Читать книгу Der Herzog und der Wahrsager von London - Michael Stolle - Страница 9

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Die Reise nach England

Die traditionellen zwölf Tage der Weihnachtsfeierlichkeiten neigten sich dem Ende zu. François de Toucy konnte sich nur dazu beglückwünschen, dass er darauf bestanden hatte, sein Stadthaus in Paris zu verlassen und seine Familie, allerdings unter dem heulenden Protest seiner Schwestern, zurück auf das Familiengut in der Picardie in Nordfrankreich zu bringen. Hier im Norden hatten sie ein friedliches Weihnachtsfest fernab vom Trubel des königlichen Hofes und seiner nicht enden wollenden Festivitäten und Intrigen verbracht.

Wenn er doch nur für ewig hierbleiben könnte!

Die neuesten Nachrichten aus England waren ermutigend. Der König von England hatte eine überraschende Übereinkunft mit den rebellischen Iren ausgehandelt, die es ihm erlaubte, kostbare Truppen von dieser nebligen Insel abzuziehen, um seine verbliebenen Stellungen im Norden Englands auszubauen und zu sichern.

»Ausgezeichnete Nachrichten, Julia!«, rief er und las den letzten Brief, den Charles aus Paris geschickt hatte. »Es besteht die Chance, dass König Karl durchhält. Wenn wir Glück haben, muss ich doch nicht nach England gehen.«

»Das sind wirklich gute Nachrichten!« Julia lächelte ihn an. François’ Herz schlug schneller, wenn er seine Frau ansah. Julias Schwangerschaft ließ sie noch strahlender aussehen, wenn das überhaupt möglich war.

Im Norden Frankreichs war das Wetter im Januar kalt und unangenehm. Auch dieses Jahr machte da keine Ausnahme. Hier in der Picardie, mit ihren endlosen hügeligen Feldern und dem tief hängenden Himmel, war die Kälte nicht wie in den Bergen trocken und angenehm, sondern nass und feucht. Nicht einmal die dicksten Mäntel aus Filz konnten der Feuchtigkeit lange standhalten. Jeden Morgen überzogen Eis und Raureif die Felder und Straßen mit einer Schicht wie aus dickem Puderzucker.

So oft wie möglich drängten sich die Familie, aber auch das Gesinde um die Kamine, wo schwere Holzscheite und glühende Kohlen Tag und Nacht brannten. Geschichten und Märchen, von Generation zu Generation weitergegeben, wurden dann erzählt. Dazu wurden Tonkrüge mit Apfelwein oder Branntwein herumgereicht. Von Zeit zu Zeit holte die Köchin sogar Esskastanien aus dem eisernen Vorrat ihrer Speisekammer. Diese wurden in einer Eisenpfanne mit langem Stiel auf dem offenen Feuer geröstet und ihr köstlicher Duft erfüllte dann das Haus.

Die Dunkelheit brach hier im Norden schon früh herein und dauerte im Winter viele Stunden. Kein Wunder, dass sich alle nach den ersten Sonnenstrahlen sehnten. Egal, ob es schneite oder regnete, ein bleierner Himmel schwebte ständig über ihnen. Insbesondere Julia vermisste das Licht und die Fröhlichkeit ihrer Heimat Italien, aber sie klagte nicht, denn solange François da war, hielt seine Liebe sie warm.

Es war bereits Mitte Februar, als ein Bote aus der Hauptstadt eintraf, die Mütze und Mantel steif von gefrorenem Schnee. Er überbrachte zwei Briefe aus Paris, aber dieses Mal waren die Nachrichten weniger gut. Die königlichen Truppen in England hatten bei Nantwich eine vernichtende Niederlage erlitten, da eine plötzliche Flutwelle die königliche Armee getrennt und zur leichten Beute für den Gegner gemacht hatte. Ein sicher geglaubter Sieg hatte sich in eine bittere Niederlage verwandelt. Die Roundheads verkündeten danach lautstark, dass der Allmächtige ihnen zur Hilfe geeilt war und das gemeine Volk, das stets auf ein göttliches Wunder hoffte, war nur allzu gerne bereit, ihnen Glauben zu schenken.

