sorgen – um dich, um deine Sicherheit, um die Zukunft unseres Kindes, aber das ist meine Natur, ich bin so glücklich, dich an meiner Seite zu haben, ma chérie, ich danke Gott jeden Tag, dass er dich zu meiner Frau gemacht hat.«

»Karl, das ist das schönste Kompliment, das du mir je gemacht hast. Unsere Ehe ist wirklich gesegnet. Ich werde heute Abend für unseren Sieg beten!«

»Geh und bete, Marie, wir können göttliche Hilfe gut gebrauchen, das ist sicher.«

Er gab seiner Frau einen Gute-Nacht-Kuss und verließ das Zimmer. Als er die Tür öffnete, salutierten die Wachen und hoben ihre Waffen. Der König begrüßte sie mit demselben mechanischen Lächeln, das er seit so vielen Jahren eingeübt hatte; er hatte in der Öffentlichkeit fast eine zweite Persönlichkeit angenommen. Niemand sollte merken, dass ihr König gerade gezwungen war, sich einer neuen Herausforderung zu stellen. In seiner Dynastie, die durch drei Söhne und drei Töchter gesichert war, gab es keinen Bedarf für ein neues Maul, das er stopfen musste. Die Königin war weit über dreißig – würde sie die Strapazen einer weiteren Geburt überleben?

Er konnte nur hoffen, dass Marie sich irrte. Er würde heute Abend beten, dass die Königin sich geirrt hatte und doch nicht guter Hoffnung war. Sie musste sich irren, das konnte, es durfte einfach nicht wahr sein!

***

Lady Elisabeth Huntville hatte keine andere Wahl, als dem Beispiel des Königspaares zu folgen und sich zusammen mit der Königin im Gefolge der kleinen Prozession zurückzuziehen, so gerne sie auch den Tänzen beigewohnt hätte, die bis in die frühen Morgenstunden andauern würden!

Ein winziges Zimmer würde auf sie warten, eine Behausung, die sie mit einer weiteren Hofdame der Königin teilen musste. Das Merton College platzte fast aus allen Nähten, denn es galt Hunderte von Offizieren, Höflingen und Bediensteten unterzubringen. Ihre Zimmergenossin, Lady Jane, war ungefähr im gleichen Alter, aber so fade und farblos, wie Elisabeth schön war. Sie waren sich begegnet und es war Abneigung auf den ersten Blick gewesen. Inzwischen herrschte ein kalter Krieg zwischen den beiden Hofdamen. Lady Jane, war die Tochter eines Marquess und führte ihren Stammbaum auf die ersten Barone zurück, die sich vor Jahrhunderten Wilhelm dem Eroberer angeschlossen hatten. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit äußerte sie ihre Verachtung über die Tücken des Schicksals, die sie zwang, ein Zimmer mit der Tochter eines Emporkömmlings aus der abgelegenen irischen Provinz zu teilen.

»Sie kann wahrscheinlich gut mit Pferden umgehen«, hatte Elisabeth sie zu einer anderen Dame sagen hören. »Sie riecht auf jeden Fall wie eines.«

Elisabeth hatte so getan, als habe sie die Beleidigung nicht gehört, aber sie hatte Rache geschworen. Jane würde es bereuen, jemals geboren worden zu sein, dafür würde Elisabeth sorgen. Aber sie konnte warten, die Rache würde süß sein.

Wenigstens konnte Lady Elisabeth darauf hoffen, das Schlafzimmer heut Nacht für sich alleine zu haben, denn Lady Jane war heute Abend aus den Diensten der Königin entlassen worden und nutzte die seltene Gelegenheit eines freien Abends, um unten in der großen Halle ihr Netz nach einem Ehemann auszuwerfen.

Sobald Elisabeths Pflichten als Hofdame erfüllt waren und die Königin ihr die Erlaubnis erteilt hatte, sich zurückzuziehen, machte sich Elisabeth auf den Weg zu ihrem Zimmer. Sie verschloss die Ohren vor den einladenden Klängen der Musik, die durch das Gebäude wehten, und ging durch die dunklen Gänge hoch zum Dachboden, wo sich ihr Schlafzimmer befand. Jetzt im Winter war es eiskalt hier oben.

