Читать книгу Der Herzog und der Wahrsager von London - Michael Stolle - Страница 8
ОглавлениеLady Jane ist außer sich
Elisabeth erwiderte seinen Kuss, doch plötzlich wurde sie in seinen Armen steif und stieß ihn brüsk zurück.
»Was ist los?«, stöhnte Mortimer und versuchte, sie festzuhalten.
Elisabeths plötzlicher Stimmungsumschwung wurde sofort erklärt, da die Zimmertür aufflog. Gefangen in der Glückseligkeit des Augenblicks hatte Mortimer das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels überhört.
»Elisabeth, was machst du denn hier drin?«, hallte die scharfe Stimme von Lady Jane durch den Raum.
Lady Jane war nicht allein. Elisabeth konnte die stämmige Gestalt des jungen Viscount Rochester, des Erben des Marquess of Halifax, sehen, der hinter ihr stand und Janes Hintern betatschte. Sein Gesicht war von Wein und Erregung gerötet. Dunkle Schweißflecken breiteten sich unter den Achseln seiner grünen Samtweste aus.
Rochester, der noch nie durch ein Übermaß an Finesse oder Eleganz geglänzt hatte, stank heute Abend wie ein Wildschwein. Sein betrunkenes Gehirn schien nicht begreifen zu können, warum sich bereits Personen in dem Raum aufhielten, den er für sein amouröses Tête-à-tête ausgewählt hatte und da er nicht wusste, was er tun sollte, kratzte er sich erst einmal ausgiebig zwischen den Beinen, unsicher, was er sagen und wie er reagieren sollte.
Da Mortimer die Eindringlinge nur schockiert anstarrte, übernahm Elisabeth das Wort. »Das könnte ich dich auch fragen, Jane. Aber eigentlich wollte ich gerade gehen, das Zimmer gehört jetzt dir. Du scheinst es zu brauchen – und zwar dringend.«
Elisabeths Stimme war eisig und triefte vor Verachtung.
Viscount Rochester grinste. »Bleib ruhig hier, mein Liebchen, nur Mortimer brauchen wir nicht. Drei sind genug für heute Abend.« Sein Ausspruch wurde durch ein lautes Rülpsen unterstrichen, das wie eine Fanfare durch den Raum schallte. Janes Gesicht errötete noch mehr und sie bemühte sich, ihre Verlegenheit zu verbergen.
Elisabeth verabschiedete sich mit einem tiefen, ironischen Knicks. »Ich bedaure, dass ich eure ritterliche Einladung ablehnen muss. Ich wünsche euch beiden eine angenehme Nacht. Lady Jane, Mylord Rochester, Eure Dienerin – ach, noch ein kleiner Rat: Vergesst nicht, den Riegel vorzulegen.«
Jane sah sie verächtlich an, und auf ihren Wangen bildeten sich rote Flecken. »Ich werde deine Frechheit nicht ungestraft lassen, Elisabeth, du scheinst zu vergessen, wer du bist und mit wem du sprichst.«
»Ich vergesse nie, mit wem ich spreche, wie könnte ich das?«, antwortete Elisabeth leise und zog den widerstrebenden Mortimer hinter sich her aus dem Zimmer. Sie schloss die Tür keine Sekunde zu spät, denn Mortimer brannte darauf, Rochester zu verprügeln.
»Wie konnte das passieren, ich habe für das Zimmer bezahlt! Dieses Dreckschwein Rochester, er war total betrunken, morgen werde ich verlangen, dass er mir Genugtuung verschafft, ich werde ihn herausfordern.« Mortimer war rasend vor Wut.
»Beruhige dich, Mortimer. Sicherlich gibt es mehrere Diener, die Zugang zu den Schlüsseln des Zimmers haben. Zwei von denen wollten sich wahrscheinlich etwas dazuverdienen, indem sie ein geheimes Rendezvous arrangierten.«
Elisabeth zuckte mit den Schultern, doch dann schlug sie einen ernsten Ton an. »Mortimer, wenn du ein Gentleman bist, der diesen Namen verdient, bitte ich dich darum, meinen Ruf zu schützen! Vergiss bitte, was du gesehen und gehört hast! Rochester war total betrunken, morgen wird er sich an nichts mehr erinnern. Wenn du ihn herausforderst, wird mein Ruf bei Hofe für immer ruiniert sein. Du weißt ja, wie die Dinge liegen, der Hof wird über uns beide tratschen und Jane wird ihr Bestes tun, um die Gerüchteküche am Laufen zu halten. Alle werden sagen, dass es meine Schuld ist, dafür wird Lady Jane schon sorgen.«
Widerwillig hörte ihr Mortimer zu und musste letztendlich zustimmen.
