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07 NETZ UND HAKEN

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Adriano del Toro saß im Büro der Taurus Schiffsausrüstung, die er vor wenigen Monaten bei Atlantic City gegründet hatte. Die brandneue Filiale stand nahe der größten Marina der Stadt und war von einem örtlichen Bauunternehmer innerhalb weniger Wochen hoch gezogen worden. An Eleganz schlug die völlig mit schwarzem Glas verkleidete Halle alle Gebäude rundum. Auf den ersten Blick musste es jedem klar sein, dass hier keine Billigartikel angeboten wurden, sondern dass man sich hier ohne ein gut bestücktes Bankkonto besser gar nicht erst blicken ließ.

Im Moment war Adriano allerdings nicht damit beschäftigt, irgendwelchen Multimillionären irrwitzig teures Yachtzubehör aufzuschwatzen. In seiner Eigenschaft als Geheimdienstchef König Sochons telefonierte er mit seinem Führungsagenten in der Bay-Area.

Finlay am anderen Ende der Leitung wusste, dass sein Chef mit der Entwicklung der Dinge nicht zufrieden sein konnte. Im Moment lief das Gespräch aber noch in einigermaßen normalen Bahnen.

„Was ist mit dem Mann, der die Überwachung im Greek gemacht hat?“, wollte Adriano wissen.

„Es war eine Frau“, korrigierte Finlay. „Eine Luftatmerin. Peters, mein Troubleshooter, hat sich um sie gekümmert. Sie macht jetzt Vertretung für diese Alicia. Larence wird schon dafür sorgen, dass nicht herauskommt, dass da ein Tausch stattgefunden hat.“ Finlay lachte hässlich auf. „Peters wird sich übrigens auch um diesen Hacker kümmern. Der plaudert nichts mehr aus, das ist sicher. Ich meine, wir sind doch ein gutes Team hier, oder? Im Endeffekt passte doch eigentlich alles ganz gut zusammen, nicht?“

Da war schon mehr als nur ein Anflug von Verzweiflung zu spüren, aber Adriano ging nicht darauf ein. Am Telefon den Namen des Detectives zu nennen, der in der Bay-Area die Interessen der Darksider schützte, war nicht gerade geschickt gewesen. Finlay verlor langsam die Kontrolle über sich und sein Revier. Man würde etwas unternehmen müssen.

Adriano war kein Freund übereilter Entscheidungen, aber die Nachrichten, die er bekommen hatte, ließen keinen anderen Schluss zu: Der Mann hatte versagt.

Bislang hatte Adriano erfahren, dass Lana das Gelände genau in dem Moment verlassen hatte, als ihre Bewacherin einen der Restrooms aufgesucht hatte.

Die Frau war mit ihrem Auftrag schlicht überfordert gewesen. Finlay hätte ihr unbedingt noch jemand zur Unterstützung mitgeben müssen. Dass sie von Peters getötet worden war, und nun anstelle von Alicia im Leichenschauhaus lag, war nicht mehr als ein Bauernopfer, das Adriano in keiner Weise zufriedenstellen konnte.

Wenigstens hatte Finlay sofort alle vierzehn Agenten, die ihm in der Bay-Area zur Verfügung standen, in Bewegung gesetzt. Lou und Lana hatten die Golden Gate Bridge noch nicht erreicht gehabt, als Finlays Leute schon ausgeschwärmt waren, um sie zu suchen. Da hätte es aber auch schon zu spät sein können, und das war unverzeihlich.

„Bringen wir es doch mal auf den Punkt.“ Adriano seufzte kurz auf. „Sie waren nachlässig in der Überwachung.“

„Ja, nein.“ Verzweifelt versuchte Finlay sich zu verteidigen. „Ich meine: wer konnte denn wissen, dass Alicia auf dem Fest durchdreht und diese Lana in den Tod treiben will?“

„Alicia war schon immer unberechenbar!“ Dieser Versuch einer Rechtfertigung verfing bei Adriano nicht. Seine Gedanken schweiften ab, während Finlay am anderen Ende der Leitung seine Entschuldigungen und Ausreden vor sich hin plapperte.

