Читать книгу Das Anden-Artefakt. Eine historisch-phantastische Erzählung - Michael Wächter - Страница 8
Kapitel 2: Die Verheißung von Kamenz
ОглавлениеEin heißer Tag des Spätsommers 1859 in jenem Waggon der Preußischen Eisenbahn. Der Waggon hielt in Kamenz. Dass er trotz Besetzung mit hoheitlichen Reisenden dort auf Gleis 3 zum Stehen kam, das war kein Zufall. Die drei edlen Damen, Kronprinzessin Augusta, Marie „Mimi“ von Buch und Cosima von Bülow, reagierten enerviert. Auch Bahnmeister Friedrich Köller war extrem nervös. Er hatte einen Plan. Er setzte seinen ganzen sächsischen Charme ein, und sein kleines Repertoire an höfisch-französischen Vokabeln, um die Hoheiten zu besänftigen.
„Pardon, Mesdames, wir haben een kleenes, technisches Probleem zu behem. Een Waggon is defekt, es gibt leeder ene kurze technisch bedingte Haltepause. Nutzen Sie sie zur Recréation, wir werdn ihnen frisches Mineralwasser vom benachbarten Kruggut zu Geierswalde anbieten!“
„Oh non, welch eine Malesse!“, stöhnte die Kronprinzessin und griff zur Bekämpfung ihrer Transpiration zu einem Fläschchen Zitronenwasser. Sie tupfte es mit einem feinen Seidentuch auf ihre Stirn.
Bahnmeister Friedrich Köller von Kamenz bedauerte sehr und vielmals. Ein weiterer Waggon sei sogar ganz ausgefallen, sächselte er, und es gebe daher zudem zwei Erste-Klasse-Passagiere, die die ehrenwerten Hofdamen untertänigst um die höfliche Erlaubnis bäten, im hoheitlichen Abteil der Prinzessin mitreisen zu dürfen.
„Bürgerliche?“, fragte Cosima von Bülow entsetzt.
„Aber Cosima, wir sind unserem Volk nahe!“, bestimmte die Prinzessin und erkundigte sich nach deren Namen.
„Es sind en Kruggutsbesitzer und en hoch ehrenwerter Strumpfwarenfabrikant, eure Hoohet!“, antwortete der Bahnmeister, „die Herren Friedrich Wilhelm Herz aus Senftenberch un Carl August Säuberlich, die ihrer Hoohet diese Bitte vortrachen.“
„Strumpfwaren – das interessiert uns. Die könnten wir noch brauchen. Lassen sie sie zusteigen, vielleicht kennen sie die neuste Mode aus London und Paris!“
„Umzugsmanager“ Friedrich Köller dankte untertänigst und vielmals, und er schloss seine Dankeshymne mit den Worten „Ich geh nu‘ die Herrn hooln.“. Eilig holte er die beiden „Erste-Klasse-Reisenden“ herbei. Der Strumpfwarenfabrikant Friedrich Wilhelm Herz aus Senftenberg war „zufällig“ der Schwager seiner Gattin Louise, einer geborenen Krechler. Sein ebenfalls „zufällig“ anwesender Schwiegervater war Carl August Säuberlich, der Kruggutsbesitzer zu Geierswalde. Friedrich Köllers Herz klopfte. Seine List hatte zum Erfolg geführt. Der Bahnmeister hatte sie auf Drängen seiner Verwandten eingefädelt und den technischen Defekt „arrangiert“, damit sein Schwager endlich eine Gelegenheit fand, um Kundschaft am Hofe zu werben. Und sein Schwiegervater wollte zum Dank für die Mitreisegelegenheit eine Einladung an die „gestrandete“ Prinzessin aussprechen, auf sein Kruggut zu Geierswalde natürlich.
„Hoffentlich können wir bald weiter, liebe Augusta!“, stöhnte Marie von Buch. Sie erbat sich etwas von dem Zitronenwasser aus dem Flacon der Kronprinzessin. Der Flacon wurde von einem Ornament mit Krone geziert. Prinzessin Augusta Marie Luise Katharina von Sachsen-Weimar-Eisenach war ihr voller Name, die Gemahlin des preußischen Kronprinzen Wilhelm I. von Preußen. Sie war von liberaler Gesinnung und hoher Bildung. Erneut trug sie etwas erfrischendes Zitronenwasser auf die in der Sommerhitze errötete Gesichtshaut auf. Dann redete sie weiter.
