Читать книгу Kalaipa - Die Jack Schilt Saga - Michael Thiele - Страница 8
5 Andras Haus
ОглавлениеSchon der Versuch, den Kopf zu bewegen, endete in schmerzhaftem Desaster. So sah ich mich gezwungen, die Holzbohlen über mir weiterhin ungläubig anzustarren wie eine Fata Morgana. Es hatte etliche Zeit in Anspruch genommen, überhaupt festzustellen, ob es sich tatsächlich um Gebälk handelte. Doch nachdem meine Augen endlich fokussierten (was beunruhigend lange dauerte) und den verschwommenen Wirrwarr in der Tat als Balkendecke identifizierten, blieb ich konsterniert zurück. Auch wenn ich meinen Körper allem Anschein nach nicht bewegen konnte, verhielt es sich mit den Gedanken völlig anders. Sie rasten nur so dahin, umkreisten einander in ähnlich verwirrend atemberaubender Geschwindigkeit wie der Gleiter den Orbit Gondwanas.
Der Gleiter!
Was war passiert?
Wo war ich?
Unter Einsatz aller Kräfte und Ausblendung stechender Schmerzen bewegte ich den hämmernden Schädel im Zeitlupentempo seitwärts und dann ein Stück nach unten. Tausende Lichtpunkte tanzten hinter meiner Netzhaut einen wilden Reigen, der mich schwindeln ließ. Doch erkannte ich aus der wenn auch nur geringen Verlagerung schon etwas mehr.
Ein Bett.
Ganz eindeutig ein Bett, daran gab es keinen Zweifel.
Ich lag also in einem Bett...
Merkwürdig. Beinahe so, als stürzte ich von einem Traum in den nächsten. Mein Blick fiel auf den rechten Arm, welcher der Länge nach auf der hellen Decke ruhte, die den restlichen Körper einhüllte. Ich erkannte ihn wieder. Ja, das war mein Arm. Seltsam vertraut, trotz der an vielen Stellen rosaroten, mit nussbraunen, blasenähnlichen Auswüchsen überzogenen Haut. Mehr neugierig als verstört beobachtete ich ihn eine Weile wie einen hässlichen und doch anziehenden Fremdkörper. Ein Körperteil, der so übel zugerichtet aussah, musste schmerzen, dachte ich seltsam neutral. Tat er jedoch nicht. Gehörte dieser Arm wirklich zu mir? Wenig sprach dagegen.
Großer Gott, was war nur geschehen?
„Gowindi?“ Das heisere Krächzen der eigenen Stimme erinnerte eher an die eines debilen Greises. Mit Nachdruck rückte der Name des kleinen Toorags ins Zentrum meiner Sorgen. Wo war er? Ein zweites Mal gelang es mir nicht mehr, seinen Namen zu formulieren. Erschöpft rollte mein Kopf zur Seite.
Meine Genesung nahm viele Wochen in Anspruch. Als ich zum ersten Mal wieder auf eigenen Füßen stand, musste ich gestützt werden, um nicht sofort wegzukippen. Was mich am meisten erschreckte, war jedoch der eigene Anblick. Monate untätigen Verweilens im Niemandsland zwischen Leben und Tod hatten meinen Körper schwer gezeichnet. Wenn auch die Brandwunden überraschend gut verheilten und irgendwann nur noch dunkle Schatten an Unterschenkeln und -armen an die schweren Hautverletzungen erinnerten, nahm es eine Menge Zeit in Anspruch, bis ich wieder Fleisch auf den Rippen ansetzte. Spindeldürre Arme und Beine, ein eingefallener Brustkorb und ein tiefes Loch anstelle eines Bauches begleiteten mich die erste Zeit meiner Rekonvaleszenz. Ich vermied es mich zu betrachten, so gut es ging.
Körperlich ein Wrack, behauptete sich mein Geist beharrlich. Die waidwunde Seele fand tief im Inneren ein verborgenes Versteck, in welches sich weder Schmerz noch Trauer wagten. Dort, an jenem friedvollen Ort, überdauerte ich auf kleiner Flamme die ersten Monate auf Kalaipa, gelang es mir, mich Stück um Stück wieder aufzurichten.
Erinnerungen an den Absturz? So gut wie keine. Was sich zugetragen hatte, die Umstände meiner Ankunft auf diesem Planeten, erfuhr ich aus zweiter Hand von den wenigen Siedlern, die mich umsorgten, den Einwohnern Akamoras.
Akamora, jene kleine Siedlung in den Bergen auf über viertausend Metern Höhe, wurde zu so etwas wie einer neuen Heimat. Eingangs wunderte ich mich, warum das Atmen so verdammt schwerfiel, schob es jedoch auf die zahlreichen Verletzungen, die ich mir bei dem Crash zugezogen haben musste. Später erfuhr ich, es handelte sich tatsächlich um ein Symptom der Höhenkrankheit. Gepaart mit Kalaipas deutlich dünnerer Atmosphäre bei gleichzeitiger höherer Sauerstoffkonzentration, als ich es von Gondwana her gewohnt war, hatten die ohnehin angeschlagenen Lungen schwer zu kämpfen, den Körper am Leben zu erhalten. In der Tat hatten meine Chancen zehn zu eins gestanden, so die Einschätzung meiner Retter, die ersten Tage auf Kalaipa zu überleben.
