Читать книгу Share - Michael Weger - Страница 14

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„Mon amour!“ Jerome sprang vom Ledersofa auf und kam mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. „Toll!

Diese neue Frisur! Was ist das für eine Farbe?“

„Blond, Jerome. Es ist einfach nur blond. Wie du mich gern hast.“ Ihr schnippischer Tonfall war nicht zu überhören.

„Aber es hat einen silbrigen Stich, nein?“, flötete er weiter, während er ihr durchs Haar fuhr und sie an sich zog.

„Ja, hat es. Meine Friseurin …“ Er küsste sie auf den Mund.

Gott, fühlt sich das gut an. Warum ist der nur so charmant? Und gut aussehend? Und warum lasse ich mich auf ein Gespräch über meine Haare ein? Und warum küsst er mich vor den offenen Glasscheiben und hört gar nicht mehr auf? Das geht in die völlig falsche Richtung.

„Jerome“, sie schob ihn etwas von sich, „was ist denn los mit dir? Das stört dich doch sonst immer, wenn die ganze Belegschaft uns beobachtet.“

„Es wird Zeit, dass wir das ändern. Diese Heimlichtuerei geht mir auf die Nerven.“

Das geht entschieden in die falsche Richtung.

„Ach ja? Tut sie das?“

„Das hast du dir doch immer gewünscht, meine Kleine, nein? Also machen wir es offiziell. Nächste Woche, was meinst du? Am Abend der Charity-Gala für die Libyer. Vor der ganzen Pariser Gesellschaft.“ Er strahlte sie an.

Meine Kleine. Wie sie diese Anrede hasste. Sie rang sich ein Lächeln ab.

„Aber lass uns das in Ruhe besprechen“, er war auf dem Weg zum Sofa. „Heute Abend. Bei mir. Um neun. Oui, mon chérie?“ Er nahm sein Pad zur Hand, tippte darauf und aus der gegenüberliegenden Wand wurde ein einziger, die Fläche deckender Screen. Offensichtlich hatte er nicht vor, das Gespräch fortzusetzen.

„Sonst noch was auf dem Herzen?“, fragte er, ohne sie anzusehen.

Er will es öffentlich machen. Ja, das hatte sie sich gewünscht. Aber schon lange aufgegeben zu glauben, dass es wahr werden könnte. Warum gerade jetzt? Geht sein schlechtes Gewissen so weit? Oder spürte er irgendwo, unter den Schalen seiner Perfektion, dass sie sich mit leisen Schritten mehr und mehr von ihm distanzierte?

„Jerome“, plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie an einem Wendepunkt in ihrem Leben stand. Irgendwie fühlte sie das jetzt ganz deutlich. „Die nächsten Wochen wollte ich in Rom sein und recherchieren. Hast du das vergessen?“

„Aber das lässt sich doch verschieben, nicht wahr? Die laufen dir doch nicht weg, deine Rebellen.“ Er bezog sich auf ihre Kolumne. Eine weitere kleine Spitze, die einmal mehr zum Ausdruck brachte, was er in Wahrheit von ihrer Arbeit hielt.

„Aber es ist mir wichtig. Das weißt du.“

„Und ich bin dir nicht wichtig?“

„Doch, natürlich.“ Etwas drängte jetzt in ihr. „Aber dabei geht es nicht um dich. Ich muss das für mich tun. Und für die Welt. Le Monde. Worum geht es denn hier?“

„Das frag ich mich auch langsam.“

„Du weißt, was ich meine.“ Sie blickte ihn an. „Wenn eine Institution wie Le Monde dem humanitären Auftrag nicht mehr nachkommt, dann bleibt nichts über, gar nichts, an dem sich eine geschundene Gesellschaft wieder aufrichten kann.“ Sie wandte sich ab. „Ich verstehe nicht, warum wir immer wieder darüber diskutieren müssen. Wie kannst du den Vorgaben der Eigner so widerspruchslos folgen?“ Aufs Neue hatte sie, im Gespräch mit ihm, eine Traurigkeit eingeholt, die sie in den letzten Monaten immer öfter gespürt hatte. Prompt kam ihr das Konfliktthema Nummer eins in den Sinn. Kein allzu gutes Argument, aber es passt. „Zum Glück willst du keine Kinder. Mir fällt es auch mit jedem Tag schwerer, mir vorzustellen, noch welche in die Welt zu setzen.“ Es wurde sehr still in dem ausladenden Büro. „Wir müssen etwas beitragen, Jerome, und an der Zukunft bauen. Hör wenigstens auf die Leser. Die lieben meine Kolumne.“

„Nur weil du diesen“, er fühlte sich in die Ecke gedrängt, „diesen Preis“, beinahe wollte er ‚lächerlichen’ sagen, „von ihnen bekommen hast? Was glaubst du, warum wir den überhaupt ausschreiben? Das ist Leserbindung. Nichts sonst. Außerdem“, er wurde lauter, „hättest du diesen Preis nicht gewonnen, dann hätte ich mich bei den Eignern nicht so für dich eingesetzt und es gäbe deine kleine verträumte Kolumne schon längst nicht mehr.“ Er übersah, wie sie sich mehr und mehr versteifte. „Die Rebellen der Menschlichkeit. Was für ein rührseliger Kinderkram!“ Er war zu weit gegangen.