In diesem Flügel des Gebäudes waren keinerlei Anzeichen mehr von königlichem Luxus zu entdecken. Die langen und schmalen Gänge wurden sporadisch von spärlichen Talglichtern in schmiedeeisernen Halterungen beleuchtet, deren Rauchfahnen den typischen penetranten und unangenehmen Geruch des billigen Schweinetalgs verbreiteten. Elisabeth schauderte, als sie etwas über den Boden huschen sah. Sie wusste nur zu gut, dass die Anzahl der Ratten und Mäuse die Anzahl der Höflinge, die das Gebäude bewohnten, bei Weitem übertrafen.

Das ist keine Ratte, das ist nur ein Schatten, flüsterte sie, sei tapfer.

Sie umklammerte ihren Mantel, ein Geschenk ihrer Tante. Wie stolz ihre Tante gewesen war, Elisabeth ihren alten, mottenzerfressenen Nerzmantel zu schenken!

»Schau mal, ein Geschenk für meine schöne Elisabeth, du wirst einen Pelzmantel für deinen Aufenthalt am Hof brauchen, alle Höflinge werden Zobel, Fuchs und Nerz tragen, das weiß ich noch aus meiner eigenen Zeit am Hof …«

Die Augen ihrer Tante waren feucht vor Rührung gewesen, als sie ihr den Mantel übergab. Elisabeth war versucht gewesen, ihr den schäbigen Mantel ins Gesicht zu schleudern, aber ein warnender Blick ihrer Mutter hatte sie dazu gebracht, ihr Temperament zu zügeln, und sie hatte sich pflichtbewusst bei ihrer Tante bedankt. Später hatte Elisabeths Mutter ihr Bestes getan, um die schäbigen Flecken zu verstecken, und mithilfe eines Schneiders hatte sie das gut gemeinte Geschenk in einen ansehnlichen, pelzgefütterten Mantel verwandelt. Wie sich herausstellte, sollte dies auch Elisabeths einziger Pelzmantel bleiben – ihre Abreise aus Irland war schnell und viel früher als geplant erfolgt.

Ihre Familie mochte zwar adelig sein und durch ihre Mutter gute Verbindungen zum Hof haben, aber sie waren arm wie Kirchenmäuse, was ihren Vater nicht davon abhielt, das wenige Einkommen, das das Gut noch hergab, zu verspielen und zu versaufen. Wenn ihr Vater nicht spielte, trank er. Eines Abends hatte er völlig betrunken an ihre Tür geklopft.

»Meine geliebte Elisabeth, lass deinen Vater herein!«, hatte er gelallt.

Elisabeth hatte sich verwirrt und verängstigt im Bett aufgesetzt. Da sie nicht wagte, sich zu bewegen, hatte ihr Vater die Tür aufgedrückt und – nur mit einem schäbigen Morgenmantel bekleidet – ihr Zimmer betreten. Er stank nach dem selbst gebrauten Schnaps, den er jeden Abend trank und näherte sich schwankend ihrem Bett. »Du musst jetzt nett zu deinem Papa sein, meine Liebe. Papa wird dir etwas Schönes zeigen.«

Elisabeth war wie gelähmt, das konnte nicht wahr sein – das konnte nicht ihr eigener Vater sein, der jetzt unbeholfen versuchte, in ihr Bett zu klettern. Aber er schlang seine Arme um sie und brachte sie fast zum Erbrechen, denn sie hatte keine andere Wahl, als seinen alkoholgeschwängerten Atem einzuatmen. Er wollte ihr gerade einen Kuss auf die Wange drücken, als die Rettung in Form ihrer wütenden Mutter erschien.

Entschlossen griff Lady Huntville nach dem Krug mit kaltem Wasser, der auf Elisabeths Kommode stand und leerte ihn über ihrem schreienden Mann.