„Wer seid ihr?“ Stets blickte ich in überforderte Gesichter. Solange ich ein regloser lebender Leichnam gewesen war, dessen Verbände von Zeit zu Zeit gewechselt werden mussten, schien man sich irgendwie mit mir arrangiert zu haben. Doch jetzt, als ich die Augen aufschlug und erste Worte stammelte, änderte sich die Situation.
„Nein, geht nicht fort!“ rief ich ihnen schwach hinterher. Es waren zwei Frauen gewesen, beide älteren Datums, so um die sechzig oder gar siebzig Jahre. In den wenigen Momenten, die ihrer Flucht vor dem plötzlich sprechenden Körper vorausgingen, war ich überzeugt gewesen, so etwas wie Angst in ihren Gesichtern gesehen zu haben. Angst vor wem? Vor mir? Wieso fürchteten sie sich vor mir?
Die Antwort darauf musste warten. Viel zu schnell glitt ich erneut hinüber in die heilende Welt des Schlafes, wachte nur hin und wieder phasenweise auf. In jenen Wachperioden fand ich niemanden vor, was mich glauben ließ, die beiden Frauen nur geträumt zu haben. Geträumt wie all den anderen Mist vorher, angefangen bei den neunundneunzig Jahren im Orbit eines fremden Planeten bis zum Absturz auf dessen Oberfläche. Aber nein, das konnte nicht sein! Etwas Wahres musste sich dahinter verbergen. Gowindi war nie ein Traum gewesen, er war real. Und – so wie es aussah – nicht mehr bei mir. In diesen Momenten wellten stille Tränen in meinen Augen, übertünchte die Sorge um ihn das eigene Dilemma.
Manchmal erwachte ich in dunkler Nacht und starrte merkwürdig unruhig durch das gegenüberliegende Fenster, meiner einzigen Verbindung zur Außenwelt. Stets nahmen mich die bizarren Lichter am dunklen Firmament gefangen, die in allen Farben schimmerten. Besonders gefielen mir die größten von ihnen, drei stahlblaue, flackernde Spots, die an die Suchscheinwerfer unseres Gleiters erinnerten und ein nahezu rechtwinkliges Dreieck bildeten. Eingerahmt von purpurn schimmerndem Sternennebel – einer nahen Galaxis, wie ich mutmaßte – entwickelten sie sich zu verlässlichen Freunden. Sie waren immer da, zu jeder Nachtzeit standen sie an der mehr oder weniger gleichen Stelle, manchmal etwas näher am linken oberen Eck des Fensters, manchmal mehr in der Mitte. Egal wie übel ich mich fühlte, welch niederschmetternde Gedanken mein Gehirn benebelten, ich durfte auf ihre Anwesenheit bauen. Stundenlang konnte sich der rastlose Geist mit ihnen beschäftigen, doch je länger ich über sie nachdachte, desto weniger gelang es mir, ihre permanente Präsenz an mehr oder weniger exakt derselben Stelle zu erklären. Vermutlich handelte es sich um nur wenige Lichtjahre entfernte Sterne der Spektralklasse O, also um extrem heiße Blaue Riesen. Ach, Gowindi, du wärst stolz auf mich gewesen! Zwar interessierte ich mich nur wenig für dein ewiges Fachgeschwätz, das eine oder andere ist dann wohl doch hängengeblieben.
Damit war die Nacht endgültig gelaufen, die Gedanken kreisten von nun an nur noch um ihn, um Gowindi, meinen verlorenen Freund. Bei den ersten Anzeichen des aufziehenden Morgens schlief ich endlich erschöpft und traurig ein.
Todtraurig.
Irgendwann gewahrte ich sie neben mir. War es ihre Präsenz gewesen, die mich veranlasst hatte, so unvermittelt die Augen aufzuschlagen? Womöglich. Eine Frau. Keine von den beiden, die ich vor nicht nachvollziehbaren Ewigkeiten schon einmal an meiner Bettstatt wahrgenommen zu haben glaubte. Ihre kühle Handfläche auf der heißen Stirn tat wohl. Mein Blick fiel auf ihren elfenbeinfarbenen Unterarm. Dann war die Hand wieder fort.
„Wie geht es dir?“ hörte ich die Frage nachhallen. Noch immer sah ich sie an, wenn auch es mir nicht gelang, ein klares Bild von ihr zu bekommen.
Ich schluckte, formulierte mein erstes Worte mit Bedacht, als stünde mir nur dieses eine zu.
„Erstklassig“, hörte ich mich sagen.