„Du willst unsere Beziehung öffentlich machen?“

„Wechsle jetzt nicht das Thema.“

„Wir reden doch über nichts anderes. Zuerst wolltest du mit mir ins Bett, das hat nicht geklappt. Dann hast du mir diese Kolumne gegeben und ich habe mich, naiv, wie ich war, erweichen lassen und tatsächlich geglaubt, dass du an mir, an meiner Person interessiert wärst – und nicht nur an meinem Aussehen und an Sex.“ Sie ließ ihre Worte kurz stehen. „Und vor allem: dass du an mich als Journalistin glaubst.“

„Aber das tue ich doch, mon amour.“ Er kam wieder auf sie zu, versuchte sie zu beschwichtigen.

„Dann beweis es.“ Sie blickte ihm direkt in die Augen. „Lass mich nach Rom gehen. Lass mich dort recherchieren und dann gibst du mir eine Seite. Eine ganze Seite und verdammt noch mal nicht Seite zwölf!“ Sie war so klar und bestimmt, wie es ihr ihm gegenüber selten gelungen war. „Und wenn ich zurück bin, dann reden wir über alles. Über uns und wie es weitergehen soll.“

Mit der Genehmigung für die Reise saß Claire wenig später an der nordseitigen, drei Stockwerke hohen Glasfront der Großraumredaktion. Postmoderne Schalensessel waren in einer Reihe an der Wand befestigt und verstärkten den Eindruck einer Abflughalle, an die das neue Headquarter von Le Monde erinnerte.

Vor zehn Monaten, als die laufenden Kosten der erst vor wenigen Jahren errichteten Firmenzentrale im ersten Arrondissement alle Schätzungen sprengten, wurde das Prestigeobjekt schnell wieder abgestoßen und die Zeitung war in eine ehemalige Remise vor den Toren von Paris gezogen. Mittlerweile überstiegen die Renovierungskosten erneut den Plan und so geriet die Eignergruppe mehr und mehr unter Druck. Die Abteilungen für Soziales, Kultur und Bildung wurden gekürzt, die Aufmachung abermals geändert, das Marketing mit allerlei Lesereinbindung forciert und alles, was die Sensationsgier der Leute befriedigte, wurde schreiend groß auf die ersten Seiten platziert.

Claires Artikelreihe über die Rebellen der Menschlichkeit, in der sie von außerordentlichen Leistungen einzelner Ärzte, Dolmetscher, Sanitäter und Lehrer in Krisengebieten berichtete, hatte einen dementsprechend schweren Stand. Und Jerome setzte sich tatsächlich für sie ein. Wenn auch aus anderen Motiven, als ihr lieb war.

In machen Stunden hatte sie ihr perfekter Chefredakteur – der hohes Ansehen genoss und in einem Loft über der Pariser Innenstadt wohnte – auch in sein Herz blicken lassen. Die Seiten, die sie in diesen Momenten an ihm kennengelernt hatte, waren gut, tief und vor allem freundlich. Sonst hätte sie es auch, um alles in der Welt, nicht schon zwei Jahre als seine heimliche Geliebte ausgehalten.

Vor allem aber glaubte Claire an ihre Arbeit. Und das ließ sie so manchen Kompromiss eingehen und über vieles hinwegsehen. Sie wusste, dass ihr Artikel über die sozialen Fortschritte in einem der afghanischen Transitlager die Leser berührt, ihnen Hoffnung und Trost gespendet hatte. Darum war er auch zum Bericht des Jahres gewählt worden. Sie erlebte es immer wieder: Die tiefe Sehnsucht der Menschen nach Einigung, Lösung und Frieden war ungebrochen erhalten.

Trotzdem fühlte sie sich jetzt gerade ernüchtert und leer.

Sie hatte in dem Gespräch – oder sollte sie sagen: in dem Streit – mit Jerome ein falsches Spiel gespielt. Sie hatte ihn emotional erpresst und war sich gleichzeitig, ganz nebenbei, durch all sein kränkendes Verhalten klar geworden, dass sie es nicht mehr lang an seiner Seite aushalten würde. Es fühlte sich schmutzig an.