»Raus aus diesem Zimmer, du Schwein!«, rief sie und schwang den Tonkrug wie eine Waffe. Ernüchtert flüchtete ihr Vater aus dem Zimmer und ihre Mutter nahm sie in die Arme. Elisabeth wollte weinen, aber sie konnte nicht. Irgendetwas in ihr war zerbrochen und sie wusste, dass es nie wieder heilen würde.

»Ich werde morgen abreisen, Mutter«, sagte sie schließlich.

»Ich sollte dich hierbehalten, Kind, aber ich fürchte, du hast recht. Dein Vater wird es bereuen und sich entschuldigen, aber er ist ein anderer Mensch, wenn er betrunken ist. Ich habe gelernt, damit zu leben, aber es wird jedes Jahr schlimmer. Es ist besser, wenn du gehst. Es mag hart klingen, Elisabeth, aber lass dir das eine Lehre sein. Heirate nie einen armen Mann aus Liebe, so wie ich es getan habe. Sieh zu, dass deine Zukunft besser wird als das Leben, das ich hier führen muss.«

Jetzt war es ihre Mutter, die zu weinen begann und Elisabeth versuchte ungeschickt, sie zu trösten. Sie würde diesen Abend nie vergessen, auch nicht den Rat, den ihre Mutter ihr gegeben hatte, und sie würde ihrem Vater nie verzeihen. Heirate niemals einen armen Mann aus Liebe! Elisabeth hatte sich geschworen, sich an diesen Rat zu halten. Die alte Elisabeth, das junge, romantische und impulsive rothaarige Mädchen, war in dieser Nacht gestorben. Niemals würde sie einem Mann in ihrem Leben trauen. Die Ehe war ein Vertrag und würde ihr Freiheit und Wohlstand bringen, sonst nichts.

Obwohl Elisabeth den schäbigen Mantel anfangs gehasst hatte, war sie am Ende dankbar, ihn zu besitzen. Auch heute Nacht würde er sie im Bett warmhalten. Aber Elisabeth schwor sich, dass sie bald viele Pelzmäntel besitzen würde. Nerz, Zobel, Fuchs – sie würde sie alle haben! Sie würde schaffen, woran ihre schöne Mutter gescheitert war. Niemals würde sie in die Armut einer schäbigen Baronie in Irland zurückkehren, obwohl ihr Vater kurz nach ihrer Abreise gestorben war. Als die Nachricht kam, hatte sie keine Träne vergossen.

Ihre Gedanken gingen zurück zum Maskenball. Wie diese blöde gackernde Henne, die Gräfin von Portsmouth, sie angestarrt hatte. Elisabeth lächelte, als sie sich an den bösartigen Blick erinnerte, den die Gräfin in ihre Richtung geschickt hatte. Als ob ich mich für ihren dummen Sohn interessieren würde – er mag zwar eine Grafschaft erben, aber jeder am Hof weiß, dass er pleite ist. Ich werde einen reichen Ehemann heiraten, ich habe Armut erlebt. Ich werde nie aus Liebe heiraten.

***

In Gedanken versunken, schritt Elisabeth über den gefliesten Boden. Ihre weichen Pantoffeln gaben kein Geräusch von sich, nur ihr Atem und das Rascheln ihres silbernen Kleides hallten durch den verlassenen Korridor. Die eisige Kälte sickerte durch ihre dünnen Ledersohlen und ließ sie frösteln. Wie schön wäre es, schon in ihrem warmen Bett zu liegen und sich in die Decken zu kuscheln. Hoffentlich würde Jane sie nicht aufwecken. Elisabeth hatte morgen früh Dienst und würde früh genug aufstehen müssen, um der Königin zu dienen.

Es gab so gut wie kein Licht, das ihr den Weg weisen konnte, aber Elisabeth machte sich keine Sorgen. Sie hatte gelernt, sich fast mit geschlossenen Augen in den höhlenartigen Gängen und Treppenhäusern zurechtzufinden, die alle gleich aussahen und doch für jeden Neuling völlig verwirrend waren. Sie betete nur, dass ihr keine Ratte über den Weg laufen würde – an die Ratten konnte sie sich einfach nicht gewöhnen. Zumal die Ratten in Oxford riesig, wohlgenährt und ohne jede Scheu waren.