Da lächelte sie. Schneeweiße Zähne blitzen einen Moment lang auf. „Wer Witze machen kann, dem muss es schon wieder besser gehen.“
Ich lächelte zurück, war aber nicht sicher, ob es gelang.
„Woher kommst du? Wie ist dein Name?“ Natürlich hatte ich diese Fragen erwartet, doch raubten sie in ihrer beißenden Härte den intimen Augenblick, was mich schwerer traf als gedacht. Unfähig, eine Antwort zu formulieren, sah ich sie weiterhin nur an. „Du sprichst Ingarihi. Diese Sprache ist bei uns nicht weit verbreitet. Aber sie war es einst auf Vestan.“ Blank musste mein Gesichtsausdruck gewesen sein, denn sie fuhr sogleich fort: „Kommst du von Sahul? Möglich wäre es, wenn auch kaum zu glauben.“
Ich schluckte den bleiernen Geschmack in meinem Mund hinunter und schloss einen Moment die Augen. Gewusst hatte ich es ja schon von Gowindi, aber hatte ich ihm die ganze Geschichte wirklich abgenommen? Wohl nicht. Nun stand diese Frau mittleren Alters vor mir und bestätigte indirekt seine Aussage. Es gefiel mir wenig.
„Ich heiße Jack. Jack Schilt. Und nein, ich bin nicht von Sahul“, flüsterte ich schließlich, als wäre es etwas Verbotenes, diesen Namen in den Mund zu nehmen. Den Zusatz „aber eigentlich war ich auf dem Weg dorthin“ verkniff ich mir fürs Erste.
„Es wäre auch schwer zu glauben gewesen, Jack Schilt“, flüsterte sie beinahe erleichtert. „Mein Name ist Andra. Schön, dass du soweit genesen bist und wir diese Unterhaltung führen können. Du wirst verstehen, die Umstände deiner Ankunft hier auf Kalaipa waren eine außerordentliche Überraschung für uns.“
Oh ja, das konnte ich mir gut vorstellen.
Andra.
Der Name gefiel mir.
Die ganze Frau gefiel mir, trotz oder vielleicht sogar wegen ihres fortgeschrittenen Alters (ich schätzte sie auf ungefähr fünfzig Jahre). Sie war so… so anders, als die wenigen Frauen, die ich von zuhause kannte. Blickte ich tatsächlich in grasgrüne Augen? Am Ende spielten mir die noch immer benebelten Sinne einen Streich. Meine Lider flatterten, doch die ungewöhnliche Farbe blieb.
Faszinierend!
„Du kommst also nicht von Sahul“, griff sie das Thema wieder auf. „Gut so. Wie ich schon sagte, es würde uns schwer fallen, dir das zu glauben. Von wo also stammst du?“
Was zum Teufel wäre daran so abwegig? Nun ja, in der Zwischenzeit waren hundert Jahre vergangen, auch wenn ich mich noch immer weigerte, es für bare Münze zu nehmen. Sicherlich gab es Dinge, von denen ich seit meinem mehr oder minder freiwilligen Tiefschlaf nichts wusste. Also wagte ich die Probe aufs Exempel.
„Wieso wäre das so schwer zu glauben?“
„Nun, auf Sahul gibt es seit Generationen keine Menschen mehr“, kam die Antwort.
Woher wusste sie das? Ich beschloss, darauf nicht näher eingehen zu wollen. „Nein, ich bin nicht von Sahul. Ich bin von Gondwana.“
Nun war es an ihr, mich verständnislos anzublicken. „Dieser Name ist mir nicht geläufig. Zwar wissen wir von einigen Welten, auf denen eventuell noch Menschen existieren, aber diese ist mir völlig unbekannt.“
„Vielleicht kennt ihr sie unter anderem Namen.“ Müdigkeit griff erneut nach mir. Die Unterhaltung verlangte mehr ab, als ich es für möglich hielt. „Die Toorags nennen sie Atao.“ Irgendwie spürte ich, sie konnte mit der Bezeichnung etwas anfangen, auch wenn sie es aus mir unbekannten Gründen bestens verbarg. Am Ende machte ich mir auch nur etwas vor.
„Nein, leider auch nicht. In welchem Sonnensystem befindet sich dein Gondwana?“
„Im Xyn-System“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sie zuckte mit den Schultern. „Diese Namen sind mir kein Begriff.“
Dabei sind wir gar nicht mal so weit weg von euch, dachte ich, fasste es aber nicht in Worte. Siedend heiß fiel mir etwas anderes, weitaus wichtigeres, ein. Hatte ich die Furcht vor der Wahrheit schon derart weit verdrängt?