„Ja, Marie, es ist zu heiß heute. Erst recht für mich, die frisch gebackene Großmutter. Du weisst doch, meine geliebte britische Schwiegertochter Vicky hat meinem Friedrich endlich ein Kind geboren am.“
Marie nickte.
„Am 27. Januar im Kronprinzenpalais!“, fügte die Prinzessin stolz hinzu. Aber bitte sehr, liebste Marie!“. Sie und reichte ihr den Flacon. „Die Erziehung Wilhelms haben wir dem Kalvinisten Georg Hinzpeter übergeben. Und du kannst dir nicht vorstellen“, fuhr Augusta fort, „wie glücklich ich bin, seit Vickis und Friedrichs Hochzeit! Mein Triumph! Unsere Vicky, Princess Royal of England, Enkeltochter der britischen Königin Victoria – welch eine Partie für meinen Sohn Friedrich! Hinreichend von ihrer Herkunft geprägt kann sie ihm und vielleicht auch meinem Prinzgemahl das zeitgemäße Bild der liberalen, britischen Monarchie vorleben. Auch unser werter Alexander Gustav Adolf Graf von Schleinitz vom Hof in Koblenz schwärmte immer wieder von ihr!“
„Ach, ich hoffe mit dir, Liebste!“, sagte Marie. „Und ich glaube, dein Prinzregent wird sich diesem Ideal verschreiben.“
„Wie froh ich war, dass Wilhelm das letztes Jahr im November bei Regentschasftsbeginn verkündet hat! Er sagte im Staatsministerium, dass wir bemüht sein müssen, bei den veränderten Prinzipien der Rechtspflege das Gefühl der Wahrheit und der Billigkeit in alle Klassen der Bevölkerung eindringen zu lassen. Und dass unser Preußen in Deutschland moralische Eroberungen machen muss, durch eine weise Gesetzgebung, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie par exemple dem Zollverband.“ Augustas Augen glühten. Schließlich war sie es, die ihrem Gemahl genau diese Wortwahl vorgeschlagen hatte.
„Ja, eine neue Ära in der Politik!“, strahlte Marie. „Er hält auf die Verfassung. Und er hat Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen zum Ministerpräsidenten berufen – Gott sei Dank! Dieser konservative Karl Otto von Manteuffel ist damit abberufen, und die Reaktionszeit mit ihm!“
„Vorsicht, wir sind noch nicht am Ziel!“, sagte die Kronprinzessin. „Mein Gatte ist noch immer Soldat mit Leib und Seele! Er neigt zur Übertragung militärischer Kategorien auf das zivile Leben. Disziplin! Stell dir nur vor, neulich bei der Truppenparade im Palais: Als das von den Stabsoffizieren ersehnte Diner kam, zog Wilhelm einfach nur seine Semmel aus der Rocktasche!“
„Unser Kartätschenprinz!“ schoss es Marie durch den Kopf. Marie „Mimi“ von Buch saß neben ihr, blond, schlank, und hochgewachsen. Sie war Diplomatentochter. Ihr Vater, preußischer Ministerresident zu Rom, war verstorben. Ihre Mutter hatte neu geheiratet. Sie war in Begriff, Marie mit nach Paris zu nehmen, um sie dort gemeinsam mit ihrer Großmutter in die feine Gesellschaft einzuführen. So bekam Marie Kontakt zu Alexander Freiherr von Schleinitz, der am Hofe zu Koblenz verkehrte, bei Kronprinzessin Augusta und ihrem Gemahl Wilhelm, dem Kronprinz. Marie hatte stets ein liebenswürdiges Lächeln auf den feinen Lippen
Marie und Augusta flüsterten sich noch etwas zu. Sie kicherten. Cosima von Wagner las in einer Druckschrift. Mit einem Ohr verfolgte sie dabei das Gespräch ihrer Freundinnen. Denn auch sie, Cosima Francesca Gaetana von Bülow, kannte Wagner. Sie war schließlich die uneheliche, mittlerweile aber auch anerkannte Tochter des Komponisten Franz Liszt.
„Ja, die Männer, unsere Prinzen!“, sagte Cosima. „Manchmal schlagen sie auch bei uns ein wie eine Kartätsche!“
Augusta und Marie sahen zu ihr rüber. Sie hatte ihre Druckschrift weggelegt.
„Du meinst deinen Hans?“, sagte Marie.