»Ich befürchte, du sagst die Wahrheit, meine Liebe. Ich bin bereit nachzugeben, aber nur, um dich zu schützen. Nur, wird Jane nicht sowieso alles tun, um dich zu verleumden? Sie hat einen schrecklichen Ruf bei Hofe, deshalb will kein Mann anbeißen – es sei denn, er ist total betrunken, wie Rochester heute Abend.«
Elisabeth zuckte mit den Schultern. »Jeder am Hof weiß, dass sie eine böse Zunge hat. Wenn es aber kein Duell gibt, werden die Gerüchte schnell verstummen. Ich stimme dir zu, kein Mann hat bisher angebissen, wie entwürdigend für sie. Ihre Eltern können sogar eine fette Mitgift bieten. Sie sollte bessere Möglichkeiten haben, als mit einem besoffenen Wildschwein ins Bett zu kriechen.«
Mortimer schüttelte den Kopf heftig wie ein bockiges Kind. »Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde jemals eine Frau wie sie heiraten.«
Er legte seinen Arm um Elisabeths Schultern. »Lass mich dich beschützen, meine Liebe, lass uns sofort heiraten!«
»Mortimer, Liebling, wir haben diese Diskussion erst vor wenigen Minuten geführt. Wir müssen uns um unsere eigene Zukunft kümmern, und das bedeutet, dass wir Geld brauchen. Mach dir keine Sorgen um Jane, ich kümmere mich um sie. Aber du musst einen Weg finden, unsere Zukunft aufzubauen und mit Northumberland reden, und zwar schnell.«
Mortimer sah aus, als hätte er gerade eine Kröte verschluckt. »Selbst wenn ich Geld von meinem Onkel bekomme – Rochester ist nicht nur reich wie Krösus, er wird eines Tages auch die Nachfolge seines Vaters als Marquess of Halifax antreten, eine bessere Partie kannst du dir nicht wünschen.« Er lachte, aber es klang bitter. »Elisabeth, ich weiß, dass er dich begehrt, ich habe seine lüsternen Augen gesehen; er hat dich mit seinen Augen fast nackt ausgezogen, dieses dreckige Schwein.«
Elisabeth nahm seine Hand. »Rochester versprach mir den Himmel auf Erden, er versprach, mit seinem Vater zu sprechen und ihn um seine Zustimmung zu einem Heiratsantrag zu bitten. Aber ich habe abgelehnt. Ich finde seine bloße Anwesenheit ekelhaft, ich kann ihn nicht ausstehen. Wie Jane seine ständige Prahlerei und Angeberei und seinen widerlichen Gestank ertragen kann, verstehe ich nicht. Beantwortet das deine Frage? Aber was auch immer du zu tun gedenkst, denke bitte an unsere Zukunft und sorge dafür, dass mein Name geschützt wird.«
Mortimer sank auf seine Knie. »Verzeih mir, Elisabeth, ich bin ein eifersüchtiger Hund, ich weiß. Ich verspreche, dass ich meinen Befehlshaber bitten werde, mir die Erlaubnis zu geben, nach London zu reiten. Ich liebe dich! Ein Leben ohne dich wäre sinnlos. Ich gelobe, mich meinem Onkel zu Füßen zu werfen, um seinen Segen für unsere Ehe zu erhalten – und um uns das Geld zu geben, das wir brauchen.«
***
Eine halbe Stunde später sank Elisabeth in ihr eiskaltes Bett. Sie breitete ihren Mantel auf der schweren Bettdecke aus und seufzte tief. Die heutige Nacht war harte Arbeit gewesen. Trotz der beißenden Kälte fühlte sie sich seltsam zufrieden. Sie hatte Mortimer nicht nur davon überzeugt, nach London zu fahren und mit seinem Onkel zu sprechen, sondern die Tatsache, dass Jane jetzt mit Rochester ein Zimmer teilte, ersparte ihr auch Janes übliche gehässige Bemerkungen zur Schlafenszeit. Mortimer würde sicherlich mit Geld aus London zurückkommen, dessen war sie sich jetzt sicher. Und sie würde dafür sorgen, dass das Geld auch weiterhin jeden Monat fließen würde. Da Elisabeth der Königin nahestand, kannte sie alle möglichen Details, die für den Earl of Northumberland und seine Verbündeten im Parlament wertvoll sein mussten. Sie würde einfach irgendwelche Geschichten erfinden, die plausibel klangen – solange Northumberland bereit war, dafür zu bezahlen, war es ihr egal und es konnte der Königin nicht schaden.