„Wo ist Gowindi? Wie geht es ihm?“
Die dunkelhaarige Frau sah mich aus traurigen Augen an. „Ist das der Name deines Begleiters? Der Name des Toorags?“
Ich nickte so heftig wie unter den Umständen möglich und starrte sie flehentlich an. Dann kam die Angst. Wollte ich es wirklich hören? Was, wenn… „Ja, genau. Gowindi. Wo ist er?“
Ihre Augen nahmen einen harten Glanz an, als sie tonlos sagte: „Es tut mir leid, dass du es von mir erfahren musst. Dein Begleiter hat den Absturz nicht überlebt.“
Eine Welle eiskalten Wassers schwappte über mir zusammen. Jegliche Empfindung setzte aus. Ich bekam nur noch mit, wie mein Kopf nach hinten wegsackte und der Anblick meines Gegenübers verschwamm.
Tränen?
Vielleicht.
Akamora.
Welch merkwürdiger Name! Er passte irgendwie nicht zu dem Einhundertseelendorf, in welchem ich mich die ersten Wochen nach meiner Genesung aufhielt. Aufhalten durfte. Nach wie vor war ich ein Fremdkörper, ein Außerirdischer, ein Bako, wie es in ihrer Sprache hieß. Wieso sie mich duldeten? Ich fragte nicht danach. Womöglich lag es daran, dass nicht alle Tage ein Raumgleiter auf Kalaipa einschlug. Und wenn doch, kam es sicherlich nicht oft vor, in ihnen einen Menschen aufzufinden. Einen lebenden noch dazu. Und dann in Begleitung eines Toorags!
Oftmals fragte ich mich, ob Gowindi überlebt hatte, man aber keinen übersteigerten Wert darauf legte, ihn zu retten oder gar gesundzupflegen. Der Hass zwischen Menschen und Toorags saß tief, auch mehrere Generationen nach der Niederlage, nach Besetzung und systematischer Vertreibung. Nun ja, vielleicht überspitzte ich etwas. Vater, dem ich alles Wissen über die Toorags schulde, hatte stets versöhnliche Töne angeschlagen, wenn es um dieses dunkle Kapitel in der gemeinsamen Geschichte ging. Immerhin waren es die Menschen gewesen, die den Toorags einen Vernichtungskrieg aufgezwungen hatten. Die Gründe hierfür verstand ich nie gänzlich, irgendwann wurden sie mir auch egal. Die wenigen Menschen auf Gondwana lebten in Eintracht mit den ebenso wenigen Toorags zusammen. Vielleicht konnte man es nicht Gemeinschaft nennen, aber zumindest friedliche Koexistenz. Wirkliche Freundschaften gab es nicht. Gowindi und ich hatten da eine Ausnahme gemacht. Wir waren mehr oder weniger zusammen aufgewachsen, unsere Verbundenheit hatte sich im Laufe von Jahren gebildet. Nun war er fort, tot, verloren. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
Wahrscheinlich würde ich das nie.
Mit der Zeit kamen Andra und ich einander näher, fasste ich ihr gegenüber so etwas wie Zutrauen. Sie blieb nie lange, erkundigte sich allerdings jeden Tag nach meinem Zustand. Die Fragen, die sie stellte, klangen zu keiner Zeit neugierig oder aufdringlich oder gar fordernd. Nein, eher so, als sorgte sie sich in der Tat um mein Wohlbefinden. Ich erzählte ihr von Gondwana, von zuhause. Ich berichtete ihr von meiner Mutter, zeichnete ihr Bild in den wärmsten Farben. Sie nun schon über hundert Jahre tot zu wissen, berührte mich an unerwartet schmerzempfindlicher Stelle. Es war beinahe so, als hätte ich sie ein zweites Mal verloren. Ein unerträglicher Gedanke. Andra schien dies zu spüren. Ich sprach von meiner Mutter nicht in der Vergangenheitsform, und doch hörte sie es zielsicher heraus.
„Meine Mutter ist auch nicht mehr“, sagte sie mit leiser Stimme. „Sie starb den Kältetod.“
„Das tut mir leid“, sagte ich ebenso mitfühlend, wusste mit ‚Kältetod‘ allerdings wenig anzufangen. Vorsichtig fügte ich hinzu: „Wie ist es passiert?“
Andra sah an mir vorbei, als sie nach einigem Zögern zu sprechen begann. „Sie ist erfroren. Damals herrschte auf Kalaipa noch kosmischer Winter.“
„Kosmischer Winter?“ Mit dem Begriff ließ sich wenig anfangen.
Nun sah sie mich wieder an. „Du weißt nicht viel über Kalaipa, habe ich recht?“
„Nicht allzu viel, nehme ich an“, antwortete ich ausweichend.
„Dann will ich dir ein wenig Nachhilfe geben.“ Andra – und das tat sie zum ersten Mal – rückte einen Stuhl an meine Bettstatt und ließ sich sachte darauf nieder, als fürchtete sie, er würde unter ihrem Gewicht zusammenbrechen. „Kalaipa ist in vielerlei Hinsicht anders als andere Planeten, die du vielleicht kennst oder von denen du schon gehört hast.“
Ich überlegte einen Moment und versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, ob Gowindi oder Vater einst über diesen Planeten berichtet hatten. Viel wollte mir jedoch nicht dazu einfallen. Von Sahul wusste ich deutlich mehr, immerhin hatte ich vorgehabt, dorthin zu reisen. Andra jedenfalls wirkte sehr konzentriert, wusste wohl nicht genau, wo sie am besten anfangen sollte.