„Ja, ihn auch – und diesen göttlichen Richard!“
Und Cosima schwärmte Marie von ihrer Reise nach Zürich vor. Sie hatte sie letztes Jahr angetreten, direkt nach ihrer Trauung in Berlin und der anschließenden Hochzeitsreise mit ihrem Bräutigam Hans von Bülow. Und diese Reise war natürlich zunächst zu Richard Wagner gegangen, der im Gartenhaus der Villa Wesendonck wohnte. Denn ihr Gatte war einer der begabtesten Schüler ihres Vaters, des Pianisten Franz Liszt. Deshalb war er auch ein glühender Verehrer seines Freundes Richard Wagners. Cosima kannte Richard seit 1853. Sie war musikalisch hochbegabt, redegewandt und hatte eine starke Einbildungskraft. Und selbstverständlich ein Faible für Wagners Musik (und nicht nur für seine Kompositionen!).
„Aber nochmal zurück zu deinem Prinzen! Schau nur!“, sagte Cosima und reichte ihre Druckschrift der Prinzessin.
Augusta nahm das Blatt und las.
„Aus der Proklamation der Freisinnigen Vaterlandsfreunde vom 19. Juli 1859. Unsere Hoffnung richten wir daher auf Preußens Regierung, welche durch den im vorigen Jahre aus freiem Antriebe eingeführten Systemwechsel ihrem Volke und ganz Deutschland gezeigt hat, dass sie als ihre Aufgabe erkannt hat, ihre Interessen und die ihres Landes in Übereinstimmung zu bringen, und für einen solchen Zweck Opfer an ihrer Machtvollkommenheit sowie die Betretung neuer und schwieriger Bahnen nicht scheut.“
„Wie nett!“, lachte Marie. „Das schreiben die Freisinnigen?“
„Ja“, sagte Cosima, und sie zitierte weiter: „Die Ziele der preußischen Politik fallen mit denen Deutschlands im Wesentlichen zusammen. Wir dürfen hoffen, dass die preußische Regierung immer mehr in der Erkenntnis wachsen wird, dass eine Trennung Preußens von Deutschland und die Verfolgung angeblich rein preußischer Großmachtzwecke nur zu Preußens Ruin führen kann.“
„Das wird unseren Karl Otto von Manteuffel provozieren, das ist für ihn die Hölle!“, kicherte Augusta.
Plötzlich ging die Tür des Abteils auf. Der Bahnmeister und zwei gutbürgerliche „Reisende“ standen in der Tür, baten um Einlass.
„Dürfen wir zu Ihnen hereinkommen, werde Damen?“
„Bienvenu!“, sprach Prinzessin Augusta gutgelaunt, „Treten sie ein Messieurs!“
Die Herren traten ein.
„Eene Erfrischung gefällich?“
Der Bahnmeister stellte kühles Mineralwasser für die Damen bereit. Die beiden Herren setzten sich bescheiden seitlich auf eine Bank und begannen nach höflicher Danksagung eine Konversation über das Wetter, die Eisenbahn und über Strumpfwaren für die drei edlen Damen. Sie waren erstaunt über ihre guten Manieren und erfreuten sich an der Konversation, so dass sie die brütende Sommerhitze vergaßen.
Carl August Säuberlich sah sich im Abteil um. An der Wand hingen zwei Plakate. Eines erinnerte an den fünften Todestag des Lokomotiv-Fabrikanten August Borsig, gestorben 6.7.1854. Daneben hing ein bahnamtlicher Hinweis mit der Empfehlung, Erster-Klasse-Billets demnächst besser vorzubestellen, denn es würden für hoheitliche Herrschaften mehrere Sonderzüge werden, die die erkrankte Majestät Friedrich Wilhelm besuchen wollen. Und eine Postkarte hing dort, vom Kruggut zu Geierswalde. Friedrich hatte wirklich an alles gedacht.
Die höfliche Konversation der Hofdamen mit den beiden Herren zeigte mittlerweile auch etwas von deren Gelehrsamkeit, denn sie mühten sich redlich, den Gesprächsthemen zu folgen. Augusta parlierte mit ihnen über von Humboldt, über die Publikation einer neuen These des Naturforschers Darwin über Ursprung der Arten und über die Mode in der neuen Welt jenseits des Atlantiks. Sie erzählte den Herren Herz und Säuberlich vom preußischen Gesandten von Gerolt, der dort Strumpfwarenfabrikate zu kaufen suchte, und von einem von ihm unterstützten Astronom. Er war von Istanbul nach New York gekommen, um Kometen und Asteroiden am Nachthimmel zu suchen.
