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Keine Angst vor Deflation!9
ОглавлениеWas ist falsch an Deflation? Wird Deflation zu Unrecht zum Sündenbock gemacht? Die Schädlichkeit der Deflation ist heute eine Art heiliges Dogma, das gilt sowohl für die Geldpolitik als auch die vorherrschende Ansicht in der öffentlichen Meinung. Unklar bleibt in der Regel, ob die behauptete selbstzerstörerische Wirkung von einem sinkenden „Preisniveau“ einer Volkswirtschaft ausgehen soll oder von einer schrumpfenden Geldmenge oder einer Kombination beider Entwicklungen. Welche Gründe werden für die desaströsen Folgen einer Deflation angeführt?
Häufig wird auf historische Erfahrungen verwiesen. Deflation führe zu einer sinkenden Gesamtproduktion und senke den Lebensstandard. Tatsächlich waren deflationäre Phasen wie die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts ausgesprochene Prosperitätsphasen. Sinkende Preise belegten den Erfolg der Marktwirtschaft – steigende Produktivität führte zu sinkenden Preisen.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 war eine Inflationsbereinigung mit einer wechselnd expansiven und kontraktiven US-Geldpolitik. So erhöhte das Federal Reserve in der letzten Oktober Woche des Crashs von 1929 allein die Reserven der Geschäftsbanken um fast 300 Millionen US-Dollar. Präsident Hoover war stolz auf seine Politik des billigen Geldes.
Außerdem wird eine Abwärtsspirale beschworen, weil die Marktteilnehmer ihre Kaufentscheidungen angesichts absehbarer Preissenkungen hinausschieben würden. Tatsächlich sind die Elektro- und insbesondere die EDV-Branche ein Beispiel stetig sinkender Preise bei verbesserter Produktqualität – und beides sind historisch bedeutsame Wachstumsbranchen. Das verwundert nicht, schließlich kommt der Konsum ja nicht zum Stillstand, die Menschen wollen und müssen konsumieren. Sie werden kaum Wochen und Monate auf einen neuen Kühlschrank warten, nachdem der alte kaputt gegangen ist. Empirische Betrachtungen von Volkswirtschaften zeigen, auch im Vergleich mit Ländern mit steigendem Preisniveau, keine nachhaltige Beeinträchtigung des Wachstums. Das gilt selbst im Fall einer deflationären Schockwirkung.
Schließlich wird eine allgemeine Bankenkrise beschworen, die aufgrund nicht rückzahlbarer Kredite und einer weitreichenden Kreditklemme („Credit Crunch“) zustande kommen und am Ende die gesamte Volkswirtschaft in den Abgrund reißen soll. Tatsächlich vernichtet die Einschränkung von Krediten jedoch keine Ressourcen, da Bankkredite keine Ressourcen erzeugen, sondern nur für eine Vermittlung von Ressourcen an anderer Stelle sorgen. Kein Apfel, Auto oder Buch verschwindet durch den Rückgang von Krediten. Künftig werden Äpfel, Autos und Bücher aber möglicherweise in einem anderen Mengenverhältnis hergestellt. Dementsprechend werden Menschen an anderer Stelle beschäftigt.
Jörg Guido Hülsmann argumentiert in „Deflation and Liberty“, dass Deflation genauso wie Inflation lediglich für eine Umverteilung der Ressourcen sorgt – unter Individuen wie zwischen Branchen. Im Unterschied zur Inflation erfolge die Umverteilung allerdings offen sichtbar. Kredit finanzierte Unternehmen und private Haushalte mit zu hohen Immobilienkrediten gehen demnach Pleite, sobald sie ihren Rückzahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Die Güter verschwänden jedoch nicht, sondern wechselten lediglich den Besitzer. Andere Menschen würden Eigentümer der Unternehmen und Häuser, und zwar diejenigen, die über Liquidität verfügen und keine Schulden haben. Deflation macht somit Gewinner und Verlierer sichtbar (Hülsmann: „Deflation means open redistribution through bankruptcy“).
Hinzu kommt eine bedeutsame Tatsache: Politische Vernetzung, der Zugang zu den Stellhebeln der Macht, hilft im Fall der Deflation nicht. Bei unseren heutigen inflationären Volkswirtschaften sind politische „Connections“ sehr bedeutsam, da Geld durch die staatlichen Zentralbanken über den Transformationsriemen der Geschäftsbanken überwiegend per Kreditvergabe aus dem Nichts geschaffen wird. Und die Regierungen stellen für gut verflochtene Organisationen, in der Regel Großunternehmen, Sonderkredite und Konjunkturmaßnahmen zur Verfügung, wie die aktuelle Politik auf monströse Art und Weise illustriert.
Hier liegt sicherlich der Schlüssel für die Diskreditierung der Deflation: Deflation entmachtet die Politik. Deflation bedroht das herrschende Establishment.
Leseüberraschung II: Deflation und Freiheit
„The crisis did not hit us despite the presence of our monetary and financial authorities. It hit us because of them“, urteilt Jörg Guido Hülsmann in seinem Manifest gegen staatliche Inflation und für marktwirtschaftliche Deflation. Im Mittelpunkt steht die Überzeugung, dass wir uns vor Deflation nicht fürchten müssen, sondern diese als Wesensbestandteil der Marktwirtschaft wertschätzen sollten.
Hülsmann zeigt zunächst die unzertrennliche Einheit von Wohlfahrtsstaat, Inflation und Staatsverschuldung auf. Anschließend argumentiert er entlang einer kurzen Geschichte des Geldes, dass Deflation ein Gemeinwesen nicht ärmer macht, sondern zu einer (begrüßenswerten) Umverteilung des Wohlstands führt. Anders als Inflation geschieht dies im Zuge einer offenen Umverteilung durch Bankrott im Einklang mit dem Recht. Der Senior Fellow am Ludwig von Mises Institute in Auburn schließt mit einem Plädoyer für Free Banking – nicht zuletzt als Mittel für die Entpolitisierung und Entmachtung der Gesellschaft.
Jörg Guido Hülsmann: Deflation and Liberty, Auburn 2000 (Buch des Monats Oktober 2009 bei Forum Ordnungspolitik).
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9 Erstmals erschienen am 13. 3. 2010.