Wie wunderbar wäre es, Geld zu besitzen! Fünfzig Pfund waren eine Menge Geld, mehr als sie je in ihrem ganzen Leben besessen hatte. Sie würde sich einen neuen Mantel kaufen, mehrere elegante Abendkleider und es würde immer noch genug Geld übrig sein, um ein Dienstmädchen einzustellen. Bald, sehr bald würde sie endlich ihr eigenes Dienstmädchen haben!
Elisabeth rollte sich auf ihrer Strohmatratze zusammen und zog sich den Mantel über den Kopf, um ihr Gesicht vor dem kalten Luftzug zu schützen, der vom Dachboden kam. Sogar die Mäuse mussten heute Nacht einen warmen Unterschlupf gesucht haben, denn sie hörte kein Geräusch, kein nächtliches Getrappel von kleinen Pfoten auf den Holzdielen. Alles war still.
Langsam, ganz langsam, fand Elisabeth ein wenig Wärme unter der Bettdecke und trotz der beißenden Kälte fand sie schneller Schlaf, als sie es sich hätte erhoffen können.
***
Es war noch früh am Morgen und noch kein Tageslicht sickerte durch die kleinen bleiverglasten Fensterscheiben, als ein junges Dienstmädchen an der Tür kratzte, um Elisabeth zu wecken und ihr warmes Wasser aus der Küche zu bringen. Elisabeth stöhnte und war sehr versucht, die unwillkommene Unterbrechung zu ignorieren, sich in ihrem Bett umzudrehen und wieder einzuschlafen. Aber das Kratzen an der Tür wurde immer eindringlicher. Es war ein Brauch, den die Königin eingeführt hatte, inspiriert von der königlichen Etikette in Frankreich, wo das Klopfen an Türen als höchst ungalant galt, als ein Relikt aus weniger zivilisierten Zeiten.
Elisabeth raffte all ihren Mut zusammen und verließ ihr warmes Bett. Sie zitterte in der Kälte und war aber immer noch wie betäubt vom Schlaf, bis sie sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht spritzte. Das Wasser weckte sie schnell auf – wie immer war es nur noch lauwarm. Das hatte sie auch nicht anders erwartet, denn der Weg von der Küche zu ihrem Zimmer war viel zu lang, um den Krug Wasser im Winter warm zu halten.
Sie wählte ein weiches farbiges Wollkleid, ein Geschenk der Königin. Glücklicherweise vererbte Königin Henrietta Maria von Zeit zu Zeit Kleider, die sie für unmodern hielt oder die sie einfach nicht mehr mochte, an die Hofdamen, die sie für würdig befand, eine besondere Gunst zu erhalten. Die warme gelbe Farbe passte perfekt zu Elisabeths Haar – auch wenn die Regeln des Benehmens und des Anstands verlangten, dass ihre üppigen kupferfarbenen Locken gezähmt und unter einer sittsamen Haube versteckt werden mussten.
Auf ihrem Weg zu den Gemächern der Königin kam sie an der Küche vorbei. Dort entriss sie den Klauen der säuerlich dreinblickenden Köchin eine Schüssel mit dampfendem Brei und einen Becher mit warmer Milch. Der weibliche Drachen war die unbestrittene Königin dieses Reiches und bekannt für ihren Geiz. Aber sobald die Aufmerksamkeit der Köchin abgelenkt war, fügte einer der jungen Köche schnell einen großen Löffel Honig und etwas Sahne dazu. Elisabeth dankte es ihm mit einem strahlenden Lächeln. Der junge Bursche wurde knallrot und gab ihr ein Zeichen, sich hinten an den Tisch zu setzen und die kostbare Schüssel vor den Blicken der geizigen Köchin zu verstecken.