„Gibt es auf Gondwana Jahreszeiten?“ fing sie schließlich an.
„Die gibt es“, bejahte ich. „Zumindest die Sommer sind erwähnenswert. Sie dauern ein gutes halbes Jahr, sind heiß und relativ trocken.“
„Hier auf Kalaipa gibt es auch Jahreszeiten, aber ich wette, sie unterscheiden sich deutlich von denen bei dir zuhause.“ Sie sah mich aufmerksam an, als erwartete sie irgendeine Reaktion meinerseits. Als sie ausblieb, fuhr sie fort: „Was ich sagen will, ist… nun ja, die Winter auf Kalaipa sind extrem lange und extrem kalt.“
Zunächst verstand ich nicht. „Wie lange dauert ein Winter denn hier? Bei mir zuhause ist die kalte Jahreszeit relativ kurz, zwei bis drei Monate etwa.“
„Unsere Welten unterscheiden sich grundlegend voneinander.“ Einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie meine Hand berühren, ließ es dann aber sein. „Wie lange benötigt Gondwana für eine Umkreisung eurer Sonne?“
Da gab es nicht viel zu überlegen. „Zehn Monate, wir nennen das ein Jahr. Ein Gondwanajahr.“
Sie lächelte. „Ein Jahr hier auf Kalaipa dauert länger. Deutlich länger. Kein Mensch hat bisher die Dauer eines kompletten Kalaipajahres überlebt.“ Ich sah sie einigermaßen verständnislos an. „Gut, jetzt die Fakten. Für eine Sonnenumkreisung, also nach deinen Begriffen für ein Kalaipajahr, benötigt unser Planet hundertfünfundsechzig Vestanjahre.“
Da mir auch dieser Begriff fremd war, verstand ich nicht völlig, was Andra damit sagen wollte. „Vestan sagt mir etwas. Vater erzählte davon, als ich noch klein war.“ Ich wusste nicht wieso, aber der Blick meines Gegenübers schien für einen Moment zu erhärten. „Vestan ist eine der ersten Kolonien der Menschen gewesen, richtig?“
„Das entspricht der Wahrheit. Nach allem was wir wissen, stammt die Menschheit von einem Planeten namens Erde und…“
„Ja richtig, jetzt wo du es sagst, fällt es mir auch wieder ein“, fiel ich ihr ins Wort. „Die Erde. Genau!“
Sie lächelte über meinen plötzlichen Eifer wie eine Lehrerin, der es gelang, das Interesse ihres hoffnungslosesten Schülers zu wecken. „Vestan war einer der ersten Planeten, den die Menschen kolonisierten. Von dort aus eroberten sie weitere Welten, zu denen schließlich auch Kalaipa gehörte. Kannst du bis hierher folgen?“
Hielt sie mich für dermaßen beschränkt? Dennoch nickte ich artig.
„Nun eignet sich unser Planet nur bedingt für die Besiedlung, musst du wissen. Kalaipa hat eine gebundene Rotation, falls dir dieser Begriff etwas sagt.“
Natürlich sagte er mir etwas, doch täuschte ich Unwissenheit vor. Sollte sie nur erzählen, so konnte ich weiterhin ihrer liebreizenden Stimme lauschen. Mehr wollte ich gar nicht!
„Das bedeutet, die Rotationsperiode Kalaipas ist gleich die Umlaufzeit um seinen Zentralkörper, also um Tau 575, unsere Sonne. Wie du vielleicht schon weißt, ist sie relativ klein, ein sogenannter Roter Zwerg, also ein Hauptreihenstern der Spektralklasse M. Auf ihrer Oberfläche herrschen Temperaturen von nur ungefähr dreitausend Kelvin.“
Ich staunte nicht schlecht, mit welchen Fachbegriffen Andra um sich warf. Gebildet war sie, das stand fest. Gowindi wäre stolz auf sie gewesen! Die Menschen hier benutzten zwar offensichtlich andere Maßeinheiten, doch Kelvin war mir nicht unbekannt. Für Gowindi wäre es eine Leichtigkeit gewesen, diesen Wert in Celsius umzurechnen. Doch war er nicht mehr bei mir. Schweren Herzens drängte ich diesen Gedanken wieder einmal in den Hintergrund.
Kelvin… okay. Konzentration, Jack! Also ungefähr zweitausendsiebenhundert Grad Celsius. Die Oberflächentemperatur der Xyn, Gondwanas Sonne, das wusste ich auch von Gowindi, beträgt um die sechstausend Grad Celsius, also mehr als das Doppelte.