Zwischen den Glasflächen, auf die TV-Berichte, Börsenkurse und allerlei Datenkolonnen projiziert wurden, gaben vereinzelte matte Stellen den Blick auf den Himmel frei.

Es hatte wieder zu regnen begonnen und der Smog zog in grauen Nebelfetzen über die Stadt, wie schon seit Monaten.

Auch der Blick in das Innere des Hallenbüros machte wenig Mut. Redakteure jagten gestresst über Bodenlaufbänder, tippten nervös auf ihre Pads und diktierten in gedämpftem Tonfall Berichte über immer neue ökologische Katastrophen, den weltweiten Kampf gegen den Terror oder menschliche Dramen, die sich irgendwo an meterhohen Grenzzäunen zwischen Sicherheitstrupps und flüchtenden Massen ereignet hatten.

Es war nicht zu leugnen: Die Welt stand sozial und ökologisch am Abgrund. Mit ihr Le Monde und die Freiheit. Doch nicht nur die der Presse, sondern die jedes einzelnen Menschen.

Claire öffnete eine App und verband sich mit der Onlinereservierung des Reiseunternehmens, das zur Firmengruppe gehörte. Auf der Plattform fand sich wie üblich alles, was sie brauchte. Sie gab die Rahmenzeiten für eine sichere Flugverbindung ein, markierte die Parameter zur gewünschten Unterkunft und nach wenigen Minuten waren die Buchungen erledigt.

Schon am nächsten Abend sollte sie zumindest der Pariser Tristesse entflohen sein. Was auch immer in der Ewigen Stadt auf sie warten mochte, konnte nicht schlimmer sein als das Elend, das ihr hier auf den Straßen täglich begegnete.

Sie wollte den Berichten aus Rom nachgehen. In einem nordöstlich gelegenen Viertel der Stadt, nahe der Piazza del Popolo, sollte eine neue, intakte Völkergemeinschaft entstanden sein. Dorthin führte sie ihr Weg, um jene Menschen zu interviewen, die für den Wiederaufbau verantwortlich waren.

Vor ihrer Abreise hatte sie noch einiges zu erledigen. Der Berg von Wäsche auf ihrem Badezimmerboden war dabei das geringste Problem. Vor allem musste sie sich bei ihrem Vater verabschieden, den sie aus guten Gründen schon zwei Wochen vermieden hatte zu kontaktieren. In den letzten Tagen waren seine Nachrichten aber immer fordernder geworden und so sorgte sie sich, trotz allem, um seine Gesundheit und seinen Gemütszustand.

Sie zog das Headset aus ihrem Neopad und aktivierte einen Videocall.

Wie üblich blieb die visuelle Übertragung einseitig, da ihr Vater das Bild blockierte. Seine Stimme klang erschöpfter als sonst und obwohl er sich über ihren Anruf zu freuen schien, spürte sie, dass seine Gedanken bei anderen Themen blieben. Claire hakte nicht nach, sprach ruhig in ihr Pad und vereinbarte einen Besuch am Abend in der Villa, in der sie bei ihm aufgewachsen war.

Nach dem Telefonat öffnete sie ihren Newsground-Account. Das neue Social-Media-Netzwerk verzeichnete geradezu explodierende Userzahlen. Die Menschen zogen sich mehr und mehr in virtuelle Welten zurück. Viele Reiche hatten die Städte verlassen, um in abgeschotteten Arealen, umgeben von hohen Zäunen, zu leben. Städter setzten oft tagelang keinen Fuß vor ihre Wohnungen. Es lag auf der Hand, dass diese Netzwerke dadurch zu den wichtigsten Kontaktforen für Familien oder andere soziale Verbände zählten und die wichtigste Einkaufsquelle darstellten. Newsground war die neue Nummer eins. Vor allem, weil es sich in Sachen Datenschutz und Ethik höchsten Maßstäben verpflichtet zeigte und dieses Versprechen an seine User bislang auch hatte halten können.

Sie loggte sich auf ihrer Journalseite ein, überflog die neuesten Letters und stellte ihre News ins Netz. Sie erzählte in wenigen Worten von der bevorstehenden Reise, von ihrer Hoffnung, auch aus Rom über herausragende Leistungen der Menschlichkeit berichten zu können, und verabschiedete sich für die nächsten Wochen von ihren treuen Lesern wie üblich mit den Worten: Le Monde c’est à ceux, qu’espèrent – die Welt gehört denen, die hoffen.

Danach machte sie sich auf den Weg. Sie sah noch einmal über die Halle und für einen Moment war ihr, als würde sie zum letzten Mal den Blick über die lose befreundeten Redakteure, Journalisten und endlosen Reihen von Schreibtischen schweifen lassen. Sie schüttelte den Gedanken ab, trat aus dem ziegelroten Backsteingebäude und stand im Regen.

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