Als unmittelbare Folge war König Karl gezwungen, große Gebiete im Norden Englands an den Feind abzutreten. Die Lage ließ sich nicht beschönigen, die Position des Königs war auf einen Schlag prekär geworden.

»Du siehst besorgt aus«, stellte Julia fest. »Ich brauche keine Kristallkugel, um zu sehen, dass du schlechte Nachrichten erhalten hast. Es geht um England, stimmt’s?«

»Ja, mein Schatz, Kardinal Mazarin ist um die Sicherheit von Königin Henrietta Maria besorgt. Er ist der Meinung, dass ich so schnell wie möglich nach England aufbrechen muss, da König Karl eine wichtige Schlacht verloren hat. Pierre und Armand werden auch in vierzehn Tagen abreisen. Es sicher eine gute Idee, dass ich mich ihnen anschließe. Cousin Charles kann mir dort helfen, da er gute Beziehungen zu beiden Lagern unterhält. Frag nicht, wie er das macht, aber hinter der Fassade eines jovialen Gentleman steckt ein sehr cleverer Diplomat.«

»Klingt, als wäre er ein Italiener, nicht Engländer«, kommentierte Julia und lächelte ihn an. »Ich lasse dich nur ungern gehen, mein Liebster, aber ich habe versprochen, eine brave Ehefrau zu sein, und ich werde mich sehr bemühen, mein Versprechen zu halten.«

François umarmte sie fest; er wagte nicht zu sprechen, da er Angst hatte, dass seine Stimme brechen könnte. Doch da er dem Kardinal sein Wort gegeben hatte, hatte er keine andere Wahl. Es war eine Frage der Ehre.

Die Tage vergingen nun sehr schnell. Obwohl François eitel war, hatte er begriffen, dass nur die Verkleidung als französischer Hugenotte ihn davor bewahren konnte, am nächsten englischen Galgen zu enden, falls er jemals von den Roundheads erwischt werden sollte. Die Wahl der Kleidung war die einfachste Aufgabe – auch wenn sie einem Akt der Verleugnung und völligen Selbstaufopferung gleichkam.

»Ich sehe furchtbar aus«, seufzte er, als er sein Bild im polierten Spiegel betrachtete. »Warum tragen die Hugenotten eigentlich immer diese seltsamen Hüte, die aussehen wie ein Kochtopf – nicht einmal eine schöne Feder ist erlaubt. Und von diesen schrecklichen Klamotten ganz zu schweigen, ich habe noch nie in meinem Leben Kniehosen getragen, die dermaßen gejuckt haben.«

Julia sah ihren Mann kritisch an, aber nicht einmal der einfache Schnitt und die raue Wolle seiner dunklen Kleidung konnten seine breiten Schultern und sein stattliches Aussehen verbergen.

»Hör auf, dich zu beschweren, du siehst überhaupt noch nicht aus wie ein Hugenotte!«

»Wie sehe ich denn aus?«

»Wie ein verkleideter Pfau«, warf François’ Mutter ein. Sie war gerade ins Zimmer gekommen und hatte das Gespräch gehört.

»Ich werde dir jetzt die Haare schneiden – und bitte keine Beschwerden. Bitte lerne auch, bescheiden auszusehen, wenn du überhaupt weißt, was dieses Wort bedeutet …«

»Wer braucht schon Feinde bei so einer Mutter?« François seufzte tief und litt schweigend, als die Schere gnadenlos ein Massaker in seinen blonden Locken anrichtete.

»Jetzt geh dich rasieren und ich bin mir sicher, dass dich niemand mehr erkennen wird«, sprach seine Mutter mit Genugtuung in ihrer Stimme.

»Ich mich auch nicht«, brummte François, als er – ganz der pflichtbewusste Sohn – die Treppe hinaufging, um seinen Kammerdiener zu beauftragen, seinen stolzen Schnurrbart zu entfernen.