„Kalaipa wendet seiner Sonne stets dieselbe Seite zu“, fuhr Andra fort. „Du wirst sicherlich bereits bemerkt haben, dass es bei uns nie richtig dunkel wird. Jedenfalls nicht außerhalb unserer Häuser.“
Das war mir in der Tat aufgefallen. Und nun gab es auch eine Erklärung für die Konstanz der drei Blauen Riesen, meiner nächtlichen Freunde. Auf der der Sonne zugewandten Hemisphäre gab es also nie so etwas wie eine Nacht, es war immer hell, während auf der abgewandten Seite permanente Dunkelheit herrschte. Die Temperaturunterschiede mussten enorm sein! Andra sollte auch sofort darauf eingehen.
„Aus diesem Grund ist die bewohnbare Zone verhältnismäßig klein. Im kosmischen Sommer, wenn sich Kalaipa unserer Sonne am nächsten befindet, siedeln wir lediglich in den Randgebieten zwischen Tag und Nacht, dort sind die Temperaturen annehmbar. Momentan möchtest du nicht woanders als hier leben, glaube mir.“
Aha. Die Menschen Kalaipas nutzten also nur einen kleinen Teil der Fläche ihres Planeten. Das machte durchaus Sinn. In den Übergangszeiten, also im Frühling und Herbst, konnte man sich problemlos auch auf der Sonnenseite Kalaipas aufhalten, so Andra, nur gab es dann eben keine Nächte. Nicht eine einzige. Niemals.
„Stichwort Nächte“, griff ich die Thematik auf. „Mir ist etwas aufgefallen. In manchen Nächten wird es zumindest für kurze Zeit stockdunkel, in anderen jedoch nicht. Wie ist das möglich?“
„Gut beobachtet. Das hat damit zu tun, dass Kalaipa keine exakte Kreisbewegung um Tau 575 beschreibt. Die Winkelgeschwindigkeit der Bahnbewegung ist nicht konstant.“ Winkelgeschwindigkeit… Welch grandiose Bildung hatte Andra genossen? Ich war durchs All gereist und konnte mit dieser Bezeichnung nichts anfangen. „So werden Teile der Tag-und-Nacht-Zone unterschiedlich ausgeleuchtet, manchmal mehr, manchmal weniger. Gestern Nacht, zum Beispiel, war es viel dunkler als die Nacht zuvor. Du hast es vielleicht auch bemerkt.“ Hatte ich. Du liebe Zeit, auf welch sonderbarem Gestirn war ich da nur gelandet! „Du siehst, Kalaipa unterscheidet sich deutlich von deinem Gondwana.“
Ich nickte. „Und dennoch gibt es hier menschliches Leben.“
„Oh ja, schon lange, auch wenn Kalaipas Klima… nun ja, sagen wir, den menschlichen Bedürfnissen nicht unbedingt zuträglich ist. Wenigstens für den größten Teil eines Kalaipajahres. Vestan benötigt ungefähr dieselbe Zeit, die einst die Erde benötigte, um ihre Sonne einmal zu umlaufen. Kalaipa allerdings bewegt sich auf einer andersartigen Umlaufbahn. Auf einer gänzlich andersartigen Umlaufbahn.“
Ich verstand. „Du meinst… ein Jahr hier entspricht tatsächlich hundertfünfundsechzig Vestanjahren?“
„Ich sehe, du verstehst die Zusammenhänge. Bedingt durch seine extrem elliptische Umlaufbahn, nimmt eine Sonnenumkreisung in der Tat Ewigkeiten in Anspruch. Ein gewöhnlicher Mensch existiert maximal einhundert Vestanjahre. In diesem Zeitraum hat Kalaipa gerade einmal die Hälfte der Reise um Tau 575 hinter sich gebracht.“
Gewöhnlicher Mensch… so wie Andra es betonte, stellte sich unwillkürlich die Frage, ob neben gewöhnlichen Menschen auch noch ungewöhnliche hier auf Kalaipa existierten.
„Unglaublich!“ sagte ich stattdessen. Gowindi hatte mir einiges von Sahul berichtet. Auch jener Planet, einst von Menschen besiedelt, besaß eine ähnliche Umlaufzeit wie Vestan oder eben Gondwana. Wenig Ahnung hatte ich davon, was Andra soeben zu erklären versuchte. Zumal ich noch nicht alles gehört hatte. „Erzähl weiter, bitte!“
Sie lächelte, blickte einen Moment bescheiden zu Boden. „Um es kurz zu machen: die Winter auf Kalaipa sind außerordentlich lang und außerordentlich kalt. Die Übergangsphasen eingerechnet, dauern sie ungefähr sechzig Vestanjahre. In dieser Zeit befindet sich Kalaipa auf dem Weg zu seinem sonnenfernsten Punkt und wieder zurück. Dann wird es hier unerträglich kalt. Kein Mensch kann diese Kälte auf Dauer überleben.“
„Aber die Toorags können“, warf ich ein. Toorags vertrugen extreme Temperaturschwankungen ohne große Probleme, wie ich wusste. Auf Rantao, ihrem Heimatplaneten, herrschten Durchschnittstemperaturen von -30 Grad Celsius. Dennoch kamen sie mit dem deutlich wärmeren Klima auf Gondwana zurecht, welches zuweilen 70 Grad höhere Temperaturen aufwies.