Plötzlich löste sich ein großer Schatten aus der Dunkelheit und sprang direkt auf sie zu. Sie schrie auf, als ein starker Arm sie gegen die kalten Steine drückte und eine behandschuhte Hand ihren Schrei unterdrückte. »Ich bin’s nur, Mortimer, meine Geliebte. Sei still, ich muss mit dir reden!«

»Ich bin nicht deine Geliebte!«, zischte sie zurück. »Sie haben mich fast zu Tode erschreckt, wissen Sie überhaupt, wie man eine Dame mit Respekt behandelt?«

Elisabeth war wütend. Die allgemeine Meinung am Hofe mochte sein, dass Sir Mortimer Clifford mit seiner breiten Brust, seinem durchtrainierten Körper, seinen blauen Augen und seinem rötlichen Haarschopf ein äußerst attraktiver Mann war. Aber alles, was er erben würde, war ein bescheidenes Anwesen an den schottischen Grenzen, und Elisabeth war überzeugt, dass dies noch schlimmer sein musste, als in Irland lebendig begraben zu werden.

»Ich muss mit dir reden!«, beharrte er.

»Hier, im eiskalten Korridor? Eine wirklich großartige Idee, Sir Mortimer!« Ihre Antwort war so eisig wie die Temperatur im Gang.

»Natürlich nicht, dafür habe ich schon gesorgt«, flüsterte er mit einem schelmischen Grinsen. Plötzlich tauchte ein Schlüssel in seiner Hand auf. Schnell öffnete er eine unauffällige Tür hinter sich und bevor Elisabeth merkte, was vor sich ging, oder Zeit hatte, Einspruch zu erheben, wurde sie in ein kleines, von mehreren Kerzen beleuchtetes und von einem gemütlichen Feuer gewärmtes Schlafzimmer gezogen. Sir Mortimer hatte nichts dem Zufall überlassen, er hatte sich sogar die Mühe gemacht, einen Diener zu bestechen, um teure Bienenwachskerzen anzuzünden. Ihr süßer Duft erfüllte den Raum und eine Flasche Wein und zwei Zinnbecher standen schon bereit. Alles war vorbereitet für ein intimes Rendezvous.

Mortimer schloss die Tür, fiel auf die Knie und küsste den Saum ihres schimmernden Kleides. Von seinen Gefühlen mitgerissen, erklärte er: »Elisabeth, du bist meine Göttin, wann wirst du mich erhören? Ich gehöre dir mit Leib und Seele, heirate mich! Ich bin verzweifelt, ich kann ohne dich nicht mehr leben.«

Elisabeth hatte Mühe, ihre Wut zu unterdrücken. Dachte er, sie würde auf diesen plumpen Antrag hereinfallen, wie ein Küchenmädchen?

»Sir Mortimer, stehen Sie sofort auf! Was werden die Leute denken, wenn sie zufällig vorbeikommen?«

Mortimer stand auf, schien aber entschlossen, nicht aufzugeben, während er den Schlüssel im Schloss drehte. »Keine Sorge, meine Liebe, ich habe den Schlüssel.«

Elisabeth sah Mortimer an. Er war das Bild eines gestanden Mannsbildes, aber sie musste an sich halten, um ihn nicht zu ohrfeigen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Gehörte sie in seinen Augen zu der Sorte Frau, die sich in ein Schlafgemach schleppen ließ, um sich dort in die Arme des erstbesten Liebhabers fallen zu lassen?

Beruhige dich!, befahl sie sich selbst. Zumindest hat er mir einen Heiratsantrag gemacht, nicht wie Viscount Rochester, der mich fast vergewaltigt hat. Laut sagte sie: »Sir Mortimer, seien Sie doch vernünftig! Sie wissen doch, dass wir nicht heiraten können, auch wenn Sie heute überzeugt sind, dass Sie sich zu mir hingezogen fühlen. Sie haben kein Geld und ich habe keine Mitgift. Wir müssen beide eine bessere Partie finden.«