***

Eine Woche später verließ François de Toucy sein Haus, nur begleitet von seinem treuen Stallknecht Michel. Michel war nie ein großer Redner und so zog er es vor zu schweigen, denn ein kurzer Blick in die Richtung seines Herrn verriet ihm, dass François besorgt aussah. Kein Wunder – es war keine leichte Entscheidung gewesen, seine junge, schwangere Frau und sein sicheres Zuhause zu verlassen.

Die Reise verlief jedoch reibungslos und weder ein Schneesturm noch starker Regen machten die Straßen zur Hauptstadt unpassierbar. Nur drei Tage später tauchte die vertraute Silhouette von Paris mit ihren Türmen und Stadtmauern am Horizont auf. Sobald sie die Stadttore passiert hatten, lenkte François sein Pferd sofort in Richtung seines Stadthauses, nur um von seiner eigenen Wache abgewiesen zu werden.

»Mach lieber die Augen auf, du Einfaltspinsel, und lass unseren Herrn in sein eigenes Haus!«, mischte sich Michel grob ein.

Das Gesicht des Wächters färbte sich purpurrot, als er Michel erkannte, und er beeilte sich, das Tor zu öffnen, wobei er sich immer wieder entschuldigte.

François lachte nur. »Meine Verkleidung scheint überzeugend genug zu sein. Ich bin gespannt, wie Charles und unsere Freunde reagieren, wenn sie mich sehen.«

Diese Frage sollte schnell beantwortet werden. Als François de Toucy von seinem Haushofmeister begrüßt wurde, erfuhr er, dass bereits eine Nachricht des Marquis de Beauvoir auf ihn wartete. François konnte nur über die bemerkenswerte Selbstbeherrschung seines Hausmeisters staunen. Keine Miene verriet sein Entsetzen, als er seinen Herrn in einer Verkleidung vor sich stehen sah, die für einen Herrn, der für seine Eleganz am königlichen Hof bekannt war, ebenso überraschend wie unpassend war.

»Wie gefällt dir mein neues Gewand? Sehe ich nicht ausnehmend elegant aus?«, forderte François seinen Haushofmeister heraus.

Nur ein leichtes Hochziehen der Augenbrauen verriet die wahren Gefühle seines Dieners. »Ich finde, Monsieur hat schon einmal eleganter ausgesehen … aber ich bin sicher, dass Monsieur gute Gründe hat, die Kleidung eines … ähm … Hugenotten zu tragen.«

»Da hast du recht. Es war ein großes, Opfer, aber hélàs, manchmal muss man Opfer bringen.«

François musterte sein Spiegelbild in dem venezianischen Spiegel. Ein fremder Mann schaute ihn an, die Verwandlung war perfekt geglückt.

»Werden sich Monsieur zumindest für die Einladung heute Abend im Hôtel Beauvoir umziehen?«

»Natürlich nicht, das würde den Spaß verderben. Ich werde mich nur frisch machen, den Staub aus diesen kratzigen Hosen schütteln und ein frisches Hemd anziehen, und denk nicht einmal daran, für heute Abend einen Spitzenkragen vorzubereiten! Ach ja, auch diesen abstrus hässlichen Hut behalte ich, er scheint mir irgendwie ans Herz gewachsen zu sein.«

Nur ein kurzes Zucken, wie ein flüchtiger Schmerz, war auf dem Gesicht seines pflichtbewussten Dieners zu sehen – aber es war im Nu wieder verschwunden. Der Haushofmeister verbeugte sich ehrfürchtig und antwortete mit aller Würde, die er aufbringen konnte: »Der Wunsch von Monsieur ist mir wie immer ein Befehl. Darf ich vorschlagen, zumindest die Stiefel zu wechseln?«

François betrachtete kritisch seine schlammbedeckten Stiefel. »Das darfst du in der Tat, sie sind total verdreckt. Übrigens, ich sehe zwar aus wie ein Hugenotte, aber das bedeutet nicht, dass ich ein Leben in Genügsamkeit führen werde, wie wäre es mit etwas Wein und einem anständigen Mittagessen?«

»Das Mittagessen wird in zehn Minuten serviert, Monsieur, Sie werden alles so vorfinden, wie Sie es wünschen!«

»Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann!« François schenkte ihm ein dankbares Lächeln und verschwand nach oben, um sich ein frisches Hemd anzuziehen.