Nach dem Frühstück fühlte sie sich zum ersten Mal, seit sie ihr Bett verlassen musste, wach und gewärmt. Jetzt war es allerdings höchste Zeit, die warme Küche zu verlassen und sich auf den Weg zum Flügel der Königin im Merton College zu machen. Auf ihrem Weg musste Elisabeth durch gepflasterte Höfe gehen, in denen ein eisiger Wind wehte. Abgesehen von einigen zufällig vorbeikommenden Wachen war alles still, denn es war noch früh am Morgen. Der gefrorene Tau machte die Pflastersteine rutschig und sie musste aufpassen, auf ihren glatten Sohlen nicht auszurutschen.
Dichter Efeu kletterte an den Wänden des College-Gebäudes hoch, aber die immergrünen Blätter hingen schlapp und müde herab, als ob auch sie sich vor der beißenden Kälte verstecken wollten. Elisabeth spürte noch immer die wohlige Wärme des süßen Haferbreis in ihrem Magen und erreichte gut gelaunt und mit glühenden Wangen die Wohnung der Königin.
Das Vorzimmer der Königin war noch fast leer. Ihre Majestät war noch in ihrem Schlafzimmer.
»Ihre Majestät ist heute gut gelaunt, obwohl sie ihrer Kammerzofe sagte, dass sie sich nach den Anstrengungen des gestrigen Maskenspiels und des anschließenden Balls furchtbar erschöpft fühlt.« Der junge livrierte Page, der ihr diese wichtige Information zuraunte, senkte seine Stimme. »Da die Königin allgemein gelobt wurde, ist Ihre Majestät geneigt, heute sehr gnädig zu sein«, flüsterte er mit einem Augenzwinkern und fügte hinzu: »Sie sollte heute also nicht allzu anstrengend sein.«
Der Page verehrte Elisabeth und sie ermunterte ihn, denn er war eine ihrer treuesten und zuverlässigsten Informationsquellen.
Er machte Elisabeth ein Zeichen und lud sie ein, sich neben ihn auf einen bequemen Sessel zu setzen, der normalerweise für Besucher von Rang reserviert war. Er mochte jung sein – aber nicht zu jung, um einen kleinen Flirt zu wagen. Elisabeth belohnte ihn mit einem Lächeln, um ihn zum Weitertratschen zu ermutigen, aber sie würde darauf achten, ihn nicht zu sehr zu ermutigen, denn sie hatte nicht die Absicht, ihre Zeit mit einem Jungen aus dem niederen Adel zu vergeuden, dessen Stimme gerade erst vom Stimmbruch dunkel geworden war.
Da sie ohnehin im Dienst war, hatte sie keine andere Wahl, als im Vorzimmer zu bleiben und auf die Ankunft der Königin zu warten. Um die Zeit totzuschlagen, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, in der Hoffnung, etwas Neues zu entdecken, das ihr Interesse wecken könnte.
Das Dekanat des Merton College war in eine Suite verwandelt worden, die einer Königin würdig war, aber die kleinen Räume waren mit all den Möbeln, Gemälden, dem Geschirr, ganz zu schweigen von all den nutzlosen Dekorationsgegenständen, die die Königin unbedingt aus ihrem Palast in London hatte mitbringen wollen, geradezu überfüllt.
Wenigstens war die übliche Kakofonie aus bellenden Hunden, kreischenden Papageien und scherzenden Zwergen noch nicht zu hören. Elisabeth wusste, dass in dem Moment, in dem Königin Henrietta Maria erscheinen würde, dieser wunderbare Zauber der Stille vorbei sein würde, denn die Königin erwartete, unterhalten zu werden und von ihren kleinen Lieblingen, wie sie sie zu nennen pflegte, umgeben zu sein.