»Ich fühle mich nicht nur zu dir hingezogen, Elisabeth, ich liebe dich! Mein Leben wird sinnlos sein, wenn du mich nicht heiratest. Ich habe Prinz Rupert gebeten, mir das Kommando über eine Abteilung in der nächsten Schlacht zu übertragen, und entweder komme ich als Held zurück und der König erkennt meine Hingabe für seine Sache an oder ich werde tot sein. Ich bin bereit, für dich zu sterben!«

Er wollte sie eigentlich beeindrucken, aber Elisabeth war nur verärgert über diesen kindischen Ausbruch. »Mortimer, hören Sie bitte auf, in einer Traumwelt zu leben! Warum sollte sich jemand für einen König aufopfern, der nichts mehr zu bieten hat? Er verspricht einen Titel, vielleicht auch etwas Land, aber welches Land ist noch in den Händen der Krone? Cornwall, Irland, der Norden? Als Hofdame der Königin bin ich häufig anwesend, wenn der König zusammen mit der Königin Besucher empfängt.«

Sie lachte, aber es klang nicht freundlich. »Ich kann Ihnen sagen, dass jeder mit einem Versprechen geht, niemand wird jemals enttäuscht. Ihre Majestäten versprechen den Himmel, wenn es sein muss. Aber … ich habe noch nie jemanden gesehen, der mit einer Schenkungsurkunde oder Geld geht. Ihre Majestäten sind arm wie Kirchenmäuse, das ist die grausame Wahrheit.«

Mortimer sah niedergeschlagen aus, wie ein kleiner Junge, dessen Lieblingsspielzeug ihm gerade weggenommen worden war. Plötzlich kam Elisabeth eine wilde Idee in den Sinn. Geld, ja Geld, das war der Schlüssel zu ihrer Zukunft. Sie schaute Mortimer an, der mit bewundernden Augen zurückschaute.

Er sieht aus wie ein dämliches Mondkalb, dachte sie distanziert, als plötzlich ein kühner Plan in ihrem Kopf Gestalt annahm. Ich habe nichts zu verlieren, dachte sie. Sie änderte ihre Haltung und lächelte ihn an. »Mortimer, ich glaube, ich könnte einen Schluck Wein vertragen, wenn du nichts dagegen hast.«

Mortimer kam in die Wirklichkeit zurück und war beschämt, dass er die Pflichten eines guten Gastgebers vergessen hatte. »Natürlich, Elisabeth, es tut mir leid, dass ich vergessen habe, dir etwas anzubieten, es ist schon alles vorbereitet.«

»Das sehe ich, aber du hast ein bisschen zu viel vorbereitet – und zu früh, Mortimer. Aber setzen wir uns und lass uns reden.«

Mortimer warf einen wehmütigen Blick auf das Bett, aber Elisabeth holte ihn in die Realität zurück. »Wir werden hier sitzen bleiben, aber wer weiß, was später einmal kommt.«

Sie nippte an dem Wein. Er war stark und süß, wahrscheinlich aus Italien oder Spanien importiert. Mortimer hatte an nichts gespart.

»Mortimer, wenn du mich wirklich liebst, musst du mir deine Hingabe beweisen. Wie könnte ich dir jemals vertrauen. Bisher habe ich nur leere Worte, dass du mich liebst.«

»Elisabeth, ich bin bereit, jederzeit für dich zu sterben!«, wieder fiel er auf die Knie – eine lästige Angewohnheit, wie Elisabeth feststellte.

»Mortimer, bitte behalte einen kühlen Kopf. Wenn du mich jemals heiraten willst, werden wir Geld brauchen. Aber wir sind beide arm. Der König kann nicht helfen, er hat auch keinen Pfennig. Seine Majestät hatte erst letzte Woche einen großen Streit mit der Königin, weil sie mehrere neue Kleider bestellt hatte. Deshalb überlegt sie insgeheim, die letzten Stücke aus ihrer Schmuckschatulle zu verkaufen – und das nicht zum ersten Mal.«

»Elisabeth, das ist Verrat an der Königin!« Mortimer wurde rot, er war schockiert.

