Читать книгу Die Euro-Misere - Michael von Prollius - Страница 18
Desaströse Deflation erzeugt nur der Staat11
ОглавлениеDie Große Depression in den USA ist der Inbegriff für die desaströsen Folgen von Deflation. Sie hat sich derart in das kollektive und in das individuelle Gedächtnis gebrannt, dass der US-Notenbankchef Ben Bernanke bei seiner aktuellen Geldpolitik völlig auf die 1930er Jahre fixiert zu sein scheint. Für Deutschland ist die Weltwirtschaftskrise und insbesondere die Politik von Reichskanzler Heinrich Brüning das Pendant dazu. Politik und Zentralbanken beschwören den Kampf gegen den Leviathan Deflation und brüsten sich zugleich damit, den Behemoth Inflation im Zaum zu halten.
In den USA hat es nie wieder derartige deflatorische Ausmaße gegeben wie den Einbruch des Geldangebots um über 30 Prozent zwischen 1929 und 1933. Im Gegensatz zu früheren Rezessionen, darunter der scharfen Bereinigungskrise von 1920/21, setzten sich in den 1930er Jahren die Interventionisten durch. Sie empfahlen die Preise und Löhne auf dem Niveau vor der Deflation zu fixieren. Diese von den US-Präsidenten Hoover und Roosevelt umgesetzte Wirtschaftspolitik ist unter dem Namen „New Deal“ bekannt geworden. Der New Deal war eine Mixtur aus staatlichen Ausgaben und Kreditvergaben, Regulierungen und Besteuerungen; er wurde interessanterweise von einer stark expansiven Geldpolitik begleitet.
Die Folgen waren verheerend. Die Anpassung der Wirtschaft wurde ausgehebelt, die Investitionsfähigkeit und - bereitschaft der Unternehmen für ein Jahrzehnt abgewürgt. Die künstlich hoch gehaltenen Löhne sorgten für eine bis dato unbekannte Massenarbeitslosigkeit, die sich 1933 auf bis zu 25 Prozent der Beschäftigten ausdehnte. Erst die Politik des New Deal schuf die Große Depression. Der Versuch, Preise und Löhne während der Deflation hoch zu halten, verhinderte die reinigende Preisanpassung und zwang die Produzenten zu rein quantitativen Maßnahmen in Form reduzierter Produktion und historisch einmalig hohen Entlassungen, urteilt Steven Horwitz in „Deflation: The Good, the Bad, and the Ugly“. Hätte die Regierung es zugelassen, dass sich Preise und Löhne in der Rezession anpassen können, wäre die Krise immer noch heftig gewesen, hätte aber nicht derart desaströse Ausmaße annehmen können.
Auch in Deutschland dürfte der Deflationsprozess zu Beginn der 1930er Jahre nicht weit genug gegangen sein. Die Zinssätze erreichten auf dem Kapitalmarkt im Urteil von Zeitgenossen nicht das erforderliche niedrige Niveau, um eine Wende einzuleiten. Im Sommer 1932 lagen die Produktionskosten noch über dem Niveau, das für einen Aufschwung angemessen gewesen wäre. Zudem blieben die Strukturprobleme ungelöst, darunter die im August 1931 etablierte Devisenzwangswirtschaft und Prohibitivzölle. Eine ähnliche Abschottungspolitik wurde von allen westlichen Regierungen praktiziert. Infolgedessen knickte die Exportwirtschaft als letzte Stütze der Binnenkonjunktur ein. Das politische Verhängnis nahm seien Lauf.
Entgegen verbreiteter Auffassungen hatte Reichskanzler Brüning keine echte Deflationspolitik verfolgt, denn seine Maßnahmen zielten nicht auf ein Schrumpfen der Geldmenge, sondern auf eine Haushaltskonsolidierung, möglicherweise auch auf eine Beendigung der Reparationszahlungen ab. So griff die Regierung Brüning direkt in den Markt ein und drückte die Preise künstlich per Anordnung nach unten. Die negierte Preisrealität beeinträchtigte die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft in der größten Korrekturkrise der Welt zusätzlich zu den zahlreichen hemmenden Regulierungen der 1920er Jahre. Deutschland steckte in einer massiven Schuldenkrise und hatte vermeintlich „goldene Jahre“ durch eine auf Pump finanzierte konjunkturelle Scheinblüte erlebt.
Selbst spätere Neoliberale wie Wilhelm Röpke sahen angesichts des kumulativen Abschwungs – infolge einer fortgesetzten Kreditkontraktion, mit dem das Geldangebot zurückging, bei nach unten starren Löhnen und einem Nachfrageausfall mit Tendenz zu weiter sinkenden Preisen und steigender Arbeitslosigkeit – eine Reflation durch die Zentralbank als geeignetes Mittel an. Eine derartige Sichtweise kann allenfalls im Hinblick auf die sich abzeichnenden architektonischen Verschiebungen in der (deutschen) Politik der frühen dreißiger Jahre überzeugen und überdeckt die eigentlichen Krisenursachen. Allerdings ergriffen die Nationalsozialisten im Januar 1933 bekanntlich nicht die Macht, sondern sie wurde ihnen übertragen.