***

François achtete heute Abend darauf, ausnahmsweise als letzter Gast im Hôtel Beauvoir, dem Pariser Stadtpalais des Marquis de Beauvoir, zu erscheinen. Er wusste aus Erfahrung, dass Armand immer zu spät kam, anders als Charles, der eher zu früh kam, da er immer hungrig war. So traf François fast eine Stunde zu spät ein, was für ihn höchst ungewöhnlich war.

Als François endlich die Schwelle überschritt und den großen Speisesaal betrat, sprang Pierre de Beauvoir auf und rief: »Du untreuer Hund! Wir dachten schon, du hättest unsere Einladung vergessen …«, dann hielt er inne, als er François’ Erscheinung in sich aufnahm und stieß nur noch ein gestammeltes »Oh mein Gott!«, aus, bevor er sprachlos auf seinen Stuhl sank.

»Ich grüße meine geliebten Brüder in Christus!«, antwortete François gemessenen Tones und ging langsam in die Mitte des Raumes, die Haltung demütig und die Hände zum Gebet gefaltet.

»Der Herr sei gepriesen und möge euch segnen.«

»Amen«, antwortete Charles mit einem breiten Grinsen und erhob sich von seinem Stuhl. »François, ich gratuliere dir, diese Verkleidung ist perfekt. Ich habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich dich nach London schmuggeln kann, aber deine Idee ist genial, die Roundheads werden dich sofort als einen der ihren willkommen heißen.«

Armand sprang auf. »Du hast mich wirklich erschüttert, François, tu so etwas nie wieder! Eine Sekunde lang dachte ich, ich wäre wieder in Reims, in der Klosterschule. Du hast keine Ahnung, was für schreckliche Erinnerungen du da weckst!«

Pierre grinste. »Hör auf zu jammern! Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass du regelmäßig Nächte außerhalb der Schule verbracht und deinen Schlaf während des Unterrichts nachgeholt hast, also können die Erinnerungen nicht alle so schlimm sein …«

»Können wir jetzt mit dem Essen anfangen, ich bin am Verhungern«, flehte Charles.

»Das überrascht mich nicht«, antwortete Pierre und läutete die Glocke. »Fangen wir an, meine Freunde, es sei denn, mein hugenottischer Besucher bevorzugt eine frugale Mahlzeit, nur mit Brot und Wasser.«

»Ich war vor einigen Jahren in La Rochelle und fand, dass das Essen dort ausgezeichnet war, Hugenotten hin oder her. Was mich allerdings gestört hat, waren die schier endlosen Gebete, bevor wir anfangen durften, ich bin fast verhungert.«

François griff nach einem Glas Wein. »Lasst uns auf unser neues Abenteuer in England anstoßen!«

Das Essen begann mit einer delikaten Reh-Consommé, begleitet von einem Wein aus Pierres eigenem Weingut.

»Das muss man euch Franzosen lassen, euer Wein ist einfach besser als unser Bier«, sprach Charles und machte ein Zeichen, sein Glas wieder aufzufüllen.

»Nun, bald geht es ja ins gelobte England. Wie reisen wir dahin?«, fragte François, nachdem er sich reichlich von der Entenpastete bedient hatte. »Ich nehme an, du hast schon alles geplant? Hast du ein Schiff gefunden, das den Kanal überqueren kann und nicht sofort untergeht, wenn der erste Wintersturm über uns hereinbricht?«

»Die Beatrice wartet in Calais auf uns«, antwortete Pierre.

»Die Beatrice?«

»Vergiss nicht, dass unser kleiner Pierre eine bedeutende Persönlichkeit ist, ein englischer Herzog, und deshalb nutzt seine Gnaden den Komfort seiner eigenen Privatjacht. Glücklicherweise hat sich seine Gnaden herabgelassen, uns einen winzigen Platz auf seinem Schiff anzubieten. Es empfiehlt sich daher, nett zu Pierre zu sein.«

Er zwinkerte seinem Freund zu, der den Spott gleichmütig ertrug.