»Ist es Verrat, die Wahrheit zu sagen? Aber die Königin interessiert uns jetzt nicht. Lass uns über uns reden.« Elisabeth nahm einen Becher, reichte ihn Mortimer und sah ihm tief in die Augen. »Auf deine Gesundheit, Mortimer, und auf eine gute Zukunft!«

Mortimers Augen wurden glasig. Die Dinge entwickelten sich plötzlich, so wie er es sich in seinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte.

»Auf dich, meine wunderschöne Prinzessin!«, antwortete er und leerte seinen Becher. Elisabeth nahm nur einen kleinen Schluck, füllte aber Mortimers Becher erneut bis zum Rand.

»Du hast einen Onkel in London, der im Geld schwimmt, wie ich gehört habe.«

»Ja, Onkel Percy!« Mortimer hätte das Wort fast ausgespuckt. »Dieser Verräter, möge der Teufel seine Seele rösten.«

»Ja, Percy, der Earl of Northumberland. Eine schockierende Familie, das gebe ich zu. Aber er hat etwas, was wir nicht haben – er hat gute Verbindungen und Geld, jede Menge davon … und er würde dir vertrauen … wenn du ihm ab und zu eine Nachricht überbringen würdest.«

Mortimer sah sie völlig verständnislos an, sein hübsches, aber nicht sehr kluges Gesicht war von der Wärme des Raumes, der Aufregung und dem Wein gerötet. »Was meinst du, mein Schatz? Du kannst doch nicht ernsthaft vorschlagen, dass ich mit meinem Onkel reden soll. Das hieße, mit einem Verräter zu reden? Er steckt mit den Roundheads unter einer Decke. Der König würde mich hinrichten lassen – und das zu Recht!«

»Mortimer, der König kann dich nicht hinrichten lassen, nur weil du mit deinem Onkel gesprochen hast. Lass es nicht so dramatisch klingen. Es wird ihm nicht gefallen, aber Northumberland ist schließlich das Oberhaupt deiner Familie, das muss auch der König akzeptieren.«

Mortimer war außer sich vor Empörung. »Ich werde meinen König niemals verraten!«

Ich muss meine Strategie ändern, ich muss vorsichtig sein, dachte Elisabeth, als sie in seine vor Empörung brennenden Augen blickte. Mortimer ist so naiv, dass es wehtut, das wird ein hartes Stück Arbeit werden.

»Vergiss nicht, dass du einer stolzen Familie entstammst, Mortimer. Die Familie Percy hat mehr königliches Blut in ihren Adern als alle Stuarts zusammen. Du schuldest deiner Familie genauso viel Loyalität wie dem König.«

»Jetzt klingst du wie meine Mutter, sie war immer stolz darauf, in die Familie Percy einzuheiraten.«

»Deine Mutter hat recht, du hast allen Grund, stolz auf dein Erbe zu sein. Meine Mutter akzeptiert nur einen Ehemann aus einem edlen Haus, aber was könnte edler sein als ein Mitglied der Familie Percy …«

Mortimer war immer noch misstrauisch, aber sie konnte sehen, wie er langsam den Köder schluckte. Elisabeth stand auf und ging zu einem kleinen Bild, das an der Wand hing. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Abgelenkt fragte sie sich, warum dieses Bild überhaupt hier hing, denn es war selten hässlich und zeigte einen dicklichen Herrn, der auf seinem stämmigen Pferd hockte. Weder der Mann noch das Pferd waren dem Zeichner gelungen.

Wie es sich für einen Gentleman gehört, stand Mortimer ebenfalls auf. Sein Gesichtsausdruck war immer noch bockig, er erinnerte Elisabeth an ein schmollendes Kind. Elisabeth tat so, als würde sie das Bild genau studieren, um mehr Zeit zu gewinnen, aber so sehr sie auch versuchte, verschiedene Strategien zu finden, es schien nur noch einen Weg zu geben, Mortimer umzustimmen. Sie atmete tief durch, sie hatte keine andere Wahl.

Langsam ging sie zu ihm zurück und lächelte ihn an und ihre violetten Augen strahlten. »Es ist recht warm hier drinnen, wie rücksichtsvoll von dir, ein Feuer anmachen zu lassen«, sagte sie mit heiserer Stimme.