Um ein Haar hätte Lana sich umgebracht. Die größte aller Katastrophen wäre eingetreten und das wäre dann einzig und allein die Schuld dieses unfähigen Sektionsleiters gewesen. Seine Leute hatten Lanas Spur im Greek-Theatre verloren und sie erst knapp eine Stunde später bei Louisas Haus wieder gefunden. In der Zwischenzeit war sie von der örtlichen Polizei auf der Mitte der Golden Gate Bridge gesehen worden. Sie hatte sich dort umbringen wollen, das hatte eine Befragung Alicias durch Peters ergeben.

Die kleine Prätorianerschlampe hatte Lana auf diese Art beseitigen wollen, damit sie Diego für sich allein hatte. Nun, Prätorianerin oder nicht: Der Befragung durch Peters hatte sie nicht viel entgegenzusetzen gehabt, und er hatte ein umfassendes Geständnis von ihr erhalten, bevor er sie aus dem Spiel genommen hatte.

Auch das Ablenkungsmanöver, Louisa, Lana und vor allem Diego in Mordverdacht zu bringen, hatte Peters sich ausgedacht. Der Mann war schnell, der Mann war gut. Er hatte in einer Krisensituation umsichtig gehandelt, und Finlay hatte sich als gefährlich nachlässig erwiesen.

„Alicia ist weg, und Larence hat für alle drei ein Motiv konstruiert, das es ihm erlaubt, sie jederzeit überwachen zu lassen.“

Schon wieder der Name des Detectives. Adrianos Hand krampfte sich um den Hörer und sein Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. Es wurde Zeit, das Gespräch zu beenden.

„Außerdem sind unsere eigenen Leute an der Sache dran. Diese Lana wird keinen einzigen Schritt mehr tun, ohne dass ich davon erfahre“, plapperte es immer noch aus dem Hörer.

„Sie haben Glück gehabt, das ist alles.“ Adrianos Stimme klang ruhig wie immer. „Eine Menge Glück, Finlay! – So viel, dass es jetzt verbraucht ist. Sie bleiben in Ihrer Wohnung, telefonieren nicht mehr und warten auf weitere Anweisungen.“

„Nein, warten Sie!“, kam es aus dem Hörer, aber Adriano hatte schon aufgelegt. Es würde personelle Änderungen in der Bay-Area geben.

Adriano sah den Hörer nachdenklich an. Der große Plan war in Gefahr gewesen. Im nächsten Frühjahr sollte das Fest der Jahrwerdung gefeiert werden, das Fest seines Triumphs, auf den er schon seit Jahrzehnten hinarbeitete: Die Alten, die lebendigen Götter der Darksider, würden aus dem Meer steigen, und es würde für eine lange Zeit die einzige Möglichkeit sein, ihre Weihen zu erhalten. Wenn erst die Thronfolger der beiden Reiche tot waren, wenn es Lou und Diego nicht mehr gab, würde den Alten aus dem Meer überhaupt nichts anderes übrig bleiben, als ihm den Thron zuzusprechen. Ihm, Adriano del Toro, dem Herrscher über Atlantik und Pazifik, dem Alleinherrscher über alle Küsten der Welt!

Vorher aber würden die Alten aus dem Meer einen Beweis seiner Treue fordern, und er würde ihnen ein perfektes Opfer anzubieten haben. Kein billiges Tieropfer, wie die Narren Sochon und Caetan es jahrhundertelang dargebracht hatten, sondern einen lebendigen Menschen. Eine Luftatmerin von so atemberaubender Schönheit, dass die Alten seine Ergebenheit einfach honorieren mussten.