Elisabeth genoss daher diesen seltenen Moment der Ruhe und ließ sich in einem Sessel nieder und machte sich an ihre Stickerei. Sticken war die Lieblingsbeschäftigung der Königin, denn Lesen war für ihre Majestät eine sehr anstrengende Aufgabe, die sie schnell ermüdete. Pflichtbewusst machte sich Elisabeth an die Arbeit und unterdrückte ein Gähnen, als sie begann, Stich für Stich hinzuzufügen. Elisabeth war geschickt und von Zeit zu Zeit lobte sogar die Königin ihre Arbeit. Allerdings gab sie häufig Elisabeths Arbeiten als die ihren aus und ließ sich von Besuchern für die komplizierten Muster bewundern.
Wieder eines dieser albernen, nutzlosen Altartücher, dachte Elisabeth, als sie das rote Garn abmaß. Doch von diesem ketzerischen Gedanken war auf ihrem Gesicht nichts zu sehen, als sie ihre Arbeit fortsetzte. Eine Aufgabe zu haben, half ihr zumindest, die Zeit totzuschlagen. Welche Farbe soll ich jetzt nehmen? grübelte sie. Goldfarbene Fäden wären perfekt, aber Gold war teuer und rar. Safrangelb musste also herhalten.
Es war bald Mittag und Elisabeth bekam Hunger, als sie endlich die ersten Geräusche hinter der Tür wahrnahm – Schritte und das aufgeregte Bellen eines einzelnen Hundes, denn nur der Lieblingshund der Königin durfte nachts bei ihr bleiben. Dann wurden die Türen von livrierten Dienern aufgerissen und die Pagen und Lakaien sprangen auf.
Elisabeth erhob sich schnell von ihrem Platz, um sofort in einen tiefen Knicks zu sinken und die Königin zu begrüßen. Hinter ihrer Majestät konnte sie das arrogante Gesicht der Kammerzofe der Königin und – in einem dunklen Kleid wie ein Rabe gekleidet – ihre Erzfeindin, Lady Jane, sehen.
Elisabeth war überrascht. Jane hatte heute keinen Dienst. Und doch war es nicht schwer zu erraten, warum Jane im Morgengrauen die Arme von Rochester verlassen hatte, nur um eine Privataudienz bei der Königin zu erbitten. Ihr Blick sagte alles: Sie glühte vor Rachsucht und Triumph.
Die Königin schenkte Elisabeth nur ein kurzes Nicken. Die Botschaft war klar: Elisabeth war in Ungnade gefallen. Dramatisch hob die Königin ihre Hände und rieb sich die Schläfen. »Wir fühlen uns immer noch unwohl, unsere Kopfschmerzen werden immer schlimmer, wir befürchten sogar, dass sie sich zu einer Migräne entwickeln. Maria, beeil dich und bitte den Apotheker, uns einen seiner Zaubertränke zuzubereiten, allez vite!«
Die Kammerzofe knickste tief: »Ja, Ma’am«, und eilte aus dem Zimmer, um den Auftrag zu erfüllen, denn die Wutanfälle der Königin, wenn ihre Befehle nicht sofort befolgt wurden, waren legendär.
Die Königin sah die verbliebenen Dienerinnen und Diener, darunter auch Jane, mit ernster Miene an. »Bitte lasst uns allein, wir möchten mit Lady Elisabeth unter vier Augen sprechen. Nur Peter darf bleiben.«
Peter, der schwarz-weiße Spaniel, wedelte mit dem Schwanz, als er seinen Namen hörte. Ein Dienstmädchen führte den Spaniel zu einem seidenen Kissen, das mit den Lilien von Frankreich und den Löwen von England bestickt war. Anmutig ließ er sich auf dem Kissen nieder und wurde mit einem saftigen Knochen bestochen, während Jane in einen tiefen Knicks sank und sich bemühte, ihren Triumph zu verbergen, bevor sie aus dem Zimmer fegte.
Sie sieht aus wie eine schwarze Spinne, dachte Elisabeth, eine Spinne von der giftigsten Sorte.
Im Zimmer war es wieder still. Elisabeth war jetzt allein mit der Königin. Ihre Majestät war sichtlich aufgebracht; sie setzte sich nicht hin, sondern stand vor ihr. Sie klopfte mit dem Fuß auf den Boden, der allerdings mit mehreren Schichten von Teppichen bedeckt war, die aus London herübergebracht worden waren. Auf dem Kaminsims tickte eine einzige Uhr, und sogar der Hund hatte aufgehört, an seinem Knochen zu nagen. Alles war still.