»Ich hoffe nur, dass ich nicht für die Reise bezahlen muss. Ich nehme an, es ist ein offenes Geheimnis, dass ich total pleite bin – mal wieder«, fügte Armand danach hinzu.

Sein Geständnis hatte ihm offensichtlich nicht den Appetit verdorben, denn während er sprach, vertilgte er ein saftiges Stück gebratenes Spanferkel.

Pierre gab seinem Freund einen Tritt. »Seine Gnaden ist in Versuchung, dich in Paris zurückzulassen. Ich frage mich, wie du es schaffst, immer pleite zu sein, egal, wie viel Geld du zur Verfügung hast. Deine Mätresse muss die teuerste von ganz Paris sein.«

»Ich mag Qualität – wen kümmert schon der Preis«, antwortete Armand schlicht.

»Erinnerst du dich an unsere letzte Reise mit der Beatrice?«, wechselte Pierre das Thema.

»Natürlich erinnere ich mich. Richelieu hätte uns fast vor Calais im Kanal versenkt. Das war ein echtes Abenteuer!« Armand schwelgte in der Erinnerung. »Und unser Pierre war als Mädchen verkleidet. Schade, dass dieses Bild nicht für die Nachwelt erhalten geblieben ist. Es wäre eine nette Abwechslung für deine deprimierende Ahnengalerie.«

Pierre musste lachen. »Ich kann dir nur zustimmen, so ein Bild könnte meine Ahnengalerie etwas aufmöbeln. Meine Güte, was für einen Haufen miesepetriger Vorfahren ich habe.«

»Da bist du nicht der Einzige«, fügte Armand hinzu. »Besuche die Galerie meiner Ahnen bitte nie in der Dämmerung, du wirst danach nicht mehr schlafen können.«

»Wir haben eigentlich über England gesprochen …«, unterbrach François seine Freunde sanft.

»Charles ist für die Planung von allem zuständig, man kann sich niemanden vorstellen, der englischer ist als Charles, oder?«, sagte Pierre.

Charles hielt seine Gabel mitten in der Bewegung an und betrachtete sie misstrauisch. »Ich weiß nicht, ob diese französischen Gabeln eine gute Erfindung sind oder nicht. In England sind wir es gewohnt, mit einem Dolch und unseren Händen zu essen – man kann dann sein Essen wirklich anfassen, irgendwie fühlt sich das besser an.«

»Ihr seid Barbaren in England, Gabeln sind viel eleganter. Aber wir haben über England gesprochen, verrate uns bitte deine Pläne«, ermutigte Armand seinen Freund.

Charles seufzte. Er hasste es, unterbrochen zu werden, während er sein Essen genoss.

»Nach unserer Ankunft in Dover schlage ich vor, dass wir uns trennen. Wenn wir zusammenbleiben, fallen wir zu sehr auf. Ich werde in London erwartet und schlage daher vor, dass ich zusammen mit François zuerst dorthin reise. Pierre und Armand müssen währenddessen nach Oxford reiten. Die Herausforderung wird sein, Oxford zu erreichen, ohne in die Hände der Roundheads zu fallen. Später treffen wir uns alle in Oxford am Hof. François kann dort mit der Königin sprechen und versuchen, sie zu überzeugen, England zu verlassen. Aber auf keinen Fall darf sein Plan vorher bekannt werden! Sonst ist François ein toter Mann und die Königin ist verloren. Viele Engländer hassen sie aus tiefstem Herzen, leider.«

Erschöpft von seiner langen Rede schnappte er sich eine Perlhuhnkeule und knabberte genussvoll daran. »Köstlich, ich glaube, dein Koch muss sie vorher leicht geräuchert haben, einfach göttlich.«

François probierte den saftigen Bissen, den Charles großzügig anbot und stimmte zu. »Ja, es ist wirklich köstlich. Aber du schweifst ab: unsere Pläne scheinen also festzustehen. Vorsichtig gesagt, es sieht nicht nach einer reibungslosen Reise aus.«

»In England läuft heutzutage nichts mehr reibungslos, das kannst du mir gerne glauben«, antwortete Charles und schnappte sich eine zweite Keule.