„Und ihre Hoohet menen, de preussche Gesandtschaft in Amerika wünscht, Strumpffabrikate in Preußen zu erwerm?“, säuselte Friedrich Wilhelm Herz hoffnungsvoll.
„Unsre Fabrikaate wärn für sie villeisch wie kostbare Dinge aus eener andern Welt!“, fügte er werbend hinzu.
„Wir werden sehen, bester Mann! Ihr Bemühen ist reizend! Möge Ihnen der liebe Gott dafür gewähren, dass auch sie oder ihre Nachkommen einst reizvolle Dinge aus einer anderen Welt dafür bekommen – Ihnen und Ihrem freundlichen Bahnmeister Friedrich Köller hier!“, sagte Marie.
Ihm wurde es warm ums Herz. Der freundliche Wunsch aus dem Mund der Prinzessin ging ihm runter wie Honig. Sie strahlten so etwas Prophetisches aus – sollten jetzt etwa auch ihm „kostbare Dinge aus eener andern Welt“ zukommen? Reizvolles vom Königshof? Aufträge aus Amerika? Friedrich Wilhelm Herz strahlte über das ganze Gesicht. Fortan glaubte er fest an die Erfüllung des Wunsches der Prinzessin und grub ihn tief in sein Gedächtnis ein.
„Wir werden sie gern unterrichten, mein Herr, falls ihr Angebot dort von Interesse sein sollte.“, sicherte Augusta ihm ergänzend zu. „Wir müssen ihn anschreiben. Herr von Gerolt weilt seit Januar 1859 wieder in Washington, denn Graf von Schleinitz hat seine Versetzung nach Europa ablehnen müssen.“
„Hat er sich nicht auch auf Empfehlung Humboldts für diesen Peters eingesetzt?“, fragte Marie von Buch.
„Ja, Mimi“, sagte Augusta.
„Wer?“, fragte Cosima von Bülow.
„Na, unser Astronom Christian Heinrich Friedrich Peters. Inzwischen ist er von Istanbul aus nach New York gegangen, um eine neue Sternwarte zu bauen. Er bat uns im Außenministerium um finanzielle Mittel hierzu. Er meint, dass auf der Sonne irgendwelche gewaltige elektrische Stürme vorherrschen. Er will sie beobachten, Kometen und Asteroiden suchen.“
Ein Lächeln ging über das Gesicht der Prinzessin. „Ja, ich hörte davon: Er hat einen Kometen entdeckt, vor zwei Jahren. Und stellt euch vor, meine Lieben: Von Gerolt sagte mir, Peters wolle auch mal einen neuen Planeten finden. Er würde ihn mir zu Ehren Feronia nennen, weil er gehört habe, dass ich Feronia verehre, die Göttin des Waldes.“
Wie romantisch!, dachte Cosima. Sogleich tauchten weitere mythologische Figuren in ihren Gedanken auf, die in Wagners Kompositionen vorkamen.
Alsbald konnten die Damen ihre Reise durch die Lausitz fortsetzten und sie parlierten über den Romantiker von Eichendorff, der vor zwei Jahren auf Schloss Lubowitz in Schlesien verstorben war. Ihm zu Gedenken hatten sie diesen Bahnausflug nach Schloss Lubowitz angetreten. Die Rast im Kruggut zu Geierswalde kam ihnen dabei sehr gelegen.
Bahnmeister Friedrich Köller fielen die Augen zu. Frisch heimgekommen hatte er seine Beine auf der Chaise longue eigentlich nur kurz hochlegen wollen. Er schlummerte ein, noch bevor er zu Bett gegangen war. Er fand sich mit seiner Chaise longue plötzlich in besagtem Eisenbahnabteil wieder, dem Erste-Klasse-Abteil der Prinzessin, das mit der Bahn über den Wolken zu schweben schien. Carl August und Friedrich Wilhelm saßen mit ihm auf der Sitzbank, und ihnen gegenüber stand das Zitronenwasser auf einem Tischchen – ein Schälchen mit der Aufschrift „Säuberlich“, eines mit der Aufschrift „Hertz“ oder „Herz“. Durch das offene Abteilfenster schwebten drei Engel vom Sternenhimmel her hinein und sangen ein Lied über tugendhaft säuberliche Herzen. Die Engel nahmen den Herren gegenüber Platz.