Andra schüttelte den Kopf. „Auch die Toorags nicht. Kalaipas Winterperiode auf der sonnenabgewandten Seite liegt bei durchschnittlich 55 Kelvin.“ Ich rechnete nach und kam auf ein unglaubliches Ergebnis, welches in meiner Naivität angesichts der neuen Situation, in der ich mich befand, nur falsch sein konnte.
„Das entspricht einer Temperatur von nahezu -250 Grad Celsius“, sagte ich verwundert. „Das kann nicht stimmen, das ist völlig unmöglich.“
„Die Einheit Celsius ist mir nicht geläufig“, gab Andra zu. „Die der Sonne zugewandte Seite ist naturgemäß wärmer, wenn auch nicht sonderlich. Glaube mir, als vor ungefähr vierzig Vestanjahren der Winter allmählich zu Ende ging und wir daran denken durften, aus den Tiefen Kalaipas an die Oberfläche zurückzukehren, mussten wir uns durch eine viele Meter dicke Eisschicht nach außen kämpfen.“
„Vor vierzig Jahren? Damals musst du doch noch ein Kind gewesen sein!“
Für einen verschwindend kurzen Augenblick lag Unsicherheit auf ihrem Gesicht, als brachte sie meine Bemerkung aus dem Konzept. „Ja, das war ich. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Zeit, als läge sie erst Tage zurück.“
„Wenn ich richtig verstehe, bist du also… bist du im Innern Kalaipas geboren worden?“ Es klang abwegig, schien aber zu stimmen, denn Andra bejahte sogleich.
„Die meisten von uns, die du schon gesehen hast und sicherlich noch sehen wirst, haben tief unter der Erde das Licht der Welt erblickt.“ Dieser unpassende Ausdruck amüsierte sie einen Moment. „Die neue, im Frühjahr geborene Generation gehört zu den Glücklichen. Sie darf einen Großteil – wenn nicht den größten Teil – ihres Lebens im kosmischen Sommer verbringen. Das ist ein Privileg, wie es kein zweites gibt.“
„Wie kamen die Menschen nur auf die Idee, einen derart lebensfeindlichen Planeten zu besiedeln? Das ist doch irrsinnig!“
„Ja, in der Tat, das ist es. Ursprünglich wollte hier auch niemand dauerhaft leben, das war meines Wissens nie geplant. Anfangs gab es nur vereinzelte temporäre Siedlungen, vor allem in der Nähe der Minen.“
„Der Minen?“ hakte ich sofort nach.
„Ja, der Lithium- und Bismutminen“, antwortete Andra bereitwillig.
Gowindi hatte mir bei einem meiner wenigen Anflüge von Interesse bezüglich Raumgleiterdynamik irgendwann etwas von Antriebstechnik erzählt. Dabei spielte das Leichtmetall Lithium eine wichtige Rolle. Ich wusste, wie selten es vorkam. Also zählte ich eins und eins zusammen und schlussfolgerte, dass die Menschen Kalaipa lediglich zum Abbau wertvoller Metalle nutzten. Für welche Zwecke auch immer. Womöglich spielte Lithium in der Antriebstechnik der einst von Menschen konzipierten Gleiter eine Rolle. Je länger ich darüber sinnierte, desto logischer kam es mir vor.
„Du wirkst nachdenklich“, hörte ich Andra sagen. „Sprich es aus, hab Vertrauen!“
Ich sah sie einigermaßen skeptisch an. Hatte ich Vertrauen? Schwer zu sagen. „Kalaipa diente den Menschen demnach in erster Linie als Rohstofflieferant, richtig?“
Da lächelte sie wieder. Ihr Schüler hatte ins Schwarze getroffen. „Gut erkannt. Ja, vollkommen richtig. Vor allem der Abbau von Lithium hat Kalaipa einst berühmt gemacht. Oder berüchtigt, je nachdem wie man es betrachtet. Unter der Oberfläche unseres Planeten schlummern die Überreste riesiger ehemaliger Salzseen aus der grauesten Vorzeit. Diese Salze sind mitunter extrem lithiumhaltig. Womöglich lagert auf Kalaipa das größte Lithiumvorkommen der gesamten Galaxis.“
„Und das wussten die Menschen“, warf ich ein.