»Das ist mir klar, ich kann nur hoffen, dass die Königin bereit ist, auf die Stimme der Vernunft zu hören«, sagte François und runzelte die Stirn.

»Nun, mein Junge, ich gehe jede Wette ein, dass sie gerade das nicht tun wird. Ich habe noch nie eine so sture Frau wie sie getroffen«, antwortete Charles und griff nach seinem Glas Wein. »Aber es hat keinen Sinn, sich deshalb verrückt zu mache, ein Prost auf Ihre Majestät!«

***

»Lasst uns Karten spielen!«, schlug Pierre vor. »Es scheint nicht viel anderes zu geben, was wir tun können.«

Die Beatrice rollte auf dem stürmischen Wintermeer, ihre Holzplanken knarrten und stöhnten unter dem Ansturm des Windes und dem wütenden Hämmern der Wellen. Sie war ein solides Schiff und Pierre machte sich keine allzu großen Sorgen, aber es war schwierig, in der kleinen, stickigen und schlecht beleuchteten Kabine bei guter Laune zu bleiben. Vier Laternen verbreiteten ihr spärliches Licht und flackerten im Rhythmus der rollenden Wellen.

Sie hatten kaum den Hafen von Calais verlassen, als schon ein Wintersturm ihr Schiff erfasste. Charles und Armand waren deshalb schon früh aus der Kabine geflohen, beide grün im Gesicht verzweifelt auf der Suche nach einem Eimer. Nur François war als Begleiter übrig geblieben.

»Ja, lass uns Karten spielen, das wird uns die Zeit vertreiben. Ich schätze, es wird noch ein paar Stunden dauern, bis wir Dover erreichen. Der Kapitän hat mir gesagt, dass die Überfahrt trotz des Sturms schnell gehen wird. Der starke Wind hilft uns sogar.«

»Was sind deine Pläne nach der Ankunft in Dover?«

»Charles sagte mir, dass er dafür gesorgt hat, dass Pferde und bewaffnete Wachen im Hafen auf uns warten. Der Gouverneur von Dover ist ein entfernter Cousin von ihm, da dürfte es also keine größeren Probleme geben. Aber da Dover sich den Roundheads angeschlossen hat, muss ich als hugenottischer Kaufmann verkleidet bleiben, als einer von Charles’ zahlreichen Freunden und Bekannten, der ihn auf Reisen begleitet.«

»Was ist mit uns? Ich mache mir Sorgen um Armand. Sein französischer Akzent wird ihn verraten. Und er würde lieber sterben, als sich als Hugenotte zu verkleiden«, antwortete Pierre.

»Armand zum Schweigen zu bringen, wird allerdings eine echte Herausforderung sein«, François musste bei dem Gedanken grinsen. »Unser Freund ist ein echtes Plappermaul. Übrigens habe ich auch angefangen, Englisch zu lernen – was für eine schreckliche Sprache! Ich scheine nach jedem Satz Knoten in der Zunge zu haben.«

Pierre lachte. »Ja, es ist eine seltsame Sprache. Aber du wirst dich daran gewöhnen. Aber was ist mit uns, wie sollen wir nach Oxford reisen?«

»Charles plant, dass ihr erst auf dem Boot bleibt. Er hat dafür gesorgt, dass der Hafenmeister bestochen wird, damit er den Mund hält. Vor Einbruch der Dunkelheit wird er Pferde und zwei Führer zum Schiff schicken. Ihr werdet von Dover aus direkt nach Oxford reiten, als zwei junge Herren, die auf dem Weg zu Verwandten sind. Zumindest ist das die Geschichte, wenn ihr auf königliche Kavaliere trefft, seid ihr auf dem Weg zu königstreuen Verwandten. Wenn ihr auf Protestanten trefft, müsst ihr die Geschichte ändern: Ihr seid auf dem Weg nach Hertfordshire, um euch den Truppen des Parlaments anzuschließen. Wir sind uns aber einig, lauft lieber keinen Protestanten über den Weg.«

Pierre verzog das Gesicht, aber plötzlich betrat Charles die Kabine, das heißt, er füllte sie fast vollständig aus. »Warum sehe ich so mürrische Gesichter? Ich war doch derjenige, der seekrank war, während ihr beide euch amüsiert habt. Ich sollte sauer gucken, nicht ihr!«

»Ich gebe Pierre gerade Ratschläge, was er erzählen muss, wenn er auf dem Weg nach Oxford jemanden trifft.« François wiederholte das letzte Stück des Gesprächs.