Elisabeth sank erneut in einen tiefen Knicks. »Habe ich irgendetwas getan, was Sie verärgert hat, Ma’am?«
Die Königin runzelte die Stirn. »Je suis scandalisée!«, zischte sie.
Elisabeth hatte während ihrer Zeit im Dienst der Königin gelernt, fließend Französisch zu sprechen, aber sie hoffte inständig, dass ihr ein ganzer Schwall von Vorwürfen in dieser Sprache erspart bleiben würde. Zum Glück wechselte die Königin wieder zum Englischen, obwohl sie die Sprache nie fehlerfrei beherrschen würde. »Das hast du in der Tat, Elisabeth. Lady Jane hat uns auf einen Vorfall aufmerksam gemacht, der uns sehr missfällt. Wir erwarten, dass unsere Ehrendamen genau das sind, was der Titel besagt, nämlich Damen, die die Ehre der maison royale, des Königshauses von Stuart respektieren und sich fernhalten von …« Sie suchte nach einem Wort, bevor sie voller Verachtung aussprach: »… amourösen Abenteuern der niedrigsten vorstellbaren Art.«
»Darf ich davon ausgehen, dass Lady Jane Eure Majestät über einen solchen Vorfall informiert hat … wahrscheinlich mit dem größten Widerwillen …«
»Sei nicht so frech, Elisabeth! Ja, sie hat es mir gesagt, weil sie es als ihre Pflicht ansah, es zu tun. Lady Jane ist sehr streng erzogen worden. Une véritable comtesse venant d’une bonne famille! Vergiss nicht, dass sie zu einer der prominentesten Familien unseres Reiches gehört, es war ein ziemlicher Schock für sie, dich zu finden … c’était l’horreur!«
Der Königin fehlten offenbar die Worte, da wieder ins Französische verfiel, während sie immer wieder ihre juwelenbesetzten Hände rang und dabei sogar das majestätische »wir«, vergaß. Auf ihren Wangen hatten sich rote Flecken gebildet, ein starker und wenig ansprechender Kontrast zum bleiernen Weiß ihrer Schminke.
»Ich bitte um Verzeihung, Ma’am. Es war nicht meine Absicht, Eure Majestät zu verärgern. Es tut mir sehr leid und ich kann Euch nur um Verzeihung bitten. Ich gebe zu, dass Lady Jane mir gestern Abend genau in dem Moment begegnet ist« – sie errötete und tat so, als ob sie nach Worten suchte – »in dem Moment, als Sir Mortimer Clifford … mir einen Antrag machte.«
»Er hat dir einen Antrag gemacht?«, rief die Königin und öffnete ihre Hände. »Aber wie wunderbar, Elisabeth, er ist ein so gut aussehender Mann, ein treuer Untertan, Lady Jane muss die Situation völlig falsch verstanden haben. Du hättest es uns sagen müssen!«
Elisabeth schaute die Königin an und lächelte traurig. »Lady Jane hat völlig Recht, wenn sie Sir Mortimers dreistes Verhalten kritisiert. Ich habe ihn nicht ermutigt und hatte keine andere Wahl, als seinen Vorschlag abzulehnen.«
»Aber warum, Elisabeth? Sir Mortimer ist alles, was sich eine Dame von Rang wünschen kann, breite Schultern, ein schneidiges Lächeln, er stammt aus einer sehr guten Familie, warum solltest du seinen Antrag ablehnen? Seien wir offen, du hast keine Mitgift zu bieten und die Zeiten sind vorbei, in denen der König und ich dir Hilfe anbieten konnten. Wir können uns dir anvertrauen, denn du weißt, wie die Dinge liegen. Unser ganzes Geld wird von diesem schrecklichen Krieg geschluckt.«
»Eure Majestät ist sehr gütig, ich verdiene eine solche Freundlichkeit nicht, Ma’am, und niemals würde ich etwas aus der königlichen Schatzkammer erwarten, es ist eine Ehre für mich, euch dienen zu dürfen, Ma’am.«
Sie sank auf die Knie und küsste das Gewand der Königin, um ihre Ergebenheit zu zeigen. Die Augen der Königin wurden feucht vor Rührung. »Ich weiß, Elisabeth, dass du eine unserer treuesten Untertanen bist!«