Fasziniert beobachtete Mortimer, wie sie die Schnüre ihres Mantels und ihrer Haube lockerte.

»Wäre es nicht die Pflicht eines Gentleman, mir zu helfen?«

Mortimer schluckte schwer und beeilte sich, ihrer Einladung zu folgen. Seine starken Hände zitterten, als er ihren Mantel auf den Stuhl fallen ließ. Sobald ihr schimmerndes Haar auf die Schultern fiel, hörte sie ihn stöhnen, ein Geräusch, das sie an ein verwundetes Tier erinnerte. Elisabeth hatte darauf geachtet, gleichzeitig die Schnüre ihres Mieders zu lockern, in dem Bewusstsein, dass Mortimer dann den Ansatz ihrer Brüste sehen konnte.

»Elisabeth«,, stammelte er, während sein Herz wie eine Trommel schlug. »Mach mich zum glücklichsten Mann auf Erden, heirate mich, heute Nacht!«

»Mortimer, du hast alle Eigenschaften, die sich eine Frau von einem Ehemann wünschen kann, aber wir dürfen nicht. Vergiss nicht, dass wir kein Geld haben, um uns ein Haus für die Liebe zu bauen. Da ich keine Mitgift zu bieten habe, werden wir immer wieder auf das gleiche Hindernis für unsere Liebe stoßen. Wenn du deinen Onkel doch nur überzeugen könntest, uns mit etwas Geld auszuhelfen, wäre unsere Situation eine ganz andere …«

Sie nahm den Becher und nippte an dem Wein, wobei sie darauf achtete, dass ein Tropfen des Weins auf ihren feuchten Lippen glitzerte. Dann beugte sie sich über den Tisch, um Mortimers Becher erneut zu füllen, und sorgte dafür, dass er noch mehr von ihrem Dekolleté sehen konnte.

Mortimer beobachtete ihre pulsierende Brust wie ein gebanntes Kaninchen, seine Hände wanderten nach oben, um seinen Kragen zu lockern, er hatte den Eindruck, dass er dem Delirium nahe war – noch nie in seinem Leben war er so erregt gewesen.

»Lass mich dir helfen …« Kühle Hände lockerten sanft seinen Kragen. »Es ist wirklich furchtbar heiß hier drin«, fügte sie hinzu, während sie die Schnüre seines Hemdes öffnete und ihre weiche Hand zu seiner Brust hinunterglitt.

»Elisabeth, ich will dich, jetzt, hör bitte nicht auf«, stöhnte er.

»Mortimer, ich bin keine billige Tavernenmagd. Wenn du mich begehrst, musst du mich erst heiraten.«

»Natürlich will ich dich heiraten! Lass mich einen Pfarrer finden, der uns morgen traut, ich habe genug Geld, um eine Lizenz zu bezahlen!«

»Ehen werden im Himmel geschlossen, aber sie müssen auf der Erde halten. Geh und rede mit deinem Onkel – und unser Traum kann wahr werden.«

»Was soll ich denn zu ihm sagen?« Er lachte, aber es klang bitter. »’Hallo Onkel Percy, erinnerst du dich an deinen Neffen Mortimer, einen deiner fünfzig Neffen in England? Ich brauche ein Stück Land und etwas Geld.’ Ich habe seit mindestens drei Jahren nicht mehr mit Onkel Northumberland gesprochen.«

Er hatte versucht, zynisch zu klingen, aber es gelang ihm nicht. Mortimer klang kindisch und durch und durch unglücklich.

»Natürlich nicht, Mortimer, überlege dir einen Dienst, den du ihm erweisen kannst, einen Dienst, der dich in seinen Augen wertvoll und wichtig macht. Dein Onkel wird dich nur belohnen, wenn er etwas dafür bekommt, denn jeder am Hof weiß, dass er ein harter Hund ist …«

Ihre Hand wanderte nach unten und streichelte das weiche Haar an seinen Bauchnabel. Sie konnte spüren, wie sich die Muskeln seines flachen Bauches unter ihrer Berührung zusammenzogen. Mortimer konnte sich kaum noch beherrschen.