Charles war allerdings abgelenkt, da er die niedrige Bank misstrauisch betrachtete. »Diese Bank sieht nicht sehr solide aus, du solltest dir Besseres leisten können.«

»Du solltest weniger essen«, kam die unbarmherzige Antwort von Pierre. »Aber keine Sorge, sie ist aus Mahagoni, sie wird halten.«

Charles setzte sich hin, wenn auch mit einem misstrauischen Blick, aber die Bank hielt. Er fuhr also fort: »Wir müssen nicht um den heißen Brei reden, die Erklärung ist ziemlich dünn und ihr könnt euch eine Menge Ärger einhandeln. Ich habe zwei Männer angeheuert, die euch als Pferdeknechte führen werden. Sie haben von mir die strikte Anweisung erhalten, alle Städte und die Mautstraßen zu meiden. Es ist ratsam, niemanden zu treffen oder mit ihm zu sprechen, bis ihr die Teile Englands erreicht, die noch in der Hand der Krone sind. Einer von den beiden ist clever, er hat mal in einem Kloster gedient und kann sogar etwas Latein.«

François grinste. »Ich wette, dass deine ’Knechte’ Experten auf mehreren Gebieten sind, hast du zufällig erfahrene Schmuggler angeheuert …? Ich wünschte so sehr, Michel könnte mit uns kommen. Eine Schande, dass er zurück nach Frankreich segeln muss!«

Charles grinste. »Ja, Michel ist ein Juwel. Aber wir können es nicht riskieren, ihn mitzunehmen, es ist zu gefährlich! Zurück zu den Knechten, die ich ausgewählt habe: Sie sind etwas zwielichtig, das gebe ich zu. Natürlich liegt es mir fern, Schmuggel zu unterstützen, aber mir kam in den Sinn, dass eine genaue und intime Kenntnis der englischen Landschaft in unserem Fall sehr nützlich sein könnte …«

Charles erblickte die Spielkarten: »Wie wäre es mit Würfeln, ich fühle mich noch nicht fit genug fürs Kartenspielen, mein Gott, mir war speiübel.«

Sie verstanden den Wink und wechselten zum Würfelspiel und obwohl sie nur um bescheidene Summen spielten, zeigte ein stetig wachsender Haufen von Silbermünzen neben François deutlich, wer heute der Gewinner war. Ein süffisant dreinblickender François steckte die Münzen ein, sobald die ersten Schreie auf dem Schiffsdeck den Anblick der weißen Klippen von Dover ankündigten.

»Hugenotten dürfen gar nicht spielen, du wirst in der Hölle landen«, brummte Pierre, als er sein Geld in François’ Taschen verschwinden sah.

»Doch, solange sie das Geld den Ketzern wegnehmen«, antwortete François ungeniert.

Sobald die Beatrice in den Hafen einlief, gingen alle an Deck. Das Schiff lief mit der Präzision eines Uhrwerks ein und schon kamen bewaffnete Wachen, um Charles am Ufer zu begrüßen. Es war Zeit, sich zu verabschieden.

»Passt auf, macht keine Dummheiten«, ermahnte Charles Pierre und Armand.

»Natürlich nicht, wie konntest du nur das Wort ’dumm’ mit uns in Verbindung bringen?«, protestierte Armand.

»Ich kann mich an einige Ereignisse in der Vergangenheit erinnern …«

»Pah! Das ist schon lange her und damals wir waren noch Kinder!«, wandte Armand ein.

»Ich kann keine große Veränderung erkennen«, folgte der sofortige Dämpfer.

Der Herzog und der Wahrsager von London

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