Der Gedanke, dass es Lana beinahe gelungen wäre, sich heimlich und fast schmerzlos von der Welt zu stehlen, ließ Adriano die Hände wie im Krampf zu Fäusten ballen. Er wollte sie nicht nur tot sehen, die Frau, die ihn und seine Schwester vor Gericht gezerrt hatte. Sie sollte leiden. Sie sollte die Angst spüren und ihr Geist sollte sich in Schmerz und Panik auflösen, wenn man sie entblößt und wehrlos rückwärts über den Opferstein streckte und ihr das noch schlagende Herz herausriss.

Die Vorstellung dieser Szene hatte Adriano so gefangengenommen, dass er nur zögerlich in die Wirklichkeit zurückkehrte. Schließlich erhob er sich langsam und verließ sein Büro im ersten Stock. Den Weg, den er vor sich hatte, machte er nicht gerne, aber er hatte nun lange genug überlegt. Die Sache war entschieden. Die Frau am Empfang lächelte ihm zu, als er die breite Treppe herunterkam, aber er nahm es kaum wahr. Mit abwesendem Gesichtsausdruck ging er in den Lagerbereich und näherte sich einem bestimmten Regal. Als namhafter Yachtausrüster musste er diesen Artikel natürlich im Sortiment haben.

Prüfend wog Adriano das Päckchen in der Hand. Was es beinhaltete war mehr als nur ein einfacher Ausrüstungsgegenstand. Es war ein Symbol, das in der Welt der Darksider ebenso bekannt wie gefürchtet war.

Am Packtisch öffnete er den flachen Karton und prüfte, ob der Inhalt auch dem Aufdruck entsprach. Hell schimmerte der Stahl auf dem Bett aus zerknülltem Seidenpapier, das als Auspolsterung diente. Die Verpackung war genauso traditionell wie die Fertigungsmethode des in Japan hergestellten Produkts, an dem sich seit über einem Jahrhundert nichts geändert hatte. Hochelastischer, handgeschmiedeter Stahl, der allerhöchsten Belastungen standhalten konnte, ohne zu brechen oder sich zu verbiegen. Ein Spitzenerzeugnis japanischer Schmiedekunst, für das die Firma Taurus ihren Kunden achtundzwanzig Dollar in Rechnung stellte. Sicher, es gab im Sortiment weitaus billigere Artikel gleicher Art, aber für diesen speziellen Zweck war das Beste gerade gut genug.

Noch einmal ging Adriano zwischen den Regalreihen in die Tiefen des Lagers hinein. Im hintersten Winkel schnitt er mit einer starken Schere ein kleines Stück Fischernetz von einer der dort hängenden Rollen. Ein Artikel, der bei einem Edelausrüster wie Taurus nur selten gekauft wurde, den man aber auf jeden Fall im Sortiment haben musste.

Zurück am Packtisch legte Adriano das Stück Netz auf den schimmernden Stahl, bedeckte das Ganze mit Seidenpapier und verschloss den Karton wieder.

Mit einer knappen Geste schob er das kleine Päckchen einem Mitarbeiter zu. „FedExen Sie das an Jonas Finlay, 441 Bayview-Apartments, Oakland, CA. Sorgen Sie dafür, dass es heute noch raus geht.“

„Ist er Kunde bei uns?“

„Ja.“

„Ist in Ordnung Sir“, nickte der Mann und gab den Namen in den PC ein, um die genaue Anschrift zu ermitteln. „Auf Lieferschein, oder soll die Rechnung gleich beigelegt werden?“, wollte er noch wissen.

„Geht kostenfrei raus.“ Adriano wandte sich ab, ohne auf den verwunderten Blick seines Angestellten zu achten.

Wenn Finlay das Päckchen bekam, hatte er noch zwei Tage Zeit sich zu überlegen, auf welche Art er die Welt der Luftatmer verlassen wollte. Sollte er sich bis dahin nicht entschlossen haben, würde Adriano ihm Besuch schicken, der ihm die Entscheidung abnahm. Unter diesen Umständen hätte sogar Adriano del Toro, der Geheimdienstchef König Sochons, eine Berechnung des Thunfischhakens als geschmacklos empfunden.

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