„Ich bin Cosima, Engel des himmlischen Musikers Richard!“, stellte sich der eine Engel bei Friedrich Wilhelm vor. „Und ich bin Augusta, Engel eines himmlischen Politikers.“, sagte der andere Engel zu Carl August und erfrischte sich aus dem Wasserschälchen mit der Aufschrift „Säuberlich“. Friedrich Köller hörte Gesänge. Der Engel da sieht aus wie die Kronprinzessin, dachte er. Nur jetzt hat sie Flügel, fast wie ein Vogelmensch, und eine Art Schnabelmund. Die Engelsstimmen klangen wie ein Zwitschern oder Trällern, und am Unterarm trugen sie eine große, auffällige Armbanduhr mit einem quadratischen, flimmernden Bild. Es wechselte ständig, wenn die Engel darauf tippten. Sie tippten darauf, als sei es eine dieser neuen, mechanischen Schreibmaschinen. Wie diese dänischen Skrivekuglen, die man von Pastor Rasmus Malling-Hansen vom dänischen Taubstummeninstitut bei Hofe hat und in den königlich-preußischen Ministerien, dachte er.
Ihm gegenüber nahm der Engel mit dem Gesicht von Marie von Buch Platz. Er stellte sich mit „Mimi, Gräfin von Schleinitz und Puntirjan“ vor. Sie seien Boten eines himmlischen Sternkundlers, sagte er. Der heiße Peter Puntirjan, nach dem Heiligen Petrus. Der Bote fuhr fort, er habe eine Botschaft an ihn.
Friedrich Köller schluckte. Er sah die Engelgestalt mit großen Augen an. Er war unfähig zu sprechen. Ein Zwitschern drang in seine Ohren, wie von den Vögeln aus den Wäldern der Lausitz. Er verstand es nicht, aber sein Kopf schien es ihm in seine Sprache zu übersetzen. Friedrich Herz, Carl Säuberlich und er seien auserwählt worden, Mitglieder eines „Familienschwarmes“ zu sein, in dem einige Generationen später ein Nachkomme Besuch aus dem Himmel empfangen werde. Der Besuch werde ihm „ein reizvolles Ding“ bringen „aus einer anderen Welt“. Es werde ihm vom Sternenhimmel her geschickt und von einem Händler überbracht, in die Hände seines Enkelkindes. Das Kind werde dann erneut Besuch bekommen, dieses Mal persönlich, um das reizvolle Ding wieder heimzuholen in die Welt der Sterne.
Plötzlich schien die Erde zu rumoren. Ein Erdbeben wie vor einem Vulkanausbruch. Friedrich erschrak. Er öffnete seine müden Augen. Seine Gattin stand vor ihm. Sie rüttelte heftig an der Chaise longue, auf der er eingeschlafen war.
„Friedrich, du bist ja kaum wach zu kriegen! Komm zu Bett!“, sagte sie ungeduldig.
„Ja, ich komm!“, antwortete Friedrich im Halbschlaf und scheuchte die Traumbilder und –engel fort.
„Nun erzähl doch! Dein Tag muss ja wirklich aufregend gewesen sein!“, drängte seine Frau. Sie platzte fast vor Neugier.
„Ja, stell dir vor, was Carl August und ich hinbekommen haben!“, begann Friedrich seinen Bericht von der Begegnung mit der Kronprinzessin und ihrer Freundin „Mimi“ von Buch.
Als er seinen Bericht an die Ehefrau beendet hatte, beschloss er, das Ereignis auch kurz zu notieren und es als Nachtrag in die vor drei Jahren verfasste Familienchronik zu übernehmen, um es späteren Generationen weitergeben zu können. Und so kam es, dass die „Chronik der Köller‘sch-Säuberlich‘schen Familie“ eines Tages einen Zusatz erhielt über die Kamenzer Prophezeiung der Hofdame „Mimi“ von Buch – die Prophezeiung eines „reizvollen Dinges aus einer anderen Welt“. Eines Tages sollte es in den Besitz eines der Enkelkinder gelangen, hieß es, aus einer anderen Welt. Vielleicht könnte es ja sogar wie ein Stern vom Himmel fallen, dachte Friedrich Köller und malte sich das Ereignis in den schönsten Farben aus. Mehr wusste er nicht. Doch denen, die nach ihm kamen, sollte es den Tod bringen – und ein neues Zeitalter.