„Oh ja, das wussten sie. Zudem befindet sich Kalaipa zumindest zeitweise in einer habitablen Zone, ein glücklicher Umstand, der die Ausbeutung seiner Rohstoffe begünstigte.“
Vater hatte mir einst von seiner Zeit auf Sahul berichtet, wo er Kincaid Sprent begegnet war, dem Grund, weswegen er mich nach dem Tod meiner Mutter verließ. Besagter Kincaid Sprent hatte einst auf Kalaipa gelebt, jenem Planeten, auf dem ich mich jetzt befand. Hatten die Toorags nach ihrem Sieg nicht alle Menschen von Kalaipa entfernt und nach Sahul transportiert? Was hatte er noch alles darüber erzählt? Ich dachte angestrengt nach, doch wollte mir nichts weiter dazu einfallen. So wie es aussah, war es ihnen tatsächlich nicht gelungen, ausnahmslos alle Menschen zu vertreiben. Andra war der lebende Beweis.
„Warum ist das heute nicht mehr so?“ fragte ich, auch wenn die Antwort bereits auf der Hand lag.
„Nach Ende des Krieges gegen die Toorags gingen alle Kolonien der Menschen verloren, darunter Kalaipa“, fuhr Andra fort, etwas verhaltener, wie ich fand. Machte meine offensichtliche Nachdenklichkeit sie etwa befangen? Ich beschloss, ihr ein klein wenig mehr Vertrauen zu schenken.
„Das ist mir bekannt“, sagte ich. „Mein Vater berichtete mir davon.“ Ich beobachtete sie genauestens, doch schien seine erneute Erwähnung sie nicht mehr sonderlich zu beschäftigen. „Die Toorags kamen also und besetzten Kalaipa.“
„Ganz genau. Sie verleibten unseren Planeten in ihr interplanetares Reich ein. Menschen waren anschließend nicht mehr willkommen. Alle, oder besser gesagt so gut wie alle, wurden ins Exil gebracht, von Kalaipa getilgt.“
„Nach Sahul“, warf ich ein.
„Jawohl, auf den Exilstern, wie er von da an genannt wurde, das ehemals letzte Refugium der Menschheit.“
„Aber offenbar nicht alle, wie ich sehe.“
„Richtig, nicht alle. Einige flohen in die tiefsten Tiefen der Minen und verbargen sich dort vor den Invasoren. Die Toorags machten Jagd auf sie, doch trotz ihrer überlegenen Technik gelang es ihnen nie, Kalaipa vollständig unter ihre Kontrolle zu bekommen. Verzeih meine Ausdrucksweise, natürlich kontrollierten sie Kalaipa voll und ganz. Doch erreichten sie ihr Ziel nicht, alle Menschen komplett zu deportieren. Und dann kam die Grabeskälte, kam der kosmische Winter. Die Toorags zogen ab. Unsere Welt verblieb zwar in ihrem Einflussbereich, aber mehr als die Rolle eines ungeliebten Stiefkinds kam ihr nicht zu.“
Ich sah sie ungläubig an. „Man sollte meinen, was die Toorags nicht geschafft hatten, würde der Winter zu Ende bringen“, sagte ich langsam.
„Ja, genau, das sollte man meinen. Ich denke, sie gingen auch davon aus. Wir haben jedenfalls keine mehr gesehen. Dann kamst du hier an. Zusammen mit einem Toorag. Du kannst dir nicht vorstellen, was in unseren Köpfen vorging.“
„Habt ihr ihn umgebracht?“ Mein forschender Blick, auf der Suche nach Wahrheit, drang wie ein glühender Pfeil in ihre Augen. Doch schlich sich sofort Bestürzung in ihre Züge.
„Wie kommst du darauf? Sehen wir wie Mörder aus?“
Meine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten, erschien mir in diesem Moment beinahe mustergültig. Also weder nein, noch ja. Kein befriedigendes Ergebnis, doch gab ich mich vorerst damit zufrieden.
Vorerst!
„Verzeih meine Frage, aber es wäre nur logisch gewesen. Immerhin sind sie euch bis zuletzt feindlich gegenübergestanden.“
„Nein, dein Begleiter war schon tot, als wir ihn bargen. Dich lebend aus den Trümmern befreien zu können, grenzte an ein Wunder. Niemand hätte auch nur einen Pfifferling auf dein Überleben gewettet.“
Pfifferling? Was immer das sein sollte, es musste sich um etwas wirklich Geringwertiges handeln.
„Und doch hast du es geschafft. Bald wirst du aufstehen können. Es ist unglaublich.“
Als ich herzzerreißend gähnte – nicht aus Langeweile, sondern purer Erschöpfung – sprang Andra unvermittelt auf.
„Du liebe Zeit, ich überfordere dich. Wie unbedacht von mir!“
„Nein, ganz und gar nicht“, wehrte ich ab. „Bitte bleib und erzähle weiter!“
Doch wollte sie davon nichts wissen. „Auf gar keinen Fall, du musst dich schonen. Ich werde jetzt gehen und dir deine Ruhe lassen.“ In meinem Blick musste so etwas wie die Befürchtung gelegen haben, sie so schnell nicht wiederzusehen, weswegen sie rasch hinzufügte: „Keine Angst, ich komme bald zurück. Du musst mir versprechen, ein wenig zu schlafen!“
Ich hielt mein Versprechen gerne.