Elisabeth fuhr fort, ihre Strategie funktionierte bestens. »Ich habe vielleicht nicht den gleichen Stammbaum wie Lady Jane, aber meine Mutter war immer sehr streng und sehr deutlich zu mir, was meine Pflichten als adlige Dame angeht. Sie besteht darauf, dass ich niemals einen Heiratsantrag annehmen darf, ohne die Zustimmung meiner eigenen Familie und der Familie meines zukünftigen Ehemanns erhalten zu haben. Deshalb musste ich Sir Mortimer bitten, mit seinem Antrag zu warten, bis er den Segen der Oberhäupter unserer beiden Familien erhalten hat.«
Die Königin rang die Hände. »Wie romantisch, Sir Mortimer ist so ein hübscher Mann. Aber wir müssen dich beglückwünschen, Elisabeth, dass du so standhaft geblieben bist. Wir sehen jetzt ein, dass wir uns von unseren Gefühlen haben hinreißen lassen, das mag durch unser französisches Erbe entschuldigt werden. Natürlich muss Sir Mortimer zuerst um den Segen der Familie bitten, das ist die Regel. Wer ist das Oberhaupt seiner Familie? Wir wissen, dass Sir Mortimer auf die eine oder andere Weise mit der Hälfte unserer führenden Adelsfamilien verwandt ist.«
»Der Earl of Northumberland, Ma’am.«
Die Königin bekreuzigte sich schnell. »Dieser furchtbare Verräter in London? Das ist doch eine Katastrophe!«
»Ich weiß, Ma’am.« Schnell wischte sie sich über die Augen, als ob sie ihre Tränen zurückhalten wollte.
»Nicht weinen, mein Lämmchen.« Die Königin nahm ihre Hände in die ihren. »Es muss eine Lösung geben.«
»Würden Eure Majestät beim König ein gutes Wort einlegen, falls Sir Mortimer um Erlaubnis bittet, seinen Onkel in London zu treffen?«
»Natürlich werden wir das tun. Charles ist immer besorgt, dass ihn jemand verraten könnte, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Wir werden es ihm sagen.« Sie sah jetzt so schelmisch wie ein junges Mädchen aus. »Du hättest merken sollen, dass ich immer noch großen Einfluss auf Seine Majestät habe.«
Elisabeth verbeugte sich tief. »Ich bin Euch sehr dankbar, Ma’am, einen so großen Gefallen habe ich nicht verdient! Darf ich noch eine Bemerkung hinzufügen, Ma’am?«
»Natürlich, Elisabeth!«
»Als Lady Jane mich mit Sir Mortimer überraschte, war sie nicht allein …«
»Was meinst du damit?«, rief die Königin scharf aus.
»Mylord Rochester kam zusammen mit Lady Jane in den Raum, und das hat mich sehr beunruhigt.«
Die Königin ließ sich in einen Sessel sinken und nickte. »Es ist unmöglich, an einem relativ kleinen Hof wie dem unseren hier in Oxford zu leben und nicht … einige Gerüchte zu hören.«
Elisabeth warf ihr einen wissenden Blick zu. »Mylord Rochester hat sich einen gewissen Ruf erworben, ich möchte nicht ins Detail gehen. Ich selbst musste seiner Lordschaft sehr deutlich machen, dass ich nicht bereit bin, ein Objekt seiner, nennen wir es mal, besonderen Aufmerksamkeit zu werden. Ich mache mir Sorgen, dass Lady Jane viel zu unerfahren ist und dass sie einen viel zu reinen Geist besitzt, um zu verstehen, dass Mylord Rochester vielleicht nicht die Ehe im Sinn hat, wenn er sich ihr nähert …«
»Elisabeth, du hast völlig recht. Jane ist ein so unschuldiges Mädchen!« Die Königin war erschüttert.
So unschuldig, dass sie schon den halben Hof in ihr Bett gezerrt hat, dachte Elisabeth, aber niemand geht so weit, ihr einen Ehering anzubieten …
»Wie können wir Jane helfen? Wir können natürlich mit ihr sprechen!« Die Königin sprach fast zu sich selbst, tief in Gedanken versunken.