»Schließ deine Augen!«, befahl sie leise, während sie ihre Hand zurückzog. Mortimer stöhnte vor Frustration, aber er gehorchte. Er spürte ihr seidiges Haar, ihre Lippen strichen sanft über seine Lippen und streichelten seine Wange, während ihre Hände mit den Haaren auf seiner Brust spielten.

»Ich liebe dich, Elisabeth, ich kann ohne dich nicht leben!«, stöhnte er.

Elisabeth zog ihre Hände langsam zurück und er hörte sie flüstern, während ihre weichen Lippen sein Ohr kitzelten.

»Wenn du mich liebst, reite nach London und triff deinen Onkel. Er brennt sicher vor Neugierde und möchte wissen, was hier am Hof in Oxford vor sich geht. Ich kann dir helfen, Informationen zu bekommen. Der König spricht oft mit der Königin, sie ist eine seiner wichtigsten Beraterinnen. Er vertraut ihr sogar mehr als seinen Ministern. Wissen ist Geld, unser Geld, unsere Zukunft.«

»Aber das ist Verrat!«, stammelte er und riss erschrocken die Augen auf. »Das kannst du nicht ernst meinen, Elisabeth, das ist gegen das Gesetz, ich meine, das ist Verrat der schäbigsten Art!«

»Bist du ein Percy oder ein Stuart? Glaubst du nicht, dass du der Größe deiner eigenen Familie Treue schuldest und nicht irgendwelchen schottischen Emporkömmlingen? Ziehst du es vor, einem König zu dienen, der von einer ausländischen Frau regiert wird, die nicht einmal gelernt hat, korrektes Englisch zu sprechen? Wenn das der Fall ist, dann lass uns jetzt Lebewohl sagen, Mortimer. Du hast mir soeben bewiesen, dass deine Hingabe nur schöne Worte sind. Du bist deiner Familie nicht genug verpflichtet, geschweige denn, dass du wie ein echter Ritter für unsere Liebe kämpfen willst. Der König ist dir wichtiger als ich. Geh und such dir eine Stubenmagd, vielleicht ist sie bereit, meinen Platz einzunehmen.«

Elisabeths Stimme war nun kalt und strotzte vor Verachtung. Sie nahm ihren Mantel und schickte sich an, den Raum zu verlassen.

Niedergeschlagen sah er ihr in die Augen, verletzt und leidend wie ein verwundetes Tier. Elisabeth setzte ihre Haube auf und drehte sich um, um den Raum zu verlassen. Er konnte den Duft ihres Parfüms riechen, den Duft ihrer Haut, er spürte noch immer die Liebkosung ihrer Lippen auf seiner Haut. Er stellte sich vor, wie diese Lippen zu seiner Brust, zu seinem Bauchnabel wandern und ihn vor Verlangen verrückt machen würden.

»Elisabeth, bleib, ich werde alles tun, was du von mir verlangst!«, rief er verzweifelt aus und fiel auf die Knie, mit Tränen in den Augen.

Wie melodramatisch, dachte Elisabeth und fühlte sich seltsam distanziert. Ich muss seine Leidenschaft am Brennen halten, aber ich weiß nicht, ob ich diese Komödie sehr lange ertragen kann. Er ist so ein Einfaltspinsel.

Nichts von diesen verräterischen Gedanken war in ihrem einladenden Lächeln zu lesen, als Elisabeth sich umdrehte. »Küss mich jetzt, Mortimer – und bitte deinen Kommandanten um Erlaubnis, noch diese Woche nach London zu reisen. Du kannst deinem Onkel sagen, dass die Königin wieder schwanger ist. Aber denk daran – wir brauchen Geld. Wenn er mehr Informationen will, muss er zahlen. Lass ihn teuer für unsere Zukunft bezahlen, in Silber, nicht in Versprechungen. Fünfzig Pfund, nicht weniger.«

Mortimer nickte ergeben und küsste sie, leidenschaftlich und unersättlich.

Der Herzog und der Wahrsager von London

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