Tatsächlich gibt es die viel beschworene Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und einbrechender Wirtschaftsaktivität ins Bodenlose nicht. Die reale (!) gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann nicht urplötzlich einbrechen. Wir haben es vielmehr mit einer relativen Verschiebung in der Nachfrage von Konsum- und Investitionsgütern beziehungsweise einer Verlagerung innerhalb der beiden Gütergruppen zu tun. Zudem kann es zu einem Rückgang des Preisniveaus kommen. Stets bleibt aber die Gesamtnachfrage unverändert. Deflation – die Schrumpfung der Geldmenge – ist ohne vorangegangene Inflation unmöglich. Es gibt kein grundloses Rennen in den Abgrund. Die amerikanische wie die deutsche Wirtschaft steckten 1930 in einer Doppelkrise aus grundlegenden Strukturproblemen und einem inflationären, nicht aufrecht zu erhaltenden Wachstum.
Deflation verändert als drastische Verringerung der Geldmenge zwar die Wohlstandsverteilung, nicht aber den absoluten Wohlstand. Weil sämtliche Preise stark sinken, sinken auch die Produktionskosten. Kein Gut geht verloren. Deflation eliminiert die während der Blasenbildung getätigten Fehlinvestitionen. Vermögensgüter können anschließend preisgünstiger ersetzt werden. Auch hier profitieren die Unternehmer, die am besten kalkuliert haben und mit ihnen schließlich auch die Verbraucher.
Die Kreditkontraktion beschleunigt lediglich den Gesundungsprozess, wenn auch mit durchaus schmerzhaften kurzfristigen Begleiterscheinungen. Zudem zerplatzt die Geldillusion. Damit wird der Weg frei für die richtige und nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, zumal die freiwilligen Ersparnisse ansteigen. Die schnelle, scharfe Nachkriegsrezession in den USA 1920/21 zeigt, wie erfolgreich eine interventionsfreie Bereinigungskrise sein kann.
In beiden Fällen – Deflation und Inflation – sind die Vorkämpfer geldpolitischer Stabilität, nämlich Regierung und Zentralbank, lediglich Ritter von der traurigen Gestalt. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts belegt das mit Hyperinflationen, zyklischen Krisen und weltweiter Überschuldung ebenso eindrucksvoll wie der Kaufkraftverlust des Euro innerhalb von 10 Jahren um mehr als 50 Prozent.
Sämtliche Geldmengenaggregate haben sich binnen zehn Jahren, von 1998 bis 2008, mehr als verdoppelt; ein Kilo Gold kostete 1998 noch 10.788 Euro, im Juni 2008 aber bereits 25.657 Euro (August 2011: 40.300 Euro). Der geldpolitische Zentralismus ist nicht nur mit Blick auf den mit ihm ermöglichten Ersten Weltkrieg ein verheerender Irrtum mit desaströsen Folgen.
Die Alternative zum schlechten Geld des Zentralbankmonopols ist der Währungswettbewerb.
Leseüberraschung III: Wie eine Volkswirtschaft wächst und wie sie abstürzt
Die Überraschung des Jahres ist das mit zahlreichen comicähnlichen Illustrationen versehene Buch des Ökonomen und Bestsellerautors Peter Schiff, der bereits 2002 und 2006 die heutige Finanzkrise vorhersagte. Das von seiner Aufmachung her ungewöhnliche Buch ist eine exzellente Einführung in die Ökonomie und zugleich eine allgemein verständliche Erklärung der Weltwirtschaftskrise.
Wie der Titel treffend verspricht, werden Entstehung und Wachstum einer Wirtschaft sowie ihr Niedergang erläutert. Im Mittelpunkt steht eine Fabel, die das berühmte Robinson-Beispiel zum Ausgangspunkt einer immer arbeitsteiligeren Inselgesellschaft nimmt. Als Zahlungsmittel dient ein Gut mit intrinsischem Wert: Fisch. Auf bestechend klare Weise erläutern die Brüder Schiff, wie natürliches Wirtschaften funktioniert, darunter Sparen und Investieren, Kredite und Konsum, Arbeitsteilung und Wirtschaftswachstum. „Underconsumption“ wird zum Schlüssel für Prosperität. Konsum steigt, weil die Wirtschaft wächst und nicht anders herum. Deflation ist eine natürliche Entwicklung, ermutigt durch Sparen die Kapitalbildung und ermöglicht so weiteren Wohlstand. Später kommen die Entstehung von Banken, Infrastrukturprojekte und Außenhandel hinzu.
Der methodische Fisch-Kniff ermöglicht es den Schiff-Brüdern der Realität einen Spiegel vorzuhalten. Amüsante Sprachspiele deuten das Fortgeschrittenen an: „Closing the fish window“, „Watersnake scandal“ und „The fish hit the fan“. Entlarvend sind die Ausführungen zur „Fish inflation“. Einfach nachzuvollziehen ist zudem, wie Regierungen die natürliche Ordnung zerstören können, nachdem sie sich mehr Aufgaben angemaßt haben als erforderlich, und insbesondere das Geld zerstören.
Durch die große Schrift und zahlreiche Illustrationen sowie Text-Boxen mit „Reality checks“ für Übertragungen der Fisch-Fabel auf die Realität und „Take aways“ für grundlegende Einsichten ist die kurzweilige Lektüre innerhalb weniger Stunden zu schaffen. Auch deshalb gehört das von den Erkenntnissen der Österreichischen Schule durchdrungene libertäre Überraschungsbuch des Jahres 2010 in jeden Haushalt.
Peter D. Schiff, Andrew J. Schiff: How an Economy Grows and Why it Crashes, Hoboken 2010.
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11 Erstmals erscheinen am 22. 3. 2010.