»Das ist eine sehr heikle Angelegenheit und ich möchte nicht, dass Lady Jane denkt, ich würde ihren Namen in Verruf bringen, wenn sie nicht anwesend ist. Ich erinnere mich aber, dass Eure Majestät erwägt, in Kürze eine Delegation nach Frankreich zu schicken?«
»Ja, wir werden eine Mission zu meiner allerliebsten Schwägerin, der Königin von Frankreich, schicken, eine Bitte von Schwester zu Schwester, uns in unserer Not zu helfen. Königin Anne ist so ein guter Mensch, sie wird uns helfen! Bald werden unsere Sorgen ein Ende haben.«
»Wäre es nicht eine gute Idee, Lady Jane zu beauftragen, diese Mission zu begleiten? Sie stammt aus einer sehr guten Familie und wird der Delegation Eurer Majestät mehr Glanz verleihen. Das wäre ein eleganter Weg, sie von den unerwünschten Aufmerksamkeiten von Lord Rochester zu befreien.«
»Was für eine brillante Idee, Elisabeth! Natürlich wären wir wahrscheinlich zu demselben Schluss gekommen, aber vielleicht nicht sofort. Wenn wir das tun, kann sie gleich das Altartuch übergeben, das wir gerade fertigstellen. Das wird eine sehr schöne, persönliche Note geben. Königin Anne ist so charmant, ihr Hof ist so vornehm, wie sehr sehnen wir uns danach, selbst dorthin reisen zu dürfen.«
»Seit ich das Privileg hatte, Ihnen zu dienen, Ma’am, war ich immer beeindruckt von der Hingabe, mit der Ihre Majestät ihre Pflicht erfüllt. Das ist nicht nur meine persönliche Meinung, sondern der ganze Hof bewundert Euer Beispiel, Eure Hingabe und Eure Eleganz.«
»Elisabeth, schmeichle uns nicht, bitte.« Henrietta Maria war jedoch sichtlich erfreut über das Kompliment, und plötzlich ließ sie ihre königliche Pose fallen. »Du kannst jetzt die Dienerschaft rufen, Elisabeth, ich vermisse meine Hunde und meine Zwerge. Ich fühle mich schon viel besser, meine Kopfschmerzen sind wie weggezaubert, obwohl diese lahme Zofe noch nicht einmal mit dem Trank zurückgekommen ist.«
Minuten später strömte eine Lawine von Hunden, Zwergen und Dienern, die Käfige mit bunten Papageien trugen, in den Raum. Elisabeth konnte sich nur wundern, wie die Königin diese Kakofonie aus Lärm, Scherzen, Gelächter, kreischenden Papageien und bellenden Hunden ertragen konnte. Die Hunde jagten sich gegenseitig durch den Raum, während die silbernen Glöckchen an ihren Halsbändern wie wild läuteten und die lachende Königin umkreisten, die ihnen Leckerbissen zuwarf. Die Königin strahlte vor Zufriedenheit, denn sie hasste es, allein zu sein. Sie hasste die Stille und die Langeweile trüber Gedanken.
So schnell wie möglich zog sich Elisabeth in das Vorzimmer zurück und gab vor, dass ihre Stickerei weitere Aufmerksamkeit benötigte. Sie sehnte sich danach, allein zu sein, um den heutigen Sieg auszukosten. Sie hatte nicht nur Mortimer den Weg zum Earl of Northumberland geebnet, sondern auch Lady Jane elegant vom Hof entfernt und dafür gesorgt, dass ihre Feindin monatelang abwesend sein würde – falls sie überhaupt jemals zurückkam. Schiffe waren ja bekannt dafür, manchmal zu versinken, vielleicht würde sie auf einem von ihnen sein. Elisabeth konnte ja hoffen.
Heute Abend wird Mortimer seine ersten keuschen Küsse bekommen, ich muss ihn weiter motivieren, dachte sie leidenschaftslos und sah aus wie eine Katze, die gerade eine große Schüssel Sahne aufgeschleckt hat. Dann lächelte sie. Ich werde Mortimer zeigen: je mehr Geld er bringt, desto schöner wird seine Belohnung sein. Ich wette, er wird